Beteiligte
Bundesanstalt für Arbeit - Kindergeldkasse - |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. September 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Kindergeld (Kg) für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 31. Januar 1995.
Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger, ist verheiratet und hat drei Söhne, von denen zwei, der 1988 geborene Robert und der 1989 geborene Lukasz, in Deutschland leben, während der aus der ersten Ehe des Klägers stammende Sohn Maciej in Polen lebt. Seit 1987 hält sich die Familie in Deutschland auf. Den Lebensunterhalt bestreitet die Familie aus dem Erwerbseinkommen des Klägers, der seinerzeit mit einem Touristenvisum eingereist war und seit 1989 eine Arbeitserlaubnis besitzt. Der Kläger hatte ab April 1990 zunächst eine Aufenthaltserlaubnis und ab März 1991 eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnis, die 1993 um zwei weitere Jahre verlängert wurde. Bis zum 31. Dezember 1993 bezog der Kläger für seine beiden in Deutschland lebenden Kinder Kg. Die Beklagte hob die Kg-Bewilligung mit Ablauf des Monats Dezember 1993 nach § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) mit der Begründung auf, aufgrund einer Änderung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) hänge der Kg-Anspruch bei Ausländern ab 1. Januar 1994 davon ab, daß sie eine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis besitzen. Der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis reiche nicht mehr aus (undatierter Bescheid vom Dezember 1993; Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1994). Ab Februar 1995 bezieht der Kläger wieder Kg, nachdem er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hat.
Mit seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, § 1 Abs 3 BKGG sei in der am Wortlaut der Vorschrift haftenden Auslegung der Beklagten verfassungswidrig. Die Auslegung verstoße gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), da seine Familie gegenüber anderen Familien mit Kindern benachteiligt werde. Sie widerspreche wegen der Beschränkung der Zahlung von Kg auf einen bestimmten Kreis von Familien dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie aus Art 6 GG und stehe auch nicht mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG im Einklang, wonach Sozialleistungen an alle Arbeitnehmer gleichmäßig zu erbringen seien. Das Gesetz bezwecke, Kg allen Ausländern zugute kommen zu lassen, von denen zu erwarten sei, daß sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden. Daher sei es nicht sachgerecht, nur auf den Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abzustellen. Erforderlich sei deshalb eine verfassungskonforme und am Gesetzeszweck orientierte Auslegung des § 1 Abs 3 BKGG dahingehend, daß Kg an alle ausländischen Eltern mit legalem Aufenthaltsstatus und einer gewissen Mindestaufenthaltsdauer zu gewähren sei. Dies sei bei ihm gegeben, weil er sich bereits seit 1987 in Deutschland aufhalte und aller Voraussicht nach auch hier bleiben werde. Im übrigen stehe ihm der Kg-Anspruch auch nach den Gleichstellungsvorschriften des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften (EG) sowie ihrer Mitgliedstaaten und der Republik Polen zu (Europa-Abkommen). Im Berufungsverfahren hat der Kläger zudem die unterbliebene Anhörung durch die Beklagte gerügt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 6. Dezember 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 19. September 1996): Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Eine Anhörung sei nicht erforderlich gewesen. Die Aufhebungsentscheidung sei auch materiell nicht zu beanstanden, weil die Regelung des § 1 Abs 3 BKGG verfassungsgemäß sei. Das Assoziationsabkommen biete keine Grundlage für eine Gleichstellung polnischer Staatsangehöriger mit EG-Bürgern im Kg-Recht.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1 Abs 3 BKGG, der Art 3 Abs 1, 6 und 20 Abs 1 GG sowie des Art 38 des Europa-Abkommens.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 19. September 1996 und den Gerichtsbescheid des SG Mainz vom 6. Dezember 1994 zu ändern sowie den undatierten Bescheid der Beklagten vom Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 1994 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist unbegründet. Die Aufhebung der Kg-Bewilligung ab Januar 1994 ist rechtmäßig. Dem Kläger stand von diesem Zeitpunkt ab kein Kg mehr zu.
1. Der Bescheid war nicht deshalb aufzuheben, weil die Beklagte den Kläger vor der Aufhebungsentscheidung nicht angehört hat; denn sie hat die Anhörung – falls sie hier geboten war – im Widerspruchsverfahren jedenfalls nachgeholt. Dies reicht aus (BSG SozR 1300 § 24 Nrn 6 und 9; BSGE 69, 247, 251 = SozR 3-1300 § 24 Nr 4; Schroeder-Printzen/von Wulffen, SGB X, 3. Aufl 1996, § 24 RdNr 10). Es kann offenbleiben, ob die Beklagte von einer Anhörung hier ausnahmsweise auch hätte absehen dürfen. Von einer Anhörung kann ua dann abgesehen werden, wenn Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen (§ 24 Abs 2 Nr 4 SGB X). Das könnte hier der Fall gewesen sein: Durch die Neuregelung des BKGG zum 1. Januar 1994 verloren alle Ausländer, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaats der EG waren und nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfügten, ohne Übergangsfrist und ohne daß der Verwaltung Ermessen eingeräumt war, ihren Anspruch auf Kg. Es war daher in einer Vielzahl von Fällen ohne Prüfung von Besonderheiten des Einzelfalls die Kg-Bewilligung aufzuheben, die sich aufgrund einer für alle Betroffenen gleichen Rechtsänderung ab 1. Januar 1994 als rechtswidrig darstellte (vgl BSGE 69, 247, 250 = SozR 3-1300 § 24 Nr 4). Selbst wenn hier nicht ausnahmsweise von der Anhörung abgesehen werden durfte und die Regel galt, daß einem Beteiligten, in dessen Rechte durch einen Verwaltungsakt eingegriffen werden soll, grundsätzlich vor dem Erlaß des Verwaltungsaktes Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, hat die unterbliebene Anhörung nicht dauerhaft zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts geführt; denn der Mangel konnte durch eine Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt werden. Mit seinem Widerspruchsschreiben vom 29. März 1994 hat der Kläger zu der Aufhebungsentscheidung der Beklagten vom Dezember 1993 Stellung genommen und zur Sach- und Rechtslage aus seiner Sicht vorgetragen. Diese Argumente sind in die Entscheidung der Beklagten (Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1994) eingeflossen. Die Anhörung ist dadurch wirksam nachgeholt worden.
2. Die Beklagte hat ihre Aufhebungsentscheidung zu Recht auf § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X gestützt. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Das war hier der Fall. Der Bezug des Kg für die Zeit bis Dezember 1993 beruhte auf einer Bewilligungsentscheidung aus dem Jahre 1990, für die § 1 Abs 3 BKGG idF der Bekanntmachung vom 30. Januar 1990 (BGBl I S 149) maßgebend war. Nach dieser Vorschrift hatten Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis im Geltungsbereich des BKGG aufhielten, Anspruch auf Kg nur dann, wenn ihre Abschiebung auf unbestimmte Zeit unzulässig war oder wenn sie aufgrund landesrechtlicher Verwaltungsvorschriften auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden konnten, frühestens jedoch für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr. Diese Voraussetzungen hatte der Kläger seinerzeit erfüllt. Seinem Kg-Anspruch stand die Tatsache, daß er ab März 1991 lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis verfügte, nach der damals gültigen Rechtslage nicht entgegen.
In diesen rechtlichen Verhältnissen ist durch die Neuregelung des § 1 Abs 3 BKGG gemäß Art 5 Nr 1 des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S 2353), das am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist (Art 14 Abs 1 1. SKWPG), eine Änderung eingetreten. Nach § 1 Abs 3 Satz 1 BKGG in der nunmehr maßgeblichen Bekanntmachung der Neufassung des BKGG (Art 13 1. SKWPG) vom 31. Januar 1994 (BGBl I S 168) hat ein Ausländer nur noch dann Anspruch auf Kg, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 Ausländergesetz ≪AuslG≫) oder Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG) ist. Der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG) reicht nicht mehr aus. Dies gilt auch für Kg-Ansprüche bezüglich jener Kinder, die – wie die Kinder des Klägers – vor dem Inkrafttreten dieser Neuregelung, also vor dem 1. Januar 1994, geboren sind, wie vom Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden worden ist (SozR 3-5870 § 1 Nr 6). Da der Kläger ab 1. Januar 1994 die Voraussetzungen des § 1 BKGG für den weiteren Bezug von Kg nicht mehr erfüllte, war die Beklagte nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X berechtigt und verpflichtet, die Kg-Bewilligung für die Zukunft aufzuheben. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, daß die im Dezember 1993 erlassene Aufhebungsentscheidung dem Kläger noch im gleichen Monat bekanntgegeben worden ist, so daß die Aufhebung zum 1. Januar 1994 noch als zukünftige wirksam werden konnte.
3. Nach § 1 Abs 3 BKGG idF der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 bestand für den Kläger als Ausländer in der hier streitigen Folgezeit kein Anspruch auf Kg, weil er nicht im „Besitz” einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis war.
a) Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, in Ansehung des Kg wie ein Deutscher behandelt zu werden. Insbesondere ergibt sich dies nicht aus der Regelung des § 42 BKGG. Danach haben Angehörige der Mitgliedstaaten der EG, Flüchtlinge und Staatenlose nach Maßgabe des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen die gleichen Rechte wie Deutsche. Das innerstaatliche Recht verweist damit auf das europäische Gemeinschaftsrecht (EG-Recht). Der Kläger kann sich für die begehrte Gleichstellung mit Deutschen und anderen EG-Bürgern darauf jedoch nicht stützen, weil er als polnischer Staatsangehöriger, der mit einem Touristenvisum nach Deutschland eingereist, nicht zu dem hierdurch begünstigten Personenkreis zählt.
b) Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf das Assoziationsrecht der EG stützen. Nach dem Gesetz zu dem Europa-Abkommen vom 16. Dezember 1991 (ABl EG Ausg L 1993, L 348/1 ff) zur Gründung einer Assoziation zwischen der EG sowie ihren Mitgliedstaaten und der Republik Polen vom 26. August 1993 (BGBl II, S 1316), das am 1. Februar 1994 in Kraft getreten ist (ABl EG Ausg L 1993, L 348/184), erhalten hinsichtlich der Systeme der sozialen Sicherheit Arbeitnehmer polnischer Staatsangehörigkeit, die im Gebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig beschäftigt sind, für ihre dort rechtmäßig wohnhaften Familienangehörigen und vorbehaltlich der in jedem Mitgliedstaat geltenden Bedingungen und Modalitäten zwar auch „Familienzulagen” (Art 38 Abs 1). Es handelt sich bei dieser Vorschrift jedoch nicht um unmittelbar anwendbares Recht. Vielmehr erläßt gemäß Art 39 erst der Assoziationsrat durch Beschluß „geeignete Bestimmungen” zur Erreichung dieses Zieles (vgl Husmann, Europa-Abkommen – dargestellt am Abkommen mit Polen, ZSR 1998, 100, 132). Ein solcher Beschluß liegt aber noch nicht vor.
Der Senat war nicht gehalten, wegen der Auslegung des Art 38 Abs 1 des Europa-Abkommens den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemäß Art 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft anzurufen und um eine Vorabentscheidung zu bitten. Eine solche Vorlage ist nur dann vorzunehmen, wenn Zweifel an der Auslegung von Bestimmungen des EG-Rechts bestehen. Solche Zweifel gibt es hier nicht. Zwar hat der EuGH sich zur Auslegung des Art 38 Abs 1 des Europa-Abkommens mit Polen bisher nicht geäußert. Das ist auch nicht erforderlich; denn die vorhandene Rechtsprechung des EuGH zu ähnlich gelagerten Vorschriften läßt keine Zweifel offen, wie die genannte Bestimmung auszulegen ist: Art 38 Abs 1 des Europa-Abkommens gewährt polnischen Staatsangehörigen, die in einem Mitgliedstaat der EG rechtmäßig beschäftigt sind, keinen unmittelbaren Anspruch auf „Familienzulagen” für ihre rechtmäßig dort wohnhaften Familienangehörigen, solange ein diesen Programmsatz ausfüllender und konkretisierender Beschluß des Assoziationsrates fehlt (Art 39, 102, 104).
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine Bestimmung eines von der EG mit Drittländern geschlossenen Abkommens nur dann als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen (EuGH, Urteil vom 16. Juni 1966 - Rs 57/65 - Lütticke GmbH, Slg 1966, 257, 266; Urteil vom 30. September 1987 - Rs 12/86 - Demirel, Slg 1987, 3719, 3752). Art 39 Abs 1 des Europa-Abkommens mit Polen ordnet aber ausdrücklich an, daß „der Assoziationsrat durch Beschluß geeignete Bestimmungen zur Erreichung des in Art 38 niedergelegten Zieles festlegt”. Die Vertragsparteien haben damit eindeutig zu erkennen gegeben, daß sie Ansprüche auf „Familienzulagen”, zu denen auch Ansprüche auf Kg nach dem BKGG gehören, nicht unmittelbar begründen wollten, sondern dies entsprechenden Beschlüssen des Assoziationsrates vorbehalten haben. Eine solche nähere Ausführung des Abkommens ist schon deshalb geboten, weil auch Bedingungen und Modalitäten der einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten geblieben sind.
Dem steht auch nicht die Regelung des Art 37 Abs 1 des Europa-Abkommens entgegen. Danach wird den Arbeitnehmern polnischer Staatsangehörigkeit, die im Gebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig beschäftigt sind, zwar eine Behandlung gewährt, die hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung oder der Entlassung keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bewirkt. Zu den „Arbeitsbedingungen” hat der EuGH im Einzelfall auch den Anspruch auf Familienleistungen gerechnet (EuGH, Urteil vom 15. Januar 1986 - Rs 41/84 - Pinna, Slg 1986, 1 ff, zu französischen Familienleistungen für Kinder). Hinsichtlich des Kg ist die Anwendung dieser Vorschrift hier deshalb ausgeschlossen, weil die Vertragsparteien für „Familienzulagen” eine Sondervorschrift (lex specialis) vereinbart haben. Außerdem gilt auch für Art 37 der Vorbehalt nationaler Modalitäten wie in Art 38 des Abkommens.
c) Auch das Gesetz vom 12. März 1976 zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 (BGBl 1976 II, S 393), zuletzt geändert durch das Gesetz zu dem Abkommen vom 8. Oktober 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit vom 18. Juni 1991 (BGBl II, S 741), ist nicht einschlägig. Es betraf und betrifft nur die Renten- und Unfallversicherung bzw später auch die Krankenversicherung, nicht aber das Kg.
4. Die Neuregelung des § 1 Abs 3 BKGG ist vom Wortlaut her eindeutig. Der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis reicht für einen Kg-Anspruch nicht aus. Die Beschränkung des Anspruchs auf Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind, ist vom Gesetzgeber im 1. SKWPG bewußt vorgenommen worden (BT-Drucks 12/5502, § 44 zu Art 5 Nr 1). Die vom Kläger geforderte ausdehnende Anwendung des § 1 Abs 3 BKGG auf seit langer Zeit in Deutschland lebende Ausländer mit einer Aufenthaltsbefugnis scheidet daher ebenso aus wie eine diesen Personenkreis einbeziehende „verfassungskonforme Auslegung” des § 1 Abs 3 BKGG. Es besteht auch kein Anlaß, das Verfahren nach Art 100 Abs 1 GG auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Der Ausschluß der nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfügenden Ausländer vom Bezug des Kg ist verfassungsgemäß.
a) Entgegen der Meinung der Revision war der Gesetzgeber nicht nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG verpflichtet, dem Kläger ebenso Kg zu gewähren wie in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen (BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 16), Angehörigen von Mitgliedstaaten der EG und wie jenen Ausländern, die über eine Aufenthaltsberechtigung oder -erlaubnis verfügen. Mit der Neuregelung bezweckte der Gesetzgeber, den Kg-Anspruch auf solche Ausländer zu begrenzen, von denen im Regelfall zu erwarten ist, daß sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden; dies hat er allein bei denjenigen angenommen, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind (BT-Drucks 12/5502, S 44 zu Art 5 Nr 1).
Das vom Gesetzgeber gewählte Unterscheidungsmerkmal und seine Zielrichtung sind mit dem Gleichheitssatz zu vereinbaren. Dabei kommt es nicht darauf an, inwieweit ein Ausländer als Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis zB aufgrund eines Bleiberechtserlasses ebenfalls über ein verfestigtes Aufenthaltsrecht verfügt (BSG SozR 3-5870 § 1 Nr 6; BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 16). Denn die Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG) ist nach der Systematik des AuslG gegenüber der Aufenthaltsberechtigung und der Aufenthaltserlaubnis jedenfalls ein Aufenthaltstitel minderen Ranges; sie wurde erklärtermaßen vor allem für De-facto-Flüchtlinge geschaffen, also für Ausländer, deren Aufenthalt im Bundesgebiet nur aus humanitären Gründen (Bürgerkrieg im Heimatland oä) geduldet wird (§§ 54, 55 AuslG). Zu diesem Kreis von Ausländern gehörten bis zur Einführung demokratischer Verhältnisse in Polen auch der Kläger und seine Familienangehörigen. Der Gesetzgeber konnte bei diesem Personenkreis davon ausgehen, daß seine Bindungen an Deutschland weniger ausgeprägt sind und die Erwartung, er werde dauernd hier verweilen, weniger begründet ist als beim Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis, also eines Aufenthaltstitels, der – auch im Falle der Befristung (§ 12 Abs 2, § 24 AuslG) – ohne Bindung an einen begrenzten Aufenthaltszweck erteilt wird (§ 15 AuslG), oder gar beim Inhaber einer – zeitlich und räumlich unbeschränkten – Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG). Der Gesetzgeber hat mit seiner Einschätzung, typischerweise sei bei den Ausländern mit Aufenthaltsberechtigung oder -erlaubnis von einem dauerhaften Aufenthalt in Deutschland auszugehen, den ihm auf dem Gebiet der Sozialordnung gesetzten weiten Rahmen (BVerfGE 50, 290, 332 f mwN, BVerfGE 87, 363, 383; stRspr) nicht überschritten. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber keine Prüfung im Einzelfall angeordnet hat. Die Neuregelung des Kg-Rechts knüpft, ähnlich wie die bereits zuvor in Kraft getretene Änderung der entsprechenden Vorschriften im Bundeserziehungsgeldgesetz ≪BErzGG≫ (BSGE 70, 197 = SozR 3-7833 § 1 Nr 7; BSG SozR 3-7833 § 1 Nrn 12, 14), auch im Interesse einer einfacheren Verwaltungsabwicklung an die Tatbestandswirkung von bestimmten ausländerbehördlichen Entscheidungen an. In beiden Rechtsgebieten kommt dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität besondere Bedeutung zu (BSG SozR 3-5877 § 1 Nr 6; BVerfGE 82, 60, 101 ff). Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn jeweils im Einzelfall die Verfestigung des Aufenthaltsrechts und die Absicht, auf Dauer in Deutschland zu bleiben, von den Kg-Behörden überprüft werden müßten, wie es nach dem früheren Recht noch erforderlich war.
b) Ebensowenig verstößt die neue Regelung gegen den Schutz der Familie (Art 6 Abs 1 GG) oder gegen das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG). Aus diesen Vorschriften läßt sich kein konkreter verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte staatliche Leistungen herleiten (BVerfGE 82, 60, 79 ff), solange die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein der Bürger (Existenzminimum) gewährleistet sind. Diese Aufgabe kommt der Sozialhilfe, nicht jedoch dem Kg zu (BSG SozR 3-5870 § 1 Nr 6).
c) Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich die Frage, ob entgegen § 1 Abs 3 BKGG auch Ausländern ohne Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung von Verfassungs wegen Kg zwar nicht in seiner Funktion als allgemeine Sozialleistung zustehen müßte, wohl aber in seiner steuerlichen Entlastungsfunktion (vgl BVerfGE 87, 153 und 82, 60, 78 f). Der 10. Senat des BSG hat diese Frage offengelassen. Er hatte ausnahmslos Sachverhalte zu beurteilen, in denen die Kläger entweder ausschließlich von der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz lebten, die Kläger also das notwendige Existenzminimum für sich und ihre Familien weder vollständig noch teilweise aus eigenem Einkommen sicherstellen konnten, oder aber die Kläger zwar von Arbeitsentgelt lebten, dieses aber in seiner steuerrechtlich relevanten Höhe die Freibetragsgrenze nicht überstieg. Die jeweiligen Kläger waren daher nicht einkommensteuerpflichtig, so daß bei ihnen kein Raum für eine (weitere) steuerliche Entlastung blieb (BSG SozR 3-5870 § 1 Nrn 6 und 11). Im vorliegenden Fall ist dies anders. Die Familie bestreitet ihren gesamten Lebensunterhalt aus dem Erwerbseinkommen des Klägers; dieses Einkommen unterliegt der Steuerpflicht. Die vorgenannte Frage wird hier also relevant. Der Senat hat die Frage verneint (Urteil vom 2. Oktober 1997 - 14/10 RKg 21/96 -, seitdem stRspr). Daran ist festzuhalten.
Es ist hier nicht zu prüfen, ob durch die steuerliche Veranlagung des Klägers und seiner Ehefrau in den Jahren 1994 und 1995 der verfassungsrechtliche Grundsatz verletzt ist, daß das Existenzminimum einer Familie lohn- und einkommensteuerrechtlich verschont bleiben muß (BVerfGE 82, 60, 85 ff). Denn vorliegend geht es nicht um einen Steuerbescheid, bei dem die Verfassungswidrigkeit von steuerrechtlichen Eingriffsnormen oder unzureichenden steuerrechtlichen Freibetragsregelungen zu prüfen ist.
Auch die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 82, 60, 83 ff) entwickelten Grundsätze für sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergebende verfassungswidrige Rechtslagen greifen hier nicht ein. Danach kann, wenn sich der verfassungsrechtliche Mangel durch eine gesetzliche Nachbesserung bei der einen oder der anderen Einzelregelung beheben ließe, grundsätzlich jede dieser Normen zur Prüfung gestellt werden. Indessen ist eine Norm in diesem Zusammenhang nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie von ihrem Regelungsgegenstand her dazu dienen kann, dem Gesetzgeber durch ihre Änderung die Behebung eines – auch oder sogar in erster Linie durch eine andere Norm geschaffenen – verfassungswidrigen Zustands zu ermöglichen. Hinzu kommen muß vielmehr, daß die Norm objektiv erkennbar dem Regelungsziel (dem „gesetzgeberischen Programm”) dient, das in verfassungswidriger Weise verfehlt worden ist (BVerfGE 82, 60, 85). Dem Ziel, der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit wegen des Unterhalts von Kindern Rechnung zu tragen, sollten im bis Ende 1995 geltenden dualen System nicht nur die steuerrechtlichen Freibeträge, sondern auch die Kindergeldregelungen dienen, weshalb von der Verfassungswidrigkeit der Gesamtlage auch die letztgenannten Regelungen erfaßt waren.
Dies gilt aber nicht für Ausländer ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Durch die zu Lasten des Klägers angewendete Norm des § 1 Abs 3 BKGG werden solche Ausländer gerade von vornherein aus diesem gesetzgeberischen Programm ausgeklammert. Die Zahlung von Kg als Sozialleistung kommt hier auch dann nicht in Betracht, wenn steuerrechtlich das notwendige Existenzminimum nicht gewahrt ist. Eine etwaige Verfassungswidrigkeit der Besteuerung ist allein anhand der einschlägigen Steuervorschriften zu prüfen (so bereits Urteil des erkennenden Senats vom 10. Juli 1997 - 14/10 RKg 1/95 - nicht veröffentlicht).
5. Die Einschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises durch die Neuregelung des § 1 Abs 3 BKGG begegnet auch insoweit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, als hierdurch – wie im Falle des Klägers – laufende Ansprüche auf Kg entzogen wurden.
Als Prüfungsmaßstab kommt insoweit nur der im Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) verankerte Vertrauensschutz in Betracht. Dieser erstreckt sich aber nicht soweit, daß laufende Sozialleistungen nicht gekürzt oder entzogen werden dürften, wenn die Haushaltslage Einsparungen gebietet. Das Recht auf Eigentum (Art 14 Abs 1 GG) umfaßt nicht den Anspruch auf Kg, da diese Sozialleistung in keinerlei Hinsicht aufgrund von Eigenleistungen (Beiträgen) gewährt wird (BVerfGE 69, 272, 301 f; stRspr). Der 10. Senat hat die Frage, ob einem ausländischen Kg-Bezieher ohne Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung diese Sozialleistung ersatzlos zum 1. Januar 1994 entzogen werden durfte, allerdings nur für die Gruppe der ausschließlich von Sozialhilfe lebenden Ausländer sowie für die Gruppe der Ausländer mit einem sich am Sozialhilfeniveau bewegenden Erwerbseinkommen bejaht. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes hindert danach den Gesetzgeber jedenfalls nicht, eine Sozialleistung zu entziehen, wenn dieser Verlust gleichzeitig durch eine andere Sozialleistung – hier die Sozialhilfe – in gleicher Höhe vollständig oder jedenfalls nahezu vollständig ersetzt wird (BSG SozR 3-5870 § 1 Nrn 6 und 11). Der 10. Senat ist auf diese Fallkonstellation nur deshalb näher eingegangen, weil er die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung im Hinblick auf die Wahrung der Existenzgrundlage im Zusammenwirken mit dem Kg-Recht als zweifelhaft angesehen und offengelassen hat. Für den erkennenden Senat bestehen diese Zweifel – wie ausgeführt – nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 542782 |
FA 1999, 136 |