Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung ausländischer Beitragszeiten in der knappschaftlichen Rentenversicherung
Orientierungssatz
Für eine Rentenversicherung iS des Fremdrentenrechts kommt es nicht darauf an, daß das ausländische Sicherungssystem nach seinem materiellen Recht, seinem Organisationsrecht und nach der Ausgestaltung des Rechtsschutzes mit dem Sozialversicherungssystem in der Bundesrepublik Deutschland übereinstimmt. Bei einem solchen Sicherungssystem muß daher auch der Begriff "Beitragszeit" iS des § 15 FRG weit ausgelegt werden. Mindestens ist darunter jedes "Beitragen" zur finanziellen Deckung eines gesetzlichen sozialen Sicherungssystems zu verstehen, das dem Erwerb eines Rentenanspruchs dient. Hinsichtlich des Beitragsaufkommens sind keine Bedingungen gestellt, eine Beteiligung des Versicherten wird nicht erfordert (vgl BSG 1958-01-15 1 RA 136/57 = BSGE 6, 263).
Normenkette
FRG § 15 Abs. 2 Fassung: 1960-02-25
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 26.11.1970) |
SG München (Entscheidung vom 03.10.1969) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. November 1970 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
In einem Verfahren auf Feststellung der Beitragszeiten, die der Kläger nach Kriegsende in Oberschlesien bei polnischen Versicherungsträgern zurückgelegt hat, ist im Revisionsverfahren nur noch streitig, ob die Zeit vom 15. November 1953 bis zum 5. August 1955 als Versicherungszeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung anzuerkennen ist. Während dieser Zeit war der Kläger als polnischer Soldat zu bergmännischen Arbeiten eingesetzt.
Mit Bescheid vom 5. Dezember 1963 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie die Zeit vom 24. Oktober 1947 bis zum 30. September 1950 als Versicherungszeit und die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 30. November 1950 als Ausfallzeit (Arbeitslosigkeit) der knappschaftlichen Rentenversicherung zugeordnet habe. Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, der hinsichtlich der im Revisionsverfahren noch streitigen Zeit ohne Erfolg blieb, weil Nachweise dafür, daß bergmännische Arbeiten verrichtet worden seien, nicht vorgelegt werden könnten, und es sich hierbei nicht um Beschäftigungszeiten im Sinne des § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) gehandelt habe. Nach seinen Angaben habe der Kläger während der Militärdienstzeit Sold bezogen. Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) München wurde insoweit die Klage mit Urteil vom 3. Oktober 1969 abgewiesen. In dem Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) war der Kläger hinsichtlich der streitigen Zeit erfolgreich. Das LSG hat entschieden, daß die Zeit vom 15. November 1953 bis 5. August 1955 als weitere Beitragszeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung anzuerkennen sei. Es geht davon aus, daß der Kläger vom 17. Oktober 1953 bis zum 5. August 1955 als Wehrpflichtiger zum polnischen Heer eingezogen und vom 15. November 1953 bis zum 5. August 1955 zu Arbeiten in Zechenbetrieben eingesetzt gewesen ist. In dieser Zeit sei der Lohn entsprechend seiner Leistung - normal, wie auch sonst für Bergleute - berechnet und nach Abzug der Lohnsteuer ausgezahlt worden. An die Militärbehörde sei lediglich ein Betrag für die Kosten der Unterkunft und der Verpflegung in der Kaserne abgeführt worden. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Militärdienst für sich allein zur Anerkennung als Versicherungszeit - sei es als Beitrags-, Beschäftigungs- oder Ersatzzeit - führen könne, denn dieser habe beim Kläger während der streitigen Zeit nicht im Vordergrund gestanden. Dominierend und bestimmend sei während dieser Zeit die Arbeit in den knappschaftlichen Betrieben in Jaworzno und Sosnowiez gewesen, zu der der Kläger als Soldat abgeordnet worden sei. Der Militärdienst habe sich nach der Rückkehr von der Arbeit im wesentlichen auf Appelle und politische Schulung beschränkt. Wenn aber der Militärdienst gegenüber der Arbeit in den Bergwerken von untergeordneter Bedeutung gewesen sei, so müsse hieraus auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht die entsprechende Folgerung gezogen werden, d. h. es könne diese Arbeit entgegen der Ansicht der Beklagten nicht schon deshalb als rentenversicherungsrechtlich relevante Beschäftigungszeit abgelehnt werden, weil sie im Rahmen eines Pflichtwehrdienstverhältnisse geleistet worden sei. Das wäre allenfalls dann möglich, wenn der Militärbehörde ein bestimmender Einfluß auf die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses oder auf die Ausführung der Arbeit - etwa durch ihre Beaufsichtigung - eingeräumt gewesen wäre. Gerade das sei jedoch nicht der Fall gewesen. Die Zeche, auf der der Kläger vom 15. November 1953 bis zum 15. Dezember 1954 - unterbrochen nur durch eine Tätigkeit von wenigen Tagen in einer anderen Zeche - gearbeitet habe, habe in Bescheinigungen vom 25. November 1966 und vom 2. März 1967 bestätigt, daß sie von dem an den Kläger gezahlten Arbeitseinkommen Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt habe. Aufgrund dieser Bescheinigungen seien die Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Beschäftigungszeit als knappschaftliche Beitragszeit nach den §§ 15 und 20 Abs. 1 FRG gegeben. Die Berücksichtigung einer Beitragszeit nach § 15 FRG setze nicht den Abzug von Beiträgen vom Arbeitseinkommen des Versicherten voraus. Träfe dies zu, so könne keine nach dem Jahre 1954 in Polen zurückgelegte Beschäftigungszeit mehr nach § 15 FRG angerechnet werden, weil dort nach den Erhebungen des Instituts für Ostrecht seit diesem Jahre vom Lohn der Arbeiter überhaupt keine Sozialversicherungsbeiträge mehr abgezogen wurden. Die Versicherungsleistungen würden allein aus einem durch Beiträge der Arbeitgeber gebildeten Fond gezahlt. Trotz dieser dem deutschen Recht fremden Finanzierungsmethode sei aber die Rentenversicherung in Polen eine gesetzliche Rentenversicherung i. S. des § 15 Abs. 2 FRG geblieben, weil für diese begrifflich keine bestimmte Art des Beitragsaufkommens gefordert werde. Es genüge ein irgendwie gestaltetes Beitragsaufkommen. Daher sei auch die Zeit der Beschäftigung des Klägers in dem Zechenbetrieb in der Zeit vom 15. November 1953 bis zum 15. Dezember 1954, für die der Arbeitgeber eine Beitragsleistung zur Sozialversicherung bestätigt habe, als Beitragszeit nach § 15 FRG anrechenbar. Wenn aber von einer Zechenverwaltung Beiträge abgeführt worden seien, so sei anzunehmen, daß dies in gleicher Weise von der Zechenverwaltung geschehen sei, von der der Kläger anschließend an den 15. Dezember 1954 bis zum 5. August 1955 seinen Lohn erhalten habe. Daher sei die gesamte Zeit vom 15. November 1953 bis zum 5. August 1955, in der der Kläger als Soldat zur Arbeit in knappschaftlichen Betrieben herangezogen worden sei, als knappschaftliche Beitragszeit anrechnungsfähig. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Mit der von ihr eingelegten Revision rügt die Beklagte eine unrichtige Anwendung des § 15 FRG. Sie ist der Ansicht, daß in Polen Soldaten, die während der Ableistung ihres Militärdienstes zu Arbeiten im Bergbau eingesetzt gewesen seien, nicht dem System über die Rentenversorgung der Bergleute und deren Familien, sondern dem System über die Versorgung der Kriegs- und Militärinvaliden angehört haben. Das Auslandsrentenbüro der Sozialversicherungsanstalt in Warschau habe auf Anfrage mitgeteilt, daß die in Industriebetrieben, in der Landwirtschaft und im Bergbau eingesetzten Soldaten durch das Versorgungssystem für Kriegsinvaliden und Militärinvaliden erfaßt und in den Genuß von Rentenleistungen kommen würden, die dieses System vorsehe. Anspruch auf Leistungen aus dem allgemeinen Rentensystem sowie aus dem für Bergleute bestehenden System hätten solche Soldaten nicht. Eine Ausnahme werde lediglich für solche Soldaten gemacht, die während der Beschäftigung auf Zechen unter Tage einen Arbeitsunfall erlitten oder sich eine Berufskrankheit zugezogen hätten. Diesen Personen werde wegen des Unfalls oder wegen der festgestellten Berufskrankheit nach einem Erlaß vom 28. Mai 1957 eine Leistung nach der Rentenversorgung der Bergleute und deren Familien gewährt. Diese Auskunft des Auslandsrentenbüros der Sozialversicherungsanstalt Warschau stehe zwar im Widerspruch zu den Eintragungen in der am 2. März 1967 ausgestellten Arbeitsbescheinigung, in der eine Beitragsabführung bescheinigt werde, jedoch sei den generellen Angaben des polnischen Versicherungsträgers eine größere Bedeutung zuzumessen. Das polnische Soldatengesetz enthalte - soweit bekannt - keine Bestimmung, die den Arbeitgeber verpflichte, für die in seinem Betrieb tätigen Wehrpflichtigen Beiträge zu entrichten. Zwar träfen die vom Institut für Ostrecht gemachten Angaben zu, nach denen in Polen die Renten aus dem Staatsbudget gezahlt und die Versicherten selbst zur Beitragszahlung nicht herangezogen werden, es dürfe aber nicht übersehen werden, daß der arbeitgebende Betrieb zur Finanzierung der Renten einen bestimmten Prozentsatz der gesamten Lohnsumme an den Staatshaushalt abführe. In dieser Lohnsumme seien aber ganz offensichtlich nicht die Löhne und Gehälter der in dem Betrieb eine Beschäftigung ausübenden Soldaten enthalten. Nach polnischem Recht sei für den Anspruch auf Leistungen nicht der Nachweis der Entrichtung von Beiträgen zu erbringen, der Anspruch leite sich vielmehr aus der Beschäftigung selbst her.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. November 1970 abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 3. Oktober 1969 zurückzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, die Zeit vom 15. November 1953 bis zum 5. August 1955 als weitere Beitragszeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung anzuerkennen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten. Die Beigeladenen haben davon abgesehen, in der Sache einen Antrag zu stellen und sich zur Sache zu äußern.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Da der Kläger nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG in der Zeit vom 15. November 1953 bis zum 5. August 1955 während der Ableistung seines aktiven Militärdienstes in der polnischen Armee im Bergbau eingesetzt war und für diese Arbeit von der Zechenverwaltung entlohnt worden ist, ist diese Zeit jedenfalls dann als Beitragszeit i. S. von § 15 FRG in der knappschaftlichen Rentenversicherung anzusehen, wenn die Zechenverwaltungen bei der Abführung von Beiträgen an ein System der sozialen Sicherheit, in welches in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlichen Zwang einbezogen sind, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters oder des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch die Gewährung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen (Renten) zu sichern, auch das Arbeitseinkommen des Klägers mitberücksichtigt haben. Nicht entscheidend für den Ausgang des Rechtsstreits ist die Frage, ob dann, wenn schon während der streitigen Zeit der Versicherungsfall eingetreten wäre, die Rente aus dem allgemeinen Rentensystem oder aus dem Versorgungssystem für Kriegsinvaliden und Militärinvaliden zu zahlen gewesen wäre. Das kann dahingestellt bleiben.
Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (BSG 6, 263 f), kommt es für eine Rentenversicherung im Sinne des Fremdrentenrechts nicht darauf an, daß das ausländische Sicherungssystem nach seinem materiellen Recht, seinem Organisationsrecht und nach der Ausgestaltung des Rechtsschutzes mit dem Sozialversicherungssystem in der Bundesrepublik Deutschland übereinstimmt. Bei einem solchen Sicherungssystem muß daher auch der Begriff "Beitragszeit" i. S. des § 15 FRG weit ausgelegt werden. Mindestens ist darunter jedes "Beitragen" zur finanziellen Deckung eines gesetzlichen sozialen Sicherungssystems zu verstehen, das dem Erwerb eines Rentenanspruchs dient. Hinsichtlich des Beitragsaufkommens sind keine Bedingungen gestellt, eine Beteiligung des Versicherten wird nicht erfordert (vgl. Kommentar des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Anm. 11 zu § 15 FRG). Das LSG hat aufgrund der Angaben in der am 2. März 1967 ausgestellten Arbeitsbescheinigung, wonach der Arbeitgeber von dem Arbeitseinkommen des Klägers Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt hat, festgestellt, daß für den Kläger in der streitigen Zeit Beiträge abgeführt worden sind. An diese Feststellung ist das Revisionsgericht gebunden, denn in Bezug hierauf werden keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht; insbesondere ist ein Überschreiten der Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung nicht feststellbar. Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Zechenverwaltungen nach polnischem Recht verpflichtet gewesen sind, bei der Beitragsabführung an den Sozialversicherungsträger auch die Lohnzahlungen an den Kläger zu berücksichtigen, denn entscheidend ist allein die Feststellung, daß das geschehen ist. Etwas anders könnte allenfalls gelten, wenn diese Beiträge zurückerstattet worden wären. Dafür ist jedoch nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich. Zumindest so lange nicht nachweisbar ist, daß das geschehen ist, ist die streitige Zeit als Beitragszeit im Sinne des § 15 FRG anzuerkennen.
Daher ist das LSG zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß die streitige Zeit nach § 15 i. V. m. § 20 FRG als Beitragszeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung anzuerkennen ist, so daß die Revision der Beklagten zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen