Leitsatz (amtlich)
1. Die Interessengemeinschaft Behinderter und ihrer Freunde Ludwigshafen eV ist den nach SGG § 166 Abs 2 vertretungsberechtigten Kriegsopferverbänden nicht gleichzustellen.
2. Die Entscheidung, daß ein Antragsteller Behinderter iS AFG § 56 ist, erfordert grundsätzlich Feststellungen zu seiner beruflichen Situation; auch eine MdE von 70 vH macht solche Feststellungen nicht entbehrlich.
3. Wer seiner Behinderung wegen in seiner beruflichen Sicherheit bedroht ist, hat Anspruch auf berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation für eine solche berufliche Ausbildung, die er auch ohne die Behinderung durchlaufen müßte (Anschluß an BSG 1974-02-28 7 RAr 27/72 = SozR 4100 § 56 Nr 1 und BSG 1976-05-26 12/7 RAr 41/75 = SozR 4100 § 56 Nr 4).
4. RehaAnO 1975 § 56 Abs 1 S 2 und 3 sind insoweit nicht von der Ermächtigung des AFG § 39 gedeckt, als diese Regelung die Leistung von Berufsausbildungsbeihilfe auch für die Zeit ab Antragstellung ausschließt, wenn der Antrag erst nach Beginn der Maßnahme oder nach Eintritt eines leistungsbegründenden Ereignisses gestellt worden ist.
Normenkette
SGG § 166 Abs. 2 Fassung: 1974-07-30; AFG § 39 Fassung: 1969-06-25, § 40 Abs. 1 Fassung: 1975-12-18, § 56 Abs. 1 Fassung: 1974-08-07, § 58 Abs. 2 Fassung: 1974-08-07; RehaAnO 1975 § 56 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1975-07-31, S. 3 Fassung: 1975-07-31
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. November 1978 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin Berufsausbildungsbeihilfe zu gewähren.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) zur Rehabilitation.
Die 1956 geborene Klägerin ist seit ihrer Kindheit gehbehindert. Das Versorgungsamt hat zuletzt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 vH festgestellt. Vom 1. August 1976 bis 31. Juli 1978 durchlief die Klägerin erfolgreich eine Berufsausbildung als Verwaltungsangestellte bei der Stadt I; im Anschluß an die Ausbildung hat die Stadt die Klägerin angestellt.
Am 13. Januar 1977, mehr als fünf Monate nach dem Beginn der Ausbildung, beantragte die Klägerin beim Arbeitsamt L die Gewährung von BAB. Mit Bescheid vom 3. Mai 1977 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da nach § 56 Abs 1 der Anordnung über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (AReha) vom 31. Juli 1975 (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit - ANBA - 1975, 994) Anträge vor Beginn der Förderungsmaßnahme zu stellen seien. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1977; Urteil des Sozialgerichts - SG - Speyer vom 13. Juli 1978).
Während des Berufungsverfahrens vertrat das zur entsprechenden Prüfung aufgeforderte Arbeitsamt L die Ansicht, daß die persönlichen Voraussetzungen für eine individuelle Förderung nach der AReha erfüllt seien. Mit Bescheid vom 2. Oktober 1978 lehnte das Arbeitsamt L BAB auch nach § 40 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ab, da die Klägerin als Behinderte nur nach der AReha gefördert werden könne; außerdem sei die Klägerin nicht bedürftig.
Mit Urteil vom 27. November 1978 hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz das Urteil des SG in der Weise abgeändert, daß es den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 1977 aufhob und die Beklagte dem Grunde nach verurteilte, der Klägerin ab 13. Januar 1977 BAB zur Rehabilitation zu gewähren; auch den Bescheid vom 2. Oktober 1978 hat das LSG aufgehoben. Die weitergehende Klage und Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils hat das LSG ausgeführt, die Klägerin sei als Behinderte anspruchsberechtigt. Allerdings habe sie den Anspruch erst ab Antragstellung. Der Antrag gehöre zu den Anspruchsvoraussetzungen; da der Antrag nicht nur verfahrensrechtliche Bedeutung habe, komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht. Entgegen der Ansicht der Beklagten schließe § 56 Abs 1 AReha bei verspäteter Antragstellung nicht die Leistung für die Zukunft aus. Entsprechend dem früheren § 45 Abs 1 AReha vom 2. Juli 1970 (ANBA 1970, 637) und § 21 Abs 1 der Anordnung über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) vom 9. September 1971 (ANBA 1971, 797) müsse die Norm so ausgelegt werden, daß Leistungen ab Antragstellung zu gewähren seien. Nur eine solche Auslegung entspreche dem Übermaßverbot, an das der Anordnungsgeber gebunden sei. Zwar sei es wünschenswert, wenn der Rehabilitationsträger frühzeitig eingeschaltet werde. Eine verspätete Einschaltung könne aber nicht zum Anlaß genommen werden, um die in § 56 AFG zwingend vorgeschriebenen Leistungen vollständig zu verweigern. Auch eine Rehabilitationsmaßnahme müsse nicht nur in vollem Umfang bewilligt oder abgelehnt werden. Die Ausbildung der Klägerin sei daher bis zu ihrem Ende zu fördern. Dabei sei auf die BAB gemäß § 27 AReha das Einkommen der Eltern nicht anzurechnen, da die Nichtanrechnung angesichts des den Eltern nach Abzug aller Freibeträge verbleibenden Betrages von DM 436,- nicht offenkundig ungerechtfertigt sei. Anzurechnen sei allerdings das eigene Einkommen der Klägerin in Höhe von DM 313,58 netto. Da nach § 7 AReha die Gewährung von Leistungen nach der AReha die gleichzeitige Anwendung der zu § 39 AFG ergangenen Anordnungen ausschließe, sei der Ablehnungsbescheid vom 2. Oktober 1978 aufzuheben.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 56 AFG, der §§ 103, 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und hilfsweise des § 56 AReha. Im bisherigen Verfahren seien keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden, ob die Klägerin überhaupt als Behinderte anzusehen sei. Zur Behinderteneigenschaft gehöre, daß infolge der Behinderung die berufliche Stellung des Behinderten bedroht sei. Das LSG habe lediglich eine Behinderung in medizinischer Hinsicht festgestellt. Damit stehe aber noch nicht fest, ob die Klägerin die von ihr durchlaufene Ausbildung als besondere Hilfe zur Rehabilitation benötigt habe. Bei einer Erstausbildung müßten besondere Umstände vorliegen, um sie als Rehabilitationsmaßnahme ansehen zu können. Die Klägerin habe offenbar eine normale betriebliche Erstausbildung durchlaufen, bei der keine Kennzeichen für behinderungsbedingte Besonderheiten festzustellen seien. Es sei daher allenfalls ein Anspruch auf BAB nach § 40 AFG möglich, der jedoch mangels Bedürftigkeit nicht gegeben sei, wie sich aus dem Bescheid vom 2. Oktober 1978 ergebe. Die vom Arbeitsamt Ludwigshafen vertretene Auffassung, die persönlichen Voraussetzungen für einen Rehabilitationsanspruch lägen vor, beruhe auf einer unzulässigen Verallgemeinerung von Feststellungen, die im Rahmen der Bezuschussung eines Kraftfahrzeuges getroffen worden seien. Dem Anspruch der Klägerin stehe aber auf jeden Fall die nach § 56 Abs 1 AReha verspätete Antragstellung entgegen. Diese Regelung habe ihren Sinn darin, daß die Beklagte in der Lage sein müsse, den am besten geeignet erscheinenden Eingliederungsvorschlag zu machen und ihre Mittel für eine optimale Rehabilitation einzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. November 1978 abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 13. Juli 1978 in vollem Umfang zurückzuweisen, ferner die Klage gegen den Bescheid vom 2. Oktober 1978 in vollem Umfang abzuweisen,
und hilfsweise,
den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin ist durch ein Vorstandsmitglied der "Interessengemeinschaft Behinderter und ihrer Freunde L e.V." der Revision entgegengetreten; ihr Bevollmächtigter meint, eine Vereinigung wie die "Interessengemeinschaft" sei den in § 166 Abs 2 SGG ausdrücklich genannten Vereinigungen von Kriegsopfern gleichzustellen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich beide Beteiligte mit einer solchen Entscheidung durch Urteil einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG). Die Einverständniserklärung der Klägerin ist allerdings von einem Bevollmächtigten abgegeben worden, der nicht zu den als Prozeßbevollmächtigten beim Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Rechtsanwälten oder kraft Satzung oder Verbandsvollmacht zur Prozeßvertretung befugten Mitgliedern und Angestellten von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitgebern, von berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft oder von Vereinigungen der Kriegsopfer (§ 166 Abs 2 SGG) gehört. Die "Interessengemeinschaft Behinderter und ihrer Freunde L e.V." ist kein nach § 166 Abs 2 SGG privilegierter Verband. Ob es aus Gründen der Gleichbehandlung geboten ist, den in § 166 Abs 2 SGG unmittelbar bestimmt und erschöpfend festgelegten Kreis der zur Benennung von Prozeßbevollmächtigten befugten Organisationen (vgl BSGE 1, 106, 109; 16, 281, 282; SozR SGG § 166 Nr 38) zu erweitern, bedarf keiner Entscheidung. Die in § 166 Abs 2 SGG privilegierten Verbände kennzeichnen sich im wesentlichen durch die jeweilige Interessengleichheit ihrer Mitglieder. Ihre Mitglieder sind entweder Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Angehörige eines Berufsstandes oder Kriegsopfer, dh Kriegsbeschädigte oder Kriegshinterbliebene. Die Organisationen des § 166 Abs 2 SGG müssen sich in der Hauptsache auf einen Interessentenkreis beschränken (BSG SozR SGG § 166 Nr 36; SozR 1500 § 166 Nr 4); sie dürfen auch nicht "fremdbestimmt" sein (vgl BSG SozR SGG § 166 Nr 33). Die "Interessengemeinschaft" ist schon deshalb kein den privilegierten Verbänden vergleichbarer Verband der Behinderten, weil die Mitgliedschaft nicht auf Behinderte und ihre Angehörigen beschränkt ist. Mitglied kann nach der von dem Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Satzung vielmehr jede natürliche Person werden, die bereit ist, die Ziele des Vereins nach besten Kräften zu fördern (Satzung § 6 Abs 1). Das Ziel der "Interessengemeinschaft" ist es, behinderte Menschen zur Intensivierung ihrer Rehabilitation zu fördern. Dieses Ziel soll aber gerade auch durch nicht behinderte Mitglieder erreicht werden. Denn die erwünschte Integration der Behinderten in die Gesellschaft soll durch Hilfe zur Selbsthilfe in gleichberechtigter Partnerschaft angestrebt werden (Satzung § 2). Von da her ist eine Gleichstellung der "Interessengemeinschaft" mit den vertretungsberechtigten Verbänden verfassungsrechtlich nicht geboten. Die Klägerin ist daher nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten. Doch kann auch der nicht ordnungsgemäß vertretene Beteiligte selbst das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklären (BSG SozR SGG § 124 Nr 5; vgl BVerwG DVBl 1961, 518); entsprechend ist hierzu auch ein Bevollmächtigter, der als Prozeßbevollmächtigter beim BSG nicht zugelassen ist, befugt. Des Antrags auf Zurückweisung der Revision bedarf es nicht; vielmehr ist über die Revision des Beklagten unabhängig vom Zurückweisungsantrag der Klägerin zu entscheiden.
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Anhand der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob der geltend gemachte Anspruch auf BAB begründet ist.
Berufsausbildungsbeihilfen als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation hat die Beklagte nach den im Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme und zur Zeit des Antrags der Klägerin geltenden §§ 56 Abs 2, 58 Abs 1, 40 AFG idF des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) zu gewähren. Als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation sind nach § 56 Abs 1 Satz 1 AFG die Hilfen zu gewähren, die erforderlich sind, um die Erwerbsfähigkeit der körperlich, geistig oder seelisch Behinderten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und die Behinderten möglichst auf die Dauer beruflich einzugliedern. Zu Recht beanstandet die Revision, daß das LSG keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat, ob die Klägerin als Behinderte im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist.
Als Behinderte im Sinne dieser Vorschrift hat der Senat unter Hinweis auf § 2 Abs 1 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter vom 2. Juli 1970 (ANBA 1970, 637; vgl jetzt den inhaltsgleichen § 2 Abs 1 AReha) und die Literatur (Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm z AFG, Stand: August 1972, § 56 Anm 5) Personen bezeichnet, die infolge einer vom Normalen abweichenden körperlichen, geistigen oder seelischen Verfassung in ihrer beruflichen Sicherheit bedroht sind, etwa weil sie deswegen eine bisherige Stellung aufgeben müssen oder in der beruflichen (Wieder-) Eingliederung hierdurch benachteiligt sind, so daß sie insoweit besonderer Hilfen bedürfen (BSG SozR 4100 § 56 Nr 1). Dem ist der 12. Senat gefolgt (BSG SozR 4100 § 56 Nr 4; SozR 4100 § 40 Nr 10). Ob der Kritik an dieser Rechtsprechung, die Bedrohung der beruflichen Sicherheit sei weder nach der Wortfassung des Gesetzes noch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein Merkmal des Behindertenbegriffs (vgl Gagel/Jülicher, Komm z AFG, § 56 Anm 4), zu folgen ist, kann offen bleiben; denn in jedem Fall ist die Beeinträchtigung der beruflichen Sicherheit durch die körperliche, geistige oder seelische Behinderung Voraussetzung für eine Förderung nach den §§ 56 ff AFG. Eine Bedrohung der beruflichen Sicherheit liegt schon dann vor, wenn die Fähigkeit, durch Erwerbstätigkeit Erwerbseinkommen zu erzielen, beeinträchtigt ist. Ausreichend ist die Beeinträchtigung im bisherigen Beruf (BSG SozR 4100 § 56 Nr 1; SozR 2200 § 1237a Nr 6); Hilfen können nicht deshalb versagt werden, weil dem Behinderten andere zumutbare Tätigkeiten offen stehen (BSGE 28, 18). Eine Beeinträchtigung ist zu bejahen, wenn infolge der Behinderung der konkrete Arbeitsplatz gefährdet ist (BSGE 41, 241, 246 = SozR 4100 § 57 Nr 2; SozR 2200 § 1236 Nr 14). Befindet sich der Behinderte noch auf dem Berufsweg, muß die Beeinträchtigung im angestrebten Beruf berücksichtigt werden (BSGE 28, 18, 21). Steht der Betroffene noch nicht im Beruf, ist darauf abzustellen, ob er infolge der vom Normalen abweichenden körperlichen, geistigen oder seelischen Verfassung auf dem an sich für ihn in Betracht kommenden Berufsfeld oder bei der konkreten Ausbildung nicht nur unwesentlich benachteiligt ist, so daß dieser Beeinträchtigung wegen Hilfen erforderlich sind.
Ob die Klägerin in diesem Sinne zu den Behinderten zählt, läßt sich anhand der Feststellungen des LSG, wie die Revision zutreffend geltend macht, nicht beurteilen. Zwar befindet sich die Klägerin, die gehbehindert ist, in einer vom Normalen abweichenden körperlichen Verfassung. Es fehlen jedoch jegliche Feststellungen dazu, inwieweit die Klägerin durch ihre Gehbehinderung in ihrer beruflichen Sicherheit vor dem Beginn der Ausbildung zur Verwaltungsangestellten bedroht war. Ob Hilfen zur beruflichen Rehabilitation in Betracht kommen, ist zunächst davon abhängig, wie sich die körperliche, geistige oder seelische Behinderung im konkreten Fall beruflich auswirkt. Es sind daher grundsätzlich Feststellungen zur beruflichen Situation erforderlich. Die nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG -) erfolgte Feststellung, daß die Klägerin zu 70 vH in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert ist, macht Feststellungen zu ihrer persönlichen beruflichen Situation nicht entbehrlich. Die Vorschrift des § 56 AFG, die für Leistungen zur beruflichen Rehabilitation einen bestimmten Mindestgrad an MdE im Sinne des SchwbG nicht verlangt, läßt ebenso einen bestimmten MdE-Grad nicht allgemein ausreichen. Ob Leistungen zur beruflichen Rehabilitation in Betracht kommen, richtet sich vielmehr allein danach, ob die Behinderung die berufliche Situation so bedroht, daß Hilfen erforderlich sind (vgl Gagel/Jülicher aaO § 56 Anm 4). Hierüber sagt aber eine MdE-Feststellung unmittelbar nichts aus. Denn nach den vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1977 herausgegebenen Anhaltspunkten für die ärztliche Begutachtung Behinderter nach dem SchwbG, die den MdE-Feststellungen der Versorgungsverwaltung zugrunde gelegt werden, ist die MdE lediglich ein Maß für die Auswirkungen eines Mangels an funktioneller Intaktheit. Aus dem Grad der MdE ist daher nicht auf das Ausmaß der Leistungsfähigkeit zu schließen. Insbesondere ist die MdE unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf (vgl Anhaltspunkte, Teil A Nr 3 S 8). Der MdE-Grad läßt daher einen Schluß auf die persönliche berufliche Situation des Behinderten im allgemeinen nicht zu. Allerdings kann der Grad der festgesetzten MdE in Verbindung mit den Funktionseinschränkungen durch die Behinderung die Entscheidung, ob die Behinderung den Antragsteller in seiner beruflichen Situation bedroht, erleichtern; vorausgesetzt ist allerdings, daß ausreichende Feststellungen zum Ausmaß der Funktionseinschränkung und zu der beruflichen Situation vorliegen. Hieran fehlt es im Falle der Klägerin völlig. Dem Urteil des LSG kann nicht entnommen werden, welches Ausmaß die Gehbehinderung der Klägerin im praktischen Leben hat. Auch ist unbekannt, wie die berufliche Situation der Klägerin gewesen ist, bevor sie die Ausbildung als Verwaltungsangestellte begonnen hat. Das Berufungsgericht wird daher tatsächliche Feststellungen treffen müssen, die einen Schluß, ob die berufliche Situation der Klägerin vor Beginn der Lehre bedroht war, zulassen.
Die weiteren Angriffe der Revision gegen das Urteil des LSG gehen dagegen fehl.
Ist die Klägerin durch ihre Gehbehinderung in ihrer beruflichen Situation bedroht gewesen, sind ihr nach § 56 Abs 1 AFG als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation die Hilfen zu gewähren, die erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und sie möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Da die Beklagte im Rahmen der §§ 56 ff AFG nur zu berufsfördernden Leistungen verpflichtet ist, müssen Bildungsmaßnahmen, was hier nicht zweifelhaft ist, soll die Beklagte sie fördern, nach Ziel, Plan und inhaltlicher Ausgestaltung wesentlich durch das Erlernen beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten geprägt sein (BSG SozR 4100 § 56 Nr 4). Andererseits ist eine Begrenzung der zur fördernden Maßnahmen weder aus dem Grunde, der zur körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung geführt hat, noch aus der Behinderung selbst herzuleiten. Ob die Beklagte Maßnahmen beruflicher Bildung eines in seiner beruflichen Sicherheit bedrohten Behinderten zu fördern hat, hängt vielmehr von der Erforderlichkeit der Maßnahme in bezug auf das der Beklagten gesetzte Rehabilitationsziel der Erhaltung, Besserung, Herstellung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit und der dauerhaften beruflichen Wiedereingliederung ab. Rehabilitationsleistungen sind auf den Zweck der Rehabilitation hin ausgerichtet (BSG SozR 2200 § 1236 Nr 14, Nr 15). Solange der Behinderte beruflich beeinträchtigt ist und das Ziel der beruflichen Rehabilitation nicht erreicht ist, aber noch erreichbar erscheint, sind berufsfördernde Leistungen nicht ausgeschlossen. Daher ist es entgegen der Ansicht der Revision nicht erforderlich, daß die zu fördernde Maßnahme gerade wegen der konkreten körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung erforderlich ist. Als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation hat die Beklagte mithin auch eine solche Maßnahme eines in seiner beruflichen Sicherheit bedrohten Behinderten zu fördern, die - wie eine Erstausbildung - von dem Auszubildenden auch ohne Behinderung durchlaufen worden wäre, sofern die Maßnahme nur zur Erreichung des Rehabilitationsziels zweckmäßig ist. Daß die von der Klägerin gewählte Verwaltungslehre dem Rehabilitationsziel entsprach, liegt nach den Feststellungen des LSG, daß die Klägerin die Lehre erfolgreich abgeschlossen und mit dem Abschluß einen Arbeitsplatz gefunden hat, auf der Hand.
Schließlich steht der Leistungsgewährung an die Klägerin ab 13. Januar 1977, wie das LSG im Ergebnis zu Recht entschieden hat, § 56 Abs 1 AReha nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift werden, wie schon § 9 Abs 1 Nr 5 AReha bestimmt, Leistungen (nur) auf Antrag gewährt. Einen solchen Antrag hat die Klägerin am 13. Januar 1977 gestellt. Allerdings ist der Antrag nach § 56 Abs 1 Satz 2 AReha vor Beginn der Maßnahme oder vor Eintritt des Ereignisses zu stellen, welches die Leistung begründet. Diese Frist hat die Klägerin nicht eingehalten. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, daß nach § 56 Abs 1 Satz 3 erster Halbsatz AReha im Ausnahmefall eine Antragstellung noch innerhalb von zwei Monaten nach Beginn der Maßnahme oder nach Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses möglich ist; denn auch diese Frist hat sie versäumt. Doch ist die Regelung des § 56 Abs 1 Sätze 2 und 3 AReha, soweit sie die Leistung von BAB als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation auch für die Zeit ab Antragstellung ausschließt, mit der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren.
Nach § 58 Abs 2 AFG bestimmt die Bundesanstalt für Arbeit (BA) durch Anordnung das Nähere über Voraussetzung, Art und Umfang der berufsfördernden und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation. Die auf dieser Ermächtigung beruhende AReha ist autonomes Satzungsrecht. Als Rechtsnormen binden ihre Vorschriften auch die Gerichte, soweit sie nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen (BSGE 35, 164, 165 f). Ein Antrag dient der Einleitung eines Verfahrens; er bewirkt die Prüfung, ob die Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Gerade bei Maßnahmen der Rehabilitation, bei der in allen geeigneten Fällen ein Gesamtplan aufzustellen ist (§ 5 Abs 3 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 - BGBl I 1881 - - RehaAnglG -), ist es wünschenswert, daß der Antrag vor Beginn einer Maßnahme oder vor Eintritt des Ereignisses, das den Anspruch begründet, gestellt wird. Deshalb mag grundsätzlich gegen das Antragserfordernis und dagegen, daß Leistungen für die vor dem Antrag liegenden Zeiten nicht oder nur in Ausnahmefällen gewährt werden, nichts einzuwenden sein. Soweit bei verspäteter Antragstellung jedoch jegliche Leistung verwehrt wird, verstoßen § 56 Abs 1 Sätze 2 und 3 AReha gegen das höherrangige Recht des AFG.
Beim Erlaß der Anordnung, die gemäß § 58 Abs 2 AFG das Nähere über Voraussetzung, Art und Umfang der berufsfördernden und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation bestimmt, ist die Beklagte nicht frei. Vielmehr muß die Anordnung auch Sinn und Zweck der Ermächtigung entsprechen (BSGE 36, 48, 51). Die Beklagte hat bei der Anordnung über Rehabilitationsleistungen nicht nur die besonderen Verhältnisse der Behinderten zu berücksichtigen (§ 58 Abs 2 Satz 2 AFG), sondern auch zu beachten, daß behinderte Auszubildende BAB nach § 40 AFG im Regelfall auch dann erhalten sollen, wenn ihnen die erforderlichen Mittel aufgrund eines Unterhaltsanspruchs zur Verfügung stehen (§ 58 Abs 1 Satz 2 AFG). Bei der Auslegung dieser Vorschriften ist zu beachten, daß Behinderte ein soziales Recht auf die Hilfe, die notwendig ist, um ihnen einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz in der Gemeinschaft, insbesondere im Arbeitsleben zu sichern, haben (Art I § 10 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - - SGB 1 - vom 11. Dezember 1975 - BGBl I 3015 -); ferner ist sicherzustellen, daß dieses soziale Recht möglichst weitgehend verwirklicht wird (Art I § 2 Abs 2, Art II § 1 Nr 2 aaO). Dem widerspricht es, wenn die Beklagte die Gewährung von BAB an Behinderte von einem vor Beginn der Maßnahme zu stellenden Antrag abhängig macht, während Nichtbehinderten BAB für die Zukunft nicht deshalb versagt wird, weil der Antrag erst nach Beginn der Maßnahme gestellt worden ist (vgl § 20 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 23. März 1976 - ANBA 1976, 559 -; § 20 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung vom 31. Oktober 1969 - ANBA 1969, 213 -, im Zeitpunkt der Antragstellung zuletzt geändert durch die Anordnung des Verwaltungsrates vom 6. Juni 1974 - ANBA 1974, 965 -). Ein rechtfertigender Grund, der es für die Gewährung von berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation erforderlich macht, nach einem verspäteten Antrag Leistungen für die Zeit vom Antrag bis zum Ende der laufenden Maßnahme zu verweigern, ist nicht zu erkennen. Dies wäre anders, wenn das Erfordernis des rechtzeitigen Antrags den Sinn hätte, wegen der Beschränkung der zur Verfügung stehenden Mittel diejenigen Maßnahmen vorher auszuwählen, die gefördert werden sollen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Beklagte, deren Verwaltungsrat die AReha erlassen hat, sieht als Zweck der Vorschrift lediglich an, es ihr vor Beginn einer Maßnahme zu ermöglichen, den am besten geeigneten Rehabilitationsvorschlag zu machen, um die vorhandenen Mittel zweckmäßig und erfolgversprechend zu verwenden. Abgesehen davon, daß dieses Ziel auch dann nicht erreicht wird, wenn der Antrag kurz vor Beginn der Maßnahme gestellt wird oder wenn in den in § 56 Abs 1 Satz 3 AReha genannten Ausnahmefällen trotz verspäteter Antragstellung laufende Rehabilitationsmaßnahmen gefördert werden, kann dieser Zweck die völlige Verweigerung von Rehabilitationsleistungen nicht rechtfertigen. Durch das Erfordernis des vor Beginn der Maßnahme zu stellenden Antrags läßt sich nicht verhindern, daß Behinderte ungeeignete und deshalb auch nicht förderbare Maßnahmen beginnen; Mittel der Beklagten kommen hier schon aus materiell-rechtlichen Gründen nicht zur Auszahlung. Hat der Behinderte schon ohne die Beratung durch die Beklagte die für ihn am besten geeignete Maßnahme begonnen, erweist sich nachträglich eine vorherige Beratung als entbehrlich; Mittel der Beklagten können in diesen Fällen voll ihrem Zweck entsprechend eingesetzt werden. Lediglich dann, wenn mehrere geeignete Maßnahmen in Betracht kommen, kann die vorherige Beratung der Beklagten dazu führen, daß der Behinderte anstelle einer von ihm bevorzugten förderbaren, aber weniger geeigneten Maßnahme die ihm vorgeschlagene geeignetere wählt. Die Förderung der begonnenen Maßnahme in diesen Fällen führt zwar zur zweckentsprechenden Verwendung der Mittel; allerdings ist ein geeigneterer Einsatz denkbar. Allein dieser Möglichkeit wegen allen Behinderten, die den Antrag nicht vor Beginn der Maßnahme gestellt haben, jegliche Förderung zu verweigern, ist unverhältnismäßig; das Mittel der Leistungsverweigerung steht in keinem Verhältnis zu dem, was mit der vorherigen Beratung erreicht werden kann. Daher ist die Regelung des § 56 Abs 1 Sätze 2 und 3 AReha, soweit sie die Leistung von BAB auch für die Zeit ab Antragstellung ausschließt, mit der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren.
Da nach alledem noch Feststellungen erforderlich sind, die der erkennende Senat als Revisionsgericht nicht selbst zu treffen vermag, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen