Leitsatz (redaktionell)
1. Versicherungsfreiheit ist für einen gegen Entgelt tätigen wissenschaftlichen Assistenten (hier: an einem juristischen Seminar) gegeben, wenn diese Tätigkeit allein der Ausbildung für den zukünftigen Beruf dient.
Ein Rechtsanspruch auf Nachversicherung ist demzufolge ausgeschlossen.
2. Die Einberufung zum Wehrdienst steht der Annahme von Versicherungsfreiheit nach AVG § 12 Abs 1 Nr 4 aF nicht entgegen. "Tätig" sein iS dieser Vorschrift ist nicht gleichbedeutend mit wirklicher Dienst- und Arbeitsleistung.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 4 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 12 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1945-03-17
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 8. März 1968 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt seine Nachversicherung für die Zeit vom 1. August 1939 bis 31. Juli 1943. In dieser Zeit war er zunächst als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und ab 1. März 1940 als wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Strafrecht und Kriminalpolitik der Universität H entgeltlich beschäftigt. Am 31. Oktober 1946 schied er aus dem Staatsdienst aus. Wegen der Freiwilligkeit des Ausscheidens unterblieb seine Nachversicherung nach der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 14. Im Februar 1961 versicherte die Beigeladene den Kläger auf Grund des Art. 2 § 4 Abs. 2 Satz 1 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) für die Zeit vom 1. August 1943 bis 31. Oktober 1946 bei der Beklagten nach. Die Nachversicherung für die vorhergehende Zeit lehnten die Beklagte und die Beigeladene ab, weil die ersten 4 Jahre der Beschäftigung als wissenschaftlicher Assistent an Hochschulen nach dem Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 28. Februar 1936 als Ausbildungszeit für den zukünftigen Beruf im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 4 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) aF nicht nachversicherungsfähig seien. Erst vom 5. Beschäftigungsjahr an sei die Versorgung des Klägers im Sinne des § 11 AVG aF gewährleistet gewesen (Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 1961 und Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1962).
Das Sozialgericht (SG) Hamburg verurteilte die Beklagte, Nachversicherungsbeiträge auch für die Zeit vom 1. Mai 1941 bis 31. Juli 1943 einzuziehen. Es berechnete die 4-jährige Ausbildungszeit, nach deren Ablauf die Versorgungsanwartschaft gewährleistet gewesen sei, vom 1. Mai 1937 an, weil der Kläger bereits von diesem Tage an als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der Universität H - bis 31. Juli 1939 - allerdings ohne Planstelle und ohne Entgelt - gearbeitet habe.
Auf die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen und die Anschlußberufung des Klägers wies das Landessozialgericht (LSG) Hamburg am 8. März 1968 die Klage in vollem Umfange ab: Es könne dahingestellt bleiben, ob für den Kläger der Reichserlaß vom 28. Februar 1936 oder die vom SG herangezogene Entscheidung des Hamburgischen Staatsamtes vom 11. August 1937 maßgebend gewesen sei, denn nach beiden Entscheidungen sei eine Versorgungsanwartschaft erst nach einer 4-jährigen Beschäftigungszeit mit Versicherungsfreiheit nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF gewährleistet worden. Die Bezugnahme auf § 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF in beiden Erlassen stelle klar, daß die 4-jährige Ausbildungszeit erst mit der Aufnahme eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses beginne. Die unentgeltliche Tätigkeit als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter vom 4. Mai 1937 bis 31. Juli 1939 müsse daher bei der Berechnung der 4-Jahresfrist außer Betracht bleiben.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
das Urteil des LSG aufzuheben, die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, auf seine Anschlußberufung dieses Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, Nachversicherungsbeiträge auch für die Zeit vom 1. August 1939 bis 30. April 1941 einzuziehen, hilfsweise entgegenzunehmen.
Er rügt, das LSG habe zu Unrecht die Erlasse vom 28. Februar 1936 und 10. August 1937 als bindende Entscheidungen über die Gewährleistung der Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 11 AVG aF gewertet. Die Erlasse seien weder Verwaltungsakte noch Rechtsverordnungen, sondern Verwaltungsanweisungen mit Ermessensrichtlinien. Die Verwaltung habe über die Gewährleistung der Versorgung jedes Assistenten gesondert entscheiden müssen, ihre Entscheidung habe von den Richtlinien abweichen können. Das LSG habe die Erlasse zudem falsch ausgelegt. Es hätte die Verkürzung der Ausbildungszeiten während des zweiten Weltkrieges bedenken und ferner in die Ausbildungszeit seine Referendarzeit und die damalige wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität einbeziehen müssen. Auch habe das LSG § 114 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Nachversicherung für die Zeit vom 1. August 1939 bis 31. Juli 1943.
Nach Art. 2 § 4 Abs. 2 Satz 1 AnVNG gilt die Nachversicherungsvorschrift des § 9 AVG auch für Personen, deren Nachversicherung vor dem Inkrafttreten des AnVNG auf Grund der SVA Nr. 14, Nr. 2 Buchst. c vom 19. Juli 1947 wegen freiwilligen Ausscheidens aus einer versicherungsfreien Beschäftigung unterblieben ist. Nach § 9 Abs. 1 AVG sind Personen, die aus einer nach den §§ 6 Abs. 1 Nr. 2-5 oder 8 Abs. 1 AVG versicherungsfreien Beschäftigung ohne Versorgung ausscheiden, für die Zeit nachzuversichern, in der sie sonst versicherungspflichtig gewesen wären. Die Erstreckung der Anwendung des § 9 AVG auf die in Art. 2 § 4 Abs. 2 Satz 1 AnVNG genannten Personen bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), daß Nachversicherungen nachzuholen sind, die wegen der früheren Hinderungsgründe unterblieben sind; die Nachversicherung ist in dem Umfang durchzuführen, in dem die Verpflichtung dazu beim Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung ohne den damaligen Hinderungsgrund - hier: ohne den Hinderungsgrund des freiwilligen Ausscheidens - bestanden hätte (BSG 11, 278, 284; Urt. d. Senats v. 23. Juni 1964, 11/1 RA 70/60). Beim Ausscheiden aus der Beschäftigung wäre die Nachversicherung des Klägers nach §§ 1 Abs. 6 AVG, 1242 a der Reichsversicherungsordnung (RVO, beide in der Fassung der Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945, zu beurteilen gewesen. Danach waren die nach §§ 169, 172 Abs. 1 Nr. 1, 174, 1230 RVO (iVm § 1 Abs. 6 AVG) versicherungsfreien Personen, die ohne Versorgung aus der Beschäftigung ausschieden, für die Zeit nachzuversichern, während der sie sonst versicherungspflichtig gewesen wären. In der hier streitigen Zeit hat zwar noch keine der genannten Vorschriften in der Angestelltenversicherung gegolten; wie in Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG genügt es jedoch, daß Versicherungsfreiheit nach einer "jeweils geltenden, sinngemäß entsprechenden" Vorschrift bestand. Als solche Vorschrift über die Versicherungsfreiheit in den Jahren 1939 bis 1943 kommt hier allein § 11 AVG aF (idF v. 28. Mai 1924, RGBl I/163) in Betracht; sie entspricht sinngemäß § 169 RVO und heute § 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG. Wäre der Kläger vom 1. August 1939 bis 31. Juli 1943 nach dieser Vorschrift versicherungsfrei gewesen, so müßte er nachversichert werden, wenn er in dieser Zeit sonst versicherungspflichtig gewesen wäre.
Der Senat kann jedoch dahingestellt lassen, ob der Kläger in der Zeit vom 1. August 1939 bis 31. Juli 1943 nach § 11 AVG aF versicherungsfrei gewesen ist; auf alle in diesem Zusammenhang auftauchenden Fragen braucht nicht eingegangen zu werden. Denn auch wenn Versicherungsfreiheit nach § 11 AVG aF bestanden hat, ist der Kläger doch nur dann nachzuversichern, wenn er "sonst" - d. h. bei Außerachtlassung dieser Vorschrift - versicherungspflichtig gewesen wäre (BSG 11, 278, 281, 284; 17, 206, 209). Das bedeutet, daß der Kläger für die streitige Zeit nicht nachversichert werden darf, wenn auch (zusätzlich) Versicherungsfreiheit nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF bestanden hat (Urt. d. Senats v. 2. September 1964, 11/1 RA 256/62). Das ist aber der Fall gewesen.
Nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF, der § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO sinngemäß entspricht, waren versicherungsfrei Personen, die zu ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind. Diese Voraussetzungen, deren Vorliegen der Senat ohne Bindung an Verwaltungsentscheidungen zu prüfen hat, waren bei dem Kläger erfüllt. Das ergibt sich schon aus der Beschäftigung als Hochschulassistent und für die Zeit vor dem 1. März 1940 aus der Beschäftigung auf einer solchen Stelle. Das BSG hat mehrfach entschieden (Urt. d. 1. Senats vom 14. Februar 1964, 1 RA 151/61 und vom 26. Juli 1967, 1 RA 131/65 und des erkennenden Senats vom 2. September 1964, 11/1 RA 256/62), daß ein Assistentenverhältnis an Hochschulen nach Dauer, Inhalt, Ziel und Zweck die für eine wissenschaftliche Ausbildung für den zukünftigen Beruf typischen Merkmale aufweist. Sie haften ihm schon seiner Art nach an. Assistent ist kein Dauerberuf, die Tätigkeit ist befristet. Der Assistent will auf bestimmten wissenschaftlichen Gebieten seine auf der Hochschule erworbenen Kenntnisse ergänzen und vertiefen. Er ist einem Hochschullehrer zugewiesen und hat ihn in Lehre und Forschung und sonstigen Amts- und Dienstgeschäften nach dessen Anleitung zu unterstützen (vgl. § 5 Abs. 1 der Rahmenrichtlinien der Kultusministerkonferenz für eine Assistentenordnung, Gemeinsames Ministerialblatt 1964, S. 103). Auch wenn der Assistent daneben eigene wissenschaftliche Leistungen erbringt, steht insgesamt doch der Ausbildungszweck im Vordergrund, er gibt der Tätigkeit das Gepräge. Das genügt für die Anwendung der Vorschrift, weil sie nicht fordert, daß die Tätigkeit nur zur wissenschaftlichen Ausbildung verrichtet wird. Das Ziel der Ausbildung ist der Hochschullehrerberuf oder ein anderer höherer Beruf.
Der vom LSG festgestellte Sachverhalt und die Revisionsbegründung des Klägers bieten keinen Anhalt dafür, daß das Dienstverhältnis des Klägers in der streitigen Zeit in entscheidenden Punkten anders gestaltet gewesen wäre. Bei der Tätigkeit stand der Ausbildungszweck auch dann im Vordergrund, als der Kläger nach seinen Angaben zu Kriegsbeginn in vermehrtem Umfang Verwaltungsaufgaben zu erledigen hatte; der Kläger bezeichnet diese Zeit im übrigen ebenfalls als wissenschaftliche Ausbildungszeit. Daß der Kläger im April 1940 zum Wehrdienst eingezogen wurde, steht der Annahme von Versicherungsfreiheit nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF nicht entgegen. "Tätig" sein im Sinne dieser Vorschrift ist nicht gleichbedeutend mit wirklicher Dienst- und Arbeitsleistung; entscheidend sind die Tätigkeitsmerkmale, die das fortdauernde Beschäftigungsverhältnis aufgewiesen hat; es kommt also ... darauf an, ob der Kläger ohne den Wehrdienst zur Ausbildung für den zukünftigen Beruf tätig gewesen wäre (Urteil des Senats v. 2. September 1964, 11/1 RA 102/62). Der Ausbildungscharakter der streitigen Zeit wird ferner nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger schon vorher als Referendar und unentgeltlicher wissenschaftlicher Hilfsarbeiter ebenfalls zur wissenschaftlichen Ausbildung tätig gewesen ist. Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF enthält auch keine allgemeine Befristung der Versicherungsfreiheit auf eine wissenschaftliche Ausbildungszeit von 4 Jahren. Die bisherigen Entscheidungen des BSG haben Versicherungsfreiheit über einen solchen Zeitraum hinaus bejaht, wenn die Tätigkeit auch danach noch durch den Ausbildungscharakter geprägt worden ist. Die Befristung in dem Erlaß vom 28. Februar 1936 beruhte wohl auf der Annahme, bei einer Verlängerung der Assistentenzeit über 4 Jahre hinaus werde festgestellt, daß der in seiner Stellung verbleibende Assistent tatsächlich die an einen künftigen Hochschullehrer zu stellenden Anforderungen erfülle bzw. zu erfüllen verspreche und deshalb für eine beamtete Lehrstelle in Aussicht genommen werde (vgl. die Beiakten der Landesunterrichtsbehörde Hamburg S. 61 u. 69 und RVA, AN 1931, 232). Ob eine solche Feststellung auch beinhalten würde, daß mit dem Ablauf einer vierjährigen Assistentenzeit der Ausbildungszweck generell in den Hintergrund tritt und das Assistentenverhältnis nicht mehr entscheidend prägt, kann dahingestellt bleiben. Denn die 4-jährige Frist von der Anstellung als Assistent an war in der streitigen Zeit noch nicht abgelaufen, und über die folgende Zeit ist hier nicht zu entscheiden.
Die vom Kläger begehrte Nachversicherung kann deshalb schon wegen Versicherungsfreiheit nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF nicht durchgeführt werden. Ob sie auch an der von der Beklagten im Widerspruchsverfahren und vor dem Sozialgericht erhobenen Verjährungseinrede scheitern müßte, kann dahingestellt bleiben.
Der Revision des Klägers kann schließlich nicht die Verfahrensrüge zum Erfolg verhelfen. Das LSG hat § 114 Abs. 2 SGG nicht verletzt. Die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits hängt weder ganz noch teilweise davon ab, ob der Fall des Klägers eine besondere Härte im Sinne des Art. 2 § 4 Abs. 2 Satz 2 AnVNG darstellt und daher eine Nachversicherung nach dieser Vorschrift iVm der Nachversicherungshärteverordnung vom 28. Juli 1959 in Betracht kommt. Ob ein Fall besonderer Härte vorliegt, entscheidet nicht die Beklagte, sondern der Arbeitgeber, also die Beigeladene, in einem besonderen Verfahren (vgl. § 1 Abs. 1 der Nachversicherungshärteverordnung). Der Ausgang dieses Verfahrens ist für die Entscheidung des vorliegenden Prozesses ohne Bedeutung.
Die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen