Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfallzeit. Anschlußzeitraum. Schulausbildung
Orientierungssatz
1. An der Auffassung, daß unter dem Wort "anschließend" in § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 AVG ein Zeitraum bis zu zwei Jahren zu verstehen ist, wird auch für die Zeit seit Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9.6. 1965 festgehalten (vgl BSG 1969-11-28 1 RA 147/69 = BSGE 30, 163).
2. Eine abgeschlossene Hochschulausbildung liegt schon dann vor, wenn einer der möglichen Abschlüsse erreicht ist (vgl BSG 1963-09-18 1 RA 166/60 = SozR Nr 9 zu § 1259 RVO).
Normenkette
AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 20.01.1972) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Januar 1972 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger gewährten Altersruhegeldes, insbesondere darüber, ob die Zeiten seiner weiteren Schulausbildung und seines ersten Studiums als Ausfallzeiten anzurechnen sind.
Der am 21. November 1903 geborene Kläger bestand am 22. März 1923 die Reifeprüfung. Von November 1923 an studierte er zunächst Jura (drei Semester) und anschließend klassische Sprachen und Geschichte. Am 28. März 1929 bestand er das erste Staatsexamen (Studienreferendar) und am 31. März 1930 das zweite Staatsexamen (Studienassessor). Die von ihm angestrebte Aufnahme in den Staatsdienst wurde abgelehnt. Er gab deshalb in der Folgezeit Nachhilfestunden und lebte bei seinen Eltern. Vom 1. September 1932 bis 31. Oktober 1933 war er unbezahlter Volontärassistent bei der Prähistorischen Staatssammlung in M. Vom Sommersemester 1933 an bis einschließlich Sommersemester 1936 - mit Ausnahme des Wintersemesters 1934/35 - studierte er insgesamt sechs Semester Vor- und Frühgeschichte. Vom 1. November 1936 an war er Hilfsassistent an der Universität M und ab 1. November 1937 bis Kriegsende Assistent an der Universität T. Im Jahre 1941 promovierte er zum Dr. phil. Von 1949 bis 1968 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museumsdienst. Der erste Pflichtbeitrag wurde für ihn im Wege der Nachversicherung für den Monat November 1940 entrichtet.
Bei der Berechnung des dem Kläger ab 1. Dezember 1968 gewährten Altersruhegeldes sah die Beklagte von einer Berücksichtigung der Zeiten des früheren Schulbesuchs ab Vollendung des 16. Lebensjahres (21. November 1919 bis 22. März 1923) und des ersten Studiums vom 2. November 1923 bis 1928 ab, weil insoweit die Voraussetzungen zur Anrechnung als Ausfallzeiten nicht gegeben seien (Bescheid vom 10. September 1968). Demgegenüber meint der Kläger, daß außer seiner Schulzeit insgesamt fünf Jahre seiner Hochschulausbildung als Ausfallzeiten zu berücksichtigen seien, weil zwischen Abschluß seines zweiten Studiums (1936) und Beginn seiner versicherungspflichtigen Tätigkeit (1. November 1940) weniger als fünf Jahre lägen und sein erstes und zweites Studium als eine Einheit zu sehen sei. Die Beklagte erklärte sich im Laufe des Rechtsstreits bereit, die Zeit des zweiten Studiums (September 1933 bis September 1936) als Ausfallzeit anzuerkennen. Der Kläger nahm dieses Anerkenntnis nicht an. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte im Sinne ihres Anerkenntnisses, im übrigen wies es die Klage ab. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Nach der Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) scheitert eine Anrechnung der Schulzeit und des ersten Studiums des Klägers als Ausfallzeit daran, daß zwischen erstem und zweitem Studium kein zeitlicher Zusammenhang bestehe, weil die Zeitlücke jedenfalls mehr als zwei Jahre ausmache; entgegen der Meinung des Klägers könne aber auch seine Hochschulausbildung nicht als eine Studieneinheit gesehen werden, weil es sich in seinem Falle, selbst wenn das erste Studium dem zweiten nützlich gewesen und teilweise angerechnet worden sei, um zwei getrennte voneinander unabhängige und für sich abgeschlossene Studiengänge mit ganz verschiedenen Berufszielen gehandelt habe. Auch die Voraussetzungen zur Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) seien nicht gegeben, weil es an der erforderlichen Arbeitslosmeldung des Klägers bei einem deutschen Arbeitsamt fehle (Urteil vom 20. Januar 1972).
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20. Januar 1972 aufzuheben und unter Abänderung des Urteils des SG Speyer, Zweigstelle Mainz, vom 22. Oktober 1970 sowie des Bescheides vom 10. September 1968 die Beklagte zu verurteilen, bei der Feststellung des Altersruhegeldes die Zeit der Schulausbildung des Klägers vom 21. November 1919 bis 22. März 1923 sowie insgesamt fünf Jahre seiner Hochschulausbildung als Ausfallzeiten zu berücksichtigen.
Er rügt die Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 und 4 b AVG. Die vom Bundessozialgericht (BSG) festgelegte Begrenzung eines zeitlichen Zusammenhangs auf zwei Jahre entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers und sei problematisch. Es erscheine als unbillige Härte, wenn er, der unverschuldet einen seiner Berufsausbildung entsprechenden Beruf nicht ergreifen konnte, hierdurch versicherungsrechtliche Nachteile habe. Sein erstes und zweites Studium müßten als eine Einheit gesehen werden.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision. Nach ihrer Ansicht kann es dahinstehen, ob die beiden Studienzeiten des Klägers zwei verschiedene Ausbildungen waren oder ob es sich um ein einheitliches Studium handelte. Denn weder sei nach der Rechtsprechung des BSG der "Anschluß" im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG gewahrt noch komme bei der Annahme einer einheitlichen Hochschulausbildung ihre Anrechnung als Ausfallzeit in Betracht, weil der Kläger seine Hochschulausbildung dann schon 1929 und nicht erst mit der Promotion im Jahre 1941 abgeschlossen habe. Die Anrechnung des zweiten Studiums als Ausfallzeit sei nur möglich, wenn man von zwei verschiedenen Hochschulausbildungen ausgehe.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht nur sein zweites Studium als Ausfallzeit angerechnet.
Der Kläger begehrt nach seinem Revisionsantrag - ebenso wie schon in der Berufungsinstanz - allein die Berücksichtigung seiner weiteren Schulzeit vom 21. November 1919 bis 22. März 1923 sowie von insgesamt fünf Jahren seiner Hochschulausbildung als Ausfallzeiten. Die Anrechnung dieser Zeiten beurteilt sich nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AVG in seiner bis zum 18. Oktober 1972 gültig gewesenen Fassung (Art. 1 § 2 Nr. 19 d des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes - RVÄndG - vom 9. Juni 1965). Hiernach sind Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung sowie einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung in gewissem Umfang u. a. dann Ausfallzeiten, wenn im Anschluß daran innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist.
Die weitere Schulausbildung des Klägers nach Vollendung des 16. Lebensjahres, die mit dem Abitur am 22. März 1923 beendet war, könnte nur dann als Ausfallzeit berücksichtigt werden, wenn er im Anschluß daran innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen hätte oder wenn sich an die Schulausbildung eine Ersatzzeit anschließen würde und nach deren Beendigung innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden wäre. Keine dieser Voraussetzungen ist hier gegeben. Da eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf Grund der Nachversicherung erst ab 1. November 1940 aufgenommen wurde, ist die Fünfjahresfrist nicht gewahrt. Aber auch die Voraussetzungen der zweiten Alternative liegen nicht vor, weil der Kläger vor der Aufnahme seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung keine Ersatzzeit zurückgelegt hat. Zwar können nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Zeiten einer weiteren Schulausbildung auch dann Ausfallzeiten im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG sein, wenn an die Schulausbildung nicht eine Ersatzzeit, sondern eine weitere als Ausfallzeit anzuerkennende Ausbildungszeit anschließt, sofern nach deren Beendigung innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist (BSG 30, 163, 164; SozR Nr. 28 zu § 1259 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Aber auch diese Möglichkeit scheidet aus.
Die 1933 begonnene Hochschulausbildung des Klägers, die - wenn auch erst durch die Promotion im Jahre 1941 abgeschlossen - im September 1936 beendet war, ist zwar von der Beklagten zu Recht als Ausfallzeit berücksichtigt worden. Diese Ausfallzeit hat aber nicht innerhalb von zwei Jahren seit dem Ende der Schulausbildung, sondern erst rd. 10 Jahre später begonnen; sie schließt sich somit nicht an die weitere Schulausbildung an (vgl. BSG aaO sowie SozR Nr. 27 und 28 zu § 1259 RVO). Dieses zweite Hochschulstudium kann daher nicht dazu führen, daß die Zeit der weiteren Schulausbildung Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG ist. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn auch die Zeit des ersten Hochschulstudiums des Klägers (1923 bis 1928) Ausfallzeit wäre. Das aber trifft nicht zu.
Die im November 1923 begonnene Hochschulausbildung des Klägers schließt sich zwar binnen angemessener Frist (rd. sieben Monate) an das Ende der Schulzeit an. Diese Hochschulausbildung ist auch durch ein Staatsexamen (März 1929) abgeschlossen worden. Dabei ist es unschädlich, daß der Kläger zunächst einige Semester Jura studiert hat, ohne dieses Studium abgeschlossen zu haben (vgl. SozR Nr. 24 zu § 1259 RVO). Die Anrechnung dieser ersten Hochschulausbildung oder wenigstens eines Teiles dieser Zeit scheitert jedoch daran, daß nach ihrem Ende (1929) nicht binnen fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen wurde und daß sich - was als zweite Möglichkeit in Betracht käme - die als Ausfallzeit zu berücksichtigende Hochschulausbildung von 1933 bis 1936 erst rd. vier Jahre später "angeschlossen" hat. In einem solchen Fall kann nicht mehr von einem angemessenen Anschlußzeitraum dieser beiden Ausbildungszeiten - worunter ein Zeitraum bis zu zwei Jahren zu verstehen ist - gesprochen werden. Der Senat hält insoweit an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. Urteil vom 10. Februar 1970 - 11 RA 162/69 - sowie BSG 30, 163). Das Vorbringen der Revision ist nicht geeignet, eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung zu rechtfertigen. Ist - wie hier - der zeitliche Zusammenhang, der mit einer Frist bis zu zwei Jahren schon sehr großzügig ist, nicht gewahrt, kommt es auf die Gründe, die zu einer Unterbrechung von mehr als zwei Jahren geführt haben, nicht an. Der Kläger verkennt insoweit, daß die Rechtsprechung die Begriffe "anschließend" und "Anschluß" im Interesse der Versicherten ohnehin schon so weit ausgelegt hat, als dies eben noch vertretbar ist.
Das Urteil des 12. Senats vom 1. November 1971 (SozR Nr. 41 zu § 1259 RVO) ändert daran nichts. Es besagt, daß eine Schulausbildung auch dann als Ausfallzeit berücksichtigt werden kann, wenn sie für mehr als fünf Jahre unterbrochen worden ist. Für diesen Fall nämlich, bei dem es um die gleiche Art der Ausbildung geht, verlange das Gesetz nicht, daß dann der erste Teil der Ausbildung als Ausfallzeit nur angerechnet werden könne, wenn der zweite Teil der Ausbildung sich in angemessener Frist anschließt. Der Senat hält diese Rechtsauffassung für richtig. Ist somit bei der Schulausbildung auch eine längere Unterbrechung unschädlich, so kann das für eine Hochschulausbildung aber nur gelten, wenn es sich um eine einheitliche, lediglich in zeitlich getrennte Abschnitte fallende Ausbildung handelt. Ob diese Voraussetzung im Falle des Klägers wirklich erfüllt wäre, kann auf sich beruhen; denn selbst wenn sein erstes und zweites Studium als eine Ausbildungseinheit anzusehen wären, käme eine Anrechnung der weiteren Schulzeit und der Zeiten der ersten Hochschulausbildung nicht in Betracht. Die Beklagte macht insoweit zu Recht geltend, daß dann nämlich die anrechnungsfähige Ausfallzeit schon mit dem Staatsexamen im Jahre 1929 geendet hat. Denn nicht erst die Promotion schließt eine Ausbildung ab; vielmehr liegt eine abgeschlossene Hochschulausbildung schon dann vor, wenn einer der möglichen Abschlüsse erreicht ist (SozR Nr. 9 und 31 zu § 1259 RVO). Das zweite Studium des Klägers, das mit der Promotion abschloß, könnte also, würde man seine Hochschulausbildung als Einheit ansehen, nicht mehr berücksichtigt werden; denn dann ist nicht binnen fünf Jahren nach Abschluß der Hochschulausbildung (1929) eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen worden. Die Meinung des Klägers, seine Rechtslage wäre günstiger zu beurteilen, wenn sein erstes und zweites Studium als eine Einheit angesehen werde, ist daher irrig.
Die Situation des Klägers, der sein Studium lediglich deshalb fortgesetzt hat, weil er trotz erfolgreichen Abschlusses seines ersten Studiums keine Anstellung im Staatsdienst finden konnte, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Anrechnung beitragsloser Zeiten kann nicht auf Zeiten ausgedehnt werden, in denen die Hochschulausbildung schon erfolgreich abgeschlossen ist.
Inzwischen ist zwar auf Grund des Rentenreformgesetzes (RRG) die Fünfjahresfrist ersatzlos weggefallen (Art. 1 § 2 Nr. 13 a); diese Gesetzesänderung gilt aber nur für die nach dem 18. Oktober 1972 eingetretenen Versicherungsfälle (Art. 6 § 8 Abs. 2 RRG), was im Falle des Klägers nicht zutrifft. Seine Revision muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen