Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Änderung der Verhältnisse. Anpassungsbescheide. Folgebescheide. Rechtswidrigkeit, ursprüngliche. Rücknahme. Fehlerwiederholung. Bestandskraft. Witwenrente, wiederaufgelebte. Anrechnung von Ansprüchen betriebliche Hinterbliebenenversorgung. Witwenbeihilfe, betriebliche. Abschmelzung
Leitsatz (amtlich)
Es ist daran festzuhalten, daß wegen Änderung der Verhältnisse ergangene Folgebescheide nicht schon deswegen nach § 45 SGB X zurückgenommen werden können, weil sie auf einem rechtswidrigen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (Ausgangsbescheid) aufbauen.
Das gilt auch dann, wenn die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides darauf beruht, daß die Anrechnung einer bestimmten Einkunftsart auf eine einkommensabhängige Sozialleistung unterblieben ist.
Normenkette
SGB X §§ 45, 48; BVG § 44 Abs. 5 (Fassung: 27.6.1960)
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. März 1995 und des Sozialgerichts Würzburg vom 12. Juli 1990 wie folgt abgeändert: Der Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 1986 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30. Oktober 1986 und vom 19. Mai 1993 bleibt insoweit bestehen, als darin festgestellt wurde, daß auf die mit Bescheid vom 1. Oktober 1962 festgestellten Versorgungsleistungen die von der Klägerin bezogene betriebliche Witwenbeihilfe zu Unrecht nicht angerechnet worden ist. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im übrigen werden Revision und Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die vollen außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Beklagte berechtigt war, die seit Juli 1976 ergangenen Anpassungsbescheide hinsichtlich der von der Klägerin bezogenen wiederaufgelebten Witwenrente deswegen aufzuheben, weil die Anrechnung einer betrieblichen „Witwenbeihilfe” seit April 1962 unterblieben war.
Die Klägerin ist zweimal verwitwet. Ihr erster Ehemann, Georg A. (A.), fiel als Soldat der ehemaligen deutschen Wehrmacht am 25. September 1941 Kriegseinwirkungen zum Opfer. Mit Bescheid vom September 1951 wurde der Klägerin vom Oktober 1950 an Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zuerkannt. Im Dezember 1951 ging sie mit Hermann B. (B.) eine zweite Ehe ein. Nach B.'s Tod im Dezember 1961 erhielt die Klägerin mit Bescheid vom 1. Oktober 1962 ab 1. Mai 1962 wiederaufgelebte Witwenrente (Witwengrundrente und Witwenausgleichsrente). Auf diese Leistungen wurde ua die nach B. bezogene Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung, seit 1976 auch Altersruhegeld der Klägerin angerechnet. Dagegen unterblieb die Anrechnung einer Leistung des für B.'s letzten Arbeitgeber zuständigen betrieblichen Versorgungswerks, der J.-V.-Stiftung W. – damals noch „Dr. H. J.-Stiftung” – (J.-V.-Stiftung). Diese zahlte der Klägerin ab 1. April 1962 eine mit Schreiben vom 19. März und vom 4. Juni 1962 zugesagte „freiwillige Witwenbeihilfe” in Höhe von zunächst 28,00 DM. Auf Verlangen der J.-V.-Stiftung gab die Klägerin am 11. Juni 1962 die schriftliche Erklärung ab, ihr sei bekannt, daß die Witwenbeihilfe freiwillig gewährt würde und ihr auch durch wiederholte regelmäßige Leistungen weder ein Rechtsanspruch gegen die Stiftung noch gegen die Firma erwachse. Dem Beklagten gegenüber hatte die Klägerin die „freiwillige Witwenbeihilfe”, die sich bis 1986 auf 57,00 DM erhöhte, weder in ihrem Leistungsantrag vom 28. Mai 1962 noch in dem zur Ergänzung dieses Antrages eingereichten Fragebogen vom 18. Juni 1962 angegeben. Auch in den sechzehn von ihr in den Jahren 1964 bis 1986 ausgefüllten „Berechnungsfragebögen”, anhand deren der Beklagte die Witwenrente jeweils den geänderten Einkommensverhältnissen und gesetzlichen Leistungserhöhungen anpaßte, erwähnte die Klägerin die Leistungen der J.-V.-Stiftung nicht.
Im April 1986 erfuhr der Beklagte, daß die Klägerin seit 1962 auch betriebliche Versorgungsleistungen bezog. Nach ihrer Anhörung nahm er mit Bescheid vom 9. Juli 1986 alle nach dem 1. Juli 1976 ergangenen Folgebescheide mit Wirkung ab 1. Juli 1976 zurück. Mit Bescheiden vom 31. Juli 1986 und 29. August 1986 berechnete er außerdem die bisher gewährten Leistungen für die Zeit von Juli 1976 bis September 1986 neu und stellte eine Überzahlung in Höhe von 4.767,00 DM fest. Zugleich teilte er mit, daß eine laufende Zahlung ab Oktober 1986 nicht mehr erfolge. Den gegen den Bescheid vom 9. Juli 1986 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1986 zurück. Die aufgehobenen Anpassungsbescheide seien rechtswidrig gewesen und beruhten auf grob fahrlässig unvollständigen Angaben.
Mit Urteil vom 12. Juli 1990 hob das Sozialgericht (SG) Würzburg den Rücknahmebescheid vom 9. Juli 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1986 auf. Die seit Juli 1976 ergangenen Bescheide seien nicht rechtswidrig, sondern rechtmäßig gewesen, weil sie auf bestandskräftigen früheren Bescheiden, insbesondere denjenigem vom 1. Oktober 1962 aufbauten. Dabei berief sich das SG auf das Urteil des Senats vom 13. Juli 1988 – BSG SozR 1300 § 45 Nr. 37.
Nachdem der Beklagte noch den ergänzenden Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 1993 (betreffend seine Bescheide vom 31. Juli und 29. August 1986) erlassen hatte, wies das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 7. Juli 1993 die Berufung des Beklagten zurück. In der Begründung machte es sich im wesentlichen die Rechtsauffassung des SG zu eigen.
Mit Urteil vom 26. Januar 1994 verwies das Bundessozialgericht (BSG) auf die Revision des Beklagten den Rechtsstreit mit der Auflage an das LSG zurück, die Grundlagen für die von der Klägerin bezogene betriebliche Versorgung aufzuklären. Es sei noch nicht abschließend zu beurteilen, ob der Klägerin von Anfang an ein einklagbarer Anspruch auf die „freiwillige Witwenbeihilfe” zugestanden habe.
Das LSG zog die Richtlinien sowie die Satzung und weitere Unterlagen der J.-V.-Stiftung bei und wies mit Urteil vom 29. März 1995 erneut die Berufung des Beklagten zurück; zugleich hob es erstmals auch den Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 1993 auf. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, die Rücknahme der seit 1976 ergangenen Anpassungsbescheide sei sowohl dann fehlerhaft gewesen, wenn der Beklagte die Witwenbeihilfe nicht habe anrechnen dürfen, als auch dann, wenn diese betriebliche Leistung seit 1962 hätte angerechnet werden müssen. Denn auch im zweiten Fall seien die seit Juli 1976 ergangenen Anpassungsbescheide rechtmäßig, weil sie auf einem bestandskräftig gewordenen Grundlagenbescheid beruht hätten. Die Nichtberücksichtigung der von der Klägerin bezogenen freiwilligen Witwenbeihilfe sei in die Berechnung des bestandskräftigen Grundlagenbescheides vom Oktober 1962 eingegangen und daher auch für die Folgebescheide maßgeblich geblieben. Diese Art. der Berechnung könne nicht mehr berichtigt werden. Für diese Argumentation bezog sich das LSG auf die Urteile des Senats vom 13. Juli 1988 (SozR 1300 § 45 Nr. 37) sowie vom 26. Oktober 1989 (SozSich 1990, 231).
Gegen dieses Urteil des LSG richtet sich die erneute Revision des Beklagten. Er stellt schon vom Grundsatz her die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Frage der Rücknehmbarkeit von Anpassungsbescheiden bei rechtswidrigem Ausgangsbescheid in Frage. Die seit 1976 ergangenen Anpassungsbescheide seien rechtswidrig gewesen. Das LSG habe den Regelungsgehalt der Anpassungsbescheide unzutreffend ausgelegt. Bei einkommensabhängigen Leistungen verschaffe sich die Behörde mit jeder neuen Anfrage beim Leistungsbezieher einen neuen Überblick über das Gesamteinkommen des Beziehers und beurteile den gesamten Leistungsanspruch inhaltlich neu. Dazu sei sie gesetzlich verpflichtet. Die Überprüfung der vorangegangenen Bescheide sei auch Inhalt der Anpassungsbescheide gewesen. Die Fehlbeurteilung des Versorgungsamtes über die Anrechenbarkeit der Bezüge sei nicht bestandskräftig geworden. Die Klägerin habe bestimmte Einkünfte verschwiegen, die niemals Gegenstand einer behördlichen Entscheidung gewesen seien. Zumindest aber hätte das LSG den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 9. Juli 1986 idF der Widerspruchsbescheide als Feststellungsbescheid des Inhalts aufrechterhalten müssen, daß der Grundlagenbescheid vom 1. Oktober 1962 rechtswidrig gewesen sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. März 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12. Juli 1990 abzuändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise zu erkennen:
Das, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. März 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12. Juli 1990 werden abgeändert. Der Bescheid vom 9. Juli 1986 wird dahin geändert, daß festgestellt wird, daß die Bescheide vom 1. Oktober 1962 (und 7. September 1966) insoweit rechtswidrig waren, als sie die Beihilfe der J. -V. -Stiftung eV nicht auf die BVG-Rente angerechnet haben, und daß Änderungen der Sach- und Rechtslage nach dem Juli 1986 nur insoweit zu einer Erhöhung der BVG-Rente führen dürfen, als sich eine Erhöhung auch bei rechtmäßiger Anrechnung der Beihilfe ergibt.
Die nicht postulationsfähig vertretene Klägerin hat keinen wirksamen Antrag gestellt. Die Beigeladene hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nur hinsichtlich des Hilfsantrages begründet, im übrigen ist sie unbegründet.
Nach den Feststellungen des LSG hatte die Klägerin bereits bei Erlaß des Ausgangs- oder Grundlagenbescheides vom 1. Oktober 1962 einen Rechtsanspruch auf die betriebliche Witwenversorgung, so daß sich die Frage der Abänderung dieses Bescheides wegen der Anrechenbarkeit dieser Leistung nicht nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – SGB X – (vgl. dazu Urteil des Senats vom 11. Dezember 1992 in BSGE 72, 1 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 22), sondern nach § 45 SGB X richtet. Der Bescheid war von Anfang an unrichtig, weil die der Klägerin ab 1. April 1962 von der J.-V.-Stiftung zufließenden Bezüge bereits zum Zeitpunkt der Bekanntgabe hätten angerechnet werden müssen. § 44 Abs. 5 BVG idF des Gesetzes vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) schrieb schon damals vor, daß auf die wiederaufgelebte Witwenrente (dh sowohl Witwengrund- wie Witwenausgleichsrente) infolge der Auflösung der neuen Ehe erworbene Versorgungs-, Renten- oder Unterhaltsansprüche anzurechnen waren. Der Anspruch der Klägerin auf betriebliche Witwenversorgung durch die J.-V.-Stiftung war ein solcher infolge der Auflösung der neuen Ehe erworbener Anspruch. Es handelte sich dabei – trotz der von der Klägerin gegenüber der Stiftung abgegebenen Erklärung – von Anfang an um einen rechtlich einklagbaren Anspruch. Auch als „freiwillige” betriebliche Leistung war sie nicht jederzeit frei widerruflich.
Zwar war 1962 die Rechtsnatur der Ansprüche auf Betriebsrenten möglicherweise noch umstritten (vgl. Hueck, Anm. zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts ≪BAG≫ vom 14. Dezember 1956 in AP § 242 BGB „Ruhegehalt” Nr. 18). Doch stand auch schon damals aufgrund des Urteils des BAG vom 14. Dezember 1956 (1 AZR 531/55, BAGE 3, 327) fest, daß einem Arbeitnehmer gegenüber, der aufgrund einer allgemeinen Ruhestandsregelung bereits pensioniert worden war, ein freier Widerruf des Ruhegeldes in der Regel unzulässig war. Das BAG anerkannte seinerzeit eine Widerrufsmöglichkeit lediglich ausnahmsweise im Rahmen des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 2. Oktober 1962 (BB 62, 1436) keine Bedenken getragen, diese in der Entscheidung vom 14. Dezember 1956 entwickelten Grundsätze auch auf die betriebliche Hinterbliebenenversorgung zu übertragen. Allerdings hat es in dem damals entschiedenen Einzelfall die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses individuell zugesagte betriebliche Witwenversorgung als frei widerruflich angesehen. Im Fall der Klägerin ist, wie die Ermittlungen des LSG ergeben haben, die „Witwenbeihilfe” aufgrund einer allgemeinen Ruhestandsregelung, dh einer in „Richtlinien” gekleideten „Gesamtzusage” geleistet worden. Die Klägerin besaß daher – trotz ihrer insoweit unbeachtlichen „Erklärung” vom 11. Juni 1962 – von Anfang an einen rechtlichen, einklagbaren Anspruch gegen die J.-V.-Stiftung, der lediglich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Vorbehalt des Widerrufs stand. Dieser Vorbehalt steht der Anspruchsnatur der Witwenbeihilfe nicht entgegen.
Wie die Ermittlungen des LSG weiterhin ergeben haben, enthielten die Richtlinien der J.-V.-Stiftung auch keine Subsidiaritätsklausel in bezug auf Leistungen der Kriegsopferversorgung, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt kein Zweifel daran bestehen kann, daß der Klägerin bereits 1962 ein Rechtsanspruch gegen die J.-V.-Stiftung zustand, der richtigerweise zur Minderung der vom Beklagten mit Bescheid vom 1. Oktober 1962 festgestellten Rentenhöhe hätte führen müssen.
Die Unrichtigkeit (Rechtswidrigkeit) des Bescheides vom 1. Oktober 1962 konnte aber 1986 nicht mehr seine Rücknahme rechtfertigen, weil zu diesem Zeitpunkt die in § 45 Abs. 3 SGB X geregelten Schutzfristen abgelaufen waren. Ob die Nichtangabe der „freiwilligen Witwenbeihilfe” durch die Klägerin bereits 1962 als „grob fahrlässig” iS des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X anzusehen war – wie der Beklagte angenommen hat –, kann dabei offenbleiben. In. jedem Falle konnte 1986 der Grundlagenbescheid vom Oktober 1962 wegen der Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X nicht mehr zurückgenommen werden.
Der Senat hält nach Überprüfung an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, daß bei einem rechtswidrigen Ausgangsbescheid spätere Anpassungsbescheide, die darauf aufbauen, nicht wegen anfänglicher Unrichtigkeit zurückgenommen werden können, solange der Ausgangsbescheid nicht aufgehoben worden ist (Urteile vom 22. Juni 1988 – BSGE 63, 266 = SozR 3642 § 9 Nr. 3; vom 13. Juli 1988 – BSG SozR 1300 § 45 Nr. 37; vom 26. Oktober 1989 – 9 RV 14/88 – SozSich 1990, 231). Dies gilt sowohl für die Fallgestaltung, daß der Versorgungsverwaltung bekanntgegebenes Einkommen rechtsirrtümlich unberücksichtigt geblieben ist (so wie in den Entscheidungen vom 22. Juni 1988 und 13. Juli 1988) als auch für die Fallgestaltung, daß – wie hier – anrechenbares Einkommen der Verwaltung nicht mitgeteilt worden ist (wie auch in der Entscheidung vom 26. Oktober 1989). Die Einwendungen, die der Beklagte gegen diese Rechtsprechung vorträgt, greifen nicht durch.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, über die Anrechenbarkeit von Einkünften auf die Witwenversorgung werde in den Fällen, in denen die Versorgungsverwaltung von diesen Einkünften keine Kenntnis habe, auch keine bindende Entscheidung getroffen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Senat hat zwar in dem angeführten Urteil vom 13. Juli 1988 ausgeführt, daß sich aus den der Versorgungsverwaltung bekannten Einkommensverhältnissen und der Berechnung der Versorgungsbezüge in dem darauf ergangenen Bescheid zwingend ergebe, daß sie bindend die Nichtanrechnung der Einkünfte verfügt habe. Dies ist aber nicht so zu verstehen, daß der Senat von einem der Bestandskraft fähigen selbständigen Verfügungssatz ausgegangen wäre, und sich daraus ableiten ließe, daß es in den Fällen der Nichtangabe anrechenbarer Einkünfte an einem entsprechenden Verfügungssatz der Verwaltung fehle. In Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Lehre (vgl. Erichsen/Badura, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl, § 38 RdNr. 3; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl, Vorbemerkung vor § 35 RdNr. 23; Stelkens-Bonk-Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl, § 35 Rz 66) hat der Senat stets die Auffassung vertreten, daß bestandskräftig nur der Entscheidungssatz, der Ausspruch über die zuerkannte Versorgung wird (vgl. besonders deutlich die Entscheidung vom 26. Oktober 1989). Die Anrechnung oder Nichtanrechnung von Einkommen gehört zu den Berechnungsfaktoren, denen keine selbständige Bestandskraft zukommt. Sie gehören wohl zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Entscheidung, bei deren Änderung Verwaltungsakte mit Dauerwirkung abgeändert werden können (§ 48 SGB X). Nur insofern sind sie für die Bestandskraft von Verwaltungsakten von Bedeutung. Unterbleibt die Anrechnung von nach dem Gesetz für die Anspruchsberechnung erheblichem Einkommen, sei es aufgrund unterbliebener Mitteilung, sei es aufgrund irrtümlicher Nichtberücksichtigung seitens der Verwaltung, ist die Leistungsbewilligung zwar fehlerhaft; sie kann aber deswegen nur nach Maßgabe des § 45 SGB X zurückgenommen werden, nicht aber jederzeit nachträglich unter Nachholung der bisher unterbliebenen Einkommensanrechnung ersetzt oder ergänzt werden.
An dieser Rechtsfolge ändert sich nichts dadurch, daß die Versorgungsverwaltung in den der Klägerin zugesandten Einkommensfragebögen auch nach den Einkünften in der Vergangenheit gefragt hat, nach Darstellung des Beklagten mit dem Ziel, die Richtigkeit der früheren Bescheide zu überprüfen, und in der Hoffnung, daß der Antragsteller früher unterlassene Angaben nachholt. Es kann dahinstehen, ob aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung abzuleiten ist, daß die Verwaltung verpflichtet ist, auch bestandskräftig gewordene Bescheide ohne besonderen Anlaß, insbesondere konkrete Verdachtsgründe, immer wieder aufs Neue auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, und ob der Versorgungsempfänger aus der Tatsache, daß auch nach Einkünften in der Vergangenheit gefragt wird, erkennen muß, daß die Versorgungsverwaltung seine Versorgungsansprüche auch für die Vergangenheit anläßlich der Anpassungsbescheide immer wieder aufs Neue prüft. Denn entscheidend ist, daß die Versorgungsverwaltung mit den Anpassungsbescheiden keine Überprüfungsbescheide für die Vergangenheit erlassen hat, so daß die Frage, ob dadurch neue Rücknahmefristen hätten zu laufen beginnen können, offenbleiben kann. Nach der zutreffenden Würdigung des LSG sind alle zurückgenommenen Bescheide ausschließlich nach § 62 Abs. 1 BVG – ab 1. Januar 1981: nach § 48 SGB X – ergangen, waren also allein Bescheide zur Berücksichtigung nachträglicher Änderung der Verhältnisse (zur Überprüfung der Auslegung von Verwaltungsakten durch das Revisionsgericht vgl. BSGE 48, 18 = SozR 2200 § 368 a Nr. 5; SozR 5070 § 10 a Nr. 3). Mit diesem Regelungsinhalt waren die Anpassungsbescheide rechtmäßig, weil sie auf dem weiter bestandskräftigen Ausgangsbescheid aufbauten. Für die Auffassung des Beklagten, die Anpassungsbescheide hätten auch eine erneute Regelung für die Vergangenheit getroffen, bietet der Inhalt der Bescheide auch nicht ansatzweise eine Grundlage. Auch wenn zur Ermittlung des erklärten Willens der Behörde Umstände und Gesichtspunkte herangezogen werden können, die den Beteiligten bekannt sind, insoweit also entsprechende Grundsätze anzuwenden sind wie bei der Auslegung von privatrechtlichen Willenserklärungen nach § 133 BGB, so ist es doch erforderlich, daß der Wille der Behörde im Verwaltungsakt selbst greifbar seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. Erichsen/Badura, aaO, § 38 RdNr. 17). Dies hat das LSG bei seiner Auslegung der streitigen Bescheide nicht verkannt. Die an die Klägerin jeweils übersandten Einkommensfragebögen, die auch nach Einkünften in der Vergangenheit fragten, waren entgegen der Auffassung des Beklagten nicht geeignet, allein schon wegen dieser Fragestellung den anschließenden Bescheiden eine Regelung auch für die Vergangenheit zu verschaffen, weil in den Bescheiden nicht einmal erkennbar auf sie Bezug genommen worden ist. Die Hinweise auf der Rückseite der Bescheide auf die Anzeigepflicht bei anspruchsrelevanten Einkünften, die der Beklagte hervorhebt, korrespondieren zwar mit den Fragen in den zuvor übersandten Fragebögen, lassen aber nicht ansatzweise erkennen, daß die Versorgungsverwaltung eine Neuüberprüfung für die Vergangenheit durchgeführt hat und auch in dieser Hinsicht eine Regelung – welchen Inhalts und mit welchen Folgen auch immer – hat treffen wollen. Über die Zulässigkeit und rechtliche Wirkung derartiger Verfügungen ist danach hier nicht zu befinden.
Auch der Hinweis des Beklagten auf die weit auseinanderliegenden Rechtsfolgen bei sehr eng benachbarten Lebenssachverhalten ist nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen. Wenn im Falle vorsätzlicher falscher Angaben die Voraussetzungen eines strafbaren Betruges nach § 263 Strafgesetzbuch erfüllt sind, liegt ein qualitativ wesentlicher Unterschied zu dem Fall „bloß” grob fahrlässigen Verhaltens vor, der gerade in seiner Strafbarkeit zum Ausdruck kommt und es rechtfertigt, einen Vertrauensschutz, abgesehen von der allgemeinen dreißigjährigen Verjährungsfrist, gänzlich zu versagen. Im Falle grob fahrlässigen Verhaltens hat der Gesetzgeber die Entscheidung getroffen, nach Ablauf von zehn Jahren dem Vertrauensschutz Vorrang einzuräumen und der Verwaltung nur noch die Möglichkeit zu geben, gemäß § 48 Abs. 3 SGB X die zu Unrecht erhaltene Sozialleistung in der Zukunft abzuschmelzen.
Soweit der Beklagte hilfsweise geltend macht, er habe mit den streitbefangenen Bescheiden zumindest die Feststellung der Unrichtigkeit des Ausgangsbescheides vom 1. Oktober 1962 getroffen und diese Feststellung sei aufrechtzuerhalten, ist seine Revision begründet. Zwar enthält der Bescheid vom 9. Juli 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1986 und vom 19. Mai 1993 diese Feststellung nicht ausdrücklich. Der Ausgangsbescheid vom 1. Oktober 1962 wird nicht einmal erwähnt. Der Bescheid vom 9. Juli 1986 enthält aber erkennbar eine Aussage über die grundsätzliche Anrechenbarkeit der betrieblichen Witwenversorgung auf die Versorgungsbezüge der Klägerin nach deren ersten Ehemann, und damit über die Rechtswidrigkeit des Leistungsbezuges der Höhe nach von Anfang an. Diese Feststellung ist zutreffend. Damit entfällt das Vertrauen der Klägerin auf die Bestandskraft des Ausgangsbescheids als Grundlage künftiger Leistungserhöhungen. Entgegen der Auffassung des LSG ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides unter Zugrundelegung der Auslegungsregel des § 133 BGB hinreichend zum Ausdruck gekommen. Eines selbständigen Feststellungsbescheides bedarf es ebensowenig (vgl. BSGE 63, 266, 269) wie einer Umdeutung nach § 43 SGB X. An die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides als Grundlage einer künftigen Leistungsabschmelzung sind keine besonderen förmlichen Anforderungen zu stellen. Sie ist als denknotwendige Voraussetzung in dem auf § 45 SGB X gestützten Rücknahmebescheid enthalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
BSGE, 92 |
Breith. 1997, 627 |
SozSi 1997, 232 |