Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 24.04.1986) |
Tenor
Die Revision des Klägers und die Anschlußrevision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. April 1986 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Beklagte nimmt den Kläger als einen von drei Nacherben nach der 1975 verstorbenen Erblasserin, seiner Tante W. B. (W. B.), und dem 1978 verstorbenen Vorerben, deren Ehemann F. B. (F. B.), wegen überzahlter Elternrente in Höhe von 19.121,– DM in Anspruch.
W. und F. B. bezogen seit 1962 Elternpaarrente nach ihrem im Kriege gefallenen einzigen Sohn. In den Fragebögen, in denen für die Berechnung der Elternrente nach sonstigen Einnahmen gefragt wurde, hatten sie Einnahmen aus einer seit dem Jahre 1967 erfolgten Vermietung eines Grundstücks nicht angegeben. F. B. teilte sie erst nach dem Tode seiner Frau mit. Durch Bescheid vom 14. Februar 1978 berichtigte das Versorgungsamt die Elternpaarrente für die Zeit von Oktober 1968 bis März 1975 und forderte die Überzahlung von F. B. mit der Begründung zurück, nach dem Tode seiner Ehefrau hafte er als Gesamtschuldner in voller Höhe. F. B. erklärte sich zur Rückzahlung in Raten bereit, verstarb jedoch danach. Der Beklagte, der einen Erben nach F. B. nicht ermitteln konnte und von der Dürftigkeit des Nachlasses ausging, forderte sodann mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. Mai 1980 die drei Nacherben nach W. B. zur Rückzahlung auf, weil es sich um eine Nachlaßverbindlichkeit handele. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 1980).
Der Klage hat das Sozialgericht (SG) wegen Forderungsverjährung stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 24. April 1986 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen mit der Maßgabe, daß dem Kläger die beschränkte Erbenhaftung vorbehalten bleibe: Das Ehepaar B. habe von Oktober 1968 bis März 1975 die Elternpaarrente zu Unrecht bezogen. Die Rückzahlung hätten sie als Gesamtschuldner geschuldet. Nach dem Tode von W. B. und dem Eintritt des Nacherbfalls sei die Rückzahlungsverpflichtung als Nachlaßverbindlichkeit auf die Nacherben übergegangen. Der Anspruch sei nicht verjährt, weil eine Verjährungsfrist von 30 Jahren gelte.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision: Die Elternpaarrente sei nicht zu Unrecht gezahlt worden, weil die zugrundeliegenden Leistungsbescheide nicht aufgehoben worden seien. Der Bescheid, der gegenüber F. B. ergangen sei, sei nicht bestandskräftig geworden. Im übrigen sei dieser Bescheid an F. B. nur in seiner Eigenschaft als einer von zwei Gesamtschuldnern, nicht aber (auch) als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau ergangen. Der an den Kläger gerichtete Bescheid vom 7. Mai 1980 beschränke sich auf die bloße Rückforderung, ohne eine Aufhebung der zugrundeliegenden Leistungsbescheide auszusprechen. Ein Rückerstattungsanspruch gegen W. B. sei auch deshalb nicht in Betracht gekommen, weil sie nicht wissentlich unwahre Angaben gemacht habe. Ferner rügt der Kläger, daß das LSG seine gesamtschuldnerische Haftung bejaht habe, ohne daß er die Möglichkeit habe, den anderen Elternteil als Empfänger der Elternpaarrente in Regreß zu nehmen. Schließlich habe das LSG zu Unrecht eine 30jährige Verjährungsfrist angenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 24. April 1986 zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Frankfurt vom 17. November 1981 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen und im Wege der Anschlußrevision das Urteil des Hessischen LSG dahingehend abzuändern, daß das Urteil des SG in vollem Umfang aufgehoben wird.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und lediglich den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung für nicht mehr möglich.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Die von dem LSG als grundsätzlich angesehene Frage der Verjährung stellt sich hier allerdings nicht mehr; der Rückforderungsanspruch des Beklagten ist nicht verjährt, weil er durch den bindenden Bescheid vom 14. Februar 1978 festgestellt worden ist. Diesen Bescheid muß der Kläger als Nacherbe gegen sich gelten lassen. Der angefochtene Bescheid vom 7. Mai 1980 stellt zu Recht fest, daß der Kläger nunmehr neben den beiden anderen Nacherben anstelle von F. B. zur Rückzahlung des festgesetzten Betrages verpflichtet ist.
Bei Erlaß des Bescheides vom 14. Februar 1978 an den Vorerben F. B. ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, daß ein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid wegen zu Unrecht gewährter Leistungen nach dem Tode des Empfängers auch gegen seinen Erben erlassen werden kann, weil dieser grundsätzlich in die öffentlich-rechtliche Rechtsstellung des Erblassers entsprechend den §§ 1922, 1967 BGB einrückt (BSGE 23, 7, 9; 24, 190; Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl 1986, S 252; BVerwGE 15, 243). Eine ausdrückliche Vorschrift wie etwa in § 45 Abgabenordnung (AO), wonach bei Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger übergehen, fehlt zwar im Sozialrecht. Insbesondere aus den Vorschriften über die Sonderrechtsnachfolge der §§ 56 ff SGB I ergibt sich aber, daß sich die Haftung des Erben im übrigen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts richtet. Das gilt jedenfalls, soweit es sich nicht um höchstpersönliche Verhältnisse oder Umstände handelt, die unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verbunden sind. Das ist bei einer Rückforderung wegen überzahlter Elternrente nicht der Fall.
Weil der Erbe in vollem Umfange in die Rechtsstellung des Erblassers einrückt, kann die Rückforderung auch durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden. Liegt den Leistungen allerdings ein bindender Bescheid zugrunde, so muß zunächst dieser aufgehoben werden, bevor die Rückzahlung der zu Unrecht gewährten Leistungen verlangt werden kann (BSGE 23, 47, 49 = SozR VerwVG Nr. 16 zu § 47; ferner Nr. 18 zu § 47). Das ist hier durch den Bescheid vom 14. Februar 1978 geschehen, in dem der Beklagte die in der Zeit von 1968 bis 1976 ergangenen Neufestellungsbescheide gemäß § 41 KOVVfG berichtigt hat.
Der Bescheid, der an den überlebenden Ehegatten F. B. gerichtet war, betraf diesen nicht etwa nur – wie der Kläger meint – in seiner Stellung als einer von zwei Elternteilen, die zu Unrecht Elternpaarrente bezogen haben, sondern auch in seiner Rechtsstellung als Vorerbe nach seiner verstorbenen Ehefrau. Das geht allerdings aus den Gründen dieses Bescheides nicht eindeutig hervor. Dafür spricht aber entscheidend, daß die Aufhebung der bewilligten Elternpaarrente ebenso nur durch einen einheitlichen Verwaltungsakt erfolgen konnte (§ 41 Abs. 1 KOVVfG; nunmehr durch § 45 SGB X ersetzt) wie die Bewilligung selbst. Die Bewilligung ist eine unteilbare Leistung, die an ein Elternpaar gemeinschaftlich erbracht wird, allerdings nicht als Gesamtgläubiger iS des § 428 BGB – wie es in dem Bescheid vom 14. Februar 1978 zum Ausdruck kommt –, sondern als sogen Mitgläubiger iS des § 432 BGB. Wird zu Unrecht bewilligt, so kann die Bewilligung nur insgesamt zurückgenommen werden. Der Aufhebungsbescheid ist deshalb notwendig an beide Ehegatten zu richten, nach dem Tode eines oder beider Ehegatten an ihren jeweiligen Rechtsnachfolger. Im Zweifel ist davon auszugehen, daß die Verwaltung keinen Verwaltungsakt erlassen will, der auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet ist. Das gilt jedenfalls im Rahmen einer mit der Wortfassung und der Begründungspflicht (vgl nunmehr § 35 SGB X) zu vereinbarenden Auslegung. Die Verwaltung muß zwar die für sie wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Gründe angeben. Die Gründe brauchen aber nicht erschöpfend zu sein (vgl BSGE 17, 79, 83). Es schadet deshalb nicht, wenn der Bescheid vom 14. Februar 1978 nicht die Haftung von F. B. als Vorerbe näher begründet und lediglich von einer gesamtschuldnerischen Haftung nach dem Tode seiner Ehefrau spricht. Anlaß und Zielrichtung des Bescheides waren für den Empfänger jedenfalls deutlich. Bei verständiger Auslegung des Bescheides vom 14. Februar 1978 kann es keinem Zweifel unterliegen, daß F. B. zugleich als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau in Anspruch genommen worden ist. F. B. hat den Bescheid auch tatsächlich so verstanden. Denn er hat sich bereit erklärt, eine Sicherungshypothek auf einem Grundstück eintragen zu lassen, das ihm als Vorerbe zustand.
In diese Rechtsstellung sind nach Eintritt des Nacherbfalles die Nacherben und damit auch der Kläger eingerückt (§ 2139 BGB). Als solcher muß er auch die Bindungswirkung des Bescheides vom 14. Februar 1978 gegen sich gelten lassen. Dabei kann dahinstehen, ob der Bescheid schon dadurch bindend geworden ist, daß F. B. die Rückzahlungspflicht anerkannt hat. Die Bindung ist jedenfalls durch Ablauf der Rechtsbehelfsfrist eingetreten (§ 77 Sozialgerichtsgesetz –SGG–). Der Nacherbfall hat die noch laufende Frist nicht unterbrochen. Selbst wenn die zivilprozessualen Vorschriften über die Unterbrechung von Verfahren (§§ 239 ff Zivilprozeßordnung –ZPO–, hier insbesondere § 242) auf das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung grundsätzlich anwendbar wären, wäre eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eingetreten, weil F. B. durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 246 ZPO). Sowohl im Zivilprozeß (§ 86 ZPO) als auch nach § 10 Abs. 4 KOVVfG, der insoweit auf die zivilprozessualen Vorschriften verweist, erlischt die Vollmacht nicht durch den Tod des Auftraggebers. Der Bevollmächtigte vertritt vielmehr statt dessen den Rechtsnachfolger. Das gilt auch für den Nacherben, obwohl dieser nicht Rechtsnachfolger des Vorerben, sondern des Erblassers ist, dann, wenn die Vollmacht im Rahmen einer ordnungsgemäßen Nachlaßverwaltung erteilt wird (in zivilrechtlicher Hinsicht unbestrittene Auffassung; vgl Grunsky, in: Münchener Kommentar, § 2139 RdNr. 5; Johannsen, in: RGRK § 2112 RdNr. 9; Soergel-Knopp, § 2112 RdNr. 12; offengelassen von KG HRR 1928 Nr. 130). Der Auftrag von F. B. an seinen Bevollmächtigten, ihn in der Rückforderungsangelegenheit zu vertreten, lag aber zugleich auch im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Pflichten als Vorerbe, der bis zum Eintritt des Nacherbfalls für die Erfüllung der Nachlaßverbindlichkeiten zu sorgen hat (RGZ 90, 91, 96).
Bindend geworden ist damit aber nicht nur die Aufhebung der rechtswidrigen Bewilligungsbescheide; auch die Rückerstattungspflicht des F. B. ist bindend festgestellt worden, und zwar aus allen in Betracht kommenden rechtlichen Gründen. Zwar kann die Rückzahlung nach der nur einheitlich möglichen Aufhebung der Bewilligung von jedem Empfänger der Elternrente auch getrennt verlangt werden, und es war auch nicht rechtlich ausgeschlossen, daß der Beklagte F. B. nur in Anspruch nahm, soweit er selbst Empfänger der Leistung und nicht auch Rechtsnachfolger seiner Ehefrau gewesen ist. Aber es bestand für den Beklagten keine Veranlassung, eine solche rechtliche Differenzierung vorzunehmen. Auch der Bescheidinhalt bietet keinen Anhaltspunkt, um zwischen dem Umfang der Aufhebung und der Rückforderung zu unterscheiden.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Beklagte den Kläger zu Recht anstelle des Vorerben als einen von drei Nacherben auf Rückzahlung der gesamten Schuld in Anspruch genommen. Die zunächst allein bestehende Haftung des Vorerben hat sich mit Eintritt des Nacherbfalls – weil auf eine im Rechtssinne unteilbare Leistung bezogen – wieder in die ursprüngliche, durch die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung bedingte, gesamtschuldnerische Haftung der Ehegatten gemäß § 431 BGB aufgeteilt, die nunmehr die jeweiligen Rechtsnachfolger trifft. Von den Nacherben haftet gemäß § 2058 BGB wiederum auch jeder einzelne als Gesamtschuldner. Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, daß er wegen Dürftigkeit des Nachlasses des F. B. keine Möglichkeit habe, Rückgriff nach § 426 BGB zu nehmen. Denn diese Rückgriffsmöglichkeit ist nicht die Voraussetzung, sondern allenfalls die Folge der in erster Linie im Gläubigerinteresse angeordneten gesamtschuldnerischen Haftung; wie sich aus § 426 Abs. 1 Satz 2 BGB ergibt, ist der Ausfall eines Gesamtschuldners von den übrigen Schuldnern zu tragen. Es handelt sich nicht um einen Fall eines durch die Freistellung eines Gesamtschuldners von vornherein gestörten Gesamtschuldverhältnisses, für den etwas anderes gelten mag (vgl dazu Palandt-Heinrichs, BGB, 47. Aufl, § 426 Anm 5).
Die Anschlußrevision ist zurückzuweisen, weil das LSG dem Kläger zu Recht eine Beschränkung seiner Erbenhaftung vorbehalten hat. Gemäß § 2144 BGB kann der Nacherbe eine Haftungsbeschränkung in gleichem Maße wie ein Erbe geltend machen. Der Beklagte konnte das in seinem Leistungsbescheid gegenüber dem Kläger zwar noch nicht berücksichtigen. Der Kläger hat die Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlaß aber noch in der Tatsacheninstanz geltend gemacht. § 780 ZPO gilt in diesem Falle entsprechend (BSG vom 3. September 1966 – 9 RV 338/65 –). Wenn der Beklagte die Zwangsvollstreckung gemäß § 66 Abs. 4 SGB X in entsprechender Anwendung der ZPO durchführen würde, wäre der Kläger möglicherweise gehindert, gemäß § 785 ZPO Vollstreckungsabwehrklage zu erheben, weil er den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung nicht geltend gemacht hat. Die Gefahr, daß dem Kläger die Einrede im zivilprozessualen Vollstreckungsverfahren abgeschnitten wird, begründet für den Vorbehalt das Rechtsschutzinteresse. Damit weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ab, wonach § 780 ZPO nicht für die eigenständig geregelte Vollstreckung nach der Abgabenordnung gilt (BFHE 1981, 494).
Mit dem Vorbehalt ist noch nicht entschieden, ob der Kläger die Einrede der beschränkten Erbenhaftung mit Erfolg erhebt (RGZ 77, 245). Daß er sie bereits durch Fristversäumnis verloren haben könnte, ist bislang nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen