Orientierungssatz
Wird ein Krankenkassen-Bundesverband gegenüber einer ihm angeschlossenen KK in Ausführung einer ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgabe (Gemeinschaftsaufgabe) tätig, so schließt das die Annahme einer Geschäftsbesorgung oder eines auftragsähnlichen Verhältnisses zwischen den Beteiligten aus. Schon damit entfällt der von der KK geltend gemachte Zinsanspruch.
Darüber hinaus wird an dem in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsatz festgehalten, daß auf dem Gebiet der Sozialgerichtsbarkeit Verzugs- und Prozeßzinsen auf Geldforderungen nicht zu zahlen sind, soweit nicht das Gesetz ausdrücklich eine Zinszahlung anordnet.
Normenkette
RVO § 414f S. 1 Fassung: 1955-08-17; KVdRG Art. 2 § 11 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Oktober 1974 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Zinsen für einen Defizitausgleich.
Anläßlich der Neuregelung der Krankenversicherung der Rentner durch das Dritte Gesetz über Änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung (Gesetz über Krankenversicherung der Rentner - KVdR -) vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) bestimmte der Gesetzgeber in Art. 2 § 11 Abs. 1, daß die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten an die Krankenkassen zum Ausgleich für die bei der Durchführung der Rentnerkrankenversicherung entstandenen Fehlbeträge einen Unterschiedsbetrag zu zahlen hätten. In Abs. 2 der Vorschrift gab das Gesetz Anweisungen an die Rentenversicherungsträger über die Aufbringung der Mittel, und in Abs. 3 schrieb es vor, daß der Beklagte die von den Rentenversicherungsträgern aufgebrachten Mittel an die ins Defizit geratenen Krankenkassen zu verteilen habe, und bestimmte dazu nähere Einzelheiten.
Die Klägerin hat im August 1959 vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg Klage erhoben und von dem Beklagten gefordert, den von ihm vorgelegten Verteilungsplan zu ändern und ihn zugunsten der Klägerin neu aufzustellen. Die Beteiligten haben mit Rücksicht auf einen anhängigen Musterprozeß einer anderen Allgemeinen Ortskrankenkasse gegen den Beklagten den Rechtsstreit im gegenseitigen Einverständnis zunächst nicht weiterbetrieben. Der Musterprozeß, an dem auch die Klägerin als Beigeladene beteiligt gewesen ist, ist durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Januar 1971 - 3 RK 8/67 - (SozR Nr. 1 zur KVdR Art. 2 § 11) beendet worden; dem Beklagten ist ein anderer Verteilungsmodus als bisher angewandt vorgeschrieben worden. Der Beklagte hat sich sodann auch in dem von der Klägerin anhängig gemachten Rechtsstreit verpflichtet, die Verteilung neu - wie höchstrichterlich entschieden - vorzunehmen. Nunmehr hat die Klägerin von dem Beklagten gefordert, den ihr auf Grund des neuen Verteilungsmodus noch zustehenden Differenzbetrag ab 1. April 1958 mit 4% zu verzinsen. Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 30. November 1972). Es ist der Auffassung, daß auch im öffentlichen Recht Ansprüche zu verzinsen seien. Der Beklagte sei mit der Verteilung der Mittel beauftragt worden und auf Grund des dadurch zwischen den Beteiligten entstandenen Auftragsverhältnisses, der Einmaligkeit und der Größe der Schuld sowie der 15jährigen Dauer des Verzugs sei die Forderung nach Verzugszinsen berechtigt. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten hin das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Oktober 1974): Der Beklagte sei nicht Schuldner des der Klägerin zustehenden Ausgleichsbetrags gewesen, ihm habe nur die Verpflichtung obgelegen, die Mittel zu verteilen, die von den Rentenversicherungsträgern aufzubringen gewesen seien. Für die Verteilung sei vom Gesetz keine Zeit festgesetzt worden. Auch unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Schuldnerverzugs sei die Zinsforderung nicht begründet. Wenn der Beklagte die Neuverteilung erst nach Erlaß des BSG-Urteils durchgeführt habe, so liege darin kein Verschulden.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision: Das Gesetz habe zwar für die Verteilung der Ausgleichsbeträge keinen Fälligkeitstermin vorgeschrieben, doch ergebe sich aus der direkten oder der entsprechenden Anwendung des § 271 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), daß der Gläubiger die Leistung sofort verlangen könne, wenn eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen sei. Der Beklagte habe die Verzögerung der Ausgleichszahlung zu vertreten, denn seine Rechtsauffassung sei in allen sozialgerichtlichen Instanzen für rechtswidrig erklärt worden. Da die Ausgleichsforderung auf Geld gerichtet gewesen sei und dem Beklagten allein die Verteilung obgelegen habe, sei er Schuldner einer Geldforderung und bei nicht rechtzeitiger Zahlung zur Leistung von Zinsen verpflichtet. Die Forderung sei schließlich auch nach § 812 BGB begründet. Der Beklagte habe die von ihm gezogenen Kapitalnutzungen als Bereicherung an die Klägerin herauszugeben; sollte nicht der Beklagte, sondern sollten andere Krankenkassen auf Grund der unrichtigen Verteilung die Kapitalnutzungen gezogen haben, so müßten diese - nach Beiladung - sie herausgeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 24. Oktober 1974 wird aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 30. November 1972 zurückgewiesen,
hilfsweise: Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische LSG zurückverwiesen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er weist darauf hin, daß sich das Vorbringen der Klägerin über das Zufließen von Ausgleichszahlungen an den Beklagten auf Tatsachen beziehe, die vom LSG nicht festgestellt seien. Sie träfen im übrigen auch nicht zu, denn dem Beklagten seien von den Rentenversicherungsträgern überhaupt keine Geldzahlungen zugeflossen. Das Verteilungsverfahren habe vielmehr darin bestanden, daß der Beklagte den einzelnen Kassen Forderungen gegen verschiedene Rentenversicherungsträger zugeteilt habe. Auf Art. 2 § 11 des Gesetzes über KVdR könne der Zinsanspruch der Klägerin nicht gestützt werden, weil die Vorschrift den Beklagten nur zur Verteilung verpflichte, er dieser Verpflichtung aber ohne Verzögerung nachgekommen sei. Im Recht der Sozialversicherung gebe es keinen allgemeinen Grundsatz über die Verzinsung von Geldforderungen, auch nicht als Prozeßzinsen. Das Vertreten einer unrichtigen Rechtsansicht führe für sich allein noch nicht zur Schadensersatzverpflichtung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Die Forderung der Klägerin, ihr Zinsen für die Differenz zwischen dem ihr von dem Beklagten ursprünglich zugewiesenen und dem ihr späterhin neu berechneten Ausgleichsbetrag zu zahlen, findet im Gesetz keine Stütze. Zutreffend hat das LSG darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber in Art. 2 § 11 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über KVdR als Schuldner des Ausgleichsbetrags, der von der Rentenversicherung an die Krankenversicherung zu zahlen war, die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und den Träger der Rentenversicherung der Angestellten bestimmt hat. Wie zwischen diesen Versicherungsträgern die Aufbringung der Mittel zu erfolgen hatte, ist in Abs. 2 der Vorschrift festgelegt. Als Empfänger des Ausgleichsbetrags - insgesamt - sind die Krankenkassen vorgesehen, die in einem näher bezeichneten Zeitraum bei der Durchführung der KVdR ein Defizit erlitten hatten. Der Gesetzgeber hat es jedoch vermieden, unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen Trägern der Rentenversicherung und den einzelnen Krankenkassen herzustellen. Er hat vielmehr ein besonderes Verfahren für die Abwicklung des gesetzlichen Auftrags geschaffen und hat dem Beklagten die Aufgabe zugewiesen, die aufgebrachten Mittel an die Krankenkassen zu verteilen (Art. 2 § 11 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über KVdR). Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 19. Januar 1971 (aaO) dargelegt hat, war der von den Rentenversicherungsträgern aufzubringende Ausgleichsbetrag niedriger als die Summe der Fehlbeträge aller Krankenkassen. Die Aufgabe des Beklagten bestand mithin darin, die Deckungsquote zu ermitteln, danach für die einzelnen Kassen die jeweiligen Ausgleichsforderungen zu berechnen und sie ihnen sodann zuzuteilen. Bei dieser Sachlage leiten das SG und die Klägerin die Zinsforderung zu Unrecht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Juni 1970 (NJW 1970, 1637) ab, denn das zwischen den Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits bestehende Rechtsverhältnis ist keinesfalls mit einem bürgerlich-rechtlichen Geschäftsbesorgungs- oder Auftragsverhältnis vergleichbar. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten ist weder durch Vertrag ein Rechtsverhältnis zustande gekommen noch haben sie gegeneinander quasi-vertragliche Beziehungen begründet, und es liegen auch keinerlei sonstige Anhaltspunkte für die Annahme vor, daß der Beklagte bei der Verteilung der Ausgleichsforderungen im Auftrag der Klägerin gehandelt hätte oder hätte handeln sollen. Vielmehr ergibt sich bereits aus § 414 f Satz 2 Buchst. a bis d der Reichsversicherungsordnung (RVO), daß der Beklagte als Bundesverband kraft Gesetzes verpflichtet ist, die dort näher beschriebenen Aufgaben zu erfüllen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht das Erbringen finanzieller Leistungen der Krankenversicherung betreffen, sondern daß es sich um die Durchführung von Gemeinschaftsaufgaben handelt, die ihrem Wesen nach den Handlungsbereich der einzelnen Kassen oder den der Landesverbände überschreiten und die der Gesetzgeber daher aus Zweckmäßigkeitsgründen dem Beklagten als zentraler Institution der Krankenversicherungsträger zugewiesen hat. Darüber hinaus schreibt § 414 f Satz 1 RVO vor, daß der Beklagte zudem noch die Aufgaben zu erfüllen hat, die ihm durch bundesrechtliche Vorschriften zugewiesen werden. Die Verteilung der Mittel gemäß Art. 2 § 11 Abs. 3 des Gesetzes über KVdR ist eine solche durch Bundesgesetz zugewiesene Aufgabe, deren Auswirkungen über den Bereich der einzelnen Krankenkasse hinausreichen und die der Gesetzgeber somit, dem Zweck und Sinn der Vorschrift Rechnung tragend, dem Beklagten zuteilen konnte. Ist aber der Beklagte gegenüber der Klägerin in Ausführung einer ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgabe tätig geworden, so schließt das die Annahme einer Geschäftsbesorgung oder eines auftragsähnlichen Verhältnisses zwischen dem Beklagten und der Klägerin aus. Schon damit entfällt aber die von der Klägerin herangezogene Begründung ihres Zinsanspruchs.
Darüber hinaus hält der Senat an dem in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsatz fest, daß auf dem Gebiet der Sozialgerichtsbarkeit Verzugs- und Prozeßzinsen auf Geldforderungen nicht zu zahlen sind, soweit nicht das Gesetz ausdrücklich eine Zinszahlung anordnet (vgl. z. B. BSGE 22, 150, 154 f; 24, 16, 18 f; 28, 218, 222 f; 29, 44, 54 f; SozR Nr. 3 zu § 1424 RVO; Nr. 3 zu § 288 BGB). Daran fehlt es hier. Es bedarf in dem Zusammenhang keiner Erörterung der Regelung, die § 44 des Sozialgesetzbuchs (SGB), Allgemeiner Teil, vom 11. Dezember 1975 (BGBl I 3015) trifft, denn abgesehen davon, daß diese Vorschrift erst am 1. Januar 1978 in Kraft treten soll (Art. II § 23 Abs. 2 SGB, Allg. Teil) und schon aus diesem Grund für den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist, werden dort Zinsansprüche nur für Leistungsansprüche der Versicherten festgelegt, nicht aber auch für Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern, wie die Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich betont (vgl. BT-Drucks. 7/868 vom 27. Juni 1973, Begründung zu § 44, S. 30).
Noch ein weiterer Gesichtspunkt spricht gegen die Zinsansprüche der Klägerin. Dem Beklagten ist durch Art. 2 § 11 Abs. 3 des Gesetzes über KVdR lediglich die Verteilung der Ausgleichsmittel übertragen worden. Die von den Rentenversicherungsträgern aufgebrachten Mittel sind dem Beklagten, wie er unwidersprochen dargelegt hat, nicht zur wirtschaftlichen Nutzung zugeflossen, sondern nur von ihm als Durchgangsstelle an die Empfängerkassen - als Forderung - weitergeleitet worden. Auch das LSG hat nicht festgestellt, daß der Beklagte wirtschaftlichen Nutzen - Vermögenserträgnisse - aus den Ausgleichsmitteln gezogen hätte. Demgemäß vermag die Klägerin auch unter dem Gesichtspunkt eines Vermögensausgleichs, etwa i. S. einer ungerechtfertigten Bereicherung, keine Forderung gegen den Beklagten zu erheben. Die Tatsache, daß der Beklagte zunächst eine andere Rechtsauffassung vertreten hatte, als sich späterhin als richtig erwies, begründet ebenfalls keine vermögensrechtliche Forderung der Klägerin gegen den Beklagten. In diesem Zusammenhang ließen sich, wenn überhaupt, Ansprüche auf Folgenbeseitigung nur aus schuldhaftem Handeln des Beklagten ziehen. Anhaltspunkte dafür hat das LSG jedoch nicht festgestellt, und die Klägerin hat auch keine Tatsachen dazu vorgetragen. Das LSG hat vielmehr ungerügt festgestellt, daß der Beklagte seine irrtümliche ursprüngliche Rechtsauffassung unmittelbar nach der rechtskräftigen Entscheidung des vor dem BSG geführten Rechtsstreits aufgegeben und die Neuverteilung der Mittel durchgeführt hat.
Da die Zinsforderung der Klägerin unter keinem Gesichtspunkt begründet ist, war ihre Revision gegen das klageabweisende Urteil des LSG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen