Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebührenrahmen für Kosten im Vorverfahren
Orientierungssatz
Für seine Tätigkeit im Vorverfahren erhält der Rechtsanwalt 25 bis 305 DM (Anschluß an BSG 7.12.1983 9a RVs 5/82 = SozR 1300 § 63 Nr 2, BSG 22.3.1984 11 RA 16/83 = SozR 1300 § 63 Nr 3, BSG 22.3. 1984 11 RA 58/83 = SozR 1300 § 63 Nr 4).
Normenkette
SGB 10 § 63 Abs 1 Fassung: 1980-08-18; SGB 10 § 63 Abs 2 Fassung: 1980-08-18; BRAGebO § 116 Abs 1 S 1 Nr 1, §§ 118-119, 12 Abs 1 S 1, § 20 Abs 1 S 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der zu erstattenden Kosten eines Rechtsanwalts im Vorverfahren.
Der Kläger war seit 31. Juli 1981 arbeitslos. Sein Arbeitsverhältnis endete nach der Arbeitsbescheinigung vom 10. August 1981 durch Aufhebungsvertrag (gegenseitiges Einvernehmen) vom 13. Juli 1981 zum 30. Juli 1981. Die Beklagte stellte durch Bescheid vom 7. Oktober 1981 den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen für die Zeit vom 31. Juli bis 27. August 1981 fest. Hiergegen erhob der Kläger, vertreten durch seinen Prozeßbevollmächtigten, Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, das Arbeitsverhältnis sei nicht im gegenseitigen Einvernehmen, sondern durch eine sachlich nicht begründete Kündigung des Arbeitgebers beendet worden. Die Beklagte hob nach Einholung einer Auskunft von dem Arbeitgeber des Klägers mit Bescheid vom 11. Februar 1982 ihren Sperrzeitbescheid auf. Sie erklärte, daß die im Vorverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen des Klägers auf Antrag erstattet würden. Die Zuziehung des Bevollmächtigten werde als notwendig anerkannt.
Der Bevollmächtigte verlangte von der Beklagten Kostenerstattung in Höhe von 318,38 DM, die er wie folgt aufgliederte: Gebühr § 118 Abs 1 iVm § 116 Abs 1 Nr 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGebO): 245,-- DM, Auslagenpauschale gemäß § 26 BRAGebO: 36,75 DM und Mehrwertsteuer: 36,63 DM. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 3. März 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 1982 die zu erstattenden Kosten auf 207,92 DM fest und legte hierbei eine Gebühr von 160,-- DM, eine Auslagenpauschale von 24,-- DM und die Mehrwertsteuer von 23,92 DM zugrunde.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage, mit der der Kläger die Erstattung der von seinem Prozeßbevollmächtigten geltend gemachten Kosten in Höhe von 318,38 DM begehrte, abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 11. Oktober 1983 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, bei der Berechnung der Gebühr sei die Betragsrahmengebühr nach § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGebO zugrundezulegen. Der Gebührenrahmen von fünf bis zehn Zehnteln nach § 118 Abs 1 BRAGebO müsse jedoch zusätzlich berücksichtigt werden. Der Bevollmächtigte des Klägers habe zu Unrecht die Mittelgebühr des § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGebO von 245,-- DM für angemessen gehalten. Die Bedeutung der Angelegenheit müsse als unterdurchschnittlich bewertet werden. Deshalb müsse zunächst statt der Mittelgebühr von 245,-- DM eine um etwa 10 vH des Differenzbetrages zwischen Mindest- und Höchstgebühr (420,-- DM) verminderte Gebühr von 200,-- DM angesetzt werden. Zusätzlich sei der Gebührenrahmen von fünf Zehnteln bis zehn Zehnteln nach § 118 Abs 1 BRAGebO unter Anwendung der Merkmale des § 12 Abs 1 BRAGebO zu berücksichtigen. Dem Zweck des § 118 Abs 1 BRAGebO entspreche es, in Fällen, die unter Berücksichtigung der in § 12 Abs 1 BRAGebO genannten Umstände keine Besonderheit aufwiesen, die Gebühr nach einem Mittelwert des vorgenannten Gebührenrahmens somit in Höhe von siebeneinhalb Zehnteln der Gebühr zu bestimmen. Ob hier wegen der unterdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit ein geringerer Zehntelsatz angemessen sei, könne dahingestellt bleiben. Selbst bei einem Gebührenrahmen von acht Zehnteln werde sich im vorliegenden Fall mit 160,-- DM nur der Betrag ergeben, den die Beklagte und das SG für angemessen erachtet hätten. Damit habe hier eine von der Bestimmung des Bevollmächtigten des Klägers abweichende Gebühr festgesetzt werden müssen. Diese Bestimmung sei unbillig iS von § 12 Abs 1 Satz 2 BRAGebO gewesen. Unbilligkeit sei anzunehmen, wenn die Differenz zwischen der von dem Bevollmächtigten bestimmten und der angemessenen Gebühr bei mindestens 20 vH liege, was hier der Fall sei.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, dem LSG sei darin zuzustimmen, daß für die Bemessung der Rechtsanwaltsgebühr im Vorverfahren nach dem Sozialgerichtsgesetz (SGG) § 116 Abs 1 BRAGebO entsprechend anzuwenden sei. Zu Unrecht lege das LSG jedoch bei der Frage, welcher Gebührenrahmen in Betracht komme, die Regelung des § 118 Abs 1 BRAGebO zugrunde. Es beachte nicht, daß § 116 BRAGebO eine Rahmengebühr vorsehe, während § 118 BRAGebO von Wertgebühren ausgehe. Es sei somit bei der Bemessung des Gebührenrahmens im Vorverfahren bei entsprechender Anwendung von § 116 Abs 1 BRAGebO allein nach der Regel des § 12 BRAGebO vorzugehen. Ob dann aber für das Vorverfahren ein weiterer Gebührenrahmen unterhalb des Rahmens des § 116 Abs 1 Ziffer 1 BRAGebO geschaffen werden müsse, sei fraglich. Aus Gründen der Praktikabilität sei es gerechtfertigt, den Gebührenrahmen des § 116 Abs 1 Ziffer 1 BRAGebO zugrundezulegen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. Oktober 1983 und das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 25. Januar 1983 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 3. März 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 1982 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 318,36 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Der angefochtene Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen höheren Erstattungsanspruch gegen sie. Nach § 63 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, sofern der Widerspruch erfolgreich war. Dies ist der Fall, wenn die Widerspruchsbehörde dem Widerspruch stattgibt oder die Ausgangsbehörde aufgrund des Widerspruchs einen Abhilfebescheid erteilt. Letzteres trifft hier zu. Die gemäß § 63 Abs 3 Satz 2 SGB X im Abhilfebescheid getroffene Entscheidung, daß die Zuziehung des Bevollmächtigten erforderlich gewesen sei, ist für die Kostenfestsetzung verbindlich.
Der Bevollmächtigte des Klägers im Vorverfahren ist Rechtsanwalt; dessen Gebühren richten sich nach der BRAGebO. In dieser ist nicht ausdrücklich geregelt, welche Gebühren für das Verwaltungs- und Vorverfahren gelten, die im Streitfalle dem Verfahren vor den Sozialgerichten vorausgehen. Wie der 9a Senat (SozR 1300 § 63 Nr 2) und ihm folgend der 11. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 1300 § 63 Nr 3 und 4) ausgeführt haben, ist die im Vorverfahren zu erstattende Gebühr des Rechtsanwalts einem gesonderten Gebührenrahmen zu entnehmen. Ausschlaggebend dafür ist, daß bereits der Bundesgerichtshof -BGH- (BGHE 48, 134, 138) davon ausgegangen ist, bei der Frage, welche Gebühren für das Verwaltungsverfahren bei den in § 116 Abs 1 BRAGebO aufgeführten Angelegenheiten anzusetzen seien, bestehe eine Lücke im Gesetz. Diese sei durch die entsprechende Anwendung des § 116 Abs 1 BRAGebO zu schließen. Hierbei sei von einem Gebührenrahmen von fünf Zehnteln der in § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGebO angeführten Mindestgebühr und zehn Zehnteln der dort bezeichneten Höchstgebühr auszugehen. Da § 63 Abs 1 SGB X nur die Erstattung der Kosten des Vorverfahrens anordnet, nicht jedoch die des Verwaltungsverfahrens, bestehe ein Bedürfnis, für das Vorverfahren einen Gebührenrahmen festzusetzen. Dieser ist nach Auffassung der vorgenannten Senate des BSG innerhalb der Grenzen von 25,-- DM bis 305,-- DM angemessen. Das sind etwa zwei Drittel der im Verfahren vor dem SG anfallenden Rahmengebühr. Hierfür war entscheidend, daß die BRAGebO für Vorverfahren im allgemeinen geringere Gebühren vorsieht als für Gerichtsverfahren. Bei Letzteren seien Gebühren vorgesehen, die sich von Instanz zu Instanz erhöhten. Der Senat hält die Ausführungen des 9a Senats und des 11. Senats des BSG für überzeugend; er schließt sich ihnen an. Die vom Kläger hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.
Wenn der Kläger meint, für das Vorverfahren müßte der Gebührenrahmen des § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGebO ungekürzt herangezogen werden, dann übersieht er, daß gemäß § 119 BRAGebO das gesamte Verwaltungsverfahren einschließlich des Vorverfahrens als eine Angelegenheit behandelt wird. Das heißt, eine Aufgliederung in Instanzen soll im Verwaltungsverfahren im Gegensatz zum Gerichtsverfahren nicht erfolgen. Dem gegenüber läßt aber § 63 Abs 1 SGB X nur die Erstattung von Kosten im Vorverfahren zu. Das verbietet eine analoge Anwendung des § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGebO für die Erstattung der Kosten des Rechtsanwalts im Vorverfahren. Diese Vorschrift könnte nur für das gesamte Verwaltungsverfahren in Betracht kommen. Deshalb war es erforderlich, einen gesonderten Gebührenrahmen für das Vorverfahren zu entwickeln.
Nicht überzeugen kann auch der Hinweis des Klägers auf den Gebührenrahmen für eine Beratung oder für eine Auskunft auf dem Gebiet des Sozialrechts, die nicht mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit zusammenhängen. Nach § 20 Abs 1 S 2 BRAGebO beträgt hierfür die Gebühr, da sie Angelegenheiten betrifft, in denen sich die Gebühren nicht nach dem Gegenstandswert berechnen, 20,-- DM bis 295,-- DM. Sie hält sich also nahezu im Rahmen des für das Vorverfahren entwickelten Gebührenrahmens. Das gibt jedoch keine Veranlassung, den Gebührenrahmen für das Vorverfahren zu erhöhen. Bei der Erteilung eines Rats oder einer Auskunft durch einen Rechtsanwalt handelt es sich um eine andere Tätigkeit als die als Bevollmächtigter. Diese Tätigkeit wertet der Gesetzgeber auch anders. Das zeigt sich schon dadurch, daß er in § 20 Abs 1 Satz 2 BRAGebO alle Angelegenheiten einbezieht, in denen die Gebühren nicht nach dem Gegenstandswert berechnet werden. Im Gerichtsverfahren über diese Angelegenheiten liegt aber der Gebührenrahmen vielfach erheblich höher als bei denen, die für das Verfahren vor den Sozialgerichten vorgesehen sind (s zB §§ 83, 84, 109a und 110). Andererseits liegt die Höchstgebühr im Verfahren über die Fortdauer der Freiheitsentziehung und im Verfahren über Anträge auf Aufhebung der Freiheitsentziehung gemäß § 112 Abs 2 BRAGebO bei 275,-- DM und damit unterhalb der Höchstgebühr nach § 20 Abs 1 Satz 2 BRAGebO.
Hiernach sind die dem Kläger zu erstattenden Aufwendungen nach § 12 Abs 1 BRAGebO aus dem Betragsrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM festzustellen. Nach dieser Vorschrift bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ist, wie hier, die Gebühr von einem Dritten zu erstatten, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, daß die von dem Bevollmächtigten des Klägers bestimmte Gebühr unbillig gewesen ist. Sie weicht mit einer Höhe von 245,-- DM von der festzusetzenden, die nicht über 160,-- DM liegt, erheblich ab. Sie liegt auf jeden Fall über 50 % höher als die Gebühr, die von der Beklagten zu erstatten ist. Deshalb kann es dahingestellt bleiben, ob die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebühr schon dann nicht verbindlich ist, wenn sie von der angemessenen Gebühr nicht unerheblich abweicht oder ob sie erst eine bestimmte Grenze - etwa 20 % - überschreiten muß.
Die Beklagte war hiernach befugt, die Gebührenfestsetzung selbst vorzunehmen. Maßgebend sind hierfür die vorstehend aufgeführten in § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGebO genannten Gründe. Orientierungsmaßstab ist dabei die sogenannte Mittelgebühr. Diese gilt für Sachen von durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichem Umfang, durchschnittlicher Schwierigkeit und bei durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auftraggebers. Sie wird in der Praxis mit der Mindestgebühr zuzüglich der Hälfte des Unterschiedes zwischen Mindest- und Höchstgebühr angenommen (BSG SozR 1300 § 63 Nrn 2, 3 und 4; Gerold/Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 8. Aufl, 1984, § 12 Anm 9). Sie beträgt also im Vorverfahren 165,-- DM. Wie das LSG zutreffend und vom Kläger unangegriffen ausgeführt hat, kommt der Streitsache nur unterdurchschnittliche Bedeutung zu. Sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht bot sie keine Schwierigkeiten. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war gering. Diese beschränkte sich auf das Anfertigen und Einreichen der Widerspruchsschrift nach vorher vom Auftraggeber erteilten Informationen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers sind angesichts seines Berufs als Tischler und eines wöchentlichen Bruttoarbeitsentgelts von 515,-- DM vor seiner Arbeitslosigkeit auf jeden Fall nicht überdurchschnittlich. Unter diesen Umständen erscheint als Gebühr des Rechtsanwalts ein Betrag angemessen, der die Mittelgebühr unterschreitet. Wie weit diese Unterschreitung hier genau gehen kann, kann dahingestellt bleiben. Die Beklagte hat nur eine um 5,-- DM vom Mittelwert nach unten abweichende Feststellung vorgenommen. Dies ist auf jeden Fall nicht unangemessen.
Die Pauschale für den Ersatz für Postgebühren ist gemäß § 26 BRAGebO mit 24,-- DM zutreffend festgesetzt worden. Auch die Festsetzung der Mehrwertsteuer mit 23,92 DM ist nicht zu beanstanden.
Die Revision muß nach allem zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen