Leitsatz (redaktionell)
Existenzgrundlage gemäß § 1 Abs 4 GAL:
Nach einer Änderung der Mindesthöhen nach Inkrafttreten des GAL (1961) muß für die Beurteilung einer Existenzgrundlage in der Zeit vom 1.10.1957 bis zum 31.12.1961 der frühere nach dem GAL (1957) festgesetzte Einheitswert zugrunde gelegt werden.
Normenkette
GAL § 1 Abs. 4 Fassung: 1957-07-27; GAL § 1 Abs. 4 Fassung: 1961-07-03
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Februar 1965 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Kläger sind die persönlich haftenden Gesellschafter der C H-G K. Sie bewirtschaften außerdem ein landwirtschaftliches Unternehmen. Durch Aufnahme- und Beitragsbescheide vom 3. März 1958 und 15. Oktober 1959 wurden die Kläger von der Beklagten zur Entrichtung von Beiträgen nach §§ 7 ff des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1063) - GAL aF - herangezogen; die Beklagte ging hierbei davon aus, daß das von den Klägern bewirtschaftete Unternehmen eine Große von 7,462 ha mit einem Ertragswert von 2.849,-DM umfasse und somit eine Existenzgrundlage nach § 1 Abs. 4 GAL aF darstelle, weil es den von der Vertreterversammlung festgesetzten Mindestwert von DM 2.500,- überstieg. Der Widerspruch wurde am 18. Dezember 1959 zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 11. Oktober 1961 die Bescheide der Beklagten aufgehoben, weil der Betrieb in einer Größe von nur 6,0281 ha und einem Ertragswert von 2,303,- DM unter dem von der Beklagten festgesetzten Richtwert von 2.500,-DM liege. Die Annahme einer Existenzgrundlage sei auch unabhängig von der Größe zu verneinen, weil die Betriebsgrundstücke im nördlichen Frankenwald, dem höchstgelegensten Gebiet des ganzen Landkreises, in einer Höhe von 700 m lägen, die Wiesen zum größten Teil von Wald umschlossen seien und Düngeversuche zu keinem Ergebnis geführt hätten; außerdem sei ein Acker mit Gras angesäht und zum Äsungsplatz für Wild umgewandelt worden, weil er nicht ertragreich sei. Wenn aus irgendwelchen Gründen der Tradition noch zwei Kühe gehalten würden, so sei damit nicht erwiesen, daß eine Existenzgrundlage gegeben sei. Die Beklagte hat im Laufe des Verfahrens durch Bescheid vom 7. Mai 1963 vom Monat März 1962 an Beitragsfreiheit ausgesprochen, da das landwirtschaftliche Unternehmen wegen Verpachtung einer Nutzfläche von 3,3 ha mit einem Ertragswert von 1.261,-DM nunmehr keine Existenzgrundlage bilde.
Die Berufung der Beklagten gegen das sozialgerichtliche Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) am 23. Februar 1965 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Kläger vom 1. Januar bis zum 28. Februar 1962 beitragspflichtig seien. Zur Begründung hat es ausgeführt: Was die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. Dezember 1961 anbelange, so habe das Unternehmen keine Existenzgrundlage dargestellt, weil es mit einem Ertragswert von 2.303,- DM den im Beschluß der Vertreterversammlung vom 5. November 1957 aufgestellten Meßwert von 2.500,- DM nicht erreiche. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß trotz Unterschreitens der maßgeblichen Mindestertragswertgrenze eine dauerhafte Existenzgrundlage zu bejahen sei, etwa wegen der Bewirtschaftung besonders ertragsreicher Sonderkulturen, seien nicht ersichtlich geworden. Die von der Beklagten vorgetragenen allgemeinen Erwägungen, daß auch bei Unterschreiten der Mindestertragswertgrenze bis zu 15 v. H. eine dauerhafte Existenzgrundlage für eine bäuerliche Normalfamilie bejaht werden müsse, griffen hier nicht durch. Für die Zeit vom 1. Januar bis zum 28. Februar 1962 sei jedoch eine Existenzgrundlage anzunehmen, nachdem die Vertreterversammlung der Beklagten am 29. Januar 1962 eine Mindestertragswertgrenze von 2.100,- DM festgesetzt habe, so daß bei einem Ertragswert von 2.303,- DM die Mindesthöhe überschritten sei (§ 1 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Altershilfe für Landwirte vom 3. Juli 1961 - BGBl I 845 - GAL nF). Dieser Beschluß der Vertreterversammlung vom 29. Januar 1962 könne nicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des GAL, den 1. Oktober 1957, zurückwirken, weil sich aus ihm deutlich ergebe, daß er sich auf die Neufassung des GAL stütze und diese erst am 1. Januar 1962 in Kraft getreten sei. Revision wurde zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Revision eingelegt. Sie rügt fehlerhafte Anwendung des § 1 Abs. 4 GAL und Verstöße gegen die §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie habe vor dem LSG in ihrem Schriftsatz vom 14. November 1961 eingehende und ausführliche Gründe und Überlegungen vorgetragen, warum das von den Klägern betriebene landwirtschaftliche Unternehmen trotz seiner geringen Größe eine Existenzgrundlage darstelle; das LSG habe aber diesen Vortrag nicht gewürdigt und keine Beweise in dieser Hinsicht erhoben. Das LSG habe sich auch über die von der Beklagten und den Sozialgerichten Bayreuth und Nürnberg ermittelten Erfahrungssätze hinweggesetzt, wonach selbst bei Unterschreiten der Mindestgrenze um 15 v. H. noch eine Existenzgrundlage gegeben sei.
Das von den Klägern betriebene landwirtschaftliche Unternehmen mit einer Fläche von 7,462 ha stelle bei einem Hektarsatz von 382,- DM einen Ertragswert von 2.849,- DM dar und überschreite damit den Mindestwert von 2.500,- DM. Das LSG sei jedoch von einer bewirtschafteten Fläche von 6.0281 ha mit einem Ertragswert von 2.303,- DM ausgegangen. Selbst wenn dies zuträfe, so läge die bewirtschaftete Fläche nur mit 7,9 % unter dem Wert von 2.500,- DM. Deshalb sei noch eine Existenzgrundlage gegeben, weil nach den Erfahrungen auch bei Unterschreiten des Ertragswerts bis zu 15 % noch eine Existenzgrundlage anzunehmen sei. Dieser Auffassung hätten sich die Sozialgerichte angeschlossen.
Es verstoße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze des täglichen Lebens, wenn das Berufungsgericht ein Unternehmen, das sich in seiner Flächengröße und in seiner Wertgröße nicht geändert habe, für die Zeit vor dem 1. Januar 1962 nicht als Existenzgrundlage, für die Zeit nachher aber als eine solche ansehe. Da die Erfahrungen ergeben hätten, daß die am 5. November 1957 festgesetzten Grenzwerte um bis zu 15 % zu hoch gelegen hätten, sei in dem Beschluß vom 29. Januar 1962 eine neue Festsetzung erfolgt, die anstelle des früheren Beschlusses mit Wirkung vom 1. Oktober 1957 in Kraft getreten sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 23. Februar 1965 insoweit aufzuheben, als es die Berufung gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 11. Oktober 1961 zurückgewiesen hat und die Klagen gegen die Bescheide vom 3. März 1958, 15. Oktober 1959 und gegen den Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1959 in vollem Umfange abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, konnte aber keinen Erfolg haben.
Die Beklagte hat zwar in ihrer Revisionsbegründung vorgetragen, das Unternehmen der Kläger habe mit einer Größe von 7.462 ha und einem Ertragswert von 2.849,- DM den gemäß § 1 Abs. 4 GAL aF festgesetzten Mindestwert von 2.500,- DM überschritten, während das LSG nur eine Betriebsgröße von 6,0281 ha mit einem Ertragswert von 2.303,- DM festgestellt hat. Gegen diese Feststellung hat aber die Beklagte keine den Anforderungen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG entsprechenden Revisionsrügen erhoben, so daß der Senat nach § 163 SGG an diese tatsächlichen Feststellungen gebunden ist. Eine Betriebsgröße von 6.0281 ha mit einem Ertragswert von 2.303,-DM überschreitet aber den im Beschluß vom 5. November 1957 festgesetzten Richtwert von 2.500,-DM, so daß nach § 1 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz GAL aF eine Existenzgrundlage nicht gegeben ist. Nun hat allerdings der Senat in seinem Urteil vom 3. April 1966 (SozR GAL § 1 Nr. 7) ausgesprochen, eine dauerhafte Existenzgrundlage könne auch gegeben sein, wenn der nach § 1 Abs. 4 GAL aF von der landwirtschaftlichen Alterskasse festgesetzte Einheitswert nicht überschritten sei; Voraussetzung bilde jedoch, daß das landwirtschaftliche Unternehmen unter normalen Umständen geeignet sei, den Unterhalt einer bäuerlichen Familie zu sichern, es genüge dagegen nicht, wenn wegen der besonderen Verhältnisse nur die betreffende Familie ihr Auskommen fände. Entscheidend sei, ob ein Unternehmen dieser Art in seiner Betriebsstruktur und Bewirtschaftungsweise die Voraussetzungen generell erfülle. Das Vorliegen einer Existenzgrundlage nach diesen Gesichtspunkten hat aber das LSG zutreffend verneint. Der Senat hat in seinem Urteil vom 14. Februar 1964 - 7 RLw 34/63 - ausgeführt, es müsse jeweils geprüft werden, ob trotz Unterschreitens der Grenze des § 1 Abs. 4 GAL aF eine Existenzgrundlage angenommen werden könne. Dabei müsse es auf die konkreten Verhältnisse des Betriebes abgestellt und geprüft werden, ob bestimmte Erfahrungssätze der Alterskasse für den Fall zuträfen oder nicht. Solche Umstände lagen aber hier nicht vor, so daß das LSG mit Recht sich nicht den von der Beklagten behaupteten Erfahrungssätzen angeschlossen hat. Zu Unrecht meint nun die Beklagte, das LSG habe fehlerhaft Ermittlungen in dieser Hinsicht unterlassen und damit gegen § 103 SGG verstoßen. Dies ist aber nicht der Fall. Denn das LSG hatte bei den Besonderheiten des Falles keine Veranlassung, noch weitere Ermittlungen anzustellen. Vielmehr hatte das SG die konkreten Verhältnisse des klägerischen Anwesens geprüft und die Umstände dargelegt, derentwegen es keine Existenzgrundlage angenommen hat. Hiergegen hatte die Beklagte nichts vorgetragen, so daß das LSG keinen Anlaß hatte, zusätzliche Ermittlungen anzustellen. Der von der Beklagten erwähnte Erfahrungssatz war daher hier widerlegt.
Es stellt auch keinen Verstoß gegen § 128 SGG dar, wenn das LSG für die Zeit bis zum 31. Dezember 1961 von einem Ertragswert von 2.500,- DM und für die Zeit nachher von einem solchen von 2.100,- DM als Mindestexistenzgrundlage ausgegangen ist. Wie der Senat in seinem letztgenannten Urteil ausgesprochen hat, ist es durchaus denkbar, daß für verschiedene Zeiträume verschiedene Mindestwerte festgesetzt werden. Ist ein Mindestwert gegenüber vorher herabgesetzt worden, so hat das die Wirkung, daß infolge der Fiktion des § 1 Abs. 4 GAL eine Existenzgrundlage als vorhanden gilt, wenn dieser Wert überschritten ist. Solange dies aber nicht der Fall ist, kann eine Existenzgrundlage nur angenommen werden, wenn die genannten besonderen Verhältnisse im Betrieb vorliegen.
Zu Unrecht meint schließlich die Beklagte, der Beschluß der Vertreterversammlung vom 29. Januar 1962 wirke auch auf die Zeit vom 1. Oktober 1957 an zurück. Dies ist nicht der Fall, denn er ist auf Grund der Vorschrift des GAL nF ergangen und bringt nicht zum Ausdruck, daß er auch die Zeit vor dem 1. Januar 1962 erfassen soll.
Die Revision der Beklagten muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen