Leitsatz (amtlich)
Nach AnVNG Art 2 § 7a Abs 2 (idF vom 22.12.1983 = § 7a Abs 4 idF vom 20.12.1982) ist § 25 Abs 2 AVG (= § 1248 Abs 2 RVO) auch dann in der vor dem 1.1.1982 geltenden Fassung anzuwenden, wenn das Arbeitsverhältnis auf Grund einer vor dem 3.9.1981 erfolgten Kündigung oder Vereinbarung beendet worden und Arbeitslosigkeit im Anschluß daran erst nach dem 23.12.1982 eingetreten ist.
Orientierungssatz
Die Beschäftigung eines Angestellten, der beim Wegfall der Jahresarbeitsverdienstgrenze von der Versicherungspflicht befreit wurde, ist auch bei Entrichtung freiwilliger Beiträge keine versicherungspflichtige Beschäftigung iS des § 25 Abs 2 S 2 AVG in der ab dem 1.1.1982 geltenden Fassung.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 7a Abs. 2 Fassung: 1983-12-22, Abs. 4 Fassung: 1982-12-20; AVG § 25 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1981-12-22; RVO § 1248 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1981-12-22; ArVNG Art. 2 § 7 Abs. 1 Fassung: 1983-12-22; HBegleitG 1983 Art. 23 Nr. 3 Fassung: 1982-12-20
Verfahrensgang
SG Würzburg (Entscheidung vom 14.11.1984; Aktenzeichen S 5 An 159/84) |
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld nach § 25 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).
Der im Dezember 1923 geborene Kläger war beim Wegfall der Jahresarbeitsverdienstgrenze in der Angestelltenversicherung auf seinen Antrag hin ab Januar 1968 von der Versicherungspflicht befreit worden. Er hat anschließend nur noch freiwillige Beiträge entrichtet. Sein letzter Anstellungsvertrag vom 21. April 1981 sah die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zum 31. Dezember 1982 vor. Danach war der Kläger arbeitslos.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 7. November 1983 auf vorgezogenes Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit (für die Zeit ab Januar 1984) ab, da der Kläger innerhalb der letzten 10 Jahre keine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe, so daß die gesetzlichen Voraussetzungen des § 25 Abs 2 AVG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 nicht erfüllt seien (Bescheid vom 28. Februar 1984; Widerspruchsbescheid vom 27. August 1984).
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, Altersruhegeld gemäß § 25 Abs 2 AVG ab Januar 1984 zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, nach Art 2 § 7a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) sei § 25 Abs 2 AVG in der vor Januar 1982 geltenden Fassung ohne das Erfordernis der Entrichtung von Pflichtbeiträgen in dem strittigen Zeitraum weiterhin anzuwenden, wenn entweder der Versicherte spätestens am 1. Januar 1982 arbeitslos geworden oder das Arbeitsverhältnis aufgrund einer spätestens am 2. September 1981 erfolgten Kündigung oder Vereinbarung beendet worden ist, sofern der Versicherte daran anschließend arbeitslos geworden ist. Die zweite Alternative setze lediglich voraus, daß der Versicherte aufgrund einer vor dem 2. September 1981 getroffenen Vereinbarung später arbeitslos geworden sei. Es komme nicht darauf an, ob die Auflösung des letzten Beschäftigungsverhältnisses vor der Verkündung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 wirksam geworden sei.
Mit der in der Urteilsformel zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung von Art 2 § 7a Abs 2 AnVNG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983. Die mit diesem Gesetz eingefügte Formulierung "arbeitslos geworden sind" besage nach der gewählten Zeitform, daß die Arbeitslosigkeit vor Erlaß dieses Gesetzes eingetreten sein müsse.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten war zurückzuweisen.
Das SG hat zu Recht darauf abgehoben, ob § 25 Abs 2 AVG in der vor dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung (aF) oder in der danach geltenden Fassung durch das AFKG (nF) Anwendung findet.
Die Voraussetzungen des streitigen Anspruchs auf vorgezogenes Altersruhegeld für die Zeit ab Januar 1984 sind nach § 25 Abs 2 AVG aF erfüllt. Der Kläger hatte im Dezember 1983 das 60. Lebensjahr vollendet; er war ein Jahr lang arbeitslos und hatte eine Versicherungszeit von 513 Monaten zurückgelegt. Dagegen fehlt es an der in § 25 Abs 2 nF zusätzlich geforderten Voraussetzung, daß der Versicherte in den letzten 10 Jahren mindestens 8 Jahre eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat. Da der Kläger von der Versicherungspflicht befreit war, war die von ihm ausgeübte Tätigkeit nur an sich, nicht aber auch im konkreten Fall versicherungspflichtig, wie das § 25 Abs 2 AVG nF voraussetzt. Auf die Verfassungsmäßigkeit dieser zusätzlichen Voraussetzung (vgl hierzu den Vorlagebeschluß des SG Stuttgart vom 21. März 1985 - S 6 An 1021/84 -) braucht der Senat nicht näher einzugehen, da die Vorschrift aufgrund des Übergangsrechts noch in ihrer alten Fassung anzuwenden ist, wie das SG zu Recht entschieden hat.
Die diesbezügliche Übergangsvorschrift traf das AFKG in Art 7 Nr 1, der dem § 7a des AnVNG einen Abs 4 anfügte. Dieser wurde durch Art 23 Nr 3 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 geändert, und zwar gemäß dessen Art 38 Abs 5 mit Rückwirkung auf den 1. Januar 1982. Durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 wurde der Abs 4 des § 7a AnVNG mit Wirkung vom 1. Januar 1984 dessen Abs 2.
Nach § 7a Abs 4 AnVNG in der bei Eintritt des Versicherungsfalles im Dezember 1983 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 ist § 25 Abs 2 AVG in der am 31. Dezember 1981 geltenden Fassung für die Versicherten weiter anzuwenden, die spätestens am 1. Januar 1982 arbeitslos geworden sind (erste Alternative) oder deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer spätestens am 2. September 1981 erfolgten Kündigung oder Vereinbarung beendet worden ist (zweite Alternative) und die daran anschließend "arbeitslos geworden sind". Dies gilt jedoch nach dem folgenden Satz 2 nur, wenn durch diese Arbeitslosigkeit die Voraussetzungen des § 25 Abs 2 AVG aF "erfüllt werden". Vereinbarung iS der zweiten Alternative ist nicht nur die nachträgliche Vereinbarung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auch die Vereinbarung eines Endtermins schon im Arbeitsvertrag (befristetes Arbeitsverhältnis).
Der Auffassung der Beklagten, daß die Zeitform "arbeitslos geworden sind" auf die Verkündung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 am 23. Dezember 1982 zu beziehen sei, daß also die Arbeitslosigkeit vor dem 23. Dezember 1982 eingetreten sein müsse, steht schon der Gesetzeswortlaut entgegen. Der Gesetzgeber hat die Übergangsregelung nicht im AFKG selbst oder durch eine Änderung des AFKG getroffen, sondern in das AnVNG eingefügt. Damit weist weder die Gesetzesüberschrift noch der Inhalt des § 7a AnVNG in irgendeiner Form auf das Haushaltsbegleitgesetz 1983 hin. Der Art 2 § 7a AnVNG ist aus der Sicht des Versicherungsfalles formuliert. Der zurückliegenden Zeit wird die Zeitform der Vergangenheit, dem Eintritt des Versicherungsfalls die Zeitform der Gegenwart zugeordnet. Im Zeitpunkt des Versicherungsfalls muß der Versicherte "arbeitslos geworden sein" und durch diese Arbeitslosigkeit müssen die Voraussetzungen des § 25 Abs 2 AVG aF (bei Eintritt des Versicherungsfalls) "erfüllt werden". Gegen die Annahme eines Endtermins für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spricht insbesondere ein Vergleich des Wortlauts der auszulegenden Vorschrift mit Art 2 § 7c AnVNG. Dort wird den für Kündigung und Beendigungsvereinbarung vorgesehenen Fristen hinzugefügt, daß das Arbeitsverhältnis spätestens am 31. Dezember 1985 enden müsse.
Auch Sinnzusammenhang und Gesetzesmaterialien ist kein Hinweis auf einen Gesetzeswillen zu entnehmen, daß nach Verkündung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 der Eintritt weiterer nach altem Recht zu beurteilender Versicherungsfälle ausgeschlossen sei. Der Gesetzgeber des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 hat vielmehr im Gegenteil durch die Neufassung der im AFKG allein vorgesehenen nunmehrigen ersten Alternative es ermöglicht, daß nach dieser Versicherungsfälle alten Rechts auch noch nach der Verkündung des Haushaltsbegleitgesetzes am 23. Dezember 1982 eintreten können. Nach Art 2 § 7a Abs 4 AnVNG idF des AFKG war § 25 Abs 2 AVG aF für die Versicherten weiter anzuwenden, die am 2. September 1981 das 59. Lebensjahr vollendet hatten und zu diesem Zeitpunkt bereits arbeitslos waren. Die vorausgesetzte Altersgrenze verhinderte, daß nach September 1982 weitere Versicherungsfälle nach Maßgabe des alten Rechts eintreten konnten. Nach der Fassung dieser Vorschrift durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 setzt die erste Alternative lediglich voraus, daß der Versicherte spätestens am 1. Januar 1982 arbeitslos geworden ist; die Altersgrenze ist entfallen. Versicherte, die in jüngeren Jahren spätestens am 1. Januar 1982 arbeitslos geworden sind, können nach der ersten Alternative auch noch nach der Verkündung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 mit der Vollendung des 60. Lebensjahres den Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld nach § 25 Abs 2 AVG aF erwerben. Nach dem Regelungszusammenhang besteht damit keine Veranlassung, die zweite Alternative gegen den Gesetzeswortlaut dahin auszulegen, daß die Arbeitslosigkeit vor der Verkündung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 eingetreten sein müsse. Nach den Gesetzesmaterialien hat sich die ursprüngliche Übergangsregelung durch das AFKG als zu eng erwiesen und der Vertrauensschutz sollte auf die Versicherten ausgedehnt werden, die sich auf die neue Regelung des § 1248 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht rechtzeitig einstellen konnten (BT-Drucks 9/2074 S 107, 106). Die Versicherten, die vor dem Kabinettsbeschluß über den Regierungsentwurf des AFKG am 2. September 1981 die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses vereinbart hatten, konnten sich jedoch auf die Rechtsänderung unabhängig davon nicht mehr einstellen, ob die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses für die Zeit vor dem 23. Dezember 1982 oder erst zu einem späteren Termin vereinbart war. Die Rechtsprechung hat auch in anderem Zusammenhang den für Dispositionen vor einem Stichtag zugebilligten Vertrauensschutz unabhängig davon gewährt, wann diese Dispositionen wirksam wurden, sofern das Gesetz - wie hier - keine Zeitgrenze setzte, jedenfalls wenn dies zu keiner unangemessenen Erweiterung des Kreises der von der Übergangsvorschrift Begünstigten führte (Urteil des 1. Senats, SozR 5724 Art 2 § 1 Nr 1 zum Rentenversicherungs-Änderungsgesetz). Eine solche Ausweitung ist auch hier nicht zu befürchten, da langfristige Dispositionen über das Arbeitsverhältnis selten sind und Manipulationen so gut wie ausgeschlossen erscheinen, zumal der Gesetzgeber als Stichtag nicht erst den Gesetzesbeschluß, sondern schon den Tag des Kabinettsbeschlusses gewählt hat.
Die Revision der Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen