Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vermögensberücksichtigung. Schmerzensgeldzahlung. besondere Härte. offensichtliche Unwirtschaftlichkeit einer Lebensversicherung
Leitsatz (amtlich)
Die Berücksichtigung eines aus einer Schmerzensgeldzahlung stammenden Vermögens bedeutet in der Regel eine besondere Härte für den Alg II-Bezieher.
Orientierungssatz
Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des Senats zu § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 SGB 2 dann vor, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht (vgl BSG vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 66/06 R = SozR 4-4200 § 12 Nr 5 mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung der Alhi). Es ist mithin zu ermitteln, welchen Verkehrswert der Vermögensgegenstand gegenwärtig auf dem Markt hat. Dieser gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert gegenüberzustellen (vgl BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 68/06 R). Liegt das Missverhältnis von eingezahlten Beiträgen und Rückkaufswert der Lebensversicherung bei einem Verlust von 26,9%, so ist von einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit auszugehen.
Normenkette
SGB 2 § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 2 Fassung: 2004-11-19; SGB 2 § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 1 Fassung: 2004-11-19; SGB 2 § 11 Abs. 3 Nr. 2 Fassung: 2004-07-30; BSHG § 72 Abs. 2, § 88 Abs. 3 S. 1; SGB 12 § 90 Abs. 3 S. 1; SGB 12 § 83 Abs. 2; BGB § 253 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger ab 1. Januar 2005 ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zusteht. Die Beklagte geht davon aus, dass der Kläger nicht hilfebedürftig sei, weil er über Geldvermögen verfüge.
Der im Jahre 1970 geborene Kläger erlitt im Mai 1985 einen Verkehrsunfall. Hierfür erhielt er vom Verursacher des Unfalls Schmerzensgeldzahlungen in Höhe von insgesamt 70.000 DM. Von 1988 bis 1991 absolvierte er eine Lehre als Bauzeichner. Nach Arbeitslosigkeit und Bezug von Arbeitslosengeld nach dem (damaligen) Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bezog der Kläger ab 2. Oktober 1997 Anschluss-Arbeitslosenhilfe (Alhi). Die (damalige) Bundesanstalt für Arbeit (BA) hob im Jahre 1999 diese Bewilligung von Alhi ab 2. Oktober 1997 auf, weil der Kläger über ein Vermögen in Höhe von 155.040,05 DM verfügt habe und deshalb nicht bedürftig gewesen sei.
In dem gegen diese Bescheide der BA durchgeführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Landshut machte der Kläger geltend, sein Vermögen stamme überwiegend aus der Schmerzensgeldzahlung wegen des Unfalls im Mai 1985 und sei deshalb nicht zu berücksichtigen. Nachdem der Vorsitzende am SG in der mündlichen Verhandlung im November 2001 darauf hingewiesen hatte, dass das Sparkonto über 103.148,56 DM aus der Schmerzensgeldzahlung resultiere und deshalb von dem restlichen Vermögen von 51.098 DM nach Abzug des Freibetrags ein Betrag von lediglich 43.890 DM zu berücksichtigen sei, schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach die Bewilligung der Alhi nur für die Zeit vom 2. Oktober 1997 bis 16. September 1998 zurückgenommen wurde. Im Übrigen verblieb es bei der Leistungsbewilligung. Der Kläger bezog sodann vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2004 weiterhin Alhi.
Am 23. November 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II). Hierbei legte er Unterlagen über Geldanlagekonten in Höhe von insgesamt 29.783,47 Euro vor. Daneben verfügte er über zwei Lebensversicherungen, in die er bei einem Rückkaufswert von 9.104 Euro insgesamt 12.449,10 Euro bzw bei einem Rückkaufswert von 951,30 Euro 1.661,40 Euro einbezahlt hatte. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 2. Dezember 2004 die Bewilligung von Alg II mit der Begründung ab, der Kläger verfüge über verwertbares Vermögen in Höhe von 29.783,47 Euro. Unter Berücksichtigung des Freibetrags von 6.800 Euro verblieben zu berücksichtigende 22.983,47 Euro. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2005).
Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 30. November 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Nichtberücksichtigung von Vermögen, das aus einer Schmerzensgeldzahlung resultiere, sei in den Ausnahmetatbeständen des § 12 SGB II ausdrücklich nicht vorgesehen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 31. August 2006 die Bescheide der Beklagten und den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 2005 Alg II zu zahlen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die beiden Lebensversicherungen seien deshalb nicht zu berücksichtigen, weil der aktuelle Rückkaufswert deutlich niedriger liege als die Summe der eingezahlten Beträge. Auch das übrige Vermögen sei nicht anzurechnen, weil seine Verwertung eine besondere Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II bedeuten würde. Es sei glaubhaft und nachgewiesen, dass dieses Vermögen auf den Schmerzensgeldzahlungen der Versicherung beruhe. Der Kläger habe 1987 bzw 1991 einen Betrag in Höhe von insgesamt 70.000 DM als Schmerzensgeld erhalten. Auf Grund seiner im Rahmen des Rechtsstreits gegen die Aufhebung der Alhi gemachten Angaben und der dort vorgelegten Sparkassenbriefe und Unterlagen sei nachvollziehbar, dass das im Jahre 1998 vorhandene Sparkonto von 103.148,56 DM auf die Schmerzensgeldzahlung von 70.000 DM und die hieraus resultierenden Zinseinnahmen zurückzuführen gewesen sei. Deshalb seien die BA und das SG damals zu Recht davon ausgegangen, dass dieses Vermögen die Bedürftigkeit für die Alhi nicht ausgeschlossen habe. Das zum 1. Januar 2005 insgesamt vorhandene Vermögen von 43.893,97 Euro sei noch geringer als das von der Anrechnung auf die Alhi ausgenommene Vermögen von 103.148,56 DM. Es sei bereits im Sozialhilferecht unstreitig gewesen, dass Schmerzensgeldzahlungen bei der Prüfung der Bedürftigkeit nicht zu berücksichtigen gewesen seien. Gemäß § 88 Abs 3 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) habe auch die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden dürfen, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen gehabt habe, eine Härte bedeutet hätte. Als Härte in diesem Sinne sei auch der Einsatz eines aus Schmerzensgeldzahlungen und den hieraus gewonnenen Zinsen stammenden Vermögens angesehen worden (Hinweis auf BVerwGE 98, 256). Diese Grundsätze seien auch auf § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II zu übertragen. In § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II werde klargestellt, dass eine Entschädigung, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist und nach § 253 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geleistet werde, nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei. Es würde dem dieser Vorschrift zu entnehmenden Schutzgedanken widersprechen, eine größere Schmerzensgeldzahlung, die im Monat des Zuflusses als privilegierte Einnahme anzusehen sei, nach Ablauf dieses Monats, soweit sie noch als Vermögen verbleibe, bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit aber zu berücksichtigen. Schon deshalb sei ein aus einer Schmerzensgeldzahlung resultierendes Vermögen im Rahmen des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II als geschützt anzusehen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II. Es sei zunächst zweifelhaft, ob das im Jahre 2005 - unstreitige noch vorhandene - Vermögen in Höhe von 29.783,47 Euro auf den Schmerzensgeldzahlungen beruhe. Die behaupteten Vermögensverschiebungen bzw Geldanlageformen seit dem Jahre 1987 seien für sie nicht nachvollziehbar. Der Kläger sei aber objektiv beweispflichtig dafür, dass das vorhandene Vermögen (noch) aus der Schmerzensgeldzahlung resultiere. Diesbezüglich bestehende Unsicherheiten lägen ausschließlich in der Sphäre des Klägers und gingen daher zu seinen Lasten. Des Weiteren habe der Kläger nunmehr seit über 20 Jahren das Vermögen unangetastet gelassen. Der Schoncharakter des Schmerzensgeldes sei damit mittlerweile verloren gegangen, weil der Verletzte die erhaltene Entschädigung einigermaßen zeitnah und zweckbestimmt einzusetzen habe. Insbesondere sei mittlerweile eine saubere Trennung zwischen dem aus dem Schmerzensgeld stammenden Vermögensstamm und den hieraus zugeflossenen Zinsen nicht mehr möglich. Auch dies gehe zu Lasten des Klägers.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. August 2006 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 30. November 2005 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass dem Kläger ab 1. Januar 2005 ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II zusteht. Insbesondere ist der Kläger hilfebedürftig gemäß §§ 9, 11, 12 SGB II, weil das bei ihm vorhandene Vermögen überwiegend aus einer Schmerzensgeldzahlung herrührt und dessen Verwertung für ihn eine besondere Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 (2. Alternative) SGB II darstellen würde. Soweit das Vermögen in Lebensversicherungen angelegt ist, ist dessen Verwertung gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II (1. Alternative) offensichtlich unwirtschaftlich.
Die Beklagte ist (weiterhin) beteiligtenfähig. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwar mittlerweile durch Urteil vom 20. Dezember 2007 (2 BvR 2433/04 und 2 BvR 2434/04) § 44b SGB II als mit Art 28 Grundgesetz (GG) und Art 83 GG unvereinbar erklärt. Die gemäß § 44b SGB II gebildeten Arbeitsgemeinschaften können jedoch für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2010 (BVerfG aaO, RdNr 207) weiterhin auf der bisherigen Rechtsgrundlage tätig werden.
Dem Kläger standen ab 1. Januar 2005 Leistungen gemäß §§ 19 ff SGB II zu. Der Kläger war Berechtigter iS des § 7 Abs 1 SGB II. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG und den in Bezug genommenen Verwaltungsakten der Beklagten ist davon auszugehen, dass der Kläger erwerbsfähig gemäß § 7 Abs 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 SGB II war. Der Kläger war auch hilfebedürftig gemäß § 7 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm §§ 9 ff SGB II.
Gemäß § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere nicht von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Das beim Kläger am 1. Januar 2005 vorhandene Vermögen auf Geldanlagekonten in Höhe von 29.783,47 Euro ist gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II (2. Alternative) nicht als Vermögen zu berücksichtigen, weil dessen Verwertung für den Kläger eine besondere Härte bedeuten würde. Der erkennende Senat ist in seinen Urteilen vom 15. April 2008 (B 14/7b AS 68/06 R) sowie vom 6. September 2007 (B 14/7b AS 66/06 R) insoweit dem 11b. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) beigetreten, der in seinem Urteil vom 16. Mai 2007 (B 11b AS 37/06 R) klargestellt hat, dass die Annahme einer besonderen Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II außergewöhnliche Umstände erfordert. Es muss sich hierbei um Umstände handeln, die nicht bereits in § 12 Abs 2 bzw § 12 Abs 3 SGB II als Privilegierungstatbestände erfasst sind (vgl aaO RdNr 31). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass für die Anwendung des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II Umstände vorliegen müssen, die den Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit einer Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (vgl Urteil des Senats vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 66/06 R - RdNr 24).
Auch auf der Grundlage dieses strengen rechtlichen Maßstabes ist davon auszugehen, dass die Berücksichtigung eines aus einer Schmerzensgeldzahlung herrührenden Vermögens für den Betroffenen gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 (2. Alternative) SGB II eine besondere Härte darstellt. Das SGB II setzt insoweit allerdings einen Wertungswiderspruch fort, den bereits das Recht der Sozialhilfe und der Alhi enthielt. Dieser besteht darin, dass bestimmte Einnahmen zwar als Einkommen privilegiert werden, nicht jedoch als Vermögen. So regelt § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II bei der Frage der Berücksichtigung von Einkommen, dass Entschädigungen, "die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs 2 BGB geleistet werden" nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Im Moment des Zuflusses einer Schmerzensgeldzahlung gemäß § 253 Abs 2 BGB ist diese mithin auf Grund des Privilegierungstatbestands des § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II nicht zu Lasten des Grundsicherungsempfängers als Einkommen zu berücksichtigen. § 12 SGB II privilegiert hingegen Vermögensbestandteile nicht, die aus einer Schmerzensgeldzahlung herrühren.
Entsprechende Regelungen enthielt bereits das BSHG. Nach § 72 Abs 2 BSHG war eine Entschädigung wegen eines Nichtvermögensschadens gemäß § 253 Abs 2 BSHG nicht als Einkommen bei der Sozialhilfe zu berücksichtigen. Gemäß § 88 Abs 3 Satz 1 BSHG durfte die Sozialhilfe nicht vom Einsatz eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies eine Härte bedeuten würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) sollte zwar die Herkunft des Vermögens keine entscheidende Rolle bei der Frage spielen, ob eine Härte iS des § 88 Abs 3 Satz 1 BSHG vorlag (vgl nur Brühl in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 88 RdNr 78). Es wurden aber Situationen anerkannt, in denen die Herkunft das Vermögen derart prägt, dass eine Verwertungspflicht als Härte angesehen wurde. Dies war insbesondere der Fall, wenn das Vermögen aus einer Kapitalabfindung oä stammte, die ihrerseits gemäß §§ 76 bis 78 BSHG privilegiert war (Fichtner in Fichtner/Wenzel, BSHG, 2. Aufl 2003, § 88 RdNr 21, Brühl aaO mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Folglich war nach der Rechtsprechung des BVerwG im Rahmen des § 88 Abs 3 Satz 1 BSHG (bzw jetzt § 90 Abs 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ≪SGB XII≫) auch anerkannt, dass die Verwertung eines aus einer Schmerzensgeldzahlung stammenden Vermögens eine "Härte" bedeute (vgl BVerwGE 98, 256 sowie mit Nachweisen Brühl/Geiger LPK-SGB XII, 8. Aufl 2008, § 90 RdNr 81). Dementsprechend war in der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung und Literatur in der Zeit vor der Schaffung des SGB II und des SGB XII einhellig die Meinung vertreten worden, ein aus einer Schmerzensgeldzahlung stammendes Vermögen sei nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen bzw als Vermögen zu berücksichtigen. Im Recht der Alhi galt dasselbe (vgl BSG Urteil vom 17. Oktober 1990 - 11 RAr 133/88 = DBlR Nr 3785a zu § 137 AFG; BSGE 68, 148 = SozR 3-4100 § 138 Nr 5 sowie BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 7 RdNr 22). Der Gesetzgeber des SGB II und des SGB XII hat diesen Regelungszusammenhang und -widerspruch aus § 72 Abs 2 BSHG und § 88 Abs 3 Satz 1 BSHG in § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II (§ 83 Abs 2 SGB XII) - Privilegierung des Schmerzensgeldes gemäß § 253 Abs 2 BGB als Einkommen - und § 12 SGB II bzw § 90 SGB XII - keine ausdrückliche Privilegierung von Vermögen, das aus einer (angesparten) Schmerzensgeldzahlung herrührt - auch über den 1. Januar 2005 hinaus fortgesetzt (vgl nur Hengelhaupt in Hauck/Noftz, K § 12 RdNr 271, Stand 2007; Mecke in Eicher/Spellbrink, 2. Aufl 2008, RdNr 92 ff zu § 12 mwN). Es ist aber nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber damit unter Geltung des SGB II eine Abkehr von der tradierten Zuordnung derartiger Vermögen vornehmen wollte.
Die Privilegierung gilt indes nur, wenn das fragliche Vermögen tatsächlich aus einer Schmerzensgeldzahlung gemäß § 253 Abs 2 BGB herrührt. Ob dies der Fall ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die die jeweiligen Instanzgerichte zu treffen haben. Das LSG hat hier - den Senat gemäß § 163 SGG bindend - festgestellt, dass die am 1. Januar 2005 vorhandenen 29.783,47 Euro aus der Schmerzensgeldzahlung vom Jahre 1985 herrühren. Gegen diese Feststellung hat die Beklagte keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben. Damit hatte der Senat als Revisionsgericht bei seiner Rechtsprüfung davon auszugehen, dass der hier streitige Betrag aus der Schmerzensgeldzahlung stammt. Ob insoweit, wie die Revision meint, eine Beweisführungslast des Klägers besteht, kann deshalb dahinstehen.
Der Revision kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie davon ausgeht, dass es "im Wesen" des Schmerzensgeldes liege, dass dieses zeitnah zur Kompensation der immateriellen Schäden eingesetzt werden müsse. Ein Rechtssatz, wonach der Charakter des Schmerzensgeldes (Ausgleich für immaterielle Schäden) verloren gehen könne, wenn der jeweils Betroffene dieses lediglich anspare und nicht verbrauche, ist nicht ersichtlich. Das Schmerzensgeld ist jeweils in seiner ganzen noch vorhandenen Höhe geschützt (vgl BVerwGE 98, 256). Auch "angespartes" Schmerzensgeld ist insofern gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II privilegiert. Es liegt innerhalb der Dispositionsfreiheit des Geschädigten, wie er mit den aus einem Schadensereignis resultierenden Beträgen zum Ausgleich des immateriellen Schadens umgeht (zur vergleichbaren Wertung bei "angespartem" Blindengeld vgl BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 20/06 R -).
Die beim Kläger darüber hinaus vorhandenen Lebensversicherungen konnten ebenfalls nicht als Vermögen berücksichtigt werden, denn ihre Verwertung wäre offensichtlich unwirtschaftlich gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II (1. Alternative) gewesen. Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des Senats zu § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II dann vor, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht (BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 66/06 R, RdNr 22 mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung der Alhi). Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Verwertung ist auf das ökonomische Kalkül eines rational handelnden Marktteilnehmers abzustellen. Es ist mithin zu ermitteln, welchen Verkehrswert der Vermögensgegenstand gegenwärtig auf dem Markt hat. Dieser gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert gegenüberzustellen (vgl auch Urteil des Senats vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 68/06 R). Der Substanzwert ergibt sich bei einer Lebensversicherung grundsätzlich aus den auf den Lebensversicherungsvertrag eingezahlten Beiträgen. Diese sind dem Verkehrswert in Form des Rückkaufwerts gegenüberzustellen. Bei den beiden vorhandenen Lebensversicherungen lag der Verkehrswert (Rückkaufswert) erheblich unter der Summe der eingezahlten Beiträge. Bei der einen Lebensversicherung hatte der Kläger 12.449,10 Euro eingezahlt und hätte ein Rückkaufswert von 9.104 Euro realisieren können (Verlust von 26,9 %). Bei der anderen Lebensversicherung waren 1.661,40 Euro eingezahlt und ein Rückkaufswert von lediglich 951,30 Euro erzielbar gewesen (Verlust von 42,7 %). Das Missverhältnis zwischen eingezahlten Beiträgen und Rückkaufswert liegt bei beiden Versicherungen mithin so hoch, dass das LSG zu Recht von einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 (Alternative 1) SGB II ausgegangen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
NZA 2008, 928 |
FEVS 2009, 1 |
NDV-RD 2008, 102 |
BtMan 2009, 104 |
info-also 2008, 186 |