Leitsatz (amtlich)

Die einmal begründete Zuständigkeit eines Versicherungsträgers (Versicherungszweiges) bleibt für Neufeststellungen der Leistung, die ohne Eintritt eines neuen Versicherungsfalles erforderlich werden (hier: für eine Neufeststellung infolge Wegfalls einer fiktiven Nachversicherung), bestehen, sofern nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist.

 

Normenkette

AVG § 90 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-07-27; RVO § 1311 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-07-27

 

Tenor

1) Auf die Revision der Beigeladenen wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. März 1969 aufgehoben.

2) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17. Oktober 1968 wird zurückgewiesen.

3) Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Rechtsstreit zu erstatten.

 

Gründe

I

Durch Bescheid vom 18. November 1956 hatte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) das Ruhegeld des Klägers neu berechnet und neben den von 1940 bis 1945 zur Angestelltenversicherung (AnV) und von 1945 bis 1950 zur Arbeiterrentenversicherung (ArV) entrichteten Beiträgen nach § 72 G 131 eine fiktive Nachversicherung des Klägers für seine Dienstzeit als Berufssoldat von 1903 bis 1919 berücksichtigt. Die an die Annahme der Nachversicherung geknüpften Rechtsfolgen entfielen gemäß § 72 a G 131 ab 1. Januar 1967, als der Kläger einen Versorgungsanspruch nach dem G 131 erwarb. Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 19. April 1967 den früheren Bescheid auf und stellte die Zahlung des Ruhegeldes mit Ende Mai 1967 ein. Da zuletzt Beiträge zur ArV entrichtet seien, sei für die Neufeststellung des Altersruhegeldes ein Träger dieses Versicherungszweiges zuständig.

Der Kläger erhob Klage. Während des Verfahrens erließen die Landesversicherungsanstalt (LVA) Schleswig-Holstein einen ihre Zuständigkeit verneinenden Bescheid vom 10. Oktober 1967, den der Kläger nicht anfocht, und die Beklagte einen Vorschußbescheid vom 28. März 1968. Mit Urteil vom 17. Oktober 1968 verpflichtete das Sozialgericht (SG) Nürnberg die Beklagte in Abänderung ihrer Bescheide vom 19. April 1967 und 28. März 1968, dem Kläger das neu festzustellende Altersruhegeld weiterzugewähren. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Bayerische Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil ab und verurteilte stattdessen die von ihm beigeladene LVA Schleswig-Holstein zur Weiterzahlung des Altersruhegeldes über Mai 1967 hinaus (Urteil vom 12. März 1969). Da sich die Zuständigkeit nach dem bei Erlaß des neuen Verwaltungsaktes geltenden Recht richte und "Feststellung" im Sinne des § 90 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) auch die Neufeststellung sei, müsse der anhängige Zuständigkeitsstreit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) auf Grund des neuen Beitragsbildes dahin entschieden werden, daß die Beigeladene die Rente weiterzuzahlen habe. Daß der Kläger deren Bescheid habe rechtsverbindlich werden lassen, sei wegen der zwingenden gesetzlichen Zuständigkeitsregelung unerheblich.

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beigeladene,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung hat der Wegfall der Nachversicherung keine Zuständigkeitsänderung bewirkt. Es gebe keinen Grundsatz, daß bei Neufeststellungen die Zuständigkeit jeweils neu zu prüfen sei. Eine einmal begründete Zuständigkeit bleibe vielmehr bestehen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Beigeladenen ist begründet.

Entgegen der Auffassung des LSG handelt es sich hier nicht um einen Streit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Kein Beteiligter hat (nur) die Feststellung beantragt, welcher Versicherungsträger zuständig sei (vgl. SozR Nr. 26 zu § 55 SGG). Zu entscheiden ist vielmehr über eine von Kläger gegen den Einstellungsbescheid der Beklagten erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 SGG). In einem solchen Rechtsstreit kann zwar ein beigeladener Versicherungsträger verurteilt werden, selbst wenn er "bereits den Anspruch endgültig abgelehnt hat" (§§ 75 Abs. 5, 181 SGG). Im vorliegenden Fall war jedoch hierfür kein Raum, weil für die Neufeststellung und Weiterzahlung des Altersruhegeldes nicht die Beigeladene, sondern die Beklagte zuständig ist.

Für ihre gegensätzlichen Ansichten zur Zuständigkeitsfrage berufen sich die beteiligten Versicherungsträger wechselweise auf frühere Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG). Die veröffentlichten Entscheidungen (BSG 9, 250; 14, 86; 23, 161; SozR Nr. 6, 7 zu § 1311, Nr. 4 zu § 1421 Reichsversicherungsordnung - RVO -; Breithaupt 1961, 762; 1965, 972) haben jedoch keinen Fall der vorliegenden Art betroffen. Durchgängig haben sie nur ausgesprochen, daß sich die Zuständigkeit für einen Feststellungsbescheid nach dem bei seinem Erlaß gültigen Recht beurteilt. Dem stimmt der erkennende Senat zu. Damit ist aber nicht entschieden, wie das beim Einstellungsbescheid der Beklagten geltende Recht die Zuständigkeit für Neufeststellungen geregelt hat. Hinweise dafür können die Entscheidungen BSG 23, 161 und SozR Nr. 4 zu § 1421 RVO geben. Sie betrafen Neufeststellungen infolge Anrechnung weiterer Beiträge, nicht wie hier infolge Wegfalls fiktiver Beiträge.

Im ersten - vom 4. Senat entschiedenen - Fall hatte der Kläger als Wanderversicherter der AnV und ArV seit 1931 ein Ruhegeld aus der AnV wegen Berufsunfähigkeit bezogen, das die BfA 1957 umgestellt und ab Oktober 1958 gemäß Art 2 § 37 Abs. 3 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz auf 15/13 erhöht hatte. Der Kläger begehrte 1959 die Neuberechnung der Rente, weil er von 1945 bis 1958 weitere Beiträge zur ArV entrichtet habe. Der 4. Senat führte aus, daß im Zeitpunkt des neuen Antrages der Versicherungsfall, auf dem die seit 1931 gewährten Leistungen beruht hätten, bereits abgeschlossen gewesen sei; der neue Antrag erfordere eine Neufeststellung auf Grund eines neuen Beitragsbildes; hierfür seien die neuen Zuständigkeitsvorschriften maßgebend. Im zweiten - vom 1. Senat entschiedenen - Fall waren infolge einer Änderung des § 143 Abs. 3 AVG durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 die letzten bis dahin unwirksamen AnV-Beiträge nunmehr als wirksame ArV-Beiträge anzurechnen. Der 1. Senat bejahte die fortdauernde Zuständigkeit der BfA. Es fehle an jeder gesetzlichen Vorschrift für einen Zuständigkeitswechsel. Einen allgemeinen Grundsatz, nach dem bei Neufeststellungen auch jeweils die Zuständigkeit neu zu bestimmen sei, gebe es nicht. Vielmehr bleibe die einmal begründete Zuständigkeit der BfA mangels abweichender Sonderregelung bestehen.

Diese Erwägungen des 1. Senats sind auch im hier zu entscheidenden Fall von Bedeutung. Das ergibt sich schon aus dem Zusammenhang der Wanderversicherungsvorschriften der §§ 89, 90 AVG. Wenn § 90 Abs. 1 Satz 1 AVG die Zuständigkeit "für die Feststellung und Zahlung der Leistung" regelt, so ist mit "der Leistung" die im vorangehenden § 89 "beim Eintritt eines Versicherungsfalles gewährte Leistung" gemeint. § 90 AVG trifft daher keine Bestimmung für die Neufeststellung einer Leistung, solange nicht ein neuer Versicherungsfall eintritt. Beruhen die Leistungen noch auf demselben Versicherungsfall, dann verbleibt es vielmehr bei der bereits begründeten Zuständigkeit. Das ist auch sinnvoll. Allgemein schon sind Zuständigkeitswechsel in der Verwaltung möglichst zu vermeiden. Bei der Wanderversicherung kommt hinzu, daß sich die Zuständigkeit nach äußeren Kriterien (dem letzten Beitrag) richtet und kein Grund besteht, einer Veränderung solcher formalen Merkmale zuviel Gewicht beizulegen. Dem entspricht es im übrigen auch, daß die Rechtsprechung des BSG Änderungen des Zuständigkeitsrechts während eines Streitverfahrens und Änderungen des Beitragsbildes zwischen Antragstellung und Bescheiderlaß bzw. Abschluß des Streitverfahrens grundsätzlich nicht berücksichtigt. Wie in diesen Fällen eine einmal begründete Zuständigkeit erhalten bleibt, so bleibt sie auch dann bestehen, wenn nach bindender Feststellung einer Leistung Neufeststellungen ohne Eintritt eines neuen Versicherungsfalles erforderlich werden. Das gilt allerdings vorbehaltlich einer abweichenden Sonderregelung. Eine solche war etwa Art. 2 § 26 KnVNG (vgl. BSG 9, 250), nicht jedoch Art. 6 § 6 Abs. 6 FANG, der in seinem ersten Halbsatz nur den hier vertreten Grundsatz bestätigt, wenn er bestimmt, daß bei Anwendung des Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 die bisherige Zuständigkeit nicht wechsle. Die Vorschrift des § 72 a Abs. 1 (Satz 1 und 2) G 131, die hier eine Neuberechnung der Rente gebot, ist keine solche Sondervorschrift; sie sagt über einen Zuständigkeitswechsel nichts aus.

Die Beklagte mußte daher das Altersruhegeld des Klägers neu berechnen. Sie durfte die Rentenzahlung nicht wegen vermeintlichen Wegfalls ihrer Zuständigkeit einstellen. Ob sie bei einem wirklichen Zuständigkeitswechsel dazu befugt gewesen wäre oder ob sie nicht alle erforderlichen Maßnahmen dem neu zuständig gewordenen Versicherungsträger hätte überlassen müssen, kann dahingestellt bleiben.

Auf die Revision der Beigeladenen war somit das Berufungsurteil aufzuheben und das Urteil erster Instanz zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669641

BSGE, 28

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