Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz beim Betriebssport
Orientierungssatz
1. Sind die vom BSG aufgestellten allgemeinen Voraussetzungen für den Betriebssport erfüllt, kann sogar bei Fußballspielen zwischen Betriebssportgemeinschaften verschiedener Unternehmen (vergleiche BSG 1976-01-22 2 RU 83/75 = BSGE 41, 145 und BSG 1972-11-30 2 RU 175/71 = USK 72218) und damit erst recht zwischen Betriebssportgemeinschaften desselben Unternehmens Versicherungsschutz gegeben sein (vergleiche BSG 1972-10-31 2 RU 116/70 = USK 72145). Der für den Betriebssport vorauszusetzenden Zielsetzung entsprechen Sportarten mit Wettkampfcharakter jedoch nicht, wenn dieser Charakter im Vordergrund steht, etwa in der Form, daß die Sportausübung der Teilnahme am allgemeinen sportlichen Wettkampfverkehr oder der Erzielung von Spitzenleistungen dient; die Wettkampfbetätigung von Firmensportvereinen ist daher kein Betriebssport.
2. Durch einen Wettkampf geht der ursächliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht verloren, wenn bei Pokalspielen der Wettkampfcharakter nicht im Vordergrund steht, sondern die Pokalspiele auch wesentlich dazu dienen, durch den dem Charakter des Sports zuzurechnenden gelegentlichen Wettkampf und die damit verbundene Abwechslung die Freude und Ausdauer am Ausgleichssport zu stärken sowie durch die Spiele zwischen den Betriebssportmannschaften der Betriebe desselben Unternehmens in einer nicht zu großen Region auch das Zugehörigkeitsgefühl zum Betrieb zu fördern.
3. Unfallversicherungsschutz ist nicht ausgeschlossen, wenn das Spiel, bei dem sich der Unfall ereignet, nicht an einem Arbeitstag im Anschluß an die Arbeitsschicht, sondern an einem arbeitsfreien Sonnabend stattfindet.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
SG Detmold (Entscheidung vom 04.04.1979; Aktenzeichen S 8 U 141/78) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 4. April 1979 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der im Jahre 1940 geborene Kläger arbeitete als technischer Angestellter im Betriebsbüro St des E M R (EMR). Er gehörte der Betriebssportgemeinschaft der Betriebsstelle S des EMR an, die in jeder Woche am Donnerstag von 16.30 bis 18.00 Uhr Fußball spielte, und zwar in der ungünstigen Jahreszeit in einer Turnhalle, sonst auf einem Sportplatz. Das EMR mietete für die einzelnen Betriebssportgemeinschaften die Sportplätze und Hallen für den wöchentlichen Sport und trug die Mietkosten; es stellte auch die Sportkleidung und die Sportgeräte zur Verfügung.
Am 14. September 1974, einem Sonnabend, fand auf einem Sportplatz in Stadthagen ein Pokalturnier statt, an dem nur Mannschaften von Betriebssportgemeinschaften des EMR teilnahmen. Die insgesamt sechs Mannschaften waren in zwei Gruppen eingeteilt, in denen jede Mannschaft gegen die anderen beiden ein Spiel von einer Dauer von 2 mal 15 Minuten austrug. Die beiden Gruppenersten spielten um den Pokalsieg, die jeweiligen Gruppenzweiten und Gruppendritten um die weitere Plazierung. Der vom EMR gestiftete und von einem Vertreter der Geschäftsführung an die siegreiche Mannschaft überreichte Pokal hatte einen Wert von etwa 80,- DM. Zu dem Pokalturnier wurden auch die Familienangehörigen der teilnehmenden Spieler eingeladen, sonstige Betriebsangehörige des EMR konnten ebenfalls erscheinen. Spielberechtigt in den einzelnen Mannschaften waren nur Belegschaftsangehörige des EMR.
Bei einem der Spiele zog sich der Kläger eine Distorsion des rechten Kniegelenks mit einer Schädigung des medialen Bandapparates zu. Nach einem für die Beklagte erstatteten fachärztlichen Gutachten war der Kläger wegen der Folgen dieses Unfalles bis zum 1. Januar 1975 arbeitsunfähig, und für die Zeit danach bis zum 1. April 1975 wurde die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Unfallfolgen mit 20 vH geschätzt.
Die Beklagte lehnte Entschädigungsansprüche des Klägers ab, da bei dem Pokalturnier der Wettkampfcharakter im Vordergrund gestanden und wegen des im wesentlichen auf die Fußballspieler beschränkten Teilnehmerkreises auch eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung nicht vorgelegen habe.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 4. April 1979 die Beklagte zur Entschädigungsleistung verurteilt und zur Begründung ua ausgeführt: Der Kläger habe nicht nur bei den wöchentlichen Fußballspielen der Betriebssportgemeinschaft unter Versicherungsschutz gestanden. Auch bei den Pokalspielen habe der Wettkampfcharakter nicht im Vordergrund gestanden. Entscheidend sei dabei, daß nur Betriebssportmannschaften aus einem räumlich engbegrenzten Bereich teilgenommen hätten. Der wesentliche Ursachenzusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit sei auch dadurch unterstrichen worden, daß die Betriebsleitung für die Siegermannschaft einen Pokal gestiftet habe. Bei den Spielen sei auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Kameradschaft unter den einzelnen Belegschaftsmitgliedern desselben Unternehmens gestärkt worden. Durch ein Pokalturnier einmal im Jahr zwischen Mannschaften eines Unternehmens werde die Spielfreude der beteiligten Belegschaftsmitglieder gehoben und ein Anreiz dafür geschaffen, sich auch künftig am Ausgleichssport zu beteiligen.
Das SG hat die Revision im Urteil zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel mit Einwilligung des Klägers eingelegt.
Sie trägt vor: Ein innerer zeitlicher Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit sei für die Mannschaften nicht gegeben gewesen, da das Fußballpokalspiel an einem arbeitsfreien Sonnabend stattgefunden habe. Es habe sich um reine Freizeitgestaltung gehandelt. Außerdem habe der Wettkampfcharakter eindeutig im Vordergrund gestanden. Das Fußballspiel sei als Pokalspiel unter Wettkampfvoraussetzungen geplant und durchgeführt worden. Es sei eine Trophäe gestiftet worden. Ziel der teilnehmenden Mannschaften sei der Gewinn des Pokals gewesen. Auch unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung habe kein Versicherungsschutz bestanden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 28. November 1961 (BSGE 16, 1) näher dargelegt, welche tatsächlichen Umstände vorliegen müssen, um den inneren Zusammenhang einer sportlichen Betätigung mit der Beschäftigung im Unternehmen nach § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bejahen zu können. Nach den in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätzen ist eine sportliche Betätigung von Betriebsangehörigen einer versicherten Tätigkeit gleichzustellen, wenn sie geeignet ist, die durch die Arbeit bedingte körperliche und geistige Belastung auszugleichen, mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfindet und durch den im wesentlichen auf Betriebsangehörige beschränkten Teilnehmerkreis und die unternehmensbezogene Organisation sowie durch Zeit und Dauer der Übungen in einem dem Ausgleichszweck entsprechendem Zusammenhang mit der Betriebsarbeit steht. Dieser Zielsetzung entspricht am meisten der reine Ausgleichssport in Gestalt von Lockerungsübungen und dergleichen. Der Senat hat jedoch bereits in seinem Urteil vom 28. November 1961 (aaO S. 4) den Begriff des Betriebssports nicht auf Übungen dieser Art eingeengt (ebenso BSGE 41, 145, 146; BSG BB 1967, 718 und BG 1969, 276; BSG Urteile vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 116/70 - und 30. November 1972 - 2 RU 175/71; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl, S. 482 s; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 44 Buchst a). Der Senat ist dabei von der Erwägung ausgegangen, daß die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die Teilnahme an ausschließlich gymnastischen Übungen nicht dem Umstand gerecht würde, daß insbesondere bei männlichen Beschäftigten solche Übungen in der Regel keinen Anreiz bilden, um sich zum Ausgleich durch die betriebliche Belastung regelmäßig sportlich zu betätigen. Auch der Versicherungsschutz bei der Ausübung von Sportarten, denen es eigentümlich ist, daß sie einen Gegner voraussetzen und meist zwischen verschiedenen Mannschaften ausgetragen werden, ist nicht ausgeschlossen, wenn und solange die nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats maßgebenden allgemeinen Voraussetzungen für den Betriebssport gegeben sind. Der Senat hat deshalb wiederholt entschieden, daß auch das Fußballspielen dem erforderlichen Ausgleichszweck dienen kann (vgl ua BSGE 16, 1, 5; 41, 145, 146; BSG SozR Nr 37 zu § 548 RVO; BSG BB 1967, 718; Breithaupt 1969, 566 und BG 1969, 276; BSG Urteile vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 116/70 - und 30.November 1972 - 2 RU 175/71; ebenso ua Brackmann aaO S. 482 s; Lauterbach aaO § 548 Anm 44).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des SG lagen bei den regelmäßigen wöchentlichen Fußballspielen der Betriebssportgemeinschaft der Betriebsstelle Stadthagen des EMR alle Umstände vor, um den inneren Zusammenhang der sportlichen Betätigung mit der Beschäftigung im Unternehmen des EMR nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO bejahen zu können. Es ist nicht erforderlich und im Regelfall auch nicht üblich, daß der Sport während der Arbeitszeit stattfindet (s. Brackmann aaO S. 482 v; Vollmar, BG 1969, 105, 106). Schon deshalb steht dem Versicherungsschutz nicht, wie die Beklagte meint, entgegen, daß das Spiel, bei dem sich der Unfall ereignet hat, nicht an einem Arbeitstag im Anschluß an die Arbeitsschicht, sondern an einem arbeitsfreien Sonnabend stattgefunden hat; denn auch bei dem Ausgleich für die gesamte Tätigkeit und nicht nur für den vorangegangenen Arbeitstag dienenden regelmäßigen Spielen einer Betriebssportgemeinschaft an den arbeitsfreien Sonnabenden wäre der Versicherungsschutz ebensowenig ausgeschlossen wie während der Freizeit abends an einem der anderen Wochentage.
Sind die vom Senat aufgestellten allgemeinen Voraussetzungen für den Betriebssport erfüllt, kann sogar bei Fußballspielen zwischen Betriebssportgemeinschaften verschiedener Unternehmen (vgl BSGE 41, 145, 147; BSG Urteil vom 30. November 1972 - 2 RU 175/71; Brackmann aaO S. 482 t) und damit erst recht zwischen Betriebssportgemeinschaften desselben Unternehmens Versicherungsschutz gegeben sein (BSG Urteil vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 116/70; Brackmann aaO). Der für den Betriebssport vorauszusetzenden Zielsetzung entsprechen Sportarten mit Wettkampfcharakter, wie das SG ebenfalls beachtet hat, jedoch nicht, wenn dieser Charakter im Vordergrund steht, etwa in der Form, daß die Sportausübung der Teilnahme am allgemeinen sportlichen Wettkampfverkehr oder der Erzielung von Spitzenleistungen dient; die Wettkampfbetätigung von Firmensportvereinen ist daher kein Betriebssport (BSGE 16, 1, 5; 41, 145, 147; BSG BG aaO; BSG Urteil vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 116/70; Brackmann aaO S. 482 u; aA Wolber, SozVers 1974, 149). Nach den tatsächlichen Feststellungen des SG stand jedoch auch bei den Pokalspielen am 14.September 1974 der Wettkampfcharakter nicht im Vordergrund. Ziel dieser Spiele am 14. September 1974 war, worauf die Beklagte besonders hinweist, zwar auch der Gewinn des von der Unternehmensleitung gestifteten Pokals. Die Pokalspiele an einem Tag im Jahr dienten jedoch auch wesentlich dazu, durch den dem Charakter des Sports zuzurechnenden gelegentlichen Wettkampf und die damit verbundene Abwechslung die Freude und Ausdauer am Ausgleichssport zu stärken (s. Brackmann aaO S. 482 t) sowie durch die Spiele zwischen den Betriebssportmannschaften der Betriebe desselben Unternehmens in einer nicht zu großen Region auch das Zugehörigkeitsgefühl zur EMR zu fördern. Damit ist durch den Wettkampf nicht der ursächliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit verlorengegangen. Der vom SG festgestellte Sachverhalt unterscheidet sich demnach wesentlich von dem, der dem Urteil des Senats vom 22. Januar 1976 (BSGE 41, 145) zugrunde lag. Die Entscheidung vom 22. Januar 1976 betraf Punkt- und Pokalspiele in verschiedenen Staffeln (A bis F) mit Auf- und Absteigern über längere Zeiträume in Punkt- und Pokalrunden. Dagegen haben die Pokalspiele des EMR an einem Tag im Jahr stattgefunden. Die Punkt- und Pokalspiele, bei denen der Senat in seinem Urteil vom 22. Januar 1976 den Versicherungsschutz verneint hat, fanden - wiederum anders als im vorliegenden Fall - zwischen Betriebssportgemeinschaften verschiedener Unternehmen und vor allem auch sonst ohne jede Beziehung der einzelnen Betriebssportgemeinschaft zu ihrem Unternehmen statt. Während dort der Wettkampf im Vordergrund stand, waren die Pokalspiele des EMR, bei denen der Kläger verunglückte, jedenfalls wesentlich auch als Belohnung für einen ausdauernden Ausgleichssport und, wie das SG zutreffend dargelegt hat, zugleich als Anreiz für die weitere Sportausübung zu werten (s. auch BSGE 41, 145, 148).
Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob für die Sportler des EMR bei den Pokalspielen außerdem Versicherungsschutz unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung bestanden hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen