Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 02.10.1991) |
SG Darmstadt (Urteil vom 05.10.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. Oktober 1991 insoweit aufgehoben, als die Beklagte über den Monat Januar 1989 hinaus zur Kindergeldgewährung verurteilt worden ist.
Insoweit wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Oktober 1990 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von Kindergeld in der Zeit von Februar 1989 bis Ende 1990.
Die Klägerin ist seit Mai 1985 verheiratet. Ihr Ehemann ist Vater der in den Jahren 1981 und 1983 geborenen Kinder der Klägerin und Mitglied der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten US-amerikanischen Streitkräfte. Die Klägerin bezog Kindergeld. Ihrem Ehemann wird eine vergleichbare Leistung von den US-Streitkräften nicht gewährt.
Durch den hier angefochtenen Bescheid vom 6. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 1989 hob die Beklagte wegen der Verehelichung der Klägerin mit einem Mitglied der US-amerikanischen Streitkräfte die Kindergeldbewilligung, auch für zurückliegende Zeiten, gemäß § 48 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch – (SGB X) auf. In dem Bescheid heißt es, die Klägerin sei mit ihrer Verehelichung Angehörige eines Mitglieds der NATO-Truppen iS von Art 1 Abs 1 Buchst c des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantik-Vertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 (BGBl 1961 II S 1190; NATO-Truppenstatut) geworden. Nach Art 13 Abs 1 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantik-Vertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl 1961 II S 1183; ZusAbk) stehe ihr das Kindergeld grundsätzlich nicht zu. Die von ihr ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung führe nur dann zur Kindergeldgewährung, wenn neben der Versicherungspflicht für die Rentenversicherung und für die Krankenversicherung auch Versicherungspflicht zur Beklagten bestanden hätte. Letzteres sei bei der Klägerin in den fraglichen Zeiträumen nicht der Fall gewesen. Die Beklagte forderte in ihren Bescheiden überzahlte Leistungen zurück.
Durch Urteil vom 5. Oktober 1990 hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid der Beklagten insoweit aufgehoben als darin die Kindergeldbewilligung bis einschließlich Oktober 1988 aufgehoben und das Kindergeld zurückgefordert wurde. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. In dem Urteil ist im einzelnen dargelegt, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, die Kindergeldbewilligung rückwirkend über den Monat November 1988 hinaus aufzuheben und die gewährte Leistung zurückzufordern. Im übrigen hat sich das SG mit der Beklagten auf den Rechtsstandpunkt gestellt, daß die Ausübung einer Tätigkeit durch die Klägerin, welche allein Versicherungspflicht zur Renten- und Krankenversicherung zur Folge hatte, nicht zur Kindergeldgewährung führen könne.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 2. Oktober 1991 das Urteil des SG geändert. Es hat den Bescheid der Beklagten auch insoweit aufgehoben als er die Aufhebung der Kindergeldbewilligung in der Zeit von November 1988 bis März 1989 und von Mai 1989 bis Dezember 1990 betrifft. Dieses Urteil entspricht dem Antrag der Klägerin, die im April 1989 nicht versicherungspflichtig war. In dem Urteil heißt es, der Klägerin stehe die begehrte Leistung zu, obwohl sie außer für den Monat Januar 1989 (S 3 des Urteils) bzw Januar 1990 (S 8 des Urteils) keine Beiträge zur Beklagten entrichtet habe. Die rechtlichen Beziehungen zur sozialen Sicherheit und Fürsorge, welche die Klägerin in der Bundesrepublik in der fraglichen Zeit hergestellt habe, reichten für ihren Anspruch auf Kindergeld aus. Insbesondere sei zu beachten, daß keine Versicherungsfreiheit wegen nur geringfügiger Beschäftigung vorgelegen habe. Die auf § 169a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) beruhende Beitragsfreiheit zur Beklagten sei unerheblich; entscheidend sei allein, ob sie überhaupt rechtliche Beziehungen zur sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland unterhalten habe. Für die gegenteilige Auffassung der Beklagten gebe es keine Rechtsgrundlage. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Mit ihrer Revision wendet die Beklagte sich gegen die Rechtsauffassung im Urteil des LSG. Dessen Auslegung sei weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn des Art 13 Abs 1 Satz 1 ZusAbk zu vereinbaren. Der in dieser Norm eingeräumte Zugang zum System der inländischen Sozialversicherung setze bezüglich der Gewährung von Kindergeld eine vollständige rechtliche Einbindung in dieses System voraus. Es genüge nicht, wenn Personen, wie hier die Klägerin, nur in einzelne Teile dieses Systems eingegliedert seien. Infolge ihrer nur kurzzeitigen Beschäftigung habe es an der erforderlichen gewöhnlichen Einbeziehung der Klägerin in das System der Sozialversicherung gefehlt. Die Rechtsstellung der Ehefrau eines NATO-Soldaten, die weniger als 18 Stunden wöchentlich arbeite und nur kranken- und rentenversicherungspflichtig geworden sei, sei mit derjenigen eines arbeitslosen versicherungspflichtigen Arbeitnehmers nicht vergleichbar. Im EG-Recht werde dies ebenso gesehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. Oktober 1991 insoweit aufzuheben, als die Beklagte über den Monat Januar 1989 hinaus zur Kindergeldgewährung verurteilt worden ist.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf die ihrer Meinung nach zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils. Die Klägerin habe ein steuerpflichtiges Bruttoentgelt bezogen, so daß nicht ersichtlich sei, inwiefern ihre persönliche Beziehung zum System der Sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland unzureichend gewesen sein sollte.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet; sie führt im Rahmen des Revisionsantrages zur Klageabweisung. Der Klägerin steht das begehrte Kindergeld nicht zu.
Das Kindergeld für die Kinder der Klägerin wurde durch Bescheid vom 11. März 1982 bzw im Anschluß an die Geburt des zweiten Kindes (August 1983) von der Kindergeldkasse bei dem Arbeitsamt Darmstadt bewilligt. Die Aufhebung dieses Verwaltungsaktes war wegen der mit ihm verbundenen Dauerwirkung nur nach § 48 Abs 1 SGB X zulässig. Diese Vorschrift setzt voraus, daß nach Erlaß der Bewilligungsbescheide in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Das ist hier der Fall gewesen, und zwar infolge ihrer Verehelichung mit einem Soldaten der NATO-Streitkräfte. Von diesem Zeitpunkt an ist die Vorschrift des Art 13 Abs 1 Satz 1 ZusAbk auf die Klägerin mit der Folge anwendbar, daß die im Bundesgebiet geltenden Bestimmungen über Soziale Sicherheit auf sie grundsätzlich nicht mehr angewendet werden dürfen.
Nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil lagen bei der Klägerin die Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld insofern vor, als sie im Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetzes einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 1 Abs 1 Nr 1 BKGG). Sie ist jedoch auch Angehörige eines Mitglieds einer Truppe iS von Art 1 Abs 1 Buchst c des NATO-Truppenstatuts. Aus diesem Grunde stehen der Anwendung der Vorschriften des BKGG zwischenstaatliche Kollisionsnormen entgegen. Die Klägerin fällt als Angehörige eines Truppenmitglieds unter Art 13 Abs 1 Satz 1 ZusAbk. Nach dieser Vorschrift werden im Bundesgebiet geltende Bestimmungen über Soziale Sicherheit und Fürsorge, zu denen die Normen des BKGG gehören, nicht angewendet, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist. Die Vorschrift ist durch die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Bundesrecht geworden (Gesetz vom 18. August 1961, BGBl II S 1983).
Art 13 Abs 1 Satz 1 ZusAbk soll sicherstellen, daß die unter das NATO-Truppenstatut fallenden Personen, also auch die Angehörigen der NATO-Truppenmitglieder, nicht der deutschen Sozialversicherung und den sonstigen Vorschriften über die Soziale Sicherheit unterworfen werden. Die Vorschrift ist als Grundregel anzusehen. Außerhalb der Mitgliedschaft zu den Streitkräften oder zu den Angehörigen der Streitkräfte begründete rechtliche Beziehungen zur deutschen Sozialversicherung oder sonstigen sozialen Sicherheitssystemen können dagegen bestehen. Dies ergibt sich zwar für den Bezug von Leistungen nach dem BKGG nicht unmittelbar aus Art 13 ZusAbk, wird jedoch in der Rechtsprechung des BSG mittelbar aus Art 13 Abs 1 Satz 3 ZusAbk hergeleitet (BSG SozR 6180 Art 13 Nr 6 mwN). Art 13 Abs 1 ist danach dahingehend auszulegen, daß auf die Mitglieder der Streitkräfte und ihre Angehörigen innerstaatliche Bestimmungen über Soziale Sicherheit und Fürsorge nur dann anzuwenden sind, wenn neben diesem Status bei den betreffenden Personen weitere zusätzliche Umstände eintreten oder vorliegen, durch welche rechtliche Beziehungen zur Sozialen Sicherheit und Fürsorge in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden.
Die Anwendung der vorgenannten Grundsätze führt im vorliegenden Falle zu dem Ergebnis, daß die Klägerin infolge ihrer Verehelichung mit einem Soldaten der NATO-Streitkräfte grundsätzlich keine Ansprüche nach den Vorschriften des BKGG hatte. Von diesem Zeitpunkt an war sie „nur” noch Angehörige eines Mitglieds der amerikanischen Streitkräfte. Die Familienangehörigen eines Mitglieds der Streitkräfte sind unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit in den Status des Entsendestaates einbezogen. Dies hat seinen Grund darin, daß diese Personen nach dem Willen der Vertragsparteien grundsätzlich nach den sozialen Regeln des Entsendestaates versorgt werden sollen (BSG aaO).
Nach dem Willen und dem Konzept der Vertragsparteien werden die Familienangehörigen der Truppenmitglieder wegen der bestehenden sozialen Fürsorge des Entsendestaates zu einer Personengruppe zusammengefaßt, für welche die Bestimmungen der Sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland, wie dargelegt, nur ausnahmsweise gelten. Dadurch wird eine Doppelversorgung durch den Entsendestaat und gleichzeitig durch den Aufnahmestaat ausgeschlossen.
Nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil hat die Klägerin in der noch streitigen Zeit durchweg in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden, in welchem Versicherungspflicht sowohl zur gesetzlichen Krankenversicherung als auch zur gesetzlichen Rentenversicherung gegeben war. Dagegen wurden für sie keine Beiträge zur Beklagten abgeführt, weil sie eine sogenannte kurzzeitige Beschäftigung iS von § 169 Abs 1 Nr 6 AFG in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung bzw § 169a Abs 1 AFG ausübte. Dabei handelt es sich um Beschäftigungen, die auf weniger als 18 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegen oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt sind (§ 102 Abs 1 AFG).
Unter den vorhandenen rechtlichen und tatsächlichen Umständen vermag der Senat einen Ausnahmetatbestand, welcher es rechtfertigt, die Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld als gegeben anzusehen, nicht zu erkennen. Das Fehlen von Versicherungspflicht und damit auch von Versicherungsschutz in der Arbeitslosenversicherung im Falle einer kurzzeitigen Beschäftigung macht deutlich, daß der aus diesem Grund nach den Vorschriften des AFG beitragsfreie Personenkreis nach der Auffassung des Gesetzgebers nur unvollkommen in das System der Sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland einzubeziehen ist. Der Gesetzgeber geht offensichtlich davon aus, daß die betreffenden Personen ihren Lebensunterhalt nicht in erster Linie durch die kurzzeitige Tätigkeit verdienen und aus diesem Grunde im Falle ihrer Arbeitslosigkeit nicht in den Schutz der Arbeitslosenversicherung einbezogen zu werden brauchen.
Die damit gegebene unvollständige Einbeziehung der Klägerin in die Sozialversicherung reicht nicht aus, um anzunehmen, daß das gesamte System der Sozialen Sicherheit auf die Klägerin angewendet werden könnte. In diesem Zusammenhang darf zunächst nicht übersehen werden, daß die Gewährung von Kindergeld an Angehörige der Streitkräfte im Wege der Rechtsfortbildung durch das Bundessozialgericht begründet worden ist. Eine solche sich nicht unmittelbar aus Art 13 ZusAbk ergebende Anspruchsgrundlage kann nicht beliebig erweiternd ausgelegt werden, ohne den Rahmen zu überschreiten, welcher den Gerichten verfassungsrechtlich vorgegeben ist. Vielmehr ist es geboten, die sich aus dem Zweck des Art 13 ZusAbk ergebenden sozialen Rechte von Angehörigen eines Truppenmitgliedes dem Willen des Gesetzgebers entsprechend zu begrenzen. Seinen Willen hat der Gesetzgeber insbesondere in der vergleichbaren Vorschrift des § 8 Abs 1 Satz 2 BKGG zum Ausdruck gebracht. In ihr ist eine Bestimmung für den Fall getroffen, daß Kindergeld von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung an den einen Ehegatten geleistet wird und der andere Ehegatte eine unselbständige Tätigkeit ausübt. Danach wird die Kindergeldzahlung an den abhängig Beschäftigten dann nicht ausgeschlossen, „wenn der Berechtigte eine der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit unterliegende … Beschäftigung als Arbeitnehmer ausübt …”. Damit hat der Gesetzgeber eine Doppelleistung dann nicht versagt, wenn einer der Eheleute voll in die deutsche Sozialversicherung eingebunden ist. Nichts anderes kann gelten, wenn ein Ehepartner in das soziale Netz eines NATO-Staates einbezogen ist und der andere im Geltungsbereich des BKGG eine versicherte Beschäftigung ausübt. In beiden Fällen ist die Versicherungspflicht (auch) zur Beklagten Voraussetzung für den Leistungsanspruch.
Dies steht mit der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG SozR 6180 Art 13 Nr 6) in Einklang, wonach rechtliche Beziehungen zum System der deutschen sozialen Sicherheit, die ungeachtet des Art 13 ZusAbk einen Kindergeldanspruch begründen können, jedenfalls mit dem Ende des Bezugs von Leistungen nach dem AFG untergegangen sind. Damit ging der Senat, wie übrigens zutreffend auch die Beklagte, davon aus, daß Angehörigen von NATO-Streitkräften Kindergeld nur zusteht, sofern rechtliche Beziehungen zu allen Zweigen der Sozialversicherung, also insbesondere auch zur BA, bestehen.
Aus diesem Grunde ist davon auszugehen, daß die Klägerin seit ihrer Verehelichung im Jahre 1985 keinen Anspruch mehr auf das Kindergeld hat.
Die Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides für die Zukunft ist gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X gerechtfertigt und vorgeschrieben. Nur darum geht es hier; denn nach den in der Revision von der Beklagten gestellten Anträgen ist nur noch um die Aufhebung der Kindergeldbewilligung für den Zeitraum ab Februar 1989 im Streit. Damit handelt es sich um eine Aufhebung für die Zukunft, denn der Aufhebungsbescheid vom 6. Dezember 1988 ist der Klägerin noch in diesem Monat zugegangen.
Allerdings scheint das angefochtene Urteil des LSG auf den ersten Blick insofern widersprüchlich, als nach dessen Tatbestand einerseits für den Monat Januar 1989 und nach den Entscheidungsgründen andererseits für den Monat Januar 1990 eine Beitragsentrichtung zur BA erfolgt ist. Abzustellen ist auf die Feststellungen im Tatbestand, auf die offensichtlich in den Entscheidungsgründen, allerdings unter fehlerhafter Bezeichnung, Bezug genommen wird. Sonach erübrigt sich eine Zurückverweisung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen