Leitsatz (amtlich)
1. Das Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 entsteht, sofern seine Voraussetzungen im übrigen erfüllt sind, mit der Stellung des Antrags; die Entscheidung des Versicherungsträgers über diesen Antrag hat keine materiell-rechtliche Bedeutung.
2. Eine Rücknahme des Nachentrichtungsantrags ist ausgeschlossen, wenn vom Nachentrichtungsrecht bereits Gebrauch gemacht ist.
Leitsatz (redaktionell)
Freiwillige Beiträge gemäß AnVNG Art 2 § 49a Abs 2, die im Jahre 1974 vor der Entscheidung über den Nachentrichtungsantrag an die BfA überwiesen wurden und aus denen wegen des Todes der Versicherten keine Rentenansprüche entstanden sind, können nicht an die Erben zurückgezahlt werden, weil die Beiträge auch ohne Entscheidung über den Nachentrichtungsantrag wirksam sind.
Normenkette
AVG § 146 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1424 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.05.1977; Aktenzeichen L 13 An 24/77) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 29.11.1976; Aktenzeichen S 5 An 6/76) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 1977 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 29. November 1976 wird zurückgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger ist zum Testamentsvollstrecker für den Nachlaß von Frau Maria H (H.) bestellt worden. Frau H. hatte am 18. Dezember 1974 die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1973 und zugleich die Gewährung von Altersruhegeld aus diesen Beiträgen beantragt; sie hatte den Betrag der freiwilligen Beiträge in Höhe von 47.088,- DM noch im selben Monat (23. Dezember) auf das Konto der Beklagten eingezahlt. Am 23. März 1975 ist Frau H. verstorben. Darauf nahmen ihre Erbinnen und der Kläger die von Frau H. gestellten Anträge zurück und verlangten die Rückzahlung des eingezahlten Betrages.
Die Beklagte, die über die Anträge von Frau H. noch nicht entschieden hatte, lehnte die Rückzahlung ab, weil die Beiträge zu Recht entrichtet seien. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hatte im ersten Rechtszuge keinen Erfolg. Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte, an den Kläger 47.088,- DM zurückzuzahlen. Es ist der Ansicht, die Beiträge seien zu Unrecht entrichtet, weil die Beklagte über den Antrag auf Zulassung der Nachentrichtung noch nicht entschieden gehabt habe; nach dem Tode von Frau H. sei für eine solche Entscheidung kein Raum mehr.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht soll das Antragserfordernis Gewißheit über die Zulässigkeit der gewünschten Nachentrichtung verschaffen. Die Wirksamkeit der Beträge dagegen hänge nicht davon ab, daß die Nachentrichtung zuvor zugelassen worden ist. Ein solcher Bescheid habe allein deklaratorische Bedeutung.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; der Kläger hat schon deswegen keinen Anspruch auf Rückzahlung der streitigen Beträge nach § 146 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - in der bis zum 1. Juli 1977 geltenden Fassung, weil diese Beiträge nicht zu Unrecht entrichtet sind.
Nach den Feststellungen des LSG hatte Frau H. zur Zeit der Beitragsentrichtung die Voraussetzungen erfüllt, unter denen sie nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG "auf Antrag" Beiträge nachentrichten konnte. Den Antrag hatte sie noch vor der Beitragszahlung und, wie in Abs 4 Satz 1 gefordert, innerhalb der dort bestimmten Frist (bis 31. Dezember 1975) bei der Beklagten gestellt. Damit war sie zur Zeit der Beitragszahlung zur Nachentrichtung der Beiträge berechtigt. Sie hat die Beiträge ferner, wie das Abs 3 Satz 2 verlangt, (in nicht zu beanstandender Höhe) unmittelbar an die Beklagte gezahlt; die Beiträge waren hiernach von ihr wirksam entrichtet worden.
Entgegen der Auffassung des LSG bedurfte es für das Recht zur Beitragsentrichtung keiner vorherigen Entscheidung der Beklagten. Das Recht zur Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG besteht nicht erst dann, wenn die Beklagte in einem Bescheid (Verwaltungsakt) die in der Vorschrift geforderten Voraussetzungen als vorhanden feststellt und dementsprechend in dem Bescheid dem Antrag stattgibt bzw. den Berechtigten zur Nachentrichtung zuläßt. Das folgt weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch aus sonstigen Gründen.
Das Rentenversicherungsrecht kennt zahlreiche Fälle, in denen nach dem Gesetzeswortlaut Rechte und sogar Pflichten nur "auf Antrag" bestehen; antragsgebunden in diesem Sinne können zB die Rentengewährung, die Pflichtversicherung, die Nachversicherung, die Weiterversicherung, die Beitragsentrichtung bzw. Nachentrichtung, die Erstattung und die Wiedereinzahlung von Beiträgen sein (§§ 2 Abs 1 Nrn 10 und 11, 25 Abs 1 bis 3, 82 des AVG; Art 2 § 4a des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -; Art 2 §§ 5a, 24 Abs 2, 27, 44a, 48b, 49a Abs 1 und 2 AnVNG; §§ 7 bis 10a WGSVG). In allen diesen und möglichen weiteren Fällen kann es dabei darauf ankommen, ob der Antrag (nur) verfahrensrechtliche oder (auch) materiell-rechtliche Bedeutung hat.
Hat der Antrag allein verfahrensrechtliche Bedeutung, dann hängt die Entstehung des Rechts bzw. der Pflicht nicht vom Antrag ab. Der Versicherungsträger hat dann zwar nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen über den Antrag zu entscheiden; diese Entscheidung kann jedoch wie der sie auslösende Antrag wiederum nur verfahrensrechtliche Bedeutung haben und darum ebenfalls nicht Voraussetzung für die Entstehung des Rechtes bzw. der Pflicht sein.
Hat der Antrag dagegen, wie häufig, wenn er im Tatbestand einer Vorschrift gefordert wird, materiell-rechtliche Bedeutung oder jedenfalls auch materiell-rechtliche Bedeutung, dann kann das Recht bzw. die Pflicht erst mit der Stellung des Antrages entstehen (BSGE 13, 79, 81; 23, 62, 64 f; 34, 1, 4 f und zur Kriegsopferversorgung BSGE 2, 289, 293; 7, 118, 120). Dann läßt sich zwar, wenn ein Recht, dessen Wahrnehmung ohnedies vom Willen des Berechtigten abhängig wäre, im Gesetzeswortlaut an einen Antrag gebunden ist, vielleicht die Frage stellen, ob das Antragserfordernis nicht überflüssig ist (Urteil des Senats vom 16. November 1972, SozR Nr 1 zu Art 2 § 4a ArVNG; vgl auch zur Beitragsnachentrichtung ohne Antrag Art 2 § 50 AnVNG). Das kann jedoch nicht für Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG gelten; hier hat der Antrag nämlich ein eigenes Gewicht, weil er nur bei der Beklagten und nur bis zum 31. Dezember 1975 gestellt werden darf (Abs 3 Satz 1), wogegen die Nachentrichtung, dh die Wahrnehmung des Rechtes nicht an eine gleiche Frist gebunden ist.
Selbst im Falle der materiell-rechtlichen Bedeutung des Antrags kann jedoch die Entstehung des Rechtes bzw. der Pflicht nicht außerdem noch von der Entscheidung des Versicherungsträgers über den Antrag abhängen. Der Gesetzeswortlaut bietet für eine derartige Auslegung keine Handhabe; dort ist immer nur von dem "Antrag" die Rede. Damit ist aber allein der Versicherte angesprochen, der eine entsprechende Willenserklärung abzugeben hat. In den Begriff des Antrages ist dagegen nicht auch das Verhalten des Empfängers dieser Willenserklärung eingeschlossen. Es gibt auch keine materiell-rechtlichen Grundsätze, die einen Versicherungsträger verpflichten würden, auf einen materiell-rechtlichen Antrag eine Entscheidung zu erlassen. In Wahrheit ist der "Antrag" somit in diesem Falle nur ein, gegebenenfalls an bestimmte Erfordernisse geknüpftes Verlangen des Versicherten, das jeweilige Recht in Anspruch zu nehmen bzw. sich der entstehenden Pflicht zu unterwerfen. Dementsprechend ist zB bei der Rentengewährung auf Antrag nicht zweifelhaft, daß der Rentenanspruch (auf das flexible oder auf das vorgezogene Altersruhegeld) nur vom Antrag, dh dem Verlangen des Versicherten und nicht außerdem von der Entscheidung des Versicherungsträgers abhängig ist; der Rentenbescheid hat auch in diesen Fällen keine konstitutive Bedeutung.
Dieser Auslegung steht im Rahmen des Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG der Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht entgegen. Der Grund für das Antragserfordernis mag hier zwar neben der Erfassung der Nachentrichtungswilligen innerhalb bestimmter Frist (bis Ende 1975) auch darin zu finden sein, daß die durch die Vorschrift Begünstigten vielfach noch nicht mit der gesetzlichen Rentenversicherung vertraut waren und also möglichst bald Gewißheit über das Recht der Beitragsnachentrichtung und den Umfang der Aufwendungen erhalten sollten. Dazu reicht es aber aus, daß der Antrag hier neben der materiell-rechtlichen Bedeutung zugleich verfahrensrechtliche Bedeutung hat; der Versicherungsträger muß demzufolge nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen in einem von ihm zu erlassenden Bescheid die Berechtigung zur Beitragsentrichtung feststellen; die Berechtigten konnten die Beitragsentrichtung bis dahin zurückstellen; sie hatten nach dem Bescheid die vom Gesetzgeber gewünschte Sicherheit, weil diesem Bescheid nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindende Wirkung zukommt. Jedenfalls war es aus den genannten Gründen nicht geboten, das Recht zur Beitragsentrichtung von der Zulassung durch den Versicherungsträger abhängig zu machen, dh dem Bescheid materiell-rechtliche und damit konstitutive Bedeutung beizulegen.
Gegenteiliges kann auch nicht aus dem Vergleich mit Art 6 § 4 des Rentenreformgesetzes (RRG) gefolgert werden. Nach dieser Vorschrift war zwar die Nachentrichtung in der Zeit nach der Verkündung des RRG bis zum 31. Dezember 1972 auch "ohne vorherige Antragstellung" zulässig und mußte der Versicherungsträger in diesen Fällen bis zum 30. Juni 1973 "das Verfahren über die Wirksamkeit der Beiträge einleiten"; auch dort konnte dem Bescheid des Versicherungsträgers indessen ebenfalls nur verfahrensrechtliche Bedeutung zukommen. Sollte dem angeführten Urteil des Senats vom 16. November 1972 die Auffassung entnommen werden, in den Fällen des Art 2 § 5a Abs 1 AnVNG dürfe eine Beitragsnachentrichtung zeitlich immer erst dem sie zulassenden Bescheid des Versicherungsträgers folgen, so hält der Senat hieran nicht mehr fest.
Die von Frau H. im Dezember 1974 entrichteten Beiträge sind ferner nicht nachträglich dadurch rückwirkend unwirksam geworden, daß die Erbinnen von Frau H. und der Kläger als Testamentsvollstrecker nach dem Tode der Frau H. den Antrag auf Nachentrichtung zurückgenommen haben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Umständen ein materiell-rechtlich bedeutsamer Antrag zurückgenommen werden darf und ob das Rücknahmerecht nach dem Tode des Berechtigten auf Erben oder Hinterbliebene übergehen kann. Eine Rücknahme ist jedenfalls dann nicht mehr zulässig, wenn der Berechtigte von dem Recht auf Beitragsnachentrichtung bereits Gebrauch gemacht hatte. Das war hier im Dezember 1974 der Fall. Die spätere Rücknahme des Antrages ist mithin ohne Bedeutung.
Es ist nicht zu verkennen, daß das Ergebnis, zumal hier keine Hinterbliebenenleistungen zu gewähren sind, von den Erbinnen als Härte empfunden werden kann. Hierbei ist jedoch schon zu bedenken, daß es nur einer schnelleren Arbeitsweise der Beklagten bedurft hätte, um eine Rückforderung auch nach der Rechtsauffassung des LSG und der Erbinnen auszuschließen. Außerdem liegt es im Wesen einer Versicherung, als welche sich auch die gesetzliche Angestelltenversicherung darstellt, daß Beiträge ohne Gegenleistungen des Versicherungsträgers in Form von Renten usw. beim Versicherungsträger verbleiben können. Im übrigen würde die Auffassung des LSG andererseits zu Auswirkungen führen, die der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Dürfte die Beitragsnachentrichtung erst nach einem sie zulassenden Bescheid erfolgen, so könnte ein inzwischen eingetretener Versicherungsfall die Nachentrichtung möglicherweise ausschließen (vgl Art 2 § 49a Abs 1 Satz 2 AnVNG) oder eine Erhöhung der Beitragssätze zu höheren Aufwendungen zwingen; es könnten ferner erhebliche Nachteile für Hinterbliebene entstehen. Denn selbst wenn man annehmen würde, der Antrag des inzwischen Verstorbenen könnte noch nach dessen Tod beschieden werden und es dürften nun die Erben bzw. die Hinterbliebenen für den Verstorbenen noch von der Nachentrichtungsbefugnis Gebrauch machen, dann wäre die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen (an Witwen, geschiedene Ehegatten, Waisen) immer erst möglich, wenn die Nachentrichtung tatsächlich auch noch erfolgt; dazu könnten zB Erben, die nicht zugleich leistungsberechtigte Hinterbliebene sind, möglicherweise nicht bereit sein. Sind dagegen die vom Verstorbenen noch zu Lebzeiten, wenn auch vor einem Bescheid des Versicherungsträgers geleisteten Beiträge wirksam, dann entstehen unmittelbar mit dem Tode des Versicherten die Rechte auf Hinterbliebenenleistungen ohne weiteres Zutun.
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1650808 |
BSGE, 247 |