Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegezulage. häusliche Pflege. Anstaltspflege. angemessene Erhöhung
Leitsatz (amtlich)
Die Pflegezulage kann nur dann angemessen erhöht werden, wenn Wartung und Pflege im häuslichen Bereich durchgeführt werden.
Orientierungssatz
1. Eine Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs 1 S 5 BVG kommt nicht in Betracht, wenn sich der Beschädigte in nicht nur vorübergehender Anstaltspflege befindet; dann legt § 35 Abs 2 BVG die Obergrenze der in Betracht kommenden Ansprüche fest.
2. Die Verwaltung kann auch im Ermessenswege nicht zu einer höheren Gesamtleistung als derjenigen nach § 35 Abs 2 BVG verpflichtet sein, wenn ein Beschädigter Anstaltspflege (dauernd) in Anspruch nimmt.
Normenkette
BVG § 35 Abs 1 S 5; BVG § 35 Abs 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 21.09.1987; Aktenzeichen L 2a V 101/86) |
SG Schleswig (Entscheidung vom 26.08.1986; Aktenzeichen S 5 V 92/85) |
Tatbestand
Die 1925 geborene Klägerin erhält wegen eines Impfschadens seit 1948 Versorgung. Seit dem Tod ihrer Mutter 1972 ist sie in einem Pflegeheim untergebracht. Sie begehrt erhöhte Pflegezulage nach § 35 Abs 1 Satz 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anstelle der seit 1. September 1984 vom Beklagten unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge übernommenen Kosten der Anstaltspflege gemäß § 35 Abs 2 BVG.
Nach ihrer Heimunterbringung war die Klägerin zunächst Selbstzahlerin. Sie bestritt die Heimkosten in Höhe von knapp 2.000,-- DM aus Grundrente, Ausgleichsrente, Schwerbehindertenzulage und Berufsschadensausgleich sowie der Pflegezulage nach Stufe 4 (Zahlbetrag im August 1984 insgesamt 3.329,-- DM). Durch eine Umorganisation des Pflegeheims erhöhten sich ab 1. September 1987 die Heimkosten auf monatlich über 3.000,-- DM (tägliche Kosten von 100,80 DM, aufgeteilt auf Unterbringung: 34,12 DM, Verpflegung: 10,87 DM, Pflegeleistung: 55,81 DM). Ab diesem Zeitpunkt übernahm der Beklagte die Heimkosten in voller Höhe und zahlte der Klägerin einen Barbetrag in Höhe der Grundrente aus. Die Klägerin will weiterhin Selbstzahlerin bleiben und begehrt, ihr Grundrente, Ausgleichsrente, Schwerbehindertenzulage und Berufsschadensausgleich in voller Höhe zu belassen und den Beklagten zu verurteilen, die Pflegezulage auf die nachgewiesenen Kosten für Pflege im Pflegeheim (zunächst täglich 55,81 DM) anzuheben. In erster Instanz ist die Klage abgewiesen worden. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, die Klägerin unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu bescheiden. Es führt aus, die Klägerin habe nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG einen Anspruch auf Erhöhung der Pflegezulage im Rahmen einer Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen. Zwischen Pflegeaufwand und Pflegezulage bestehe eine Deckungslücke. Wenn die Pflegeleistung - wie hier - von der Anstalt getrennt ausgewiesen werde, könne eine entsprechende Ermessensentscheidung erfolgen. Der Zweck des § 35 BVG gehe dahin, dem Beschädigten die für die Pflege notwendigen Mittel unabhängig von seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zur Verfügung zu stellen.
Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt, § 35 Abs 1 BVG sei rechtsfehlerhaft angewandt, weil er nur individuelle Pflege, nicht aber die Pflege in einem Heim betreffe. Wenn man mit dem LSG die Vorschrift auch bei Heimunterbringung anwende, müßte die angemessene Erhöhung dort ihre Grenze finden, wo der Gesamtaufwand nach Abs 1 denjenigen nach Abs 2 überschreite.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist nicht vertreten. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Entscheidung nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG in der seit dem 1. Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) geltenden Fassung, der eine angemessene Erhöhung der nach den Sätzen 1 bis 4 pauschal festgesetzten Pflegezulage zuläßt, wenn die Aufwendungen für fremde Wartung und Pflege die Pauschsätze übersteigen. Der Senat hat bereits entschieden, daß insoweit nur konkrete Aufwendungen finanzieller Art die Erhöhung rechtfertigen können (BSG SozR 3100 § 35 Nr 14). Ob solche Aufwendungen dadurch nachgewiesen sind, daß die Heimverwaltung der Klägerin seit 1. September 1984 täglich 55,81 DM (seitdem ansteigend) für Pflege in Rechnung stellt, kann unentschieden bleiben. Denn eine Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG kommt nicht in Betracht, wenn sich der Beschädigte - wie hier - tatsächlich in nicht nur vorübergehender Anstaltspflege befindet; dann legt § 35 Abs 2 BVG die Obergrenze der in Betracht kommenden Ansprüche fest.
Grundsätzlich deckt die Pflegezulage nach § 35 Abs 1 BVG in pauschalierter Form den Mehraufwand für Pflege ab. Die Vorschrift ergänzt die übrigen Rentenleistungen und ermöglicht es dem hilflosen Beschädigten, weitgehend seine persönliche Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu erhalten. Neben dem Unterhalt durch pflegende Familienmitglieder kann sich der Beschädigte die notwendige Pflege gegen Entgelt beschaffen. Ob der Gesetzgeber mit den Pauschbeträgen den Bedarf realistisch einschätzt, braucht schon deshalb nicht geprüft zu werden, weil mit Satz 5 die angemessene Erhöhung der Pauschbeträge bei nachgewiesenem Mehraufwand möglich ist. Ein außergewöhnlich hoher nachgewiesener und notwendiger Pflegeaufwand wird also einen hilflosen Beschädigten grundsätzlich nicht dazu zwingen, sich in Anstaltspflege zu begeben.
Falls aber ein Beschädigter dauernder Pflege bedarf und - aus welchen Gründen auch immer - diese Pflege im häuslichen Bereich nicht oder nicht mehr erhält, wird die Anstaltspflege nach § 35 Abs 2 BVG zu angemessenen Bedingungen finanziert. Auch der Entschluß eines Beschädigten, statt individueller Versorgung die Anstaltsversorgung in Anspruch zu nehmen, scheitert nicht an den Kosten. Der Gesetzgeber hat berücksichtigt, daß die erfahrungsgemäß hohen Kosten bei Anstaltspflege nicht allein durch die Höhe des Pflegeaufwands, sondern - wie bei jeder Heimunterbringung - maßgeblich durch die erhöhten Lebenshaltungskosten bestimmt werden. Selbst wenn die Pflegezulage ausreichen sollte, den nachgewiesenen Anstaltspflegeaufwand abzudecken, könnten die sonstigen Heimkosten solche Beträge erreichen, daß die übrigen Versorgungsbezüge vollständig aufgezehrt werden oder jedenfalls nicht mehr ausreichen, etwaige Familienangehörige zu unterhalten. Ein solches Ergebnis vermeidet die gesetzliche Regelung in § 35 Abs 2 BVG, die dem Beschädigten selbst einen unantastbaren Betrag in Höhe der Grundrente beläßt und daneben Familienangehörige wie Hinterbliebene versorgt. Die Grundrente verbleibt dem Beschädigten allein zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse (vgl zuletzt noch Urteil des Senats in BSG SozR 3100 § 35 Nr 18). Das Gesetz erkennt die bedrängte Lage der schwerbeschädigten und hilflosen Personen dadurch an, daß ihnen unterschiedslos für persönliche Bedürfnisse ein relativ hoher Geldbetrag verbleibt. Gerade weil es tatsächlich äußerst schwierig sein dürfte, zuverlässig die Unterbringungs-, Verpflegungs-, Wäsche- und Pflegekosten exakt zu ermitteln, ist diese pauschalierende Betrachtung angemessen. Es ist nicht im Einzelfall zu prüfen, von welchen einzelnen Rechnungsposten der sich im Pflegesatz ausdrückende Mehraufwand bei Anstaltsunterbringung abhängig ist. Die pauschale gesetzliche Regelung wird der Gesamtsituation des Beschädigten gerecht, der in der Anstalt eine Gesamtleistung erhält. Diese Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen Situation des Beschädigten und seiner Familie ist aber § 35 Abs 1 BVG fremd. Die Pflegekosten können nach dieser Vorschrift angemessen erhöht werden, ohne daß zugleich sichergestellt wäre, daß nach Begleichung des gesamten Lebensaufwands aus den sonstigen Versorgungsbezügen noch ein Freibetrag in Höhe der Grundrente erhalten bliebe. Ob es dem individuell gepflegten Beschädigten gelingt, seine Lebensumstände so zu gestalten, daß er nicht nur angemessene Pflege, sondern auch ein angemessenes Taschengeld erhält, findet gesetzlich keine Berücksichtigung.
Das Gesetz wird somit zwei sehr unterschiedlichen Lebenssituationen gerecht. Es überläßt dem Beschädigten die eigenverantwortliche Lebensgestaltung und eröffnet entweder im Ermessenswege den angemessenen Ausgleich besonders teurer häuslicher Pflegeleistungen oder begleicht pauschalierend den erhöhten Gesamtaufwand bei Anstaltspflege. Hat sich der Beschädigte für die Anstaltspflege entschieden, kann er die Verwaltung nicht zwingen, mehr zu zahlen, als in § 35 Abs 2 BVG vorgesehen ist. Wenn er Selbstzahler bleiben will, muß er sich mit den regelmäßigen Versorgungsbezügen begnügen. Eine Erhöhung nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG widerspräche Sinn und System der Absätze 1 und 2 des § 35 BVG.
Die unterschiedliche Behandlung unterschiedlicher Situationen wird auch in § 35 Abs 3 BVG deutlich: Hier wird die Zahlung der Pflegezulage geregelt, wenn der häuslich gepflegte Beschädigte sich in Krankenhaus- oder Heilstättenbehandlung oder zu einer Badekur begibt. Obwohl in diesen Fällen die häusliche Pflege nur unterbrochen wird, versagt das Gesetz die Weiterzahlung der Pflegezulage ausdrücklich, aber nur dann, wenn die Unterbrechung länger als einen Monat dauert. Versagt wird damit auch die Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG. Allerdings mag es Fälle geben, in denen die Weiterzahlung geboten ist, um die Fortführung der Pflege nach der Unterbrechung sicherzustellen (vgl Rundschr. des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung -BMA- vom 11. Juli 1972 BVBl 1972, 71). Bei dauernder Anstaltspflege, wie hier, sind solche Fälle nicht denkbar. Hier kann nur umgekehrt fraglich werden, welche Ansprüche bestehen, wenn die dauernde Anstaltspflege durch eine kurzfristige häusliche Pflege, etwa in den Ferien, unterbrochen wird (vgl dazu ebenfalls BSG SozR 3100 § 35 Nr 18).
Der Senat hatte im vorliegenden Fall nicht darüber zu entscheiden, ob ein Beschädigter bei teurer häuslicher Pflege auf die kostengünstigere Anstaltsunterbringung nach § 35 Abs 2 BVG verwiesen werden könnte, wenn er eine entsprechende Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG begehrt. Nimmt jedoch ein Beschädigter Anstaltspflege in Anspruch, kann die Verwaltung auch im Ermessenswege nicht zu einer höheren Gesamtleistung als derjenigen nach § 35 Abs 2 BVG verpflichtet werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen