Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 1991 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Witwenbeihilfe nach ihrem Ehemann F. G. (G.), der 1987 im Alter von 65 Jahren an anderen Leiden als Schädigungsfolgen im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) verstorben ist. Er hatte als Beschädigter seit 1955 Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH (einschließlich einer besonderen beruflichen Betroffenheit) bezogen. Berufsschadensausgleich (BSchA) hat er nie beantragt, auch nicht, als er ab 1. Juli 1982 mit Vollendung des 60. Lebensjahres unter Bezug von flexiblem Altersruhegeld (ARG) aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Zur damaligen Zeit war er Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 (Bescheid vom 15. März 1982). Schon mit Bescheid vom 7. Juni 1979 war wegen Augenverlusts rechts und Sehbehinderung links, die keine Schädigungsfolgen waren, ein GdB von 80 anerkannt worden.
Der Antrag auf Witwenbeihilfe vom August 1987 wurde abgelehnt, weil die Witwenrente nicht schädigungsbedingt um mindestens 15 vH geschmälert sei (Bescheid vom 31. Dezember 1987). Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 15. September 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat der Klage stattgegeben. Zwar sind nach den Feststellungen des Gerichts keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der Verstorbene schädigungsbedingt einen Einkommensverlust habe hinnehmen müssen. Das LSG hat es dahingestellt sein lassen, ob die von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden vorgenommene Vergleichsberechnung über Mindereinkommen in der Zeit von 1948 bis 1956 zutreffend ist. Aber es hält den Anspruch deshalb für begründet, weil der Beschädigte offenbar für wenigstens fünf Jahre Anspruch auf BSchA gehabt hätte, nämlich seit seinem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Die rentenversicherungsrechtliche Regelung, nach der ein Schwerbehinderter vorzeitig in den Ruhestand gehen könne, spreche mindestens für eine wahrscheinliche Mitursache der Schädigungsfolgen iS des Versorgungsrechts, wenn von der rentenrechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht werde. Dies genüge für die erforderliche Glaubhaftmachung. Das gelte auch dann, wenn neben den Schädigungsfolgen mit einer MdE um 50 vH noch Behinderungen festgestellt seien, die für sich allein einen GdB von 80 verursachten. Auch in diesen Fällen seien die Schädigungsfolgen zwar nicht notwendige, aber wesentliche Bedingung des Ausscheidens. Es bedürfte für die Witwenbeihilfe weder eines Antrags des Beschädigten auf BSchA noch der Gewährung desselben. Die Witwenbeihilfe sei deshalb zu gewähren, weil sich für die Anwendung der Rechtsvermutung des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG der Verwaltung habe aufdrängen müssen, daß alle tatsächlichen Voraussetzungen für den genannten Anspruch auf BSchA gegeben gewesen seien (Urteil des LSG vom 13. Dezember 1991).
Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und Verletzung materiellen Rechts gerügt. Das LSG habe den Begriff der „Offenkundigkeit” verkannt, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines BSchA nicht klar erkennbar zu Tage getreten seien. Offenbar sei der mindestens fünfjährige Anspruch auf BSchA schon deshalb nicht, weil bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben stets die Möglichkeit des Gegenbeweises offenstehe, so daß der Anspruch im Tatsächlichen zweifelhaft erscheine. Das gelte vor allem dann, wenn Nicht-Schädigungsleiden für sich allein einen GdB von 80 verursachten und ebenso ein vorzeitiges Ausscheiden ermöglicht hätten. Außerdem setze der Anspruch nach der neuen Bundessozialgerichts-Rechtsprechung ≪BSG-Rechtsprechung≫ (Urteil vom 29. Januar 1992 – 9a RV 5/91) voraus, daß sich die Verwaltung mit dem hypothetischen oder wirklichen Berufsweg des Beschädigten schon zu seinen Lebzeiten befaßt habe und zu positiven Ergebnissen gekommen sei. Nur dann dränge sich der Anspruch auf. Es gehe um eine doppelte Fiktion, die den Anspruchsvoraussetzungen des § 48 BVG nicht genüge.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 1991 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist iS der Zurückverweisung begründet.
Das LSG hat von seinem Standpunkt aus zu Recht nicht mehr geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Witwenbeihilfe nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG (hier idF vom 22. Januar 1982 ≪BGBl I 21./23. Juni 1986≫ – BGBl I 915 –) erfüllt sind. Hierauf wird es jedoch ankommen, weil die Voraussetzungen einer Witwenbeihilfe nach § 48 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 BVG (jetzt Satz 6) nicht als erfüllt gelten, was sinnvollerweise vorweg geprüft worden ist. Das LSG wird die von der LVA Baden vorgenommene Vergleichsberechnung prüfen und rechtlich bewerten müssen. Denn der Beschädigte hat im Zeitpunkt seines Todes weder Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen noch auf eine Pflegezulage gehabt; auch ein Anspruch auf BSchA für die Dauer von mindestens fünf Jahren hat nach den bisherigen Erkenntnissen nicht offensichtlich bestanden.
Nach § 30 Abs 3 und 4 Satz 1 BVG (idF vom 22. Januar 1982) hat ein rentenberechtigter Beschädigter, dessen Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, einen Anspruch auf BSchA. Einen solchen hat das LSG zu Unrecht darauf gestützt, daß ein schädigungsbedingter Einkommensverlust beim altersbedingten vorzeitigen Ausscheiden Schwerbehinderter, die zugleich Schwerbeschädigte iS des Versorgungsrechts sind, in aller Regel ohne besondere Prüfung auf der Hand liegt. Bei ihnen sind allerdings die Schädigungsfolgen über die rentenrechtlichen Bestimmungen im allgemeinen wesentliche Bedingung des Rentenbezuges, denn das System des Rentenrechts ermöglicht jedem Schwerbehinderten, der langjährig versicherungspflichtig beschäftigt war, das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und den Zugang zur Vollrente, ohne daß geprüft wird, ob die Behinderung die Berufsaufgabe erforderlich macht. Das Rentenrecht mutet keinem Schwerbehinderten eine Berufstätigkeit über das 60. Lebensjahr hinaus zu. Dieser rentenrechtliche Tatbestand läßt es nach § 8 BSchA-Verordnung (BSchAV) im allgemeinen glaubhaft erscheinen, daß die Schädigungsfolgen iS des BVG zugleich für das Versorgungsrecht die maßgebliche Ursache für die Berufsaufgabe bilden (vgl Urteil des Senats vom 20. Mai 1992 – 9a RV 24/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen unter Bezugnahme auf BSG SozR 3100 § 30 Nr 78; 3642 § 8 Nr 7; SozR 3-3100 § 30 Nr 2 und SozR 3-3642 § 8 Nr 1).
Diese Rechtsprechung erlaubt es, einen Anspruch auf BSchA auch als Vermutungsgrundlage nach § 48 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 BVG (jetzt Satz 6) für einen Anspruch auf Witwenbeihilfe heranzuziehen. Das hat der Senat in einem anderen Urteil vom heutigen Tag näher begründet (9a RV 40/91). Diese Vermutung einer schädigungsbedingten Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung gilt jedoch nur, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für den BSchA klar erkennbar für wenigstens fünf Jahre bestanden haben und sich dies der Verwaltung aufdrängen muß (BSG SozR 3100 § 48 Nrn 15 und 16; SozR 3-3100 § 48 Nr 1). Klar erkennbar in diesem Sinne ist der Anspruch des verstorbenen Beschädigten dann, wenn nach dem Inhalt der über ihn geführten Versorgungsakten die Anspruchsvoraussetzungen für den Kundigen auf den ersten Blick im erforderlichen zeitlichen Umfang gegeben waren (vgl zuletzt Urteil des Senats vom 29. Januar 1992 – 9a RV 5/90 unter Bezugnahme auf die oben genannten Entscheidungen sowie das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 26. November 1991 – 9a RV 19/90). Das ist hier nicht der Fall.
An ausreichenden Tatsachen für einen Gegenbeweis oder für Zweifel, die eine Offenkundigkeit des BSchA-Anspruchs ausschließen, fehlt es, solange schädigungsunabhängige Behinderungen sowie altersbedingte Beschwerden und Erkrankungen nicht förmlich anerkannt waren (vgl das Urteil vom 20. Mai 1992 – 9a RV 24/91). Solche förmlichen Feststellungen können indessen in Kranken-, Unfall- oder Rentenversicherungsverfahren, auch im Zuge von Schadensersatzprozessen getroffen werden. Vornehmlich werden sich solche Erkenntnisse aus Schwerbehindertenakten entnehmen lassen. Zu Recht beruft sich daher der Beklagte darauf, daß beim verstorbenen Beschädigten ein nicht schädigungsbedingter GdB um 80 bereits mehrere Jahre vor seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben anerkannt war. Einem solchen Schwerbehinderten, der zugleich Schwerbeschädigter iS des Versorgungsrechts ist, wird in aller Regel die nach § 8 Abs 1 letzter Satz BSchAV notwendige Glaubhaftmachung, daß er ohne die Schädigung noch erwerbstätig wäre, nicht gelingen, weil durch die Gesetzesfassung gerade die Motivation für das Ausscheiden unerheblich bleibt (Urteil des Senats vom 6. Dezember 1989 – 9 RV 31/88 unter Bezugnahme auf das SozR 3100 § 30 Nr 78). Die Motivlage ist aber nicht nur zugunsten der Beschädigten unbeachtlich, sondern auch dann, wenn ihnen die Möglichkeit, das ARG für Schwerbehinderte in Anspruch zu nehmen, ohne Schädigungsfolgen offensteht. Scheidet ein Schwerbehinderter, der diesen Status ohne seine Schädigungsfolgen hat, mit 60 Jahren aus dem Erwerbsleben aus, läßt sich nicht glaubhaft machen, daß der Entschluß gerade durch die für das Versorgungsrecht maßgeblichen Schädigungsfolgen bestimmt ist. Ein Anspruch auf BSchA, der nie beantragt worden war, kann dann jedenfalls nicht als offenkundig behandelt werden.
Da der Anspruch der Klägerin nicht durch eine gesetzliche Vermutung gestützt wird, wird das LSG über den Anspruch nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG abschließend und hierbei auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen