Entscheidungsstichwort (Thema)
Anteil des Ehemannes an der Haushaltsführung
Leitsatz (redaktionell)
Es besteht die Lebenserfahrung, daß beruflich gleichermaßen beanspruchte Ehegatten häufig sich gleichwertig an der Hausarbeit und Kinderbetreuung beteiligen. Mit Sinn und Zweck der Bewertung der Hausarbeit im Rahmen der Rentenfeststellung nach RVO § 1266 Abs 1 wäre es nicht vereinbar, wenn dem Ehemann Vorteile daraus erwachsen würden, daß er seiner bürgerlich-rechtlichen Verpflichtung zur anteiligen Hausarbeit und Kinderbetreuung nicht voll nachgekommen ist und die Mehrarbeit der Ehefrau überlassen hat. Sollte dies der Fall gewesen sein, so ist als seine Unterhaltsleistungen auch der Wert der Haushaltsarbeiten zu berücksichtigen, denen er trotz Verpflichtung hierzu nicht nachgekommen ist.
Normenkette
RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 43 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. Juni 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Witwerrente aus der Versicherung seiner am 24. Juli 1971 tödlich verunglückten Ehefrau. Streitig ist, ob diese den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat (§ 43 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -).
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) betrieb der Kläger einen ambulanten Handel mit Kuchen und Süßwaren mittels eines fahrbaren Verkaufsstandes, mit dem er Festlichkeiten (Schützenfeste, Kirmesmärkte und dergleichen) besuchte. In diesem Gewerbebetrieb war auch die Versicherte tätig. Beide Ehegatten waren Inhaber einer 1961 erstmals ausgestellten Reisegewerbekarte. Die Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb betrugen im Jahre 1970 7.823,- und im Jahre 1971 8.973,- DM. Dem Haushalt gehörten noch drei in den Jahren 1952, 1954 und 1960 geborene Söhne an, von denen einer eine Ausbildungsförderung, ein anderer eine Lehrlingsbeihilfe erhielt. Die Familie bewohnte ein eigenes Haus mit einem Einheitswert von 5.300,- DM. Güterrechtliche Vereinbarungen bestanden nicht.
Zur Begründung seines Rentenantrages gab der Kläger an, die Versicherte sei von Sonnabend bis Montag im Verkauf und von Dienstag bis Freitag im Haushalt tätig gewesen. Er selbst habe nur Vorbereitungs-, Auf- und Abbauarbeiten für den Verkaufsstand geleistet. Die Versicherte habe etwa zwölf Stunden und er selbst etwa acht Stunden täglich gearbeitet.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 8. Dezember 1971 den Antrag auf Witwerrente ab.
Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das LSG hat einen Anspruch nach § 43 AVG verneint, weil der Unterhalt der Familie nicht überwiegend von der Versicherten, sondern von beiden Ehegatten zu gleichen Teilen bestritten worden sei. Die Einkünfte der Familie - ohne die hier auszuklammernde Ausbildungsförderung und Lehrlingsbeihilfe - seien den Ehegatten nicht anteilmäßig nach Art und Umfang ihrer Mitarbeit im Gewerbebetrieb als Unterhaltsbeiträge zum Familienunterhalt zuzurechnen. Der Handel sei mit verteilten Rollen gemeinsam betrieben worden; eine Absprache über die Gewinnverteilung sei nicht erfolgt. Unter diesen Umständen habe eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, mindestens eine sogenannte Innengesellschaft bestanden; die Einkünfte seien deshalb nach § 722 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu halbieren. Eine überwiegende Unterhaltsleistung der Versicherten könne auch nicht aus der Haushaltstätigkeit und Kinderbetreuung hergeleitet werden, weil diese Aufgaben ebenfalls von beiden Ehegatten gemeinsam, wenn auch arbeitsteilig, wahrgenommen worden seien.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zur Gewährung von Witwerrente zu verurteilen.
Er rügt die fehlerhafte Anwendung von § 43 AVG und macht zugleich Verfahrensverstöße geltend. Bei gleichwertigen Beiträgen müsse schon eine verfassungskonforme Auslegung des § 43 AVG zur Bejahung des Rentenanspruchs führen, weil sonst der Witwer nur wegen seines Geschlechts schlechter als die Witwe gestellt sei. Abgesehen davon habe das LSG bei der Bewertung der Haushaltsarbeiten zu Unrecht nicht auf die unterschiedliche Beteiligung der Eheleute abgestellt; insoweit sei § 1360 BGB verletzt; maßgeblich sei die tatsächlich erbrachte Leistung. Das LSG habe notwendige Ermittlungen über den Umfang der Mitarbeit im Haushalt unterlassen.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche. Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
§ 43 Abs. 1 AVG verlangt, daß die Versicherte den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat. Das läßt sich durch keine Auslegung, auch nicht durch verfassungskonforme Auslegung dahin ändern, daß ein dem Beitrag des Ehemannes gleichwertiger Unterhaltsbeitrag genüge. Daß das Erfordernis der überwiegenden Unterhaltsleistung - jedenfalls vorerst noch - mit dem Grundgesetz vereinbar ist, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 12. März 1975 (SozR 2200 § 1266 RVO Nr. 2) entschieden.
Das LSG hat zu Recht ein überwiegendes Bestreiten des Familienunterhalts durch die Versicherte verneint. Soweit es dabei die aus dem Gewerbebetrieb erzielten Einkünfte beiden Ehegatten je zur Hälfte zugerechnet hat, wird dies vom Kläger nicht beanstandet; das LSG folgt hier der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (SozR 2200 § 1266 Nr. 1 und 3 RVO), von der abzugehen kein Anlaß besteht.
Eine überwiegende Unterhaltsleistung der Versicherten wurde aber auch nicht durch die Haushaltstätigkeit und Kinderbetreuung erreicht. Die Verfahrensrügen gegen die vom LSG hierbei ebenfalls festgestellte Gleichwertigkeit der Unterhaltsbeiträge greifen nicht durch. Das LSG hat ohne Verstoß gegen § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von der - vom Kläger lediglich bezweifelten - Lebenserfahrung ausgehen dürfen, daß beruflich gleichermaßen beanspruchte Ehegatten sich zwar nicht immer, aber doch häufig gleichwertig an Hausarbeit und Kinderbetreuung beteiligen (vgl. BSG 20, 148, 152; SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO, Aa 18 Rs f; BVerfG aaO Bl. 5). Bei der Prüfung abweichender besonderer Umstände hat das LSG das Vorbringen des Klägers nicht übersehen; im übrigen deckt sich das Vorbringen der Revision, insbesondere zur tageweisen Aufteilung der Hausarbeiten, hier nicht mit dem Vorbringen im Berufungsverfahren (vgl. z. B. Bl. 84 der LSG-Akten). Die Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 103 SGG) ist ebensowenig begründet. Wenn geltend gemacht wird, der Kläger habe die Kinder als Zeugen dafür benannt, daß die Versicherte mehr als die Hälfte der Haushaltsführung erledigt habe, so war dieses Beweisangebot zu allgemein gehalten; es ließ nicht erkennen, an welchen Tagen und in welcher Weise die Versicherte sich im Haushalt allein betätigt haben sollte. Das LSG war deshalb nicht gedrängt, diesem Beweisanerbieten zu entsprechen.
Selbst wenn jedoch die Beteiligung der Eheleute an den Haushaltsarbeiten unterschiedlich, d. h. nicht gleichwertig gewesen wäre, würde das im Ergebnis nichts ändern. Das BSG hat bereits entschieden, daß als Unterhaltsleistungen des Ehemannes auch die Arbeiten im Haushalt zu berücksichtigen sind, zu deren anteiliger Verrichtung der Mann bis zum Tode der Frau nach bürgerlichem Recht (§ 1360 BGB) verpflichtet war, unabhängig davon, ob er dieser Verpflichtung tatsächlich nachgekommen ist (SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO). Die Bewertung der Hausarbeit dient einer angemessenen Berücksichtigung der Haushaltsführung im Rahmen des Familienunterhalts (SozR Nr. 9 zu § 1266 RVO; BVerfG aaO, Bl. 14); damit wäre es nicht vereinbar, für den Ehemann Vorteile daraus herzuleiten, daß er seinen Verpflichtungen zur Mitarbeit im Haushalt und zur Beteiligung an der Kinderarbeit im Haushalt und zur Beteiligung an der Kinderbetreuung nicht oder nicht voll nachkommt und die Mehrarbeit der Frau überläßt. Aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhalts war der Kläger verpflichtet, gleichwertig an der Haushaltsführung und Kinderbetreuung mitzuwirken.
Im übrigen ist - was das LSG offenbar nicht bedacht hat - noch das für den jüngsten Sohn gezahlte Kindergeld dem Familienunterhalt zuzurechnen. Dieses Kindergeld kann nicht als Unterhaltsbeitrag eines Familienangehörigen zum Unterhaltsaufwand der Familie gewertet werden; vielmehr ist es als Unterhaltsbeitrag von dritter Seite zu behandeln (vgl. SozR Nr. 7 zu § 1266 RVO) mit der Folge, daß der Unterhaltsbeitrag der Versicherten zum Familienunterhalt noch unter die Hälfte absinkt; zumindest wäre dadurch eine geringfügige Differenz in den Unterhaltsbeiträgen des Klägers und seiner Frau auszugleichen. An dem Ergebnis, zu dem das LSG gelangt ist, daß nämlich die verstorbene Ehefrau des Klägers tatsächlich nicht mehr als die Hälfte zum Familienunterhalt beigetragen hat, kann sich jedenfalls nichts ändern.
Der Revision des Klägers bleibt somit ein Erfolg versagt; sie muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen