Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.02.1965) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 1965 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Bescheid des Versorgungsamtes Düsseldorf vom 10. Oktober 1960 nicht aufgehoben wird.
Die Kosten der Revisionsinstanz werden dem Beklagten auferlegt.
Gründe
Der Kläger bezieht auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v.H. Das Versorgungsamt (VersorgA) hatte ihm durch Postkarte vom 4. Juni 1953 mitgeteilt, nach dem Ergebnis einer im Mai 1953 durchgeführten ärztlichen Untersuchung würden die Versorgungsgebührnisse nicht neu festgestellt; eine versorgungsärztliche Nachuntersuchung sei von Amts wegen nicht mehr beabsichtigt.
Nach einem Antrag vom Februar 1957 auf Gewährung von Kapitalabfindung wurde der Kläger durch einen Facharzt nachuntersucht. Gestützt auf dessen Gutachten setzte das VersorgA durch den Bescheid vom 28. März 1957 wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse (§ 62 Abs. 1 BVG) mit Wirkung vom 1. Juni 1957 die Rente nach einer MdE um 50 v.H. herab und bezeichnete die Schädigungsfolgen neu. Der Widerspruch blieb erfolglos.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 21. Oktober 1959 die Verwaltungsbescheide aufgehoben, weil sich das VersorgA durch die Mitteilung vom 4. Juni 1953 seines Rechts begeben habe, den Kläger ärztlich untersuchen zu lassen. Der Beklagte hat Berufung eingelegt und gerügt, die Berufung habe zugelassen werden müssen. Insoweit hat er außerdem eine Berichtigung und gemäß § 140 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eine Ergänzung der angefochtenen Entscheidung beim SG beantragt. Dieses hat durch Beschluß vom 20. September 1961 und Urteil vom 30. Mai 1963 sowohl eine Berichtigung als auch eine Ergänzung seines Urteils hinsichtlich der Zulassung der Berufung abgelehnt, weil das Gericht das Rechtsmittel nicht zugelassen habe und der Fall einer zwar beschlossenen, aber versehentlich im Urteil nicht ausgesprochenen Zulassung der Berufung nicht vorliege, insbesondere ein Klageanspruch nicht übergangen sei; es hat die Berufung zugelassen. Gegen das Urteil vom 30. Mai 1963 hat der Beklagte Berufung eingelegt und eine Verletzung des § 140 SGG gerügt.
Im Laufe des Berufungsverfahrens hat das VersorgA auf Veranlassung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) durch Bescheid vom 10. Oktober 1960 die Mitteilung des VersorgA vom 4. Juni 1953 darüber, daß eine versorgungsärztliche Nachuntersuchung nicht mehr beabsichtigt sei, als fehlerhaft zurückgenommen. Hiergegen hat der Kläger Widerspruch erhoben. Auf weitere Veranlassung des LVersorgA hat das VersorgA sodann durch Bescheid vom 7. Dezember 1960 gemäß § 62 Abs. 1 BVG die Versorgungsbezüge mit Wirkung vom 1. Februar 1961 nach einer MdE um 50 v.H. neu festgestellt, weil durch die Aufhebung der Nachricht vom 4. Juni 1953 die Verwaltung nicht mehr an der Herabsetzung der Rente gehindert gewesen sei und das Urteil des SG vom 21. Oktober 1959 dem nicht mehr entgegenstehe; dieser Bescheid werde Gegenstand des schwebenden Berufungsverfahrens.
Durch Verfügung des Vorsitzenden des 11. Senats des Landessozialgerichts (LSG) vom 30. November 1964 ist die zweite Berufung dem 30. Senat als dem mit der Haupt Sache –der Entscheidung über die erste Berufung– befaßten Senat zuständigkeitshalber zugeleitet worden. Dieser hat am 18. Februar 1965 in Gegenwart der Beteiligten mündlich verhandelt. Der Beklagte hätte zunächst Anträge nur hinsichtlich des Urteils des SG vom 30. Mai 1963 und erst nach der Verbindung der Streitsachen über die beiden Berufungen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung auch hinsichtlich des Urteils des SG vom 21. Oktober 1959 gestellt. Durch Urteil vom 18. Februar 1965 hat das LSG die Berufung des Beklagten gegen die Entscheidung des SG vom 30. Mai 1963 zurückgewiesen, die gegen die Entscheidung vom 21. Oktober 1959 als unzulässig verworfen und die Bescheide des VersorgA vom 10. Oktober und 7. Dezember 1960 aufgehoben. In den Gründen ist ausgeführt, die Berufung gegen das Urteil vom 30. Mai 1963 sei zwar statthaft, aber deshalb nicht begründet, weil durch Urteilsergänzung nach § 140 SGG die Berufung nicht nachträglich zugelassen werden könne, zumal das SG den Zulassungsausspruch nicht übergangen oder versehentlich unterlassen habe. Das LSG könne die Zulassung der Berufung nicht in eigener Entscheidung nachholen, sondern sei an die Entscheidung des SG über die Nichtzulassung der Berufung gebunden. Die Berufung gegen das Urteil vom 21. Oktober 1959 sei nicht statthaft, weil sie gemäß § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen sei. Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens sei nicht darin zu erblicken, daß das SG die Berufung nicht zugelassen habe. Die Bescheide des VersorgA vom 10. Oktober und 7. Dezember 1960 seien eine rechtliche Einheit und gemäß § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) zu beurteilen; beide seien Gegenstand des Berufungsverfahrens, weil das VersorgA mit ihnen nicht nur die Mitteilung vom 4. Juni 1953 sondern auch den Bescheid vom 28. März 1957 berichtigt habe. In ihrer Gesamtheit betrachtet seien beide Bescheide rechtswidrig. Die Mitteilung vom 4. Juni 1953 hätte nur als Ganzes zurückgenommen werden können; da sie seinerzeit hinsichtlich der negativen Neufeststellung richtig gewesen sei, könne die Ankündigung über die nicht mehr beabsichtigte ärztliche Nachuntersuchung nicht mehr aufgehoben werden. Wenn aber die beiden Bescheide nicht als Einheit betrachtet und nur der Bescheid vom 7. Dezember 1960 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden wäre, so sei auch dieser für sich allein betrachtet rechtswidrig. Denn seit der letzten Bescheiderteilung im Jahre 1957 hätten sich die Verhältnisse nicht geändert, so daß eine Neufestsetzung der Rente nach § 62 BVG nicht möglich sei. Das LSG hat die Revision zugelassen, weil der Rechtsfrage, ob eine nachträgliche Zulassung der Berufung im vorliegenden Falle gemäß § 140 SGG durch Urteilsergänzung auszusprechen sei, grundsätzliche Bedeutung zukomme.
Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt zu erkennen:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 1965 auf gehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung der §§ 36, 25 SGG, weil ihm vor der mündlichen Verhandlung nicht bekanntgegeben worden sei, daß beide Berufungen beim 7. Senat des LSG anhängig seien. Der Streitfall sei unter Verletzung der Geschäftsverteilung dem gesetzlichen Richter entzogen worden. Ihm sei das rechtliche Gehör geschmälert worden, weil er sich durch eine Änderung der Zuständigkeit des Senats nicht auf die mündliche Verhandlung richtig hätte vorbereiten können. Nach § 140 SGG sei es vorliegend möglich gewesen, die Zulassung der Berufung nachträglich durch Urteilsergänzung auszusprechen, weil dieses Urteil insoweit eine Entscheidungslücke enthalte. Hinsichtlich des sozialgerichtlichen Urteils vom 21. Oktober 1959 seien § 136 Abs. 1 Nr. 6 und § 150 Nr. 2 SGG verletzt, denn in der mündlichen Verhandlung vor dem SG hätten die Beteiligten ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht streitig verhandelt. Die Bescheide des VersorgA vom 10. Oktober und 7. Dezember 1960 seien zu Unrecht aufgehoben worden. Insoweit rügt der Beklagte außerdem mit näherer Begründung eine Verletzung der §§ 103, 128 Abs. 1 SGG.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurück zuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Insbesondere habe der Beklagte einen wesentlichen Mangel im Verfahren vor dem SG in der Berufungsinstanz nicht form- und fristgerecht gerügt.
Die durch Zulassung statthafte, im übrigen auch zulässige Revision konnte keinen Erfolg haben.
Soweit die angefochtene Entscheidung die Berufung gegen das Urteil des SG vom 30. Mai 1965 betrifft, hat der Beklagte die Rügen einer Verletzung des § 36 i.V.m. § 25 SGG sowie des § 62 SGG zu Unrecht erhoben. Diese Streitsache war ausweislich des Stempels der Geschäftsstelle in den Registern des 11. Senats des LSG eingetragen worden. Zunächst hatte dieser Senat die Berufung weiter bearbeitet, erst etwa ein halbes Jahr später ist geklärt worden, daß diese Berufung nicht als neue Sache, sondern als eine Fortsetzung der bereits vorher eingelegten Berufung gegen das Urteil des SG vom 21. Oktober 1959 aufzufassen war. Daß die Zusammengehörigkeit der beiden Streitsachen im Sinne der Geschäftsverteilung des LSG (B Nr. 2 des Präsidialbeschlusses vom 1. Dezember 1963) im Präsidium erörtert worden ist, ist – wie der Kläger in der Revisionsinstanz zutreffend ausgeführt hat –, rechtlich nicht relevant. Vielmehr ist die Bearbeitung der Berufung gegen das Urteil vom 30. Mai 1963 rechtmäßig an den 7. Senat, welcher mit dem ersten Rechtsmittel in dieser Streitsache befaßt war, abgegeben worden. Dies entspricht der Geschäftsverteilung des LSG. Es ist mithin nicht angängig, in der Erörterung der Auslegung der Geschäftsordnung im Präsidium eine Änderung der Zuständigkeit zu erblicken und auszuführen, die Berufung gegen das Urteil vom 30. Mai 1963 sei dem „gesetzlichen Richter” entzogen worden. Vielmehr ist mit der Verfügung des Vorsitzenden vom 30. November 1964 nur eine nicht zutreffende Bearbeitung der Geschäftsstelle durch die Eintragung als neue Sache und durch die Zuteilung eines neuen Aktenzeichens richtig gestellt worden. Ebenfalls richtig ist die Sache dann in den Registern des 11. Senats als auf sonstige Weise erledigt ausgetragen. Der 7. Senat hat diese Berufung auch widerspruchslos weiter bearbeitet. Infolgedessen ist die zunächst erhobene Rüge, die Sache sei dem gesetzlichen Richter entzogen worden, nicht begründet.
Die weitere Rüge einer Verkürzung des rechtlichen Gehörs greift ebenfalls nicht durch. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem 7. Senat des LSG vom 18. Februar 1965 hat der Beklagte Anträge zunächst zu seiner, ursprünglich vom 11. Senat des LSG bearbeiteten Berufung gegen das Urteil vom 30. Mai 1963 gestellt. Er hatte sich also für die Verhandlung – entgegen seinem jetzigen Vorbringen – auf diese Berufung vorbereitet, so daß die ziffernmäßige Bezeichnung des Senats in der Ladung keine Rolle gespielt hat. Im Rahmen der Anträge zu dem Urteil vom 30. Mai 1963 hat der Beklagte dann auch weiterhin zur Sache verhandelt. Es kann also keine Rede davon sein, daß er durch den Übergang der Streitsache vom 11. auf den 7. Senat in seinen Ausführungen zu seinem Rechtsmittel gegen das Urteil vom 30. Mai 1963 behindert worden wäre. Wenn dann das LSG den Beschluß verkündet hat, die beiden Berufungen würden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, so sind gegen diese prozeßleitende Anordnung weder Revisionsrügen erhoben noch rechtliche Bedenken geltend zu machen. Die beklagte Verwaltung hat im Anschluß an den Verbindungsbeschluß Anträge zu ihrer Berufung gegen das Urteil des SG vom 21. Oktober 1959 gestellt, welche von Anfang an vom 7. Senat bearbeitet worden sind und auf die sie sich nach der ziffernmäßigen Bezeichnung des Senats in der Ladung ohnedies hätte vorbereiten müssen. In der Revisionsinstanz hat sie auch nicht etwa gerügt, daß ihr insoweit das rechtliche Gehör geschmälert worden sei.
Allerdings geht aus der Niederschrift – wie der Beklagte richtig vorgetragen hat – nicht hervor, daß nach der zweiten Antrag Stellung auch streitig verhandelt worden ist. Zu Unrecht aber versucht der Beklagte, hieraus eine Versagung des rechtlichen Gehörs herzuleiten. Es darf zunächst nicht unberücksichtigt bleiben, daß zur mündlichen Verhandlung nach § 112 SGG die Darstellung des Sachverhalts und die Ausführungen der Beteiligten mit ihren Anträgen gehören; erst nach genügender Erörterung der Streitsache – also nicht nur nach der Antragstellung, sondern auch nach den Ausführungen der Beteiligten – erklärt der Vorsitzende die mündliche Verhandlung nach § 121 SGG für geschlossen. Ausweislich der Niederschrift hat der Vorsitzende die mündliche Verhandlung für geschlossen erklärt. Es liegt deshalb der Schluß nahe, daß nach dem Verbindungsbeschluß das Sach- und Streitverhältnis weiter mit den Beteiligten erörtert worden ist und daß sie in diesem Zusammenhang ihre weiteren Anträge gestellt haben – wie § 112 Abs. 2 SGG vorsieht.
Wenn der Beklagte aus der Niederschrift beweisen will, daß die mündliche Verhandlung vor dem LSG nicht gesetzesmäßig durchgeführt und ihm das rechtliche Gehör verkürzt worden sei, so kann er damit keinen Erfolg haben. Eine Beweisaufnahme hat hier nicht stattgefunden. Infolgedessen ist § 122 Abs. 1 SGG maßgebend. Nach dieser Vorschrift sind wesentliche Vorgänge einer Verhandlung, vor allem die endgültige Fassung der von den Beteiligten gestellten Anträge in die Niederschrift auf zunehmen. Dem ist hier entsprochen, auch soweit es sich um den Verbindungsbeschluß und die sich daran anschließende Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, nämlich die weiteren Anträge der Beteiligten handelt. Wegen der Einzelheiten, welche in die Niederschrift aufzunehmen sind, verweist § 122 Abs. 3 SGG auf die §§ 159 bis 165 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem LSG vom 18. Februar 1965 entspricht der Vorschrift des § 159 Abs. 2 ZPO, insbesondere ist angegeben, daß öffentlich verhandelt worden ist. Ein Vermerk, daß auch streitig verhandelt worden ist, ist in der ZPO nicht vorgeschrieben. Vielmehr ist nach § 160 Abs. 1 ZPO der Gang der Verhandlung im allgemeinen anzugeben. Hingegen ist gemäß § 160 Abs. 2 ZPO vorgeschrieben, was durch Aufnahme in die Niederschrift festzustellen ist. Hier könnte noch in Betracht kommen die Nr. 2 des Abs. 2. Danach sind Anträge und Erklärungen festzustellen, deren Feststellung vorgeschrieben ist. Was unter solchen Erklärungen zu verstehen ist, kann aus § 298 ZPO entnommen werden. Jedenfalls gehört zu diesen Erklärungen nicht die Feststellung, daß streitig verhandelt sei. Infolgedessen kann aus dem Protokoll nichts zu dem Vorbringen der Revision entnommen werden, die Streitsache sei hier – nach der Verkündung des Verbindungsbeschlusses und den anschließenden ergänzenden Anträgen der Beteiligten – nicht mehr erörtert worden.
Da der Beklagte seine Rüge ausschließlich auf die Niederschrift gestützt hat, diese aber keinen Fehler in der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 1965 erkennen läßt, muß angenommen werden, daß das LSG ordnungsgemäß verfahren hat und daß bei gesetzmäßig durchgeführter Verhandlung die Beteiligten zu Worte gekommen sind. Danach ist auch die Rüge einer Verletzung des Art. 103 des Grundgesetzes (GG), § 62 SGG nicht begründet.
In der Sache selbst hat das LSG zu Recht die Berufung gegen das Urteil vom 30. Mai 1963 zurückgewiesen. Eine Ergänzung des Urteils des SG vom 21. Oktober 1959 gemäß § 140 SGG ist nicht möglich.
Nach dieser Vorschrift … ist eine Ergänzung nur dann zulässig, wenn ein erhobener Anspruch übergangen ist. Dabei handelt es sich stets um materielle Ansprüche. Dies hat das LSG zutreffend ausgeführt. Weiter hat das Berufungsgericht entschieden, die nachträgliche Ergänzung eines Urteils sei in § 140 SGG für das Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit abschließend geregelt; eine Heranziehung der Vorschriften der ZPO sei auch über § 202 SGG nicht möglich. Dies ist frei von Rechtsirrtum. Denn die Vorschriften dieser beiden Gesetze über die Voraussetzungen, unter denen ein Urteil ergänzt werden kann, stimmen zwar inhaltlich weitgehend überein. Im übrigen aber ist das Verfahren unterschiedlich geregelt. Insbesondere ist der ZPO die Unterscheidung des SGG zwischen einer Übergehung des Kostenpunktes, die durch einen Beschluß nachgeholt wird, und der Übergehung von Ansprüchen fremd. Infolgedessen hat das Berufungsgericht zutreffend entschieden, daß die Ergänzung eines Urteils der Sozialgerichtsbarkeit durch § 140 SGG abschließend geregelt ist.
Dem Beklagten kann mit seinem Revisionsvorbringen lediglich insoweit gefolgt werden, daß infolge der Übereinstimmung in den Voraussetzungen des Ergänzungsverfahrens Rechtslehre und Rechtsprechung zur ZPO bei der Auslegung der Vorschrift des § 140 Abs. 1 Satz 1 SGG Aufschlüsse geben können. Hier hat sich der Beklagte auf die Ausführungen im Lehrbuch des Zivilprozeßrechts von Rosenberg (9. Aufl. § 140 II 2a S. 697) und auf den Kommentar von Stein/Jonas zu § 321 ZPO (18. Aufl. § 321 I 3; s. auch § 346 VI 3b) berufen. Beide Erläuterungsbücher halten übereinstimmend die Vorschriften des § 321 ZPO für entsprechend anwendbar, wenn das Oberlandesgericht entgegen seiner Pflicht sich über die Zulassung der Revision nicht schlüssig geworden ist (vgl. § 546 Abs. 1 und 2 ZPO). Zur Begründung beziehen sie sich im wesentlichen auf die „neuere Rechtsauffassung” und auf praktische Erwägungen. Praglos sind die Verfahrensgesetze kein Selbstzweck, sondern sollen auch zweckmäßig sein. Dieser Gesichtspunkt allein kann aber nicht ausreichen, wenn versucht werden soll, eine gesicherte, jahrzehntealte Rechtsprechung höchster Gerichte zu durchbrechen. Im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts mußte erwartet werden, daß seine Gründe eingehend widerlegt wurden. Etwas derartiges lassen sowohl Rosenberg als auch Stein/Jonas vermissen. Hingegen hat in jüngster Zeit der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 2. Februar 1966 (BGHZ 44, 395 ff) sich eingehend damit auseinandergesetzt, ob ein Oberlandesgericht eine unterbliebene Zulassung der Revision durch Ergänzungsurteil nachholen kann. Er hat dies verneint. Dabei hat der BGH sich mit der alten Rechtsprechung des Reichsgerichts eingehend auseinandergesetzt. Er hat nachgewiesen, daß sie in einigen Funkten überholt ist, trotzdem hat er sie im Ergebnis aufrechterhalten. Seine Erwägungen sind auch für das Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit durchschlagend. Neben dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sind in erster Linie Erwägungen der Rechtssicherheit dafür maßgebend, daß die Zulassung eines Rechtsmittels nicht durch Ergänzungsurteil nachgeholt werden kann. Der Senat folgt den Ausführungen des BGH und macht sie sich zu eigen. Sie gehen davon aus, daß die Parteien auf Grund des Beschwerdewerts in der Regel mit Sicherheit ermessen können, ob sie mit der Möglichkeit einer Anfechtung rechnen müssen oder nicht. Sie lauten dann weiter auszugsweise:
„An die Stelle der Gewißheit träten jedoch Unsicherheit und eine nicht tragbare Störung des Rechtsfriedens, wenn die nachträgliche Revisionszulassung im Wege der Ergänzung nach § 321 ZPO, die unter Umständen noch nach Jahren möglich wäre 9 für statthaft erachtet würde. Mit Recht hat daher schon der III. ZS (BGHZ 22, 188) zu der Frage, ob die Berichtigung eines Berufungsurteils nach § 319 ZPO zulässig sei, ausgeführt, es habe guten Sinn, daß das Gesetz den Rechtsmittelweg nur eröffnen wolle, falls das Berufungsgericht die Zulassung der Revision bei Beratung und Entscheidung der Sache selbst für angebracht finde, eine nachträgliche Aufrollung dieser Frage jedoch nicht zulasse.
Gegen diese Auffassung läßt sich auch nicht einwenden, sie benachteilige den Revisionskläger in unbilliger Weise, wenn das Berufungsurteil tatsächlich von einer Entscheidung des BGH abweicht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BGH und ist auch, soweit ersichtlich, im Schrifttum einhellig anerkennt, daß die Entscheidung des” Berufungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision auch dann nicht der Nachprüfung unterliegt, wenn sie auf Rechtsirrtum beruht. Daß die Nichtzulassung sich im Einzelfalle unbillig zum Nachteil einer Partei auswirkt, ist somit grundsätzlich nicht ausgeschlossen und muß in Kauf genommen werden.”
Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit muß im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit in gleicher Weise entscheidend sein. Hinzu kommt, daß nach § 140 Abs. 1 Satz 2 SGG die Ergänzung des Urteils innerhalb eines Monats nach Zustellung beantragt werden muß, während nach § 321 Abs. 2 ZPO die Frist eine Woche beträgt. Infolgedessen erfährt die Partei im Zivilprozeß noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist, ob eine Ergänzung des Urteils betrieben wird und ob sie sich darauf einrichten muß, ein an sich abgeschlossenes Verfahren je nach Ausfall des Ergänzungsurteils noch einmal aufgerollt zu sehen. In der Sozialgerichtsbarkeit erfährt sie dies erst nach Ablauf der allgemeinen Rechtsmittelfrist. Die Rechtssicherheit gebietet es hier im Hinblick auf die andere gesetzliche Regelung in noch höherem Maße als in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die nachträgliche Ergänzung des Urteils hinsichtlich der Zulassung eines Rechtsmittels unter der entsprechenden Anwendung des § 140 Abs. 1 SGG nicht zuzulassen. Gerade das vorliegende Verfahren, das sich so sehr lange hingezogen hat, läßt dies besonders klar erkennen. Es wäre mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nicht vereinbar, wenn die nachträgliche Ergänzung des sozialgerichtlichen Urteils vom 21. Oktober 1959 hinsichtlich der Zulassung der Berufung möglich wäre, obwohl inzwischen nahezu sieben Jahre verstrichen sind.
Das Berufungsgericht hat also zu Recht entschieden, daß das Urteil des SG vom 21. Oktober 1959 nicht gemäß § 140 SGG hinsichtlich der Zulassung der Berufung hat ergänzt werden können. Der Beklagte hat noch versucht, seine Berufung gegen das Urteil vom 21. Oktober 1959 dadurch zulässig zu machen, daß er einen wesentlichen Mangel im Verfahren vor dem SG rügt. Er verkennt offenbar nicht, daß er diese Rüge bereits vor dem Berufungsgericht hätte erheben müssen, um seine Berufung statthaft zu machen, während dieses Vorbringen ihm im Revisionsverfahren nicht helfen kann. Seine Rüge ist in der Berufungsinstanz – wie der Kläger zutreffend ausgeführt hat – weder in einem Schriftsatz enthalten noch in die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem LSG am 18. Februar 1965 aufgenommen worden. Da es sich insoweit um eine wesentliche Erklärung eines Beteiligten handelt, hätte sie aufgenommen werden müssen, falls sie zu diesem letztmöglichen Zeitpunkt erhoben worden wäre. Der Beklagte hat, nachdem ihn der Kläger hierauf hingewiesen hatte, keine Ausführungen gegen die Richtigkeit des Protokolls gemacht, vor allem nicht beantragt, das Protokoll zu ergänzen. Infolgedessen ist seine Rüge nicht rechtzeitig erhoben. Sein jetziges Vorbringen ist eine ausgesprochene Prozeßbehauptung und kann seine Berufung nicht mehr statthaft machen. Auch von Amts wegen hat das Revisionsgericht nicht zu beachten, daß in dem Vordruck über die Sitzungsniederschrift des SG vom 21. Oktober 1959 die Worte: „Die Beteiligten verhandelten zur Sache” durchgestrichen worden sind. Abgesehen davon, daß es sich insoweit offenbar um ein Versehen oder eine Flüchtigkeit des Protokollanten gehandelt hat, braucht das Protokoll nicht zu enthalten, daß die Parteien streitig verhandelt hätten, wie oben bereits zu der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vom 18. Februar 1965 ausgeführt ist.
Infolgedessen ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß das Urteil des SG. vom 21. Oktober 1959 weder wegen eines wesentlichen Mangels des Verfahrens der Berufung unterlegen hat noch die Zulassung durch Ergänzungsurteil hat ausgesprochen werden dürfen.
Dem LSG kann in seiner Auffassung über die Bescheide des Beklagten vom 10. Oktober und 7. Dezember 1960 nicht gefolgt werden. Schon der zeitliche Ablauf weist hinreichend darauf hin, daß die beiden Bescheide nicht als eine rechtliche Einheit, nicht als ein Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG angesehen werden können. Die Verwaltung hat insoweit gerügt, der Bescheid vom 10. Oktober 1960 gründe sich auf die Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts. Ob diese Auffassung im Hinblick auf die Sonderregelung im § 41 VerwVG zutreffen kann, muß hier unerörtert bleiben. Denn der Bescheid vom 10. Oktober 1960 hat den ursprünglich angefochtenen Bescheid weder abgeändert noch ersetzt. Infolgedessen ist er nach § 96 SGG nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits geworden. Dies hat das LSG bei isolierter Betrachtung des Bescheids vom 10. Oktober 1960 auch angenommen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Widerspruch erhoben. Über ihn muß noch in dem hierfür vorgesehenen Verfahren entschieden werden. Infolgedessen durfte das LSG den Bescheid nicht aufheben, sondern mußte ihn unberührt lassen, damit das Widerspruchsverfahren durchgeführt werden konnte.
Ist der Bescheid vom 10. Oktober 1960 aber nicht bindend geworden, so kann der weitere Bescheid vom 7. Dezember 1960 nicht wirksam auf ihn gestützt werden. Aus diesem Grunde ist er rechtswidrig, so daß im Ergebnis das LSG ihn zu Recht aufgehoben hat.
Mithin war die Revision des Beklagten – wie geschehen – mit der Maßgabe hinsichtlich des Bescheids vom 10. Oktober 1960 zurück zuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Unterschriften
Stengel, Dr. Schwankhart, Petersen
Fundstellen
BSGE, 202 |
NJW 1967, 597 |
MDR 1967, 344 |
DVBl. 1967, 551 |