Leitsatz (amtlich)

Ansprüche der Arbeitsverwaltung gegen den Unterstützungsempfänger auf Erstattung zu Unrecht erhaltener Beträge (AVAVG § 177 Abs 1 S 2) sind keine Ansprüche auf Leistungen im Sinne des SGG § 144 Abs 1. Die Berufung findet deshalb nach SGG § 143 statt.

 

Normenkette

SGG § 144 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 143 Fassung: 1953-09-03; AVAVG § 177 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1929-10-12

 

Tenor

Auf die Revision wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Februar 1955 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I Der 1907 geborene Kläger ist von Beruf Elektromonteur. Er meldete sich am 30. Dezember 1953 arbeitslos, beantragte Arbeitslosenunterstützung (Alu) und legte hierbei eine Arbeitsbescheinigung der Firma E in M vom 29. Dezember 1953 vor, nach deren Inhalt er von 1922 bis zum 28. Dezember 1953 als Elektro-Installateur bei diesem Betrieb beschäftigt war; als Grund der Lösung des Arbeitsverhältnisses waren darin "Arbeitsmangel - Witterungsverhältnisse" angegeben. Laut Bescheinigung der Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Landkreis Ü vom 4. Januar 1954 war der Kläger zuletzt bis zum 28. Dezember 1953 bei ihr pflichtversichert.

Mit Verfügung des Arbeitsamts K vom 12. Januar 1954 wurde dem Kläger Alu vom 2. Januar 1954 ab bewilligt, die er bis zum 20. März 1954 bezog. Im März 1954 ermittelte das Arbeitsamt durch seinen Außendienst, daß die Angabe in der Arbeitsbescheinigung der Firma E über den Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zutraf. Die Buchhalterin des Betriebs und der Betriebsinhaber E erklärten dem Ermittler, daß der Kläger weder entlassen worden sei noch selber gekündigt habe. Seine Arbeitspapiere lägen noch bei der Firma. Der Kläger habe, wie auch ein anderer Betriebsangehöriger namens R auf zwei Monate auszusetzen gewünscht, weil ihnen angeblich die winterliche Witterung zu kalt war. Später hätten jedoch beide eine Arbeitsbescheinigung verlangt und erhalten. Der Kläger hätte über den Winter hinweg weiter beschäftigt werden können, wenn auch in etwas geringerem Umfange als im Sommer. Die Firma E hätte wahrgenommen, daß H sich habe selbständig machen und den Kläger bei sich beschäftigen wollen; beide hätten ihr bereits durch Schwarzarbeit Konkurrenz gemacht. Der Kläger räumte in einem Schreiben vom 11. März 1954 an den Leiter des Arbeitsamts ein, daß er nach der Arbeitslosmeldung verschiedentlich gegen Entgelt bei Dritten Arbeit geleistet habe. Er gab ferner am 23. März 1954 vor dem Arbeitsamt zu, es sei ihm nicht gekündigt worden und er habe auch selbst nicht gekündigt.

Durch Verfügung vom 24. März 1954 entzog das Arbeitsamt dem Kläger die Alu und forderte insgesamt 270,90 DM für die Zeit vom 2. Januar bis zum 20. Februar 1954 gemäß § 177 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) zurück, weil er damals nicht arbeitslos gewesen sei und jenen Betrag zu Unrecht bezogen habe. Gleichzeitig wurde eine Ordnungsstrafe von 50.- DM gemäß § 259 AVAVG gegen den Kläger verhängt.

Der Widerspruch des Klägers hiergegen wurde durch Widerspruchsbescheid vom 14. April 1954 zurückgewiesen.

II Auf Klage änderte das Sozialgericht Konstanz durch Urteil vom 13. Oktober 1954 den Bescheid des Arbeitsamts Konstanz vom 24. März 1954 dahin ab, daß der vom Kläger zurückgeforderte Betrag von 270,90 DM auf 135,45 DM festgesetzt wurde und in monatlichen Raten von 10,- DM zurückzuerstatten sei. Es begründete diese Entscheidung unter anderem mit den Erwägungen, es sei zwar unbestritten geblieben, daß der Kläger bei der Firma E Ende Dezember 1953 nicht entlassen wurde, dagegen habe nicht restlos geklärt werden können, aus welchem Grunde der Kläger zu diesem Zeitpunkt "ausgesetzt" habe. Ohne die vom Arbeitgeber erteilte Arbeitsbescheinigung vom 29. Dezember 1953 mit der unzutreffenden Angabe über die Lösung des Arbeitsverhältnisses wegen Arbeitsmangels und wegen der Witterungsverhältnisse und ohne die Bestätigung der Allgemeinen Ortskrankenkasse über die Pflichtversicherung bis zum 28. Dezember 1953 wäre der Kläger niemals in den Besitz der Alu gelangt. Deswegen sei er nicht allein für den unberechtigten Bezug der Alu verantwortlich zu machen. Das Sozialgericht verwertete bei seinen Erwägungen eine weitere Bescheinigung der Firma E vom 28. Dezember 1953 folgenden Inhalts: "Unterzeichneter bescheinigt hiermit Herrn R St Elektro-Installateur, geb. am 27.5.07 zu K Gem. D, wohnh. in U, daß er wegen Arbeitsmangel ab heute bis auf weiteres ohne Beschäftigung in meinem Betrieb ist und daher aussetzen muß." Zu dieser Bescheinigung war auf schriftliches Auskunftsersuchen des Sozialgerichts vom Betriebsinhaber E mit Schreiben vom 14. September 1954 folgendes erklärt worden: "In Beantwortung Ihres Schreibens vom 8. ds. M. teile ich Ihnen mit, daß ich auch heute noch die in meiner Bescheinigung für den früheren Monteur R St gemachten Aufzeichnungen aufrechterhalte, da durch die schlechte Witterung (kalt und hoher Schnee) ein Arbeiten in ungeschlossenen Räumen nicht möglich war." Eine Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen hat nicht stattgefunden.

Hinsichtlich der gegen den Kläger verhängten Ordnungsstrafe hat das Sozialgericht keine Entscheidung getroffen.

Das Urteil vom 13. Oktober 1954 wurde vom Sozialgericht gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für endgültig erklärt.

Die Beklagte legte Berufung ein und machte geltend, dieses Rechtsmittel sei nicht durch § 144 SGG ausgeschlossen, weil es sich bei einem Rückforderungsanspruch des Arbeitsamts nicht um eine Leistung im Sinne jener Vorschrift handele. Ferner rügte sie einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, da das Sozialgericht in die Ermessensfreiheit des Arbeitsamts nach § 177 AVAVG eingegriffen habe, indem es dessen Rückforderungsanspruch herabgesetzt und für den restlichen Betrag Ratenzahlungen bewilligt habe. Im übrigen hätten die Voraussetzungen für den Unterstützungsbezug überhaupt nicht vorgelegen, so daß die Klage abzuweisen gewesen wäre.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren weder Erklärungen abgegeben noch ist er im Verhandlungstermin vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg vertreten gewesen.

III Das Landessozialgericht verwarf durch Urteil vom 25. Februar 1955 die Berufung der Beklagten als unzulässig. Zwar betreffe das Verlangen des Versicherungsträgers auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Unterstützungsbeträge weder Ansprüche auf einmalige noch auf wiederkehrende Leistungen. Die Berufung sei aber gleichwohl nicht statthaft, weil es sich im Berufungsverfahren um Ansprüche des Versicherten auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen handele. Der Kläger habe im Berufungsverfahren zwar keinen Antrag gestellt, jedoch in der Vorinstanz vorgebracht, er sei in der strittigen Zeit auf etwa sieben Wochen arbeitslos und daher zum Bezuge der Unterstützung berechtigt gewesen. Demzufolge betreffe das Berufungsverfahren Ansprüche des Klägers auf wiederkehrende Leistungen der Arbeitslosenversicherung, die auch dadurch geltend gemacht werden könnten, daß der Kläger dem Anspruch auf Erstattung widerspreche. Soweit das Sozialgericht über den Betrag der Rückerstattung entschieden und Ratenzahlungen gewährt habe, handele es sich nicht um einen Mangel des Verfahrens, sondern um eine sachlich unrichtige Entscheidung.

Revision wurde zugelassen.

IV Gegen das der Beklagten am 20. Juni 1955 zugestellte Urteil legte sie mit Schriftsatz vom 12. Juli 1955, beim Bundessozialgericht eingegangen am 15. Juli, Revision ein und beantragte,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Konstanz vom 13. Oktober 1954 die Klage abzuweisen.

In der Revisionsbegründung vom 12. August 1955, eingegangen am 15. August, stellte sie ferne den Antrag, gegebenenfalls die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte machte unter anderem geltend, unter Ansprüchen auf einmalige oder wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG seien nur Ansprüche eines Versicherten oder eines anderen Berechtigten gegen den Versicherungsträger zu verstehen, so daß hierunter nicht auch Rückforderungsansprüche des Versicherungsträgers fallen könnten. Das Rückerstattungsverlangen der Arbeitsverwaltung nach § 177 Abs. 1 AVAVG sei ein Anspruch eigener Art, für den die Berufung nicht ausgeschlossen oder beschränkt sei. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG dennoch anzuwenden sei, weil es sich im Berufungsverfahren um Ansprüche des Versicherten auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen gehandelt habe, sei irrig. Im vorliegenden Falle habe der Kläger gegen den Verwaltungsakt des Arbeitsamts, durch den die Unterstützung entzogen und gleichzeitig zurückgefordert sowie überdies eine Ordnungsstrafe verhängt worden sei, in vollem Umfange Klage erhoben. Das Urteil des Sozialgerichts habe die Verfügung des Arbeitsamts dahin abgeändert, daß es den zurückgeforderten Betrag auf die Hälfte ermäßigt und insoweit Ratenzahlungen festgesetzt habe. Aus den Urteilsgründen sei zu entnehmen, daß der Rückforderungsanspruch nur aus Billigkeitsgründen und nicht etwa deshalb ermäßigt worden sei, weil das Gericht den Kläger nur während eines Teils der strittigen Zeit als arbeitslos ansah. Die Entscheidung des Arbeitsamts über die Entziehung der Unterstützung sei aber vom Sozialgericht nicht abgeändert worden. Daher betreffe das Berufungsverfahren nur noch den Rückerstattungsanspruch. Für diesen aber sei die Berufung nach § 143 SGG zulässig. Die Beklagte rügte weiterhin als Verfahrensmangel, daß das Sozialgericht bei seiner Entscheidung zu §§ 177 und 185 AVAVG den § 54 Abs. 2 SGG verletzt habe, indem es durch Herabsetzung des Erstattungsbetrags und Bewilligung von Raten fälschlich sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Arbeitsverwaltung gesetzt und damit gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßen habe. Insoweit sei die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig gewesen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 12. August 1955 Bezug genommen.

Der Kläger hat im Revisionsverfahren keine Erklärungen abgegeben

V Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), auch form - und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig.

Was zunächst die formelle Seite anbetrifft, so war der Kläger vor dem Bundessozialgericht zwar nicht nach den Vorschriften des § 166 SGG durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten. Hätte er sich in der Rolle des Revisionsklägers befunden, so hätte diese Unterlassung zur Verwerfung der Revision führen müssen; denn dann wäre die Revision nicht in der gesetzlichen Form eingelegt gewesen (§ 169 Satz 1 SGG). Für den Revisionsbeklagten sieht das Gesetz jedoch eine ähnliche Folge nicht vor. Ein Revisionsbeklagter, der nicht Behörde oder Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ist, hat lediglich den Nachteil, daß er persönlich vor dem Bundessozialgericht mit seinem Vorbringen nicht gehört werden kann. Ihm sind - was im vorliegenden Falle geschehen ist - gemäß § 110 SGG Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung mitzuteilen (vgl. BSG. Urteil vom 30.5.1956 - 7 RAr 132/55 - BSG. 3 S. 106).

VI Die Revision ist auch begründet. Die Beklagte hat zu Recht bemängelt, daß das Landessozialgericht die Zulässigkeit der Berufung verkannt hat.

Wie der erkennende Senat bereits im vorerwähnten Urteil festgestellt hat, enthält § 177 AVAVG für die Arbeitsverwaltung in Satz 1 die gesetzliche Verpflichtung zur Rücknahme sowohl der von Anfang an fehlerhaften wie der nachträglich fehlerhaft gewordenen Verwaltungsakte und in Satz 2 die Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch hinsichtlich aller jener Beträge, die infolge des aufgehobenen Verwaltungsakts zu Unrecht gezahlt worden sind. Diese dem Recht der Arbeitslosenversicherung eigentümliche Regelung des Rückforderungs-oder Rückerstattungsanspruchs hat gesetzestechnisch ihren Platz nicht im "Dritten Abschnitt" = Arbeitslosenversicherung, Unterabschnitt "Versicherungsleistungen" (§§ 87 ff. AVAVG), sondern vielmehr im "Sechsten Abschnitt" = Verfahren, Unterabschnitt "Unterstützungsverfahren" (§§ 168 ff. AVAVG) erhalten. Dieser Umstand allein schon läßt erkennen, daß jedenfalls im Bereich der Arbeitslosenversicherung Rückforderungsrechte nicht als "Leistungen" im Sinne des § 144 Abs. 1 SGG angesehen werden können. Darüber hinaus ist in Rechtsprechung wie Schrifttum schon seit langem anerkannt, daß allgemein im Recht der Sozialversicherung vom Gesetzgeber der Begriff "Leistung" nur dann verwendet wird, wenn es sich um Ansprüche des Versicherten gegen den Versicherungsträger oder sonstiger Berechtigter gegen den Staat bezw. gegen öffentliche Körperschaften oder Anstalten handelt (vgl. BSG. Urteil vom 30.8.1956 - 8 RV 403/54 - SozR. SGG § 144 Bl. Da 1 Nr. 4; LSG. Baden-Württemberg Urteil vom 25.2.1955, Breithaupt 1955 S. 1277; Hess. LSG. Urteil vom 30.6.1954, Sozialgerichtsbarkeit 1955 S. 121 mit zustimmender Anmerkung von Rohwer-Kahlmann; Bayer. LSG. Urteil vom 19.2.1954, Amtsbl. 1954 B S. 119; LSG. Hamburg, Urteil vom 11.1.1956, Breithaupt 1956 S. 532; Brüning, Sozialgerichtsbarkeit 1954 S. 67; Kochherr, Das Arbeitsamt 1956 S. 9; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 1 zu § 144 SGG; Miesbach-Ankenbrank, SGG Anm. 3 zu § 144). Sind jedoch unter "Leistungen" nach § 144 Abs. 1 SGG lediglich Sozialleistungen des Staates oder öffentlich-rechtlicher Körperschaften an den Berechtigten, nicht aber Rückforderungen vom unberechtigten Empfänger zu verstehen, so kann es nach Auffassung des erkennenden Senats rechtlich nicht darauf ankommen, ob der Erstattungsanspruch aus Rücknahme einer Verfügung auf einmalige (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) oder auf wiederkehrende Leistungen (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG) erwachsen ist. In § 177 Abs. 1 Satz 2 AVAVG hat der Erstattungsanspruch als öffentlich-rechtlicher Anspruch eigener Art ohne Unterscheidung, ob die Rückforderung einen einzigen Betrag ausmacht oder summenmäßig mehrere Einzelbeträge umfaßt, seine besondere Rechtsgrundlage. Nach Wortlaut und Inhalt wird er nicht von den Berufungsausschließungsgründen des § 144 SGG erfaßt, ebensowenig wie die Entziehung nach § 177 Abs. 1 Satz 1 AVAVG. Deswegen kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden, wenn es sich zwar einerseits der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Erkenntnis anschließt, daß das Verlangen des Versicherungsträgers auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Unterstützungsbeträge keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen darstellt, andererseits aber doch die Berufung im vorliegenden Fall mit der Erwägung für unzulässig hält, das Berufungsverfahren betreffe Ansprüche des Klägers als Versicherten auf wiederkehrende Leistungen der Arbeitslosenversicherung für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen, die auch dadurch geltend gemacht werden könnten, daß der Kläger der Erstattung widerspreche.

VII Gegenstand der Klage war zunächst die Verfügung des Arbeitsamts Konstanz vom 24. März 1954, die durch den Widerspruchsbescheid vom 14. April 1954 bestätigt worden ist (§ 95 SGG). Unzweifelhaft begehrte der Kläger deren Aufhebung in vollem Umfange. Die Untersuchung und Entscheidung darüber, ob und für welche Zeit der Kläger Alu beanspruchen konnte, betrifft in diesem Zusammenhang daher nur eine Vorfrage; hieraus war eine Berufungsausschließung über § 144 SGG nicht herzuleiten. Die Berufung findet nach § 143 SGG statt. Mithin durfte das Landessozialgericht dieses Rechtsmittel nicht als unzulässig verwerfen, sondern mußte eine Sachentscheidung treffen. Unabhängig davon kann dahingestellt bleiben, ob im übrigen nicht auch § 150 Nr. 2 SGG zu einer Entscheidung in der Sache geführt hätte.

Aus diesen Gründen war das angefochtene Urteil aufzuheben. Das Bundessozialgericht konnte jedoch in der Sache nicht selbst entscheiden, sondern mußte sie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG), weil der Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt ist. Der vom Erstrichter ermittelte und vom Berufungsgericht übernommene Tatbestand ist widerspruchsvoll. Er macht bislang nicht einmal erweislich, ob der Kläger vom 29. Dezember 1953 an arbeitslos war.

VIII Das Landessozialgericht wird für die Anwendung des § 177 AVAVG zunächst zu prüfen haben, ob und bejahendenfalls für welche Zeitdauer der Kläger Anspruch auf Alu hatte. Es wird bei diesen Untersuchungen die Grundsätze zu beachten haben, die der erkennende Senat in seinem Urteil vom 21. März 1956 - 7 RAr 7/55 - (BSG. 2 S. 67) zur Frage der Arbeitslosigkeit als einer der Unterstützungsvoraussetzungen entwickelt hat. Nach Klärung dieser Vorfragen wird das Landessozialgericht feststellen müssen, ob und welche Unterstützungsbeträge der Kläger gegebenenfalls zu Unrecht erhalten hat sowie ob und inwieweit der Erstattungsanspruch daraus begründet ist. Gelangt es zu der Feststellung, daß der Kläger nicht oder nur teilweise anspruchsberechtigt war und daß die zu Unrecht gewährten Unterstützungszahlungen den Betrag von 135,45 DM überschreiten, so wird es weiter zu prüfen haben, ob das Sozialgericht befugt war, die vom Arbeitsamt festgestellte Erstattungsschuld zu ermäßigen. Dasselbe gilt in jedem Falle für die Bewilligung von Ratenzahlungen durch das Sozialgericht. Die Entscheidung nämlich, ob und in welchem Umfange der Erstattungsanspruch geltend zu machen ist, stellt § 177 Abs. 1 Satz 2 AVAVG in das Ermessen der Arbeitsverwaltung. Nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG dürfen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gegenüber solchen Ermessensentscheidungen nur prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, sie dürfen aber nicht ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörde setzen (vgl. BSG. 2 S. 283 und BSG. in Breithaupt 1957 S. 765 ff.)

Schließlich wird sich im Fall der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der Zurückverweisung das Sozialgericht auch mit der gegen den Kläger verhängten Ordnungsstrafe aus § 259 AVAVG zu befassen haben.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290953

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