Orientierungssatz
Die von einem Versicherten versehentlich in eine Angestelltenversicherungskarte geklebten Arbeiterrentenversicherungsbeitragsmarken können für die Zeit vor dem 1965 07-01 nicht als wirksame Versicherungsbeiträge behandelt werden; in einem derartigen "Falschkleben" von Beitragsmarken ist keine gültige Entrichtung freiwilliger Beiträge zu erblicken.
Normenkette
AVG § 143 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1421 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 131 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1409 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Oktober 1964 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 6. Juni 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin bezieht seit dem 1. Juli 1965 eine Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin die Rente schon von einem früheren Zeitpunkt an zusteht.
Die im Jahre 1902 geborene Klägerin entrichtete von 1954 bis 1956 18 Pflichtbeiträge und anschließend bis September 1959 41 freiwillige Beiträge, insgesamt also 59 Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV). Für die Monate Oktober 1959 bis Januar 1961 klebte sie in ihre Angestelltenversicherungskarte 16 Beitragsmarken der Arbeiterrentenversicherung (ArV) ein.
Im April 1961 beantragte die Klägerin eine Berufsunfähigkeitsrente. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab, weil Berufsunfähigkeit noch nicht vorliege (Bescheid vom 5. Dezember 1961). Nachdem die Klägerin Klage erhoben und eine erneute ärztliche Untersuchung Erwerbsunfähigkeit seit April 1961 ergeben hatte, lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 19. März 1963 erneut ab, nunmehr jedoch mit der Begründung, mit den bis September 1959 entrichteten 59 Beiträgen zur AnV sei die Wartezeit nicht erfüllt. Die für die Zeit von Oktober 1959 bis Januar 1961 in der Versicherungskarte Nr. 3 eingeklebten 16 Beitragsmarken der ArV seien weder als Beiträge zur AnV noch als solche zur ArV anzusehen und deshalb unwirksam.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG) entschied im Sinne der Klägerin. Die von ihr verwendeten Beitragsmarken der ArV seien als wirksame Angestelltenversicherungsbeiträge zu behandeln. Dies ergebe sich aus § 1421 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO); die dort enthaltene Bezugnahme auf § 1233 Abs. 3 RVO sei nicht wörtlich zu verstehen, denn es wäre nicht verständlich, wenn eine Fehlentrichtung von Beiträgen nur für Wanderversicherte unschädlich sein solle (Urteil vom 28. Oktober 1964).
Mit der - zugelassenen - Revision beantragt die Beklagte,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Sie rügt die Verletzung der §§ 143 Abs. 3 (1421 Abs. 3) und 141 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - (1409 RVO). Während des Revisionsverfahrens hat sie auf Grund der Ergänzung des § 131 Abs. 1 AVG und der Änderung des § 143 Abs. 3 AVG durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 den Anspruch der Klägerin - unter Einbeziehung der 16 Beitragsmarken der ArV als freiwillige Beiträge der AnV mit Wirkung vom 1. Juli 1965 an anerkannt.
Die Klägerin, die daraufhin ihre Rente seit dem 1. Juli 1965 erhält, hat das Anerkenntnis der Beklagten angenommen; im übrigen, d.h. für die frühere Zeit, beantragt sie die Zurückweisung der Revision.
Die Revision ist zulässig und begründet. Für die Zeit vom 1. April 1961 bis 30. Juni 1965 steht der Klägerin keine Rente aus der AnV zu. Ein Anspruch wäre nur dann gegeben, wenn die von ihr versehentlich geklebten 16 Beitragsmarken des nicht zutreffenden Versicherungszweiges (ArV) auch schon für die Zeit vor dem 1. Juli 1965 als wirksame Versicherungsbeiträge zu behandeln wären. Das ist aber nicht möglich.
Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AVG erfolgt die Entrichtung von Beiträgen durch Verwendung von Beitragsmarken - wie sie das Gesetz für die Weiterversicherung vorsieht (§ 129 Abs. 1 AVG) - durch Einkleben von Beitragsmarken in die Versicherungskarten der Versicherten (§ 133 AVG). Damit meint das Gesetz die für die Rentenversicherung der Angestellten ausgegebenen besonderen Beitragsmarken; nur solche können - jedenfalls nach dem Recht bis zum Inkrafttreten des RVÄndG vom 9. Juni 1965 - als Beiträge in einer Versicherungskarte der AnV gültig verwendet werden. Dagegen ist die Verwendung von Beitragsmarken zur ArV für die AnV nicht zulässig; in einem derartigen "Falschkleben" von Beitragsmarken ist keine gültige Entrichtung freiwilliger Beiträge zu erblicken. Schon nach der grundsätzlichen Entscheidung des Reichsversicherungsamts vom 26. Januar 1926 (AN 1926, 207) ist die Verwendung von Beitragsmarken der Invalidenversicherung in einer Versicherungskarte der AnV nicht einmal insoweit als eine gültige Beitragsleistung der AnV anzusehen, als die Beitragsmarken der Invalidenversicherung an Wert den Markenwerten der AnV entsprechen. Es sind demnach von der Klägerin zu keinem der beiden Versicherungszweige formal gültige freiwillige Beiträge entrichtet worden.
Damit entfällt auch - entgegen der Meinung des LSG - die Möglichkeit, § 1421 Abs. 3 RVO in seiner früheren Fassung zu Gunsten der Klägerin anzuwenden. Wie die Beklagte zutreffend geltend macht, hat das Berufungsgericht verkannt, daß bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung deshalb nicht gegeben sind, weil sie keine formell gültigen freiwilligen Beiträge entrichtet hat. § 1421 Abs. 3 RVO gilt nur für solche freiwilligen Beiträge der ArV, die deshalb unwirksam sind, weil die freiwillige Weiterversicherung nicht in der ArV, sondern in der AnV durchzuführen war, nicht aber für Beiträge, die - wie hier - aus anderen Gründen unwirksam sind (vgl. Verb. Komm. 6. Aufl. § 1421 RVO Anm. 5). Daran ändert auch nichts, daß inzwischen durch Art. 1 § 2 Nr. 45 RVÄndG der bisher in § 143 Abs. 3 AVG (§ 1421 Abs. 3 RVO) enthaltene Hinweis auf § 10 Abs. 3 AVG (§ 1233 Abs. 3 RVO) und damit die Beschränkung auf Wanderversicherte entfallen ist (vgl. BSG Urteile des 11. Senats vom 23. März 1965 und des 1. Senats vom 24. Mai 1966 - SozR § 1421 Nr. 1 und Nr. 3).
Erst durch die Ergänzung des § 131 Abs. 1 AVG auf Grund des Art. 1 § 2 Nr. 41 RVÄndG sind nunmehr auch solche Versicherte geschützt, die - wie die Klägerin - Beitragsmarken falsch geklebt haben (vgl. BT-Drucks. IV 2572, Amtliche Begründung zu Art. 1 § 1 Nr. 25 und Art. 1 § 2 Nr. 24 des Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Härten in der gesetzlichen Rentenversicherung). Denn nunmehr ist § 131 Abs. 1 AVG der Satz hinzugefügt worden: "Sind Beitragsmarken der Rentenversicherung der Arbeiter in eine Versicherungskarte der Rentenversicherung der Angestellten eingeklebt worden, so gilt der Beitrag als zur Rentenversicherung der Angestellten entrichtet." Diese Gesetzesänderung gilt zwar auch für vor dem 1. Juli 1965 entrichtete Beiträge, soweit diese - wie hier - noch nicht erstattet sind (Art. 5 § 5 Abs. 2 RVÄndG), und kommt deshalb auch der Klägerin zugute; nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 5 § 6 Satz 3 RVÄndG ist jedoch - von einer hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme abgesehen - eine Leistung für Zeiten vor dem 1. Juli 1965 ausdrücklich ausgeschlossen.
Im vorliegenden Falle bedurfte es somit keiner Beanstandung durch den Versicherungsträger und wäre eine Überweisung der fehlentrichteten Beiträge an die Beklagte unzulässig. Allenfalls wäre eine Beitragsnachentrichtung nach § 140 Abs. 1 AVG in Betracht gekommen; sie scheitert jedoch daran, daß nach § 141 Abs. 1 AVG freiwillige Beiträge nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit (April 1961) für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden dürfen. Das LSG hat im übrigen zutreffend angenommen, daß in der Verwendung von Beitragsmarken der ArV auch keine Bereiterklärung zur Entrichtung von Beiträgen zum richtigen Versicherungszweig (AnV) gesehen werden kann (§§ 141 Abs. 2, 142 Abs. 1 Nr. 2 AVG).
Die Klägerin kann somit eine Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 1. April 1961 bis 30. Juni 1965 nicht beanspruchen. Auf die Revision der Beklagten ist demzufolge das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen