Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 09.03.1960) |
Tenor
Die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. März 1960 wird zurückgewiesen.
Die beigeladene Landesversicherungsanstalt hat der Klägerin und der beigeladenen „Oberbayerisches Volksblatt G.m.b.H.” auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I
Die Klägerin trägt seit 1950 die Zeitung „Oberbayerisches Volksblatt” aus. Sie benötigt dazu wöchentlich etwa 36 Stunden. Ihr Verdienst aus diesem Beschäftigungsverhältnis beträgt monatlich durchschnittlich etwa 82,– DM. Die Klägerin bestreitet ihren Lebensunterhalt ferner aus einer Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung, deren Höhe in den Jahren 1957/1958 61,70 DM monatlich und im Jahre 1959 64,70 DM betrug; für das Jahr 1960 erhöhte sich die Rente um weitere 5,94 v. H.
Am 4. März 1958 erteilte die beklagte Krankenkasse der Klägerin auf Veranlassung der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) – im folgenden als „die Beigeladene” bezeichnet – einen Bescheid, wonach ihre Beschäftigung als Zeitungsausträgerin nicht der Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung unterliege, so daß die von ihr seit 1. März 1957 zur Arbeiterrentenversicherung gezahlten Pflichtbeiträge rechtsunwirksam seien. Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid nach erfolglosem Widerspruch Klage beim Sozialgericht (SG) München.
Das SG hob den Bescheid der Beklagten auf und stellte fest, die Klägerin unterliege vom 1. März 1957 an der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Arbeiter: Die Klägerin sei berufsmäßig Arbeitnehmerin; sie sei nicht versicherungsfrei, denn ihre Tätigkeit stelle keine Nebenbeschäftigung im Sinne des § 1228 Abs. 1 Nr. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) dar, weil sie zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes auf den Verdienst als Zeitungsausträgerin angewiesen sei.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der zum Verfahren beigeladenen LVA – unter Zulassung der Revision – zurück: Die nach § 1228 Abs. 2 Buchst. b RVO für die Versicherungsfreiheit von Nebenbeschäftigungen maßgebende Beitragsbemessungsgrenze (§ 1385 Abs. 2 RVO) habe in den Jahren 1957/1958 monatlich 750,– DM betragen und in den folgenden Jahren je 50,– DM monatlich mehr. Das Einkommen der Klägerin als Zeitungsausträgerin liege zwar unter einem Achtel der danach geltenden Bemessungsgrenze; sie sei jedoch trotzdem nicht versicherungsfrei, weil sie ihre Beschäftigung berufsmäßig ausübe. Eine berufsmäßig ausgeübte Beschäftigung, die nicht neben einer Hauptbeschäftigung ausgeübt werde, könne keine „Nebenbeschäftigung” sein. Die Begriffe „Nebenbeschäftigung” und „Nebentätigkeit” in § 1228 RVO setzten voraus, daß eine Hauptbeschäftigung oder eine Haupttätigkeit verrichtet werde oder doch verrichtet werden könne. Eine versicherungsfreie Nebenbeschäftigung liege nicht vor, wenn die Beschäftigung nach den tatsächlichen Verhältnissen berufsmäßig ausgeübt werde. Die Vorschrift des § 1228 Abs. 1 Nr. 5 RVO sei im Grundsatze dem § 168 Abs. 2 RVO nachgebildet worden, der nach § 1226 Abs. 1 Nr. 1 RVO in der Fassung der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 (RGBl. I S. 41) auch für die Invalidenversicherung gegolten habe. Unter einer berufsmäßigen und daher grundsätzlich versicherungspflichtigen Beschäftigung sei eine solche auf Erwerb gerichtete Tätigkeit zu verstehen, die zumindest überwiegend der Sicherung des Lebensunterhalts diene. Dies sei regelmäßig dann anzunehmen, wenn die Tätigkeit die Zeit und Arbeitskraft des Arbeitnehmers nicht nur vorübergehend, sondern hauptsächlich in Anspruch nehme und der daraus erzielte Entgelt zum Lebensunterhalt benötigt werde oder doch erheblich dazu beitrage.
Die Beigeladene hat gegen dieses Urteil form- und fristgerecht Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Zeitungsausträgerin für das Oberbayerische Volksblatt versicherungsfrei in der Rentenversicherung der Arbeiter ist.
Zur Begründung der Revision trägt sie vor: Bis zum 28. Februar 1957 seien für die Klägerin, die bis dahin Witwenrente wegen Invalidität bezogen habe, aus der vorliegenden Beschäftigung keine Pflichtbeiträge zur Invalidenversicherung gezahlt worden. Nach Inkrafttreten des § 1228 RVO nF habe sie die Revisionsklägerin – der beklagten Krankenkasse gemäß § 1399 Abs. 4 RVO nF erklärt, sie sehe die Klägerin nach § 1228 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 RVO nF als versicherungsfrei an. Zwar habe das Gesetz den Begriff der berufsmäßigen Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erläutert, wohl aber den der Nebenbeschäftigung oder Nebentätigkeit. Seien die Voraussetzungen des § 1228 Abs. 2 Buchst. b RVO erfüllt, werde also durch die Beschäftigung kein Entgelt erzielt, das ein Achtel der für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrundlage überschreite, so liege nach dieser – als Legaldefinition anzusehenden – Vorschrift in jedem Falle eine „Nebenbeschäftigung” oder „Nebentätigkeit” vor. Diese könne nicht gleichzeitig eine berufsmäßige Beschäftigung im Sinne des § 1228 Abs. 1 Nr. 5-RVO sein und bedinge daher Versicherungsfreiheit. Es sei mithin entgegen der Rechtsauffassung des LSG unerheblich, ob der Entgelt der Klägerin aus ihrer Tätigkeit für ihren Lebensunterhalt benötigt werde; entscheidend sei vielmehr allein, daß ihr Arbeitsverdienst; unter der in § 1228 Abs. 2 Buchst. b RVO festgesetzten Grenze liege.
Die Beklagte hat sich dem Antrag der Beigeladenen angeschlossen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Unter den Beteiligten ist streitig, ob die Beschäftigung der Klägerin als Zeitungsausträgerin für das Oberbayerische Volksblatt G.m.b.H. seit dem 1. März 1957 der Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung unterliegt. Für die Beurteilung dieser Frage ist die für die Versicherungsfreiheit von Nebenbeschäftigungen vom 1. März 1957 an geltende Vorschrift des § 1228 RVO nF maßgebend (Art. 3 § 8 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes).
Nach § 1228 Abs. 1 Nr. 5 RVO nF ist versicherungsfrei, wer berufsmäßig eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung oder Tätigkeit nicht ausübt, eine solche aber als Nebenbeschäftigung oder Nebentätigkeit übernimmt. Unter welcher besonderen Voraussetzung eine Beschäftigung oder Tätigkeit eine Nebenbeschäftigung oder Nebentätigkeit darstellt, regelt § 1228 Abs. 2 RVO nF. Danach gilt eine zwar laufend oder in regelmäßiger Wiederkehr ausgeübte Beschäftigung oder Tätigkeit als Nebenbeschäftigung oder Nebentätigkeit, wenn der dadurch erzielte Entgelt oder das Arbeitseinkommen durchschnittlich im Monat ein Achtel der für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze (§ 1385 Abs. 2 RVO) oder bei höherem Entgelt oder Arbeitseinkommen ein Fünftel des Gesamteinkommens nicht überschreitet (§ 1228 Abs. 2 Buchst. b RVO).
Der Auffassung der Beklagten, die Beschäftigung der Klägerin sei schon deshalb versicherungsfrei, weil das von ihr erzielte Arbeitseinkommen in Höhe von etwa 82,– DM monatlich die Grenze des § 1228 Abs. 2 RVO nicht überschreite, vermag der Senat nicht zu folgen. Diese Vorschrift erläutert zwar die Voraussetzungen, unter denen eine Nebenbeschäftigung oder Nebentätigkeit i. S. des § 1228 Abs. 1 Nr. 4 und 5 RVO vorliegt, sie steht aber im unmittelbaren Zusammenhang mit Abs. 1 Nr. 4 und 5, deren Voraussetzungen nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes ebenfalls gegeben sein müssen, um Versicherungsfreiheit zu begründen; denn sie bestimmen den Kreis der Personen, die für die Ausnahme von der Versicherungspflicht überhaupt in Betracht kommen. Die Versicherungsfreiheit setzt nach § 1228 Abs. 1 Nr. 5 RVO, die im vorliegenden Fall allein maßgebend sein kann, voraus, daß die „Nebenbeschäftigung” oder „Nebentätigkeit” von einer Person verrichtet wird, die „berufsmäßig eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung oder Tätigkeit nicht ausübt”.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin diesem Personenkreis nicht angehört, weil die hier in Rede stehende Beschäftigung sie wöchentlich etwa 36 Stunden in Anspruch nimmt. Da diese Beschäftigung es der Klägerin wegen ihrer zeitlichen Inanspruchnahme nicht gestattet, daneben noch eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit hauptberuflich auszuführen, kann sie nicht als Nebenbeschäftigung i. S. des § 1228 Abs. 1 Nr. 5 angesehen werden. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom heutigen Tage (3 RK 70/58) zu der für die Beurteilung der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung auch jetzt noch maßgebenden Vorschrift des § 168 Abs. 2 RVO idF der 1. VereinfVO näher dargelegt hat, wird eine Nebenbeschäftigung regelmäßig nur dann vorliegen, wenn sie den Beschäftigten jedenfalls nicht mehr als etwa 20 Stunden wöchentlich in Anspruch nimmt. Dies muß auch für die Beurteilung der Versicherungsfreiheit nach § 1228 Abs. 1 Nr. 5 RVO gelten. Die Beschäftigung der Klägerin überschreitet diese zeitliche Grenze aber nicht unbeträchtlich. Bei dieser Sachlage ist es unerheblich, daß ihr Arbeitseinkommen die in § 1228 Abs. 2 Buchst. b festgesetzte Einkommensgrenze nicht erreicht. Denn Versicherungsfreiheit ist auch bei geringfügigem Einkommen nur dann gegeben, wenn eine Nebenbeschäftigung i. S. des § 1228 Abs. 1 Nr. 5 RVO vorliegt, die Beschäftigung also nach ihrem zeitlichen Rahmen nicht eine „berufsmäßige Beschäftigung” darstellt.
Die Revision der Beklagten ist danach als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 929579 |
BSGE, 38 |