Leitsatz (amtlich)
1. Als Prozeßbevollmächtigte vor dem Bundessozialgericht sind nach SGG § 166 Abs 2 auch Angestellte eines Zusammenschlusses von Arbeitgebervereinigungen zugelassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sind.
2. Beiträge zur Sozialversicherung gehören nicht zu den Leistungen im Sinne des SGG § 144 Abs 1; Beitragsstreitigkeiten sind daher, soweit nicht SGG § 149 S 2 Platz greift, nach SGG § 143 berufungsfähig.
3. Die Vorschrift des RVO § 1399 Abs 3 nF über die Parteistellung der Krankenkasse in Beitragsstreitigkeiten gilt auch in Fällen, in denen die Klage schon vor dem 1957-01-01 erhoben, der Rechtsstreit aber nach dem 1957-01-01 noch anhängig war; die Krankenkasse ist daher in Beitragsstreitigkeiten jedenfalls vom 1957-01-01 an die richtige Beklagte, auch soweit der angefochtene Verwaltungsakt Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung betrifft.
4. Die Bestimmung des RFM/RAM-Erl 1944-09-10 (AN 1944, 281), wonach die Beiträge zur Sozialversicherung "grundsätzlich" von dem für die Lohnsteuer maßgebenden Betrag zu berechnen sind, ist geltendes Recht. Die Beiträge zur Sozialversicherung sind demnach von dem für die Lohnsteuer maßgebenden Betrag zu berechnen, soweit nicht Ausnahmen rechtssatzmäßig vorgeschrieben sind. Entschädigungen, die bei fortdauerndem Beschäftigungsverhältnis zur Abgeltung von nicht in Anspruch genommenem Erholungsurlaub gezahlt werden (Urlaubsabgeltungen), unterliegen daher der Beitragspflicht zur Sozialversicherung.
Normenkette
SGG § 143 Fassung: 1953-09-03, § 144 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 160 Fassung: 1957-02-23, § 1399 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; SGG § 149 S. 2 Fassung: 1953-09-03, § 166 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; RFM/RAMErl 1944-09-10; LAV 2 § 19 Fassung: 1942-04-24
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das am 6. Oktober 1955 verkündete Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Anläßlich einer Betriebsprüfung bei der klagenden Firma stellte die beklagte Krankenkasse fest, daß von bestimmten Beträgen, die die Klägerin im Jahre 1952 an mehrere bei ihr beschäftigte Arbeitnehmer - die Beigeladenen zu 1) bis 7) - als Entschädigung für nicht in Anspruch genommenen Erholungsurlaub gezahlt hatte, keine Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt worden waren. Die Beklagte forderte daher durch Bescheid vom 20. September 1953 die Nachzahlung der ihrer Ansicht nach geschuldeten Beiträge in Höhe von insgesamt 80,72 DM. Die Klägerin, die die gezahlten Urlaubsabgeltungen nicht als beitragspflichtiges Entgelt im Sinne des § 160 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ansah und deshalb die Beitragsnachforderung nicht für begründet hielt, rief das zuständige Versicherungsamt an, das die Sache nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gemäß § 215 Abs. 2 SGG an das Sozialgericht (SG.) Düsseldorf abgab. Das SG. wies die Klage durch Urteil vom 23. Juni 1954 ab: Nach dem - insoweit noch in Kraft befindlichen - Gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN. 1944, S. 281) seien die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem für die Lohnsteuer maßgebenden Betrag zu berechnen; da Urlaubsabgeltungen unbestritten der Lohnsteuerpflicht unterlägen, seien für sie auch Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten. Die gegen dieses Urteil beim Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen eingelegte Berufung blieb erfolglos (Urteil vom 22.9.1955, verkündet am 6.10.1955); auch nach Auffassung des LSG. ist die in dem genannten Erlaß angeordnete Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge nach dem lohnsteuerpflichtigen Arbeitseinkommen weiterhin geltendes Recht, woraus sich zwingend die Beitragspflicht von Urlaubsabgeltungen ergebe. Im übrigen seien Urlaubsabgeltungen - entgegen der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts (RVA.) - auch als Entgelt im Sinne des § 160 RVO anzusehen, da sie nicht nur auf Grund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, sondern als Gegenwert für die geleistete Arbeit gewährt würden.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin - vertreten durch Dr. G von der Landesvereinigung der industriellen Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalens e. V. - in erster Linie die unrichtige Auslegung des Entgeltbegriffs (§ 160 RVO). Nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen, von denen bei der Bestimmung dieses Begriffs auszugehen sei, stelle ein zur Abgeltung des Urlaubs gezahlter Betrag - ebenso wie der Urlaub selbst - keinen Gegenwert für früher geleistete Arbeit dar, sondern sei allein als Ausfluß der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer anzusehen. Der hieraus folgenden Beitragsfreiheit von Urlaubsabgeltungen stehe auch der Erlaß vom 10. September 1944 nicht entgegen, da dieser allein die Bemessung der Beiträge, nicht aber die Frage betreffe, ob bestimmte Bezüge ihrem Wesen nach überhaupt unter den Entgeltbegriff fielen. Im übrigen sei der Erlaß durch die Rechtsentwicklung der Nachkriegszeit gegenstandslos geworden.
Die beklagte Krankenkasse hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bittet unter Hinweis auf den Erlaß des Bundesarbeitsministers vom 5. März 1951 (BABl. 1951 S. 104) um Zurückweisung der Revision. Diesem Antrag haben sich auch die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb.) - die Beigeladenen zu 8) und 9) - angeschlossen. Beide sind der Auffassung, daß Urlaubsabgeltungen mit Rücksicht auf ihre Lohnsteuerpflicht entsprechend dem Grundsatz des Gemeinsamen Erlasses vom 10. September 1944 auch als beitragspflichtig anzusehen seien.
II
Gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen keine Bedenken, obwohl sie von einem Prozeßbevollmächtigten eingelegt und begründet worden ist, der bei einer Landesvereinigung, d. h. einem auf Landesebene gebildeten Zusammenschluß von Arbeitgeberverbänden, tätig ist. Zwar werden die Angestellten sog. "Spitzenorganisationen" (vgl. § 2 Abs. 2 Tarifvertragsgesetz) in § 166 Abs. 2 SGG - anders als in § 11 Arbeitsgerichtsgesetz - nicht ausdrücklich unter den beim Bundessozialgericht (BSG.) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten genannt. Daraus kann jedoch nicht durch Umkehrschluß gefolgert werden, der Gesetzgeber habe diese Personen vom Auftreten vor dem BSG. ausschließen wollen Wenn das SGG außer den Rechtsanwälten und Verwaltungsrechtsräten auch den Mitgliedern und Angestellten der in § 166 Abs. 2 SGG genannten Verbände unter bestimmten Voraussetzungen die Postulationsfähigkeit vor dem BSG. zuerkennt, so liegt dem ersichtlich der Gedanke zugrunde, die Sachkunde und Erfahrung, die gerade diese Personen im allgemeinen auf dem Gebiete des Sozialrechts besitzen, für die Rechtsfindung nutzbar zu machen (vgl. BSG. 2, 159 (160 f.); Urteil des 7. Senats vom 15.5.1957, 7 RAr 116/55; vgl. auch BGHZ. 23, 377 (381)). Eine sinngemäße Gesetzesauslegung läßt es daher geboten erscheinen, bei mehrstufigem Aufbau einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigung nicht nur die Vertreter der Unterverbände, sondern auch die - in der Regel besonders sachkundigen - Beauftragten der Dachorganisation als Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG. zuzulassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht ihres Verbandes zur Prozeßvertretung befugt sind. Von dieser Auffassung ist das BSG. bisher auch in ständiger Rechtsübung ausgegangen, soweit es sich - auf der Arbeitnehmerseite - um die Postulationsfähigkeit der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB.) handelt, obwohl der DGB. nach § 3 seiner Satzung als solcher keine Gewerkschaft, sondern eine Vereinigung von Gewerkschaften ist. Da für die Arbeitgeberseite nichts anderes gelten kann, die Spitzenverbände der Arbeitgeber im übrigen auch im Rahmen des § 46 Abs. 1 SGG den Arbeitgebervereinigungen im engeren Sinne gleichgestellt werden, ist der Prozeßbevollmächtigte der Revisionsklägerin gemäß § 166 Abs. 2 SGG als befugt anzusehen, die Revisionsklägerin vor dem BSG. zu vertreten.
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Das LSG. hat die Berufung der Klägerin mit Recht als zulässig angesehen. Die Beitragsnachforderung der beklagten Krankenkasse betrifft weder einmalige noch wiederkehrende "Leistungen" im Sinne des § 144 SGG. Wie der 8. Senat des BSG. auf Grund der Entstehungsgeschichte der §§ 144 ff. SGG näher dargelegt hat (BSG. 3, 234, (235 f)), sind unter Leistungen hier nur die vom Staat oder öffentlichen Körperschaften zu gewährenden Sozialleistungen zu verstehen (vgl. auch Urteil des 7. Senats vom 15.5.1957, 7 RAr 90/55, und BSG. 2, 157 (158)). Dem ist beizutreten. Vereinzelte Abweichungen von diesem gesetzlichen Sprachgebrauch (vgl. § 86 Abs. 2 SGG) können demgegenüber nicht ins Gewicht fallen. Streitigkeiten über Beitragsansprüche sind somit nach § 143 SGG unbeschränkt berufungsfähig.
Die vorliegende Klage, die das Berufungsgericht zutreffend als Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid der beklagten Krankenkasse vom 20. September 1953 aufgefaßt hat, richtet sich auch gegen die richtige Partei. Der Senat hat in einem Übergangsfall nach § 215 Abs. 2, 4 SGG, in dem die Feststellung des zuständigen Rentenversicherungsträgers gegenüber der den Beitragseinzug durchführenden Krankenkasse begehrt wurde, die Frage offen gelassen, ob die beklagte Krankenkasse in einem solchen Verfahren allein die Passivlegitimation besitzt oder ob neben ihr oder statt ihrer die beteiligten Rentenversicherungsträger zu verklagen sind (3 RK 32/55 vom 28.9.1956, AP. § 1 AVG Nr. 2 mit zustimmender Anm. von Dersch, in BSG. 4, 17 insoweit nicht mitabgedruckt). Diese Frage kann auch im vorliegenden Verfahren, das nach § 215 Abs. 2 SGG auf die Sozialgerichtsbarkeit übergegangen ist, auf sich beruhen; denn die beklagte Kasse ist jedenfalls mit Wirkung vom 1. Januar 1957 gemäß § 1399 Abs. 3 RVO n. F., der als verfahrensrechtliche Vorschrift auch für schwebende Fälle gilt (6 RKa 11/55 vom 23.1.1957), als die richtige beklagte Partei anzusehen, da ihr Verwaltungsakt angefochten ist. Ob daneben in Fällen der vorliegenden Art auch der zuständige Rentenversicherungsträger und die BfArb. - im Hinblick auf die ihnen zustehenden Beitragsanteile - nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen sind, wie das LSG. anzunehmen scheint, braucht hier nicht erörtert zu werden, da die vom LSG. vorgenommene Beiladung der Landesversicherungsanstalt und der BfArb. jedenfalls nach § 75 Abs. 1 SGG zulässig war.
Die Revision kann auch in der Sache keinen Erfolg haben. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß Urlaubsabgeltungen, die während eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses gezahlt werden, nach dem Gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN. 1944, S. 281; RStBl. 1944, S. 580 Nr. 425) - GemErl. - der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliegen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der GemErl. ist formell gültig zustande gekommen. Er stützt sich hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen auf eine Ermächtigung in § 19 Abs. 1 der Zweiten Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs - 2. LAV - vom 24. April 1942 (RGBl. I S. 252), wonach der Reichsminister der Finanzen und der Reichsarbeitsminister "die erforderlichen Anordnungen" zur Angleichung der Bemessungsgrundlagen für die gesetzlichen Lohnabzüge erlassen (vgl. die amtliche Überschrift vor § 19 der 2. LAV). Das Berufungsgericht hat die Gültigkeit der - vom Ministerrat für die Reichsverteidigung mit Gesetzeskraft erlassenen - 2. LAV zutreffend bejaht. Es ist weiterhin mit Recht davon ausgegangen, daß der GemErl. in § 19 Abs. 1 der 2. LAV eine hinreichende Rechtsgrundlage besitzt. Wie der Senat bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt hat BSG. 3, 161 (163 f.)), dürfen Delegationsnormen, die in Gesetzen oder Verordnungen aus der Zeit des NS-Staates enthalten sind, nicht mit den heute geltenden rechtsstaatlichen Maßstäben gemessen werden. Nach dem Staatsrecht des "Dritten Reiches" konnte die Verwaltung ermächtigt werden, anstelle des Gesetzgebers Rechtssätze zu erlassen, ohne daß die Ermächtigung dabei nach Zweck, Inhalt und Ausmaß genau umschrieben wurde (anders jetzt Art. 80 Abs. 1, 129 Abs. 3 Bonner GG). Gegen die Wirksamkeit der mindestens ihrem Inhalte nach außerordentlich weitgesteckten Ermächtigung zum Erlaß der "erforderlichen Anordnungen" bestehen daher für die Zeit des NS-Regimes keine Bedenken.
Die formelle Gültigkeit des GemErl. kann auch unter dem Gesichtswinkel einer etwa mangelhaften Verkündung des Erlasses nicht in Frage gestellt werden. Der GemErl. ist zwar - trotz seiner Bezeichnung als "Erlaß" (vgl. Abschn. 6) - seinem Wesen nach als Rechtsverordnung anzusehen, wie sich schon daraus ergibt, daß er frühere Rechtsvorschriften geändert und zum Teil sogar ausdrücklich aufgehoben hat (vgl. Abschnitte 2, 3 und 4, insbesondere Abschn. 3 Absätze 1 und 2, Abschn. 4 Abs. 3). Als Rechtsverordnung hätte er daher nach § 1 des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 13. Oktober 1923 (RGBl. I S. 959) an sich der Verkündung im Reichsgesetzblatt, im Reichsministerialblatt oder im Reichsanzeiger bedurft. Obwohl der GemErl. in keinem der genannten Blätter verkündet worden ist - die Veröffentlichungen im Reichsarbeitsblatt und im Reichssteuerblatt stehen einer Verkündung im Reichsministerialblatt nicht gleich -, wird man ihm deswegen die Rechtsgültigkeit nicht absprechen können. Die Praxis der Reichsministerien bei der Verkündung von Rechtsverordnungen hat sich in den Jahren nach 1933, entsprechend dem allgemeinen Wandel der staatsrechtlichen Anschauungen (vgl. hierzu BSG. 3, 161 (164)), in ständig zunehmendem Maße gelockert. Das gilt insbesondere für die Zeit nach Ausbruch des Krieges, in der die Ministerialblätter des Reiches immer mehr auch zur Verkündung von Rechtsvorschriften der betreffenden Minister herangezogen wurden (vgl. W. Weber, Die Verkündung von Rechtsvorschriften, 1942, S. 28 f.). In der Rechtsprechung und Rechtslehre der damaligen Zeit ist diese - mit dem Wortlaut des Gesetzes vom 13. Oktober 1923 kaum noch zu vereinbarende - Staatspraxis ganz überwiegend gebilligt oder doch als rechtmäßig hingenommen worden. So hat das Kammergericht in einem Beschluß vom 14. April 1938 eine nur in der "Deutschen Justiz", dem Amtsblatt des Reichsjustizministers, verkündete Rechtsverordnung als gültig angesehen und ausgeführt, das Gesetz vom 13. Oktober 1923 sei "nach seinem Sinn und Zweck, die Geltung der Rechtsverordnungen des Reiches in möglichst weitem Umfange sicherzustellen, ausdehnend dahin auszulegen, daß auch die amtlichen Verkündungsblätter der obersten Reichsbehörden für das ganze Reichsgebiet zur Verkündung von Rechtsverordnungen dieser Behörden zugelassen sind" (ZAkDR. 1938 S. 676 mit grundsätzlich zustimmender Anm. von W. Weber). Ebenso hat der Reichsfinanzhof wiederholt (RFH. 40, 205 und 284; 46, 210) rechtsetzenden Erlassen des Reichsministers der Finanzen, die allein im Reichssteuerblatt abgedruckt waren, allgemeine Verbindlichkeit zuerkannt (vgl. auch Riewald, Reichsabgabeordnung, 1941, § 12 Anm. 3 und § 13 Anm. 3 sowie Friedrich in ZAkDR. 1939, 636 ff.). In der Gesetzgebung ist die Rechtsetzung "im Verwaltungswege", d. h. unter Befreiung von den strengen Verkündungsvorschriften, vereinzelt sogar ausdrücklich angeordnet worden (vgl. § 8 der Verordnung vom 10.1.1940, RGBl. I S. 211, und Riewald a. a. O., Vorbem. zu §§ 12-16, Anm. 1 a. E.). Angesichts dieser in den letzten Kriegsjahren immer weiter um sich greifenden, nahezu unangefochtenen Staatspraxis haben Rechtsprechung und Schrifttum der Nachkriegszeit Rechtsverordnungen, die unter dem NS-Regime ergangen waren, deren Verkündung aber nicht den Vorschriften des Gesetzes vom 13. Oktober 1923 entsprach, überwiegend als gültig angesehen oder ihre Ungültigkeit jedenfalls nicht auf einen Mangel bei der Verkündung gegründet (vgl. OVG. Lüneburg, Amtl. Samml., Bd. 6, 272 (278) unter Berufung auf Forsthoff; LSG. Bremen, Soz. Vers. 1957, 153 (155); Koch-Hartmann, AVG, 2. Aufl., 1. Bd. S. 151; v. Altrock, WzS. 1954, S. 76 (78); a. A. SG. Oldenburg, BKK. 1956, S. 62 mit ablehnender Anm. von W. Schneider). Dem ist grundsätzlich beizupflichten; denn die Frage, ob eine Rechtsvorschrift gültig zustandegekommen ist, kann, wenn die Sicherheit und Kontinuität des Rechtes keinen Schaden nehmen soll, nur nach den zur Zeit ihres Erlasses herrschenden Rechtsanschauungen, im vorliegenden Fall mithin nach den Verhältnissen des Jahres 1944, beantwortet werden (BSG. 3, 161 (163) mit weiteren Nachweisen). Hiernach trägt der Senat keine Bedenken, die Veröffentlichung des GemErl. im Reichsarbeits- und im Reichssteuerblatt als eine ausreichende Verkündung anzusehen, zumal auch schon das Preußische Gesetz vom 9. August 1924 (GS. 1924, S. 597) die Verkündung von Rechtsverordnungen "in einem der Ministerialblätter" genügen ließ (§ 1 Abs. 1).
Ist sonach mit dem LSG. davon auszugehen, daß der GemErl. gültig zustande gekommen und, da er als Ganzes niemals aufgehoben wurde, bis heute in Kraft geblieben ist (ebenso BAM. in BABl. 1951, 104 und 537; BABl. 1952, 138; Bayer. LVAmt vom 20.7.1953, Amtsbl. 1953, S. B 163), so ist dem Berufungsgericht im wesentlichen auch in der Auslegung der hier maßgebenden Bestimmungen des ersten Abschnittes des Erlasses beizutreten. Nach Abschn 1 Satz 1, der grundlegenden Bestimmung des GemErl., sind die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von demselben Betrag zu berechnen, der auch für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist. Für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge sollen jedoch außer Ansatz bleiben:" ... 5. Bezüge, die mit den festen Steuersätzen des § 35 der Lohnsteuer-Durchführungsbestimmungen 1939 versteuert werden" Zu den fest versteuerten und demnach beitragsfreien Bezügen gehörten ursprünglich auch Urlaubsabgeltungen (Abschn. 4 Abs. 1 des GemErl. i. V. m. Abschn. 6 Abs. 1 Nr. 6 des Erlasses des Reichsministers der Finanzen über eisernes Sparen vom 1.10.1943, RStBl. 1943, S. 725). Die Vorschriften über die Besteuerung nach festen Steuersätzen (§ 40 des Einkommensteuergesetzes vom 27.2.1939, RGBl. I S. 297; § 35 der Lohnsteuer-Durchführungsbestimmungen vom 10.3.1939, RGBl. I S. 449) sind jedoch durch Art. III Nr. 4 des Kontrollratsgesetzes Nr. 12 vom 11. Februar 1946 aufgehoben worden (Amtsbl. des Kontrollrats, S. 60). Damit hat auch die Bestimmung des GemErl. über die Beitragsbefreiung fest versteuerter Bezüge ihre Anwendbarkeit verloren. Hiergegen ist gelegentlich, auch vom Bundesminister für Arbeit (vgl. BABl. 1951, S. 104), das Bedenken erhoben worden, daß es der Sache nach nicht gerechtfertigt erscheine, die frühere Beitragsfreiheit bestimmter Bezüge "allein wegen einer Änderung in der Form der Besteuerung" wegfallen zu lassen. Dem ist jedoch, abgesehen von dem eindeutigen Wortlaut der fraglichen Bestimmung, entgegenzuhalten, daß gerade eine Änderung in der Art der Besteuerung nach der Zielsetzung des GemErl., den Lohnabzug möglichst zu vereinfachen (vgl. die Überschrift des Erlasses), entscheidende Bedeutung auch für die Beitragspflicht in der Sozialversicherung haben kann. Denn es liegt auf der Hand, daß Bestimmungen, die den Grundsatz der Einheit der Bemessungsgrundlage (Abschn. 1 Satz 1 GemErl.) einschränken oder durchbrechen, eher tragbar erscheinen, wenn die ausnahmsweise von der Beitragspflicht befreiten Bezüge auch steuerlich besonders erfaßt, d. h. nicht nach der Lohnsteuertabelle versteuert werden. Überdies zeigt die Bestimmung in Abschn. 1 Satz 2 Nr. 4 des GemErl., nach der Bezüge beitragsfrei bleiben, für die die Pauschalbesteuerung zugelassen ist, daß die Beitragspflicht auch sonst allein von der Art der Besteuerung abhängig ist. Der Revision kann daher nicht zugegeben werden, daß der GemErl. bestimmte, ihrer Natur nach festliegende Bezüge, insbesondere Urlaubsabgeltungen, auf jeden Fall, d. h. ohne Rücksicht auf die jeweilige Art der Besteuerung, von der Beitragspflicht zur Sozialversicherung ausgenommen hat (ebenso vor allem Koch-Hartmann, AVG, 2. Aufl., 1. Bd., S. 150 und - ihnen folgend - LSG. Bremen in Soz. Vers., 1957, 153 (155)). Im übrigen bliebe, wenn die Art der Bezüge allein für eine Beitragsbefreiung bestimmend gewesen wäre, zu fragen, ob für die Beitragsbefreiung von Urlaubsabgeltungen nicht vor allem kriegsbedingte Gründe maßgebend waren. Gewisse Anhaltspunkte in dieser Richtung gibt der in Abschn. 4 des GemErl. in Bezug genommene Erlaß über eisernes Sparen vom 1. Oktober 1943, wonach eine Entschädigung nur dann zu den sparfähigen Urlaubsabgeltungen gehört, wenn sie an Arbeitnehmer gezahlt wird, "die auf den ihnen zustehenden Urlaub verzichten müssen" (Abschnitt 6 Abs. 1 Nr. 6). - Ist hiernach mit dem Berufungsgericht und der herrschenden Meinung anzunehmen, daß die Aufhebung der Festbesteuerung durch das Kontrollratsgesetz Nr. 12 die Beitragsbefreiung von Urlaubsabgeltungen nach Abschn. 1 Satz 2 Nr. 5 des GemErl. beseitigt hat, so richtet sich die Beitragspflicht von Urlaubsabgeltungen, da sonstige Befreiungsvorschriften nicht in Betracht kommen, nunmehr allein nach dem in Abschn. 1 Satz 1 des GemErl. ausgesprochenen Grundsatz.
Die Bestimmung, daß die Sozialversicherungsbeiträge "grundsätzlich" von dem für die Lohnsteuer maßgebenden Betrag zu berechnen sind (Abschn. 1 Satz 1 GemErl.), ist als eine Rechtsnorm anzusehen; denn sie wendet sich mit verbindlicher Kraft an alle, denen die Berechnung und Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen obliegt, insbesondere also an die Arbeitgeber versicherter Beschäftigter. Sie stellt auch eine unmittelbar anwendbare Rechtsnorm dar, die als solche der weiteren rechtlichen Ausgestaltung nicht mehr bedarf, allerdings - als eine nur "grundsätzliche" Bestimmung - unter dem Vorbehalt einschränkender Ausnahmevorschriften steht (vgl. v. Altrock in WzS. 1956, S. 321 (323)). In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von jenen gesetzlichen Grundsatznormen, die nur programmatischen Gehalt haben und zu denen auch § 19 Abs. 1 Satz 1 der 2. LAV gehört. Wenn dort - ebenfalls "grundsätzlich" - bestimmt wird, daß die gesetzlichen Lohnabzüge von der gleichen Bemessungsgrundlage zu berechnen sind, so ist diese Bestimmung in der Tat ohne eine nähere Regelung, welche der beiden in Frage kommenden Bemessungsgrundlagen, der steuerliche Arbeitslohn oder das sozialversicherungsrechtliche Entgelt, den Vorrang haben soll, nicht durchführbar; die hiernach notwendige Konkretisierung und Ergänzung ist gerade durch die in Rede stehende Bestimmung des GemErl. erfolgt.
Die Bestimmung des GemErl. über die grundsätzliche Bindung der Beitrags- an die Lohnsteuerpflicht ist auch durch die Rechtsentwicklung der Nachkriegszeit nicht "gegenstandslos" geworden, wie die Revision unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bayer. Landesversicherungsamts vom 21. Dezember 1950 (Amtsbl. 1951 S. B 17) meint. Die dem GemErl. zugrundeliegende Abgrenzung der lohnsteuerpflichtigen Bezüge (vgl. Abschnitte 2 bis 4) hat sich zwar im Laufe der Jahre infolge der zahlreichen Novellen zum Einkommensteuergesetz in vielen Punkten geändert, wodurch mittelbar - infolge der "Transmissionswirkung" der genannten Bestimmung des GemErl. - auch der Kreis der beitragspflichtigen Bezüge erweitert oder verengert worden ist. Darüber hinaus hat der im ersten Abschnitt des GemErl. ausgesprochene Grundsatz auch dadurch erheblich an Tragweite gewonnen, daß die ihn einschränkende Ausnahmebestimmung in Satz 2 Nr. 5, wie oben dargelegt, nach dem Inkrafttreten des Kontrollratsgesetzes Nr. 12 1. Januar 1946) unanwendbar geworden ist. Diese dem GemErl. innewohnende Dynamik, die er im übrigen mit allen Vorschriften teilt, die in ihrem Tatbestand auf normative, d. h. der Einwirkung des Gesetzgebers zugängliche Umstände verweisen, ist indessen von vornherein ins Auge gefaßt worden. Das ergibt sich namentlich aus Abschn. 1 Satz 2 Nr. 4 GemErl., wonach Bezüge beitragsfrei sind, für die der Reichsminister der Finanzen die Pauschalbesteuerung zugelassen hat oder zulassen wird (vgl. auch Abschn. 3 Abs. 1 Nr. 2, wo dem Reichsminister der Finanzen eine ähnliche Befugnis eingeräumt ist). Diese Regelungen lassen erkennen, daß die Aufrechterhaltung der im Jahre 1944 bestehenden Abgrenzung zwischen beitragspflichtigen und beitragsfreien Bezügen nicht "Geschäftsgrundlage", d. h. die stillschweigende Wirksamkeitsvoraussetzung für den GemErl., insbesondere die dort ausgesprochene Koppelung von Beitrags- und Lohnsteuerpflicht sein sollte, - wenngleich der Revision zuzugeben ist, daß so einschneidende Änderungen des Einkommensteuerrechts, wie sie nach dem Kriege von den Besatzungsmächten verfügt wurden, bei Verkündung des GemErl. nicht voraussehbar waren und von den beteiligten Ministern wohl auch nicht in Betracht gezogen wurden Das ändert indessen nichts daran, daß der GemErl. seinem Wortlaut und vor allem seinem auf Vereinfachung des Lohnabzugs gerichteten Zwecke nach sämtliche später ergangenen Änderungen des Lohnsteuerrechts in sich aufgenommen und über die Bestimmung in Abschn. 1 Satz 1 auch auf die Beitragsberechnung in der Sozialversicherung übertragen hat (so die ganz herrschende Meinung und Praxis; vgl. Koch-Hartmann a. a. O. S. 151; Verb. Komm. zur RVO, Stand: 1.3.1956, § 1390 Anm. 4; Dersch, Grundriss der gesetzlichen Rentenversicherung, 1952, S. 51 f., v. Altrock, WzS. 1954, S. 76 und 1956, S. 321; BAM. in BABl. 1951, 537; 1955, 457; ArbMin. Württ.-Baden vom 28.11.1947 und Hess. ArbMin. vom 1.6.1948, unter I Abs. 2, May-Meuer, Das Beitragsrecht der Sozialversicherung, S. 123, 130; Hess. LSG. vom 13.7.1955, May-Meuer a. a. O. S. 219 A 7; LSG. Nordrhein-Westfalen vom 27.10.1955, May-Meuer a. a. O. S. 219 A 12; a. A. Bayer. LVAmt a. a. O. mit ablehnender Anm. in DOK. 1951, 217; Töns, ArbBl. brit. Z. 1948, S. 66 und BB 1950, 900 f.). Diese Regelung hat, obwohl dem Vereinfachungsgedanken heute nicht mehr die gleiche überragende Bedeutung wie während des Krieges zukommen mag, auch für die Nachkriegszeit ihre innere Berechtigung nicht verloren; denn sie beruht letztlich darauf, daß das lohnsteuer-rechtliche Dienst- und das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis im wesentlichen die gleichen rechtlichen Merkmale aufweisen. Es erscheint daher nur folgerichtig, wenn auch das dem einzelnen Arbeitnehmer aus diesem Verhältnis zufließende Arbeitsentgelt im Steuer- und Versicherungsrecht grundsätzlich die gleiche Behandlung erfährt (vgl. BSG. 3, 30 (40 f.)).
Der Revision kann endlich auch darin nicht gefolgt werden, daß der GemErl. in Abschn. 1 Satz 1 nur die "Bemessung" der Beiträge, nicht hingegen die - weiterhin nach § 160 RVO zu beantwortende - Frage regele, ob bestimmte Bezüge überhaupt als Entgelt und damit als beitragspflichtig anzusehen seien. Käme dem GemErl. nur diese eingeschränkte Bedeutung zu, so wäre die erstrebte Vereinfachung des Lohnabzuges nicht zu erreichen gewesen; denn dann hätten die Betriebe nach wie vor die für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge maßgebende Bemessungsgrundlage gesondert feststellen müssen. Gerade dieser Notwendigkeit sollten sie indessen im Interesse der Einsparung von Arbeitskräften enthoben werden (vgl. hierzu Kurzwelly und Schmitt-Degenhardt in AN 1941, S. 275 sowie Kurzwelly, Beilage zu Nr. 14 der AN 1942). Abschn. 1 Satz 1 GemErl. kann daher nur so verstanden werden, daß die Lohnsteuerpflicht, sofern nicht ausnahmsweise etwas anderes rechtssatzmäßig bestimmt ist, ohne weiteres auch die Beitragspflicht in der Sozialversicherung nach sich zieht, ohne daß es noch der Prüfung bedarf, ob die fraglichen Bezüge auch als Entgelt im Sinne des § 160 RVO anzusehen wären. Da Urlaubsabgeltungen unbestritten zu den lohnsteuerpflichtigen Bezügen gehören (vgl. Abschn. 2 Abs. 1 Nr. 3 der Lohnsteuerrichtlinien 1955, BStBl. 1955 S. 490), die frühere Beitragsbefreiung nach Abschn. 1 Satz 2 Nr. 5 GemErl., wie dargelegt, aber entfallen ist, unterliegen sie somit der Beitragspflicht zur Sozialversicherung (so ganz überwiegend Schrifttum und Praxis, vgl. u. a. BAM vom 5.3.1951, BABl. 1951, 104 gegen Erl. vom 1.8.1950, BABl. 1950, 272; Brackmann, Handbuch der Sozialvers., S. 312; Koch-Hartmann a. a. O. S. 154 f.; a. A. Bayer. LVAmt vom 21.12.1950, Amtsbl. 1951, S. B 17, mit ablehnender Anm. in DOK. 1951, 216). Hiernach erübrigt sich ein Eingehen auf die Hilfserwägung des LSG., daß Urlaubsabgeltungen auch ohne Anwendung des GemErl. - als Entgelt im Sinne des § 160 RVO - der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliegen. Es ist hier auch nicht zu erörtern, welche rechtliche Bedeutung dem § 1385 Abs. 3 Buchst. a RVO n. F. zukommt, der für die Zeit nach dem 31. Dezember 1956 (Art. 3 § 8 ArVNG) hinsichtlich der Beitragsberechnung in der Arbeiterrentenversicherung wieder auf § 160 RVO verweist.
Die Revision war somit als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen