Leitsatz (amtlich)
1. Eine Rente, die für die Zeit vom 1957-01-01 an nach AnVNG Art 2 § § 30, 31, 33 und 35 Abs 1 festzusetzen war, darf über den sich hiernach ergebenden Betrag hinaus nicht nach AnVNG Art 2 § 37 Abs 3 um zwei Dreizehntel erhöht werden, wenn der Rentenempfänger nach dem 1956-12-31 das 65. Lebensjahr vollendet.
2. Hat das Landessozialgericht einem Beteiligten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt, so kann das Bundessozialgericht die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung regelmäßig nicht nachprüfen.
Normenkette
SGG § 67; AnVNG Art. 2 § 30 Fassung: 1957-02-23, § 31 Fassung: 1957-02-23, § 33 Fassung: 1957-02-23, § 35 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 37 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 31 Fassung: 1957-02-23, § 32 Fassung: 1957-02-23, § 34 Fassung: 1957-02-23, § 36 Fassung: 1957-02-23, § 38 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. April 1959 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Rente des Klägers unter den Voraussetzungen des Art. 2 § 37 Abs. 3 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) über den durch Art. 2 §§ 33, 35 AnVNG festgestellten Betrag hinaus zu erhöhen ist.
Der Kläger bezog vor dem Inkrafttreten des AnVNG (1.1.1957) ein Ruhegeld im Betrage von 497,80 DM monatlich. Die Umstellung der Rente nach Art. 2 §§ 30, 31 AnVNG hätte eine monatliche Rente von 1.309,80 DM ergeben. Bei einer Versicherungsdauer von 43 Jahren hätte der Kläger jedoch nur den Höchstbetrag von 483,80 DM erhalten können (Art. 2 § 33 Abs. 1 AnVNG). Bei dieser Sachlage war die alte Rente vom 1. Januar 1957 an um 21,- DM auf 518,80 DM zu erhöhen (Art. 2 §§ 33 Abs. 1, 35 Abs. 1 AnVNG).
Da der Kläger im August 1957 65 Jahre alt wurde, beantragte er, die Rente nach § 37 Abs. 3 AnVNG auf fünfzehn Dreizehntel des bisherigen monatlichen Zahlbetrags zu erhöhen. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit dem Hinweis auf § 33 ab (Bescheid vom 25.7.1957). Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg; das Sozialgericht Gießen verurteilte die Beklagte, dem Kläger vom 1. August 1957 an ein Altersruhegeld von 598,61 DM (= 15/13 von 518,80 DM) monatlich zu zahlen. Das Urteil vom 31. Januar 1958 wurde der Beklagten am 12. Februar 1958 zugestellt. Die am 11. März 1958 zur Post gegebene Berufungsschrift der Beklagten vom 6. März 1958 ging erst am 13. März 1958 (mithin verspätet) beim Hessischen Landessozialgericht ein. In der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 1959 beantragte die Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit Urteil vom 30. April 1959 hob das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts auf und wies die Klage ab. Die Revision wurde zugelassen.
Das Landessozialgericht bewilligte die Wiedereinsetzung, weil ein Verschulden der Beklagten an der Versäumung der Berufungsfrist nicht festzustellen sei. In der Sache selbst sei es nach Sinn und Zweck des Gesetzes geboten, die Begrenzungsvorschrift des § 33 anzuwenden. § 37 Abs. 3 sei lediglich eine Ergänzung des § 31. Da § 33 unmittelbar für die Rentner gelte, die bei der Rentenneuregelung bereits das 65. Lebensjahr vollendet gehabt hätten, sei kein Grund ersichtlich, diejenigen Rentner besser zu stellen, die erst später 65 Jahre alt würden.
Der Kläger legte gegen das ihm am 13. Juni 1959 zugestellte Urteil am 11. Juli 1959 Revision ein und begründete sie am 8. August 1959. Er beantragte,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zu verwerfen oder zurückzuweisen.
Er rügte die Verletzung des § 67 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); das Landessozialgericht habe die Wiedereinsetzung zu Unrecht bewilligt. In materiell-rechtlicher Hinsicht hält der Kläger den Wortlaut des § 37 Abs. 3 für eindeutig, so daß seine Auslegung nicht zulässig sei. Diese Vorschrift verweise auf die bereits umgestellte Rente. Eine zweimalige Anwendung der Höchstbetragsvorschrift sei nicht möglich. Dies sei vom Gesetzgeber nicht gewollt, anderenfalls hätte er es zum Ausdruck gebracht. Die Begrenzung der Rente nach oben widerspreche auch dem Grundgedanken der Rentenneuregelung, die die Rentenhöhe von der Beitragsleistung abhängig gemacht habe.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Soweit der Kläger geltend macht, das Landessozialgericht habe der Beklagten zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist bewilligt und deshalb gegen § 67 SGG verstoßen, übersieht er, daß die Rüge dieses Verfahrensmangels vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden kann. Nach § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG ist der Beschluß, der die Wiedereinsetzung bewilligt, unanfechtbar. Entscheidungen, die das Gesetz selbst als unanfechtbar bezeichnet (außer solchen, die nach §§ 177, 172 SGG nur "mit der Beschwerde nicht angefochten werden können"), sind, wenn sie dem Endurteil vorausgegangen sind, im allgemeinen auch für das Revisionsgericht bindend. Zu diesem Ergebnis sind der 11. Senat und - unter Aufgabe seiner hinsichtlich der Bewilligung der Wiedereinsetzung früher gegenteiligen Auffassung (Breithaupt 1957 S. 281) - auch der 10. Senat des Bundessozialgerichts gelangt (BSG. 6 S. 256, 7 S. 240). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Im vorliegenden Streitfall hat das Landessozialgericht der Beklagten die Wiedereinsetzung allerdings nicht durch einen besonderen Beschluß, sondern erst in den Gründen des in der Sache selbst ergangenen Urteils bewilligt. Dies war rechtlich zulässig (BSG. 6 S. 80). Auch in diesem Falle besteht für das Revisionsgericht keine Möglichkeit, die Bewilligung der Wiedereinsetzung auf ihre Rechtmäßigkeit hin nachzuprüfen. Es kann für die Anfechtbarkeit einer solchen Entscheidung keinen Unterschied machen, ob das Landessozialgericht die Wiedereinsetzung mittels eines besonderen Beschlusses bewilligt hat, was im allgemeinen nur dann geschieht, wenn die Verhandlung und Entscheidung auf den Wiedereinsetzungsantrag beschränkt ist (vgl. § 238 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), oder ob es aus prozeßwirtschaftlichen Gründen - wie dies auch in § 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO als Regel vorgesehen ist - das Verfahren über den Wiedereinsetzungsantrag mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozeßhandlung, hier über die Berufung der Beklagten, verbunden hat. In beiden Fällen verbietet es die Vorschrift des § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG, die Rechtmäßigkeit der Bewilligung der Wiedereinsetzung nachzuprüfen. Dem steht die Rechtsprechung des 3. Senats nicht entgegen, wonach das Verfahren des Berufungsgerichts an einem wesentlichen Mangel leidet, wenn es zu Unrecht eine Sachentscheidung über die gegen ein erstinstanzliches Urteil eingelegte Berufung getroffen und damit die besonderen Voraussetzungen seines eigenen Tätigwerdens verkannt hat (BSG. 4 S. 200, 201). Diese Rechtsprechung kann dann nicht zum Zuge kommen, wenn das Gesetz selbst eine besondere Regelung getroffen hat. Daraus, daß § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG die Nachprüfung der Entscheidung verbietet, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt, folgt zwangsläufig, daß sich das weitere Verfahren nach dieser Entscheidung richten muß. Ob hiervon eine Ausnahme zu machen ist, wenn durch die Folgen einer unanfechtbaren Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen andere Verfahrensgrundsätze verstoßen würde, braucht hier nicht entschieden zu werden, weil ein derartiger Sachverhalt weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich ist.
In der Sache selbst hat das angefochtene Urteil mit Recht eine Erhöhung der Rente über die durch Art. 2 §§ 33, 35 AnVNG festgelegte Grenze hinaus abgelehnt. § 37 Abs. 3 ordnet unter den dort genannten Voraussetzungen die Erhöhung der Rente an, die "nach § 31 dieses Artikels umgestellt ist". Dieser Hinweis ist auslegungsbedürftig, wie das Bundessozialgericht bereits mit Urteil vom 4. September 1958 (BSG. 8 S. 118) für die inhaltlich gleichlautende Bestimmung in Art. 2 § 38 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) entschieden hat. Der Begriff "umgestellte Rente" und die Hinweise auf die Umstellungsvorschriften sind in Art. 2 nicht durchweg eindeutig; der Gesetzgeber hat z.B. an mehreren Stellen § 30 zitiert, der auf die §§ 31 bis 36 hinweist, obwohl er § 35 ausgenommen wissen wollte (§ 41) oder zusätzlich anführte (§ 42 Abs. 1), so daß der Sinn des Gesetzes jeweils unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks ermittelt werden muß.
Auch der Wortlaut des § 37 Abs. 3 läßt nicht klar erkennen, was der Hinweis auf die nach § 31 umgestellte Rente bedeutet. Es ist zweifelhaft, ob auch die aus Gründen der Besitzstandswahrung nach § 35 errechnete Rente hierunter fällt. Dafür könnte zwar sprechen, daß diese Rente nach der Formulierung des § 35 als die um einen Sonderzuschuß erhöhte Rente nach § 31 gekennzeichnet wird. Daraus könnte geschlossen werden, § 35 stelle lediglich einen Unterfall des § 31 dar, und mit dem Hinweis auf diese Vorschrift sei auch § 35 gemeint. Tatsächlich wird aber die Rente nach § 35 in der Weise festgestellt, daß die Altrente um 21,- DM erhöht wird, wogegen die Rente nach § 31 in diesem Zusammenhang nur eine Vergleichsgröße ist. Dies deutet darauf hin, daß § 35 eine gewisse Selbständigkeit gegenüber § 31 hat und nicht nur dessen Unterfall ist. Darauf ist es auch zurückzuführen, daß der Gesetzgeber § 35 mehrfach - u.a. in den bereits erwähnten §§ 41 und 42 - besonders hervorhebt.
Die wegen des zweifelhaften Wortlauts erforderliche Auslegung des § 37 Abs. 3 führt dazu, die nach § 35 errechnete Rente von der Erhöhung auszunehmen. Für diese Auslegung sprechen überzeugende Gründe, die sich aus dem Sinn und Zweck des § 37 Abs. 3 ergeben und die in dem angefochtenen Urteil zutreffend wiedergegeben sind (vgl. hierzu auch die Gründe des oben erwähnten Urteils des Bundessozialgerichts und der Urteile des Landessozialgerichts Bremen - Soz. Vers. 1958 S. 326 - und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg - Breithaupt 1960 S. 136 -). Bei der Umstellung der Altrenten mußte nämlich berücksichtigt werden, daß die noch nicht 65 Jahre alten Versicherten keinen Anspruch auf Ruhegeld (§ 31 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) hatten, sondern daß ihnen die Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (§ 30 AVG) zustand. Die Umstellungsfaktoren (Anlage 3 zu Art. 2 § 31 AnVNG) für die Renten der Geburtsjahrgänge von 1892 an enthalten nicht den für die Neuberechnung des Ruhegeldes maßgebenden Steigerungssatz von 1,5 v.H. (§ 31 Abs.1 AVG), sondern - um eine Unterscheidung von Berufs- und Erwerbsunfähigkeit zu erübrigen - einen Mittelwert zwischen 1 und 1,5 v.H., nämlich 1,3 v.H. (vgl. BArbBl. 1957 S. 231). Durch die Rentenerhöhung nach § 37 Abs. 3 wird erreicht, daß die Rentner, sobald sie 65 Jahre alt sind, eine Rente erhalten, die dem Ruhegeld des § 31 AVG entspricht. Für sie wird die Berechnung des Ruhegeldes, wie sie bei den Geburtsjahrgängen vor 1892 bereits bei der Umstellung nach Art. 2 § 31 AnVNG erfolgt ist, durch § 37 Abs. 3 nachgeholt. Diese Vorschrift stellt danach eine notwendige Ergänzung des § 31 dar. Die aus Billigkeitsgründen gewährte Rente nach § 35 bedarf dagegen einer solchen Ergänzung nicht. Die nach § 35 berechnete Rente des Klägers (518,80 DM) kann deshalb nicht nach § 37 Abs. 3 erhöht werden.
§ 37 Abs. 3 gestattet auch nicht eine - im Rahmen des Klageantrags - liegende Erhöhung der nach §§ 31, 33 umgestellten Rente (483,80 DM). Insoweit gibt allerdings der Wortlaut des § 37 Abs. 3 ebenfalls keinen klaren Aufschluß. Der Hinweis auf die bereits umgestellte Rente könnte bedeuten, daß die Umstellungsvorschriften einschließlich des § 33 als endgültig und einmalig angewandt gelten sollen. Dies folgt aber nicht zwingend aus der Formulierung des § 37. Der Hinweis allein auf § 31 kann ebenso die Bedeutung haben, daß nur die hiernach - ohne Anwendung des § 33 - umgestellte Rente an der Erhöhung teilhaben soll, während die unter Anwendung des § 33 umgestellte Rente hierfür nicht in Betracht kommt. Dieser mögliche Wortsinn des Gesetzes wird als richtig bestätigt durch dessen Zweck: Angleichung des Mittelwertes zwischen Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente an denjenigen für das Ruhegeld. Diese Angleichung wäre nicht möglich, wenn schon durch die Umstellung mit dem in der Anlage zu § 31 enthaltenen Faktor 1,3 die Höchstgrenze erreicht ist, die ja unstreitig auch für diejenigen Altrentner gilt, bei denen das Altersruhegeld nach § 31 festgesetzt wurde.
Demnach kommen Renten, bei deren Umstellung § 33 bereits Anwendung gefunden hat, für eine Erhöhung nach § 37 Abs. 3 nicht in Betracht. Diese Feststellung und das oben gewonnene Ergebnis, daß auch die nach § 35 festgesetzte Rente nicht erhöht werden kann, genügen für die Klärung des vorliegenden Streitfalles. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob bei der Rentenerhöhung nach § 37 Abs. 3 ausnahmslos die Höchstbetragsvorschrift des § 33 gilt. Diese Frage hat Bedeutung für diejenigen Renten, die nach der Umstellung gemäß § 31 knapp unter der Höchstgrenze liegen und durch § 37 Abs. 3 die Höchstgrenze überschreiten würden. Die Auffassung des Landessozialgerichts, der bisherige Rentenzahlbetrag sei nach § 37 Abs. 3 zu erhöhen, aber nach § 33 zu kürzen, führt allerdings im vorliegenden Fall zu demselben Ergebnis.
Der Hinweis des Klägers, die die Rente nach oben begrenzenden Vorschriften verstießen gegen den Grundsatz der Beitragsbezogenheit, kann als Anregung zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen (vgl. dazu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 6.Aufl. S. 704 f.) aufgefaßt werden. Es ist richtig, daß Spitzenbeiträge, die unter der Geltung des alten Rechts geleistet wurden, sich bei der Rentenhöhe vielfach nicht entsprechend auswirken können. Dies ist aber nicht nur bei den umgestellten Renten, sondern in gleicher Weise auch bei den nach neuem Recht zu berechnenden Renten der Fall (§ 32 Abs. 1 AVG letzter Satzteil). Für Beitragszeiten seit dem 1. Januar 1957 gilt dies nicht mehr (§ 112 Abs. 2 AVG). Diese relative Schlechterbehandlung der alten Versicherten stellt jedoch keine Verletzung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) dar. Es bleibt dem Gesetzgeber unbenommen, die Wirkung von Rechtsänderungen, die günstigere Leistungen zur Folge haben, auf die Zukunft zu beschränken (vgl. BSG. 11 S. 287). Art. 14 GG ist deshalb nicht berührt, weil die hier einschlägige Begrenzungsvorschrift des § 33 wegen § 35 nicht in den Besitzstand eingreifen kann.
Das angefochtene Urteil ist daher im Ergebnis richtig.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen