Leitsatz (redaktionell)
Es ist den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unbenommen, sich bei der Ermittlung des Sachverhalts auf bereits in anderen Verfahren festgestellte Tatsachen - im Wege des Urkundenbeweises - zu stützen.
Sie dürfen im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens und der Prozeßökonomie davon absehen, über die unbestrittenen, aus den beigezogenen Verwaltungs- und Gerichtsakten sich ergebenden Vorgänge sämtliche beteiligten Zeugen zu vernehmen, als seien diese Vorgänge bestritten.
Auch die durch Verwaltungsakten und Gerichtsakten vermittelten Vorgänge, die im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt sind, sind gültige tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts, an die das Revisionsgericht nach SGG § 163 gebunden ist, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.
Normenkette
SGG § 103 Fassung: 1953-09-03, § 163 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. November 1961 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger, ein Kassenarzt, teilte der Geschäftsstelle der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) mit Schreiben vom 28. Juli 1957 mit, er schränke seine Praxis während seines Urlaubs vom 5. August bis 14. September 1957 wesentlich ein. Er benannte drei Ärzte, die für dringende Fälle zur Verfügung ständen. Ohne dies der KÄV mitzuteilen, übergab er seinen Sprechstundenhilfen 1100 blanko unterschriebene Rezeptformulare und einen Arbeitsplan, wonach alle gängigen Rezepturen wiederholt und die laufenden Injektionskuren abgeschlossen werden dürften. Die Sprechstundenhilfen füllten während seiner Abwesenheit 400 Blanko-Rezepte aus und gaben sie den Patienten. Sie nahmen auch selbständig Injektionen - auch intravenöser Art - vor. Der Kläger berechnete diese Leistungen als seine Arztleistungen. Der Disziplinarausschuß der Beklagten verhängte über ihn eine Geldbuße von 1000 DM, weil er seine kassenärztlichen Pflichten gröblich verletzt habe. Das Sozialgericht (SG) wies seine auf Aufhebung der Disziplinarentscheidung gerichtete Klage ab, das Landessozialgericht (LSG) wies seine Berufung zurück. Das Bundessozialgericht (BSG) verwarf die Revision des Klägers als unzulässig (Beschluß vom 31. Juli 1959 - 6 RKa 7/59).
Wegen desselben Sachverhalts und außerdem, weil die Sprechstundenhilfen auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und ähnliche Bescheinigungen auf blanko unterschriebenen Formularen ausgefüllt hätten, entzog der Zulassungsausschuß dem Kläger durch Beschluß vom 21. Oktober 1958 die Zulassung zur Kassenpraxis. Der Berufungsausschuß für Ärzte wies die Berufung des Klägers durch Beschluß vom 11. März 1959 zurück. Der im Disziplinarverfahren festgestellte Sachverhalt wiege allein so schwer, daß der Kläger einer weiteren kassenärztlichen Tätigkeit entsagen müsse, so daß unerörtert bleiben könne, daß die Sprechstundenhilfen auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt hätten. Das SG hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger seine kassenärztlichen Pflichten gröblich verletzt habe. Das LSG hat in der ersten Verhandlung die Vernehmung des Geschäftsführers der KÄV Dr. L als Zeugen darüber beschlossen, ob die Urlaubsmeldung des Klägers die Verletzung seiner kassenärztlichen Pflichten habe erkennen lassen, und es hat diesen Zeugen in einer neuen Verhandlung mit neuer Besetzung vernommen. Das LSG hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 21. November 1961 als unbegründet zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Der Kläger hatte geltend gemacht, die Bezirksstelle Gießen der beigeladenen KÄV habe bewußt seine Urlaubsregelung nicht beanstandet, bevor sie durchgeführt worden sei. Aus seinem Schreiben vom 20. Juli 1957 sei die beabsichtigte Handhabung zu entnehmen gewesen. Man habe ihn die Regelung durchführen lassen, um sie dann nachträglich zum Anlaß zu nehmen, gegen ihn vorzugehen. Weit schwerere Verstöße anderer Ärzte würden nicht geahndet. Das LSG hat sich mit den vom Kläger gerügten angeblichen Mängeln des Vorverfahrens und des sozialgerichtlichen Verfahrens eingehend auseinandergesetzt. Das SG habe seine Aufklärungspflicht nicht verletzt; denn es habe sich auf die Aufklärung der Umstände beschränken können, die für die Beschlüsse des Zulassungs- und Berufungsausschusses wesentlich sind. Der Kläger könne mit Recht nur beanstanden, daß das SG in Abwesenheit des Klägers im Verhandlungstermin den früheren Geschäftsführer Münsterberg der KÄV als Zeugen darüber vernommen habe, ob die KÄV die Urlaubsplanung, wie er sie durchgeführt habe, genehmigt habe, ohne aber die Vernehmung den Beteiligten vorher anzukündigen. Es könne dahinstehen, ob hieran der Umstand etwas ändern könnte, daß das SG die Aussage des Zeugen M nicht verwertet habe. In keinem Falle komme dieser Aussage aber irgendwelche sachliche Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits zu. Sachlich sei das angefochtene Urteil des SG gerechtfertigt; denn die Betreuung der Sprechstundenhilfen mit dem Arzt vorbehaltenen Aufgaben, wie sie der Kläger im Urlaub 1957 vorgenommen habe, sei eine gröbliche Verletzung der kassenärztlichen Pflichten. Schon die Überlassung einer sehr großen Anzahl von Blankorezepten an die Sprechstundenhilfen verbunden mit der Ermächtigung, diese selbständig und ohne Befragung eines Arztes zur Verlängerung laufender Rezepte zu verwenden, verstoße gröblich gegen die Pflichten eines gewissenhaften Arztes; denn eine Verlängerung laufender Rezepte setze eine ärztliche Entscheidung darüber voraus, ob sie medizinisch angebracht und mit dem jeweiligen Gesundheitszustand des Patienten vereinbar sei. Hinzu komme, daß der Kläger, wie das LSG feststellt, die Leistungen seiner Sprechstundenhilfe als eigene ärztliche Leistungen abgerechnet hat. Somit sei die Entziehung der kassenärztlichen Zulassung wegen gröblicher Verletzung der kassenärztlichen Pflichten nach § 27 der Zulassungsordnung für Ärzte i. V. m. § 368 a Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gerechtfertigt. Da die Entziehung der Zulassung Ermessensentscheidung sei, sei sie nur in den Grenzen des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gerichtlich nachprüfbar, ob die Grenzen des Ermessens überschritten worden seien oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei. Ein solcher Ermessensmißbrauch liege nicht vor. Die Entziehung sei weder arglistig noch - wie der Kläger behauptet - aus persönlichen Gründen betrieben. Es sei eine unbegründete Unterstellung des Klägers, wenn er ausgesprochen habe, die Organe der KÄV hätten aus seinem Schreiben vom 28. Juli 1957 entnehmen können, und sie hätten entnommen, wie er die Urlaubsvertretung durch seine Sprechstundenhilfen habe gestalten wollen. Dafür biete das Schreiben keinen Anhalt.
Mit der Revision beantragt der Kläger, das Urteil des LSG und die angefochtenen Verwaltungsakte der Zulassungsinstanzen aufzuheben, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Hessische LSG zurückzuverweisen. Der beklagte Berufungsausschuß und der beigeladene Landesverband der Innungskrankenkassen haben keine Anträge gestellt. Die beigeladenen Landesverbände der Ortskrankenkassen und der Betriebskrankenkassen haben beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die beigeladene KÄV hat beantragt, die Revision zu verwerfen.
Der Kläger rügt, das LSG habe die Grundsätze der Unmittelbarkeit, des rechtlichen Gehörs und der Sachaufklärungspflicht verletzt. Die angefochtene Entscheidung stütze sich nicht nur auf das Ergebnis der Verhandlung vom 21. November 1961, sondern auch auf das Ergebnis der Sitzung vom 7. Februar 1961. Nur in der ersten Verhandlung sei die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung eingehend erörtert worden. In beiden Sitzungen sei der Senat jedoch mit verschiedenen Landessozialrichtern besetzt gewesen. In der zweiten Verhandlung seien die Beteiligten nach dem Vortrag des Berichterstatters nicht zur Sache gehört worden, im Anschluß an den Bericht sei alsbald der Zeuge Lotz vernommen worden. Erst danach seien die Beteiligten zur Beweisaufnahme gehört worden, der Vorsitzende habe aber nicht die Sache nach §§ 102, 112 Abs. 2 SGG in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert. Nach Stellung der Anträge habe er die mündliche Verhandlung geschlossen. Die stenographische Verhandlungsniederschrift verzeichne keine Erörterung der Sache in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung. Diese Niederschrift habe die Vermutung der Vollständigkeit für sich, weil in ihr die gesamte mündliche Verhandlung protokolliert worden sei. Der hektographierte Vermerk: "Nach Erörterung der Streitsache erklärte der Vorsitzende die mündliche Verhandlung für geschlossen" habe keinen Beweiswert im Sinne des § 164 der Zivilprozeßordnung (ZPO), weil die Gefahr bestehe, daß ein solcher Vermerk nicht durchgestrichen werde. Der Vermerk beweise somit nicht, daß die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht genügend erörtert worden sei (§§ 112 Abs. 2, 103, 121 SGG). Darin liege ein Verstoß gegen § 129 SGG; Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz sei verletzt.
Das LSG habe ferner seine Ermittlungspflicht und die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung dadurch verletzt, daß es keine unmittelbaren sachlichen Feststellungen über die Verhaltensweise des Klägers getroffen, sondern sich auf Feststellungen im Verwaltungsverfahren oder in einem anderen sozialgerichtlichen Verfahren gestützt habe. Eine unmittelbare Vernehmung der beiden Sprechstundenhilfen des Klägers als Zeugen wäre geeignet gewesen, dem erkennenden Senat den Eindruck zu vermitteln, ob das Handeln dieser Sprechstundenhilfen auf Weisung des Klägers bei ihren Kenntnissen und Fähigkeiten und bei Berücksichtigung ihrer Gesamtpersönlichkeit generell geeignet gewesen sei, Patienten und Interessen der Kassen zu gefährden, wie dies das angefochtene Urteil annehme. Die Unterlassung der Vernehmung dieser Sprechstundenhilfen verletze gleichzeitig § 128 SGG, wenn das LSG unterstelle, die Vernehmung dieser Sprechstundenhilfen werde zu keiner dem Kläger günstigen Aussage und zu keiner anderen Entscheidung führen.
Eine Verletzung der Aufklärungspflicht und der Grenzen des Rechts zu freier Beweiswürdigung sei es schließlich, daß das LSG unterlassen habe, die vom Kläger benannten Zeugen Dr. W, Dr. U, P und J zu vernehmen. Sie hätten die dem Kläger günstige Tatsache beweisen sollen, daß der vom LSG vernommene Geschäftsführer der KÄV Dr. Lotz tatsächlich aus dem Schreiben des Klägers vom 28. Juli 1957 unmittelbar nach dessen Erhalt entnommen habe, daß die in diesem Schreiben angekündigte Urlaubsregelung eine Verletzung seiner kassenärztlichen Pflichten beinhalte, da diese Urlaubsregelung, wie er sich gegenüber den benannten Zeugen geäußert habe, ohne Einschaltung der Sprechstundenhilfen nicht durchführbar gewesen sei. Für dieses Beweisthema, für "diese ihm günstige Tatsache", habe der Kläger die Zeugen benannt.
Das Gericht habe jedoch nach Vernehmung des Zeugen L unterstellt, daß die vom Kläger benannten Zeugen "die ihm günstige Tatsache" nicht erweisen könnten. Diese Unterstellung sei für die Entscheidung des Berufungsgerichts von ausschlaggebender Bedeutung gewesen. Der Zeuge Dr. L habe zugegeben, daß er möglicherweise in jener Zeit mit den vom Kläger benannten Zeugen Dr. W und Dr. U gesprochen habe, diese Zeugen seien Vorstandsmitglieder der Bezirksstelle der KÄV; Dr. L habe die Urlaubsregelung als "ungewöhnlich" empfunden.
II
Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat, ist sie nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens, der auch tatsächlich vorliegt, form- und fristgerecht (§ 164 SGG) gerügt wird (BSG 1, 150). Die vom Kläger geltend gemachten Mängel liegen jedoch, soweit sie sich auf das Verfahren des LSG beziehen, nicht vor; im übrigen betreffen sie die materiell-rechtliche Entscheidung des LSG.
Die Rüge des Klägers, das LSG habe § 112 Abs. 2 i. V. m. § 153 Abs. 1 SGG verletzt, der Verhandlungsgang habe nicht dem Gesetz entsprochen, ist unbegründet. Richtig ist zwar, daß das LSG am 7. Februar 1961 mündlich verhandelt und die Vernehmung des früheren ärztlichen Geschäftsführers der Bezirksstelle Gießen der KÄV Dr. L als Zeugen beschlossen und dann die Verhandlung vertagt hat. Es trifft auch zu, daß in der Sitzung vom 21. November 1961, in der die Beweisanordnung durchgeführt, verhandelt und das angefochtene Urteil nach geheimer Beratung verkündet worden ist, der erkennende Senat mit anderen Landessozialrichtern besetzt war als in der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 1961. Dieser Wechsel der Gerichtsbesetzung war zulässig. Er machte aber im Hinblick auf § 129 SGG eine neue mündliche Verhandlung erforderlich. Eine solche umfassende mündliche Verhandlung hat - entgegen der Annahme der Revision - stattgefunden. Wenn auch schon in der ersten mündlichen Verhandlung der Sachverhalt vorgetragen worden ist, so beweist doch das Verhandlungsprotokoll der zweiten Verhandlung, daß nach Aufruf der Beteiligten, der Zeugenverwarnung und der Feststellung der Termine für Zustellung und Eingang der Berufung der Berichterstatter auch in der zweiten Verhandlung den Sachverhalt vorgetragen hat. Die allein für den Erlaß des Urteils maßgebende letzte mündliche Verhandlung zeigt ferner alle sonstigen Merkmale einer dem Gesetz entsprechenden Verhandlungsführung. Der Kläger war persönlich anwesend. Er ließ sich, was auch vor dem LSG nicht erforderlich ist, nicht durch einen Rechtskundigen vertreten. Er hatte aber Gelegenheit, alles, was er vorbringen wollte, vorzutragen. Wenn er davon keinen Gebrauch gemacht hat, so leidet dadurch das Verfahren des LSG nicht an einem Mangel. Die Behauptung der Revisionsbegründung, in der zweiten Verhandlung wären die Beteiligten nach dem Vortrag des Berichterstatters nicht zur Sache gehört worden, wird durch das Protokoll dieser Verhandlung widerlegt, wonach die Beteiligten nach der Vernehmung des Zeugen gehört worden sind. Da die Beweisaufnahme auch vor der mündlichen Verhandlung hätte stattfinden können, so ist dieser Umstand, daß die Beteiligten erst nach der Zeugenvernehmung gehört worden sind, kein wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG.
Die weitere Rüge des Klägers, der Vorsitzende habe die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung nicht erörtert und vorzeitig die mündliche Verhandlung geschlossen und damit gegen die §§ 103, 112 Abs. 2, 121 i. V. m. § 153 Abs. 1 SGG verstoßen, schlägt nicht durch. Sie wird durch das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 21. November 1961 widerlegt. Diese Sitzungsniederschrift entspricht der Vorschrift des § 122 SGG und den durch § 122 Abs. 3 in Bezug genommenen Bestimmungen der §§ 159 bis 165 ZPO; denn sie enthält alle wesentlichen Vorgänge der Verhandlung, insbesondere die gesetzlich vorgeschriebenen Erfordernisse der §§ 112, 117, 121 SGG. Der hektographierte Vermerk im Verhandlungsprotokoll: "Nach Erörterung der Streitsache erklärte der Vorsitzende die mündliche Verhandlung für geschlossen" ist Inhalt des Protokolls und hat somit Beweiswert im Sinne des § 164 ZPO i. V. m. §§ 122 Abs. 3, 153 Abs. 1 SGG. Er beweist, daß die Sache mit den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung erörtert worden ist. Demgegenüber ist die stenographische Niederschrift über die Vernehmung des Zeugen Dr. L nur eine Gedächtnisstütze des Schriftführers; sie ist keine Niederschrift größeren Umfanges über die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen im Sinne der §§ 163 a, 160 Nr. 3 ZPO i. V. m. § 122 Abs. 3 SGG, die von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterzeichnet, als Anlage zum Protokoll in die gewöhnliche Schrift übertragen und vom Schriftführer beglaubigt worden wäre; die Aussage des Zeugen Dr. L ist vielmehr ins Protokoll aufgenommen, vorgelesen und genehmigt worden. Vermerke des Schriftführers im Stenogramm über den Gang des Verfahrens sind nicht geeignet, den Inhalt des allein maßgebenden Protokolls zu widerlegen. Dies gilt besonders für Vermerke über den Gang der Verhandlung, die nicht die Zeugenvernehmung betreffen.
Die Rüge des Klägers, der Vorsitzende habe die Streitsache am 21. November 1961, wenn überhaupt, jedenfalls nicht genügend erörtert, entspricht nicht dem § 164 Abs. 2 SGG. Der Kläger hat zwar § 121 SGG als verletzte Rechtsnorm bezeichnet, er hat jedoch keine Tatsachen und Beweismittel angeführt, die einen Mangel ergeben. Ohne spezifizierte Rüge ist nicht ersichtlich, welche Tatsachen der Vorsitzende noch hätte eingehender erörtern sollen, nachdem der Sachverhalt von vornherein auf das der disziplinaren Beurteilung zugrunde liegende Verhalten - trotz Möglichkeit der Erweiterung - beschränkt worden ist.
Die Rüge des Klägers, das Gericht habe die Grundsätze der Unmittelbarkeit des rechtlichen Gehörs verletzt und gegen § 103 SGG verstoßen, weil es die Feststellungen nur auf Grund des Verwaltungsvorverfahrens und anderer sozialgerichtlicher Verfahren getroffen habe, ist unbegründet. Es ist den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unbenommen, sich bei der Ermittlung des Sachverhalts auf bereits in anderen Verfahren festgestellte Tatsachen - im Wege des Urkundenbeweises - zu stützen. Sie dürfen im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens und der Prozeßökonomie davon absehen, über die unbestrittenen, aus den beigezogenen Verwaltungs- und Gerichtsakten sich ergebenden Vorgänge sämtliche beteiligten Zeugen zu vernehmen, als seien diese Vorgänge bestritten. Auch die durch Verwaltungsakten und Gerichtsakten vermittelten Vorgänge, die im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt sind, sind gültige tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts, an die das Revisionsgericht nach § 163 SGG gebunden ist, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Was der Kläger aber dazu vorbringt, sind keine begründeten Revisionsgründe. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es ist jedoch dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Parteien nicht gebunden. Es kann ohne Antrag weitere Beweise erheben oder von der Erhebung weiterer Beweise, auch wenn sie beantragt sind, absehen. Für die Frage, ob das Berufungsgericht die ihm nach § 103 SGG obliegende Pflicht, den Sachverhalt zu erforschen, erfüllt hat, kommt es darauf an, ob der Sachverhalt, wie er zur Zeit der Urteilsfällung bekannt gewesen ist, vom sachlich-rechtlichen Standpunkt des Gerichts zur Entscheidung des Rechtsstreits ausreichte (BSG in SozR SGG § 103 Bl. Da 2 Nr. 7). Wenn das LSG in "der Betrauung von Sprechstundenhilfen mit dem Arzt vorbehaltenen Aufgaben" eine gröbliche Verletzung der kassenärztlichen Pflichten sieht, so ist diese materiell-rechtliche Beurteilung für das Revisionsgericht verbindlich. Das LSG brauchte sich nicht dazu gedrängt zu fühlen, auch die Sprechstundenhilfen als Zeuginnen zu vernehmen, um einen Eindruck von ihrer Gesamtpersönlichkeit zu bekommen; denn es war vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus gesehen unerheblich, ob ihre Kenntnisse und Fähigkeiten eine Gefährdung der Patienten ausschlossen.
Eine Verletzung des § 103 SGG ist auch nicht darin zu sehen, daß das LSG die vom Kläger benannten Zeugen Dr. W, Dr. U, P und von J nicht vernommen hat; denn diese Zeugen sind nicht, wie der Kläger in seiner Revisionsschrift behauptet, dafür benannt gewesen, daß Dr. L tatsächlich aus dem Schreiben des Klägers vom 28. Juli 1957 entnommen habe, daß die Urlaubsregelung eine Verletzung der kassenärztlichen Pflichten zum Inhalt habe. Sie sollten vielmehr darüber gehört werden, ob sie vor Absetzen des Schreibens vom 10. Dezember 1957 an die KÄV-Landesstelle mit der Urlaubsregelung des Klägers bekannt gemacht worden sind. Selbst wenn das der Fall gewesen wäre, hätte sich hieraus noch nichts für die Richtigkeit der Behauptung des Klägers ergeben, daß auch Dr. L die im Arbeitsplan getroffene Urlaubsregelung bereits vor Eingang des Schreibens vom 10. Dezember 1957 gekannt habe. Demnach konnte das Berufungsgericht mit Recht von der Vernehmung dieser Zeugen absehen. Die Frage, ob Dr. L die vom Kläger beabsichtigte Handhabung seiner Urlaubsvertretung bereits aus dessen Schreiben vom 28. Juli 1957 entnommen habe, ist vom LSG nur für die Frage des Ermessensmißbrauchs als bedeutsam angesehen worden. Das LSG hat diese Frage verfahrensrechtlich unbedenklich verneint. Es hat sich in den Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung gehalten, wenn es seine negative Feststellung, gestützt auf den Inhalt des Schreibens vom 28. Juli 1957 und die von ihm für glaubwürdig erachtete Aussage des Zeugen Dr. L, getroffen hat.
Schließlich ist es kein Mangel des Verfahrens, wenn das LSG keinen Beweis darüber erhoben hat, ob der Kläger, wie er behauptet, schärfer angefaßt worden sei als andere Ärzte mit gleichen Pflichtverstößen. Das LSG hat festgestellt, ein solcher Vorwurf entbehre jeglicher Substantiierung. Das LSG hat im angefochtenen Urteil ausdrücklich erklärt, es sei nicht wesentlich, ob und wie angebliche Verstöße anderer Ärzte "geahndet" worden seien. Diese Rüge betrifft somit die materiell-rechtliche Entscheidung, nicht aber das Verfahren.
Da die gerügten Mängel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht vorliegen, ist die Revision nicht statthaft. Sie ist daher nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen