Leitsatz (redaktionell)
Ersatzanspruch der Versorgungsverwaltung nach BVG § 18c Abs 6 S 2 in Übergangsfällen:
Der Ersatzanspruch der Versorgungsverwaltung nach BVG § 18c Abs 6 S 2 gegen die Krankenkasse wird erst durch die Leistung selbst begründet; der Eintritt des Versicherungsfalles iS der Krankenversicherung sowie der Leistungsantrag des Versorgungsberechtigten sind für den Zeitpunkt der Entstehung des Ersatzanspruchs unerheblich.
Orientierungssatz
Maßgebender Zeitpunkt für die Erfüllung der Voraussetzungen des BVG § 18c Abs 6 S 2 ist die Erbringung der Sachleistung durch die Versorgungsverwaltung und die Entstehung der damit verbundenen Aufwendungen.
Dies gilt auch dann, wenn die Anspruchsvoraussetzungen bereits vor Inkrafttreten der Vorschrift am 1972-01-01 erfüllt gewesen sind, die Sachleistung aber erst nach diesem Zeitpunkt erbracht worden ist.
Normenkette
BVG § 18c Abs. 6 S. 2 Fassung: 1971-12-16
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Mai 1975 dahin abgeändert, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25. Juni 1974 in vollem Umfang zurückgewiesen wird.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Das klagende Land verlangt von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) idF des 3. Gesetzes über die Anpassung der Leistungen der Kriegsopferversorgung ( 3. AnpG-KOV) vom 16. Dezember 1971 (BGBl I 1985) die Zuschüsse zu größeren Heil- oder Hilfsmitteln, die sie an die Beigeladenen zu 1), 3) und 4) nach ihrer damals gültigen Satzung (beruhend auf § 187 der Reichsversicherungsordnung - RVO - idF vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 - BGBl I 1881) hätte leisten müssen, wenn diese Mittel nicht als Sachleistungen von dem Kläger als Träger der KOV erbracht worden wären. Hinsichtlich der Beigeladenen zu 2), 5) und 6) ist das der Klage stattgebende Urteil des Sozialgerichts (SG) durch Rücknahme der Berufung rechtskräftig geworden. Zur Zeit der Einlegung der Berufung betrug der in der Höhe unstreitige Erstattungsanspruch 1.433,82 DM.
In den noch streitigen Fällen wurde der Leistungsantrag der Beigeladenen bei dem Kläger in der zweiten Jahreshälfte 1971 gestellt. Im selben Jahr wurden die Heil- oder Hilfsmittel in Auftrag gegeben. Die Auslieferung erfolgte im Jahre 1972.
Das SG hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt und sich auf den Standpunkt gestellt, die am 1. Januar 1972 in Kraft getretene Anspruchsgrundlage des § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG gewähre Ansprüche für die Fälle, in denen nach dem 31. Dezember 1971 die Sachleistungen nach dem BVG erbracht worden seien. Das Landessozialgericht (LSG) hingegen hat die Klage abgewiesen, soweit die Klageforderung 613,01 DM - das ist der Betrag, der für die Beigeladenen zu 2), 5) und 6) durch den Kläger mit Erfolg gefordert worden war und hinsichtlich dessen die Beklagte die Berufung zurückgenommen hatte - übersteigt. Es hat ausgeführt, die Tatsachen, die für den Ersatzanspruch nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG maßgebend seien, hätten schon vor Inkrafttreten dieser Vorschrift vorgelegen und würden von dem Gesetz somit nicht erfaßt. Voraussetzung für den Anspruch sei die Leistungsverweigerung durch den Träger der Krankenversicherung wegen der Gewährung der Sachleistung. Diese Leistungsverweigerung sei schon dann berechtigt, wenn sich die Versorgungsverwaltung zur Leistungsgewährung entschlossen habe. Das sei in den streitigen Fällen vor der Auftragsvergabe im Jahre 1971 geschehen gewesen.
Mit der von dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, der Ersatzanspruch könne erst nach einer Vermögenseinbuße entstehen. Diese sei erst durch die tatsächliche Leistung, nicht schon mit dem Entschluß zur Leistung eingetreten.
Er hat beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, der Entstehungszeitpunkt für den streitigen Anspruch sei noch weiter zurückzuverlegen, als es das LSG getan habe. Maßgebend sei nicht erst der Entschluß zur Leistung, sondern der Versicherungsfall, der auf den jeweiligen Leistungsantrag zu datieren sei.
Die Beigeladenen sind nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die beklagte Krankenkasse ist verpflichtet, dem klagenden Land als Träger der KOV die beantragten Zahlungen zu leisten. Denn die Beklagte wäre satzungsgemäß verpflichtet gewesen, die genannten Beträge den beigeladenen Versicherten als Zuschüsse zu Heil- oder Hilfsmitteln zu gewähren, wenn der Kläger diese Gegenstände nicht als Sachleistungen erbracht hätte. § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG, der seit dem 1. Januar 1972 die Verpflichtung der Beklagten festlegt, in Fällen dieser Art anstelle der satzungsgemäß zuschußberechtigten Versicherten an den Kläger zu leisten, ist deshalb anzuwenden, weil der Kläger erst unter Geltung des neuen Rechts die streitigen Sachleistungen tatsächlich erbracht hat.
Wenn - wie hier - keine ausdrückliche Sonderregelung für Übergangsfälle getroffen worden ist, erfaßt das neue Recht grundsätzlich alle in dem neuen Gesetz genannten Sachverhalte, die ihren Abschluß unter Geltung des neuen Rechts finden; und umgekehrt kann gesagt werden, daß das neue Recht nur solche Sachverhalte nicht erfaßt, die abgeschlossen in der Vergangenheit liegen (vgl. BSG, Urteil vom 27. April 1973 - 3 RK 69/71; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. S. 152).
Der Sachverhalt, der zu dem Anspruch nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG führt, war weder mit dem Versicherungsfall - Notwendig werden der Hilfs- bzw. Heilmittel - noch mit dem Leistungsantrag der Versicherten und Versorgungsberechtigten noch mit dem Entschluß des Klägers, anstelle der Kasse zu leisten, abgeschlossen, sondern erst mit der tatsächlichen Leistung. In dieser Zeit war § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG bereits in Kraft.
Die Meinung des LSG, die in § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG genannten Anspruchsvoraussetzungen seien schon vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1. Januar 1972 erfüllt gewesen, weil nicht die Sachleistung der Versorgungsverwaltung, sondern die Leistungsunterlassung des Trägers der Krankenversicherung vorausgesetzt werde, trifft nicht zu. Es ist zwar einzuräumen, daß § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG nicht ausdrücklich hervorhebt, daß die Versorgungsverwaltung die Sachleistung erbracht haben muß, bevor der Ersatzanspruch gegen die Kasse entstehen kann. Denn in der Schilderung der Voraussetzungen des Ersatzanspruchs ist lediglich aufgeführt, daß eine Zuschußleistung oder sonstige Geldleistung nicht erbracht wird, weil bereits aufgrund dieses Gesetzes eine Sachleistung gewährt wird. Das rechtfertigt aber nicht die Auffassung, der Ersatzanspruch sei lediglich davon abhängig, daß die Zuschußleistung gegenüber dem Versicherten wegen einer in Aussicht stehenden Sachleistung "endgültig unterlassen" werde, wie das LSG meint. Richtig ist, daß die Kasse von dem Zeitpunkt an, zu dem die Sachleistung mit Sicherheit in Aussicht stand - spätestens mit der Auftragserteilung durch die Versorgungsverwaltung - praktisch nicht mehr mit einer Zahlung an die Versicherten und Versorgungsberechtigten zu rechnen brauchte. Sie hätte einen Zuschußantrag trotz § 18 c Abs. 6 Satz 1 BVG ablehnen können, weil eine entsprechende Leistung nach dem BVG nicht nur "vorgesehen" war, sondern unmittelbar bevorstand. Die für die Entstehung eines Ersatzanspruchs maßgebenden Voraussetzungen waren damit aber noch nicht erfüllt. Es fehlten zu dieser Zeit noch die Aufwendungen, deren Ersatz Gegenstand des Rechtsstreits ist.
Der Sinn des Ersatzanspruchs nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG erschöpft sich nicht darin, dem Träger der KOV die Leistungen zukommen zu lassen, die andere öffentlich-rechtliche Leistungsträger, hier die Kasse, dem Versicherten gegenüber wegen einer in Aussicht stehenden Leistung nach dem BVG ablehnen können. Entscheidend ist vielmehr, daß der Träger der KOV - teilweise - entschädigt wird, und zwar für Leistungen die er erbracht hat, obwohl diese Leistungen durch einen anderen öffentlich-rechtlichen Leistungsträger ganz oder zum Teil finanziert worden wären oder - wie im vorliegenden Fall - hätten finanziert werden müssen. Das kommt mit hinreichender Deutlichkeit in der Formulierung der Rechtsfolge des § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG zum Ausdruck: Dem anderen öffentlich-rechtlichen Leistungsträger wird die Verpflichtung auferlegt, "den Betrag der Aufwendungen zu ersetzen, den er sonst als Leistung gewährt hätte". Ist demnach der Zweck des § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG der Ersatz von Aufwendungen, so wird vorausgesetzt, daß diese Aufwendungen seitens der Versorgungsverwaltung auch gemacht worden sind.
Damit werden der Kasse keine Leistungen auferlegt, die sie bereits vorher endgültig erspart hatte. Denn wird - wie hier - der Ersatzanspruch nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG wegen einer Zuschußverpflichtung eines anderen Leistungsträgers gewährt, so kann dieser Ersatzanspruch erst geltend gemacht werden, wenn ohne das Eintreten der Versorgungsverwaltung die Leistung dem Versicherten gewährt worden wäre. Eine Zuschußleistung kann zwar vor der tatsächlichen Anschaffung des zu bezuschussenden Gegenstandes bewilligt werden; die Zahlung kann aber erst im unmittelbaren Zusammenhang mit der Anschaffung verlangt werden, denn Zuschüsse sind keine Vorschüsse. Die Leistung der Kasse wäre somit erst zur Zeit der Leistung der Versorgungsverwaltung fällig geworden, so daß auch erst zu diesem Zeitpunkt die Ersparnis endgültig wurde. Anders könnte dies nur sein, wenn - wofür hier aber keine Anhaltspunkte vorliegen - die Kasse im Laufe des Herstellungsvorgangs der Hilfs- bzw. Heilmittel Abschlagszahlungen zu leisten gehabt hätte.
Schließlich spricht auch die Verjährungsregelung des § 21 Abs. 2 BVG dafür, daß erst mit der tatsächlichen Sachleistung der Ersatzanspruch entsteht. Denn die Verjährung des Ersatzanspruchs nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG beginnt hiernach mit der Durchführung der Sachleistung durch die Versorgungsverwaltung und nicht bereits in einem früheren Zeitpunkt.
Es besteht auch kein sonstiger Grund, den Entstehungszeitpunkt des Ersatzanspruchs nach § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG gegenüber der Zeit der Sachleistung vorzuverlegen. § 18 c Abs. 6 Satz 2 BVG begründet einen Ausgleichsanspruch zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern für Fälle, in denen ohne eine solche Regelung besonders wegen fehlender Gleichartigkeit der geschuldeten Leistungen zweifelhaft sein konnte, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (vgl. BSG 16, 151) ausgereicht hätten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17. Dezember 1974 - 9 RV 198/74 in Breith 1975, 505 = ErsK 1975, 125). Aus alledem ergibt sich, daß nicht der Entschluß zur Leistung, sondern erst die Leistung selbst einen Ersatzanspruch gegen den primär leistungspflichtigen Sozialleistungsträger begründen kann (vgl. BSG aaO S. 156). Eine hiervon abweichende Regelung hätte einer ausdrücklichen Normierung bedurft.
Das zutreffende Urteil des SG war daher in vollem Umfang zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Kostenerstattungspflicht zwischen Behörden ist nach § 193 Abs. 4 SGG ausgeschlossen. Die Beigeladenen hatten in der Berufungs- und Revisionsinstanz keine Kosten.
Fundstellen