Leitsatz (amtlich)
Für die Beurteilung, ob der Versicherte gemäß AVG § 31 aF iVm RVO § 1263a Abs 1 Nr 3 aF infolge Feindeinwirkung berufsunfähig geworden ist, kommt es darauf an, ob die Berufsunfähigkeit iS des AVG § 23 Abs 2 begründende Gesundheitsstörung Folge der durch Feindeinwirkung erlittenen gesundheitlichen Schädigung ist.
Zur Anerkennung einer Berufsunfähigkeit begründenden Gesundheitsstörung als Folge einer durch Feindeinwirkung erlittenen gesundheitlichen Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Normenkette
AVG § 31 Fassung: 1943-02-22; RVO § 1263a Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1949-06-17; AVG § 23 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. März 1970 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger begehrt Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) aus der Angestelltenversicherung (AV). Es geht darum, ob er infolge Feindeinwirkung berufsunfähig geworden ist und deshalb die Wartezeit gemäß § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Fassung RVO a. F. als erfüllt gilt. Im Revisionsverfahren ist insbesondere streitig, ob die Vorschrift für die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Feindeinwirkung und BU voraussetzt, daß der Tatrichter den Zusammenhang mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen kann.
Der im Oktober 1919 geborene Kläger war im Dezember 1938 als Postfacharbeiter und von Januar bis März 1939 als Praktikant in der D Kupferhütte beschäftigt. Er beabsichtigte, Chemie zu studieren, gab diese Absicht später jedoch auf und studierte Rechtswissenschaft. Nach Ablegung der Zweiten juristischen Staatsprüfung war er im März 1955 kurze Zeit als Angestellter beschäftigt. Am 20. April 1955 wurde er als Hilfsinspektor in das Beamtenverhältnis auf Widerruf übernommen. Vom 15. Dezember 1959 an war er Justizinspektor z. A. und vom 1. August 1960 an Justizinspektor. Mit Wirkung vom 1. März 1964 an ist er zum Justizoberinspektor ernannt worden.
Seit seiner Kindheit ist das Sehvermögen auf dem rechten Auge des Klägers infolge Schielschwachsichtigkeit herabgesetzt. Im Jahre 1933 kam es am linken Auge nach einer Prellung zu einer Netzhautablösung, die erfolgreich operiert wurde. Bei einem Luftangriff auf D wurde er am 23. Juli 1942 im Keller eines Hauses durch den Luftdruck einer explodierenden Bombe zu Boden geschleudert und dabei am Kopf leicht verletzt. Im Jahre 1943 trat am linken Auge erneut eine Netzhautablösung auf, die trotz im November 1943 durchgeführter Operation - nach Angaben des Klägers - Ende 1944/Anfang 1945 zur Erblindung des linken Auges führte.
Der Kläger hält sich infolge Erblindung seines linken Auges seit Ende 1944/Anfang 1945 für berufsunfähig und führt die BU auf die Folgen der Feindeinwirkung im Jahre 1942 zurück. Die Beklagte lehnte seinen im August 1956 gestellten Antrag, ihm Rente wegen BU zu gewähren, mit Bescheid vom 9. Oktober 1958 ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat durch Urteil vom 8. November 1962 die gegen den Bescheid gerichtete Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hatte durch Urteil vom 14. Mai 1965 die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil zurückgewiesen und die Entscheidung darauf gestützt, er sei nicht berufsunfähig. Der erkennende Senat hat dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen, weil die Annahme des LSG, der Kläger sei nicht berufsunfähig, auf einem unzulänglich geklärten Sachverhalt beruhe.
Nach erneuter Verhandlung hat das LSG durch das hier angefochtene Urteil vom 20. März 1970 - unter Zulassung der Revision - die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Duisburg vom 8. November 1962 wiederum zurückgewiesen. Es hat den Anspruch auf Rente nunmehr deshalb für unbegründet angesehen, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei und auch nicht nach § 31 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Fassung (a. F.) in Verbindung mit § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 RVO a. F. als erfüllt gelte. Zur Zeit der Feindeinwirkung am 23. Juli 1942 sei der Kläger Versicherter gewesen. Die Anwartschaft aus den für die Monate Januar bis März 1939 zur Invalidenversicherung wirksam entrichteten Beiträgen sei gemäß §§ 3 und 7 des Gesetzes über die Verbesserung von Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 (RGBl I 443) erhalten gewesen. Auf den nach Auffassung des Klägers Ende 1944/Anfang 1945 eingetretenen Versicherungsfall der BU sei gemäß Art. 26 der Verordnung vom 17. März 1945 § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 RVO a. F. anzuwenden, dessen Voraussetzungen aber nicht erfüllt seien, weil nach den eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten mit der vom Gesetz geforderten an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht festgestellt werden könne, daß der Kläger infolge Feindeinwirkung berufsunfähig geworden sei. (Das Urteil des LSG ist in ZfS 1970, 228 ff veröffentlicht).
Gegen das Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er rügt, das LSG habe § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 RVO a. F. nicht richtig angewandt. Die Vorschrift erfordere den Eintritt der BU infolge Feindeinwirkung nicht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit; die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genüge, die von dem medizinischen Sachverständigen bejaht worden sei. Der Kläger beantragt, das angefochtenen Urteil und das Urteil des SG Duisburg vom 8. November 1962 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 1958 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm Rente wegen BU vom 1. September 1956 an zu gewähren, hilfsweise unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist.
Im Revisionsverfahren geht es allein darum, ob die Wartezeit gemäß § 31 AVG a. F. in Verbindung mit § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 RVO a. F. als erfüllt gilt, weil der Kläger infolge Feindeinwirkung berufsunfähig geworden ist. Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger am 23. Juli 1942 bei einem Luftangriff auf Duisburg durch den Luftdruck einer explodierenden Bombe zu Boden geschleudert und am Kopf leicht verletzt worden, ohne daß er hierbei eine unmittelbare Augenverletzung erlitten hat. Diesen Vorgang hat das LSG zutreffend als Feindeinwirkung im Sinne des § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 RVO aF beurteilt (BSG in SozR Nr. 1 zu § 1263 a RVO a. F.; BSG 16, 26, 29).
Nach den weiteren Feststellungen des LSG ist im Jahre 1943 eine Netzhautablösung mit nachfolgender Erblindung des linken Auges des Klägers eingetreten. Darüber, ob der Kläger infolge dieser Gesundheitsstörung - der Erblindung seines linken Auges - mit Rücksicht auf sein bereits eingeschränktes Sehvermögen auf dem rechten Auge - wie er geltend macht - Ende 1944/Anfang 1945 berufsunfähig im Sinne des § 23 Abs. 2 AVG geworden ist, hat das LSG in dem angefochtenen Urteil keine Feststellungen und auch keine Entscheidung getroffen. Es hat den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Netzhautablösung im Jahre 1943 mit nachfolgender Erblindung des linken Auges und der Feindeinwirkung im Juli 1942 verneint und bereits deshalb die Voraussetzungen der Wartezeitfiktion nicht als erfüllt angesehen.
Die Revision wendet sich jedoch mit Recht gegen die vom LSG vertretene Auffassung, nach dem Gesetz dürfe das Tatsachengericht den Ursachenzusammenhang zwischen einer durch Feindeinwirkung erlittenen Schädigung und einer BU begründenden Gesundheitsstörung nur dann annehmen, wenn für ihn eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit besteht. Zur Anerkennung einer BU im Sinne des § 23 Abs. 2 AVG begründenden Gesundheitsstörung als Folge einer durch Feindeinwirkung erlittenen gesundheitlichen Schädigung genügt vielmehr die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
In der Rentenversicherung gilt - wie das BSG bereits entschieden hat - dort, wo das Gesetz auf den ursächlichen Zusammenhang eines eingetretenen Erfolges mit einem bestimmten Ereignis abstellt, derselbe rechtliche Kausalitätsbegriff, wie er auch sonst in der Unfallversicherung und in der Kriegsopferversorgung anzuwenden ist (BSG in SozR Nr. 5 zu § 1263 a RVO a. F.; BSG 10, 173, 174; BSG 16, 26, 29; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts I. Band S. 337). Ursächlich ist demnach diejenige Bedingung, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSG 1, 268 ff; 10, 173, 174; 11, 50 52). Für die Frage, ob zwischen der Netzhautablösung mit nachfolgender Erblindung des linken Auges und der Feindeinwirkung Kausalität im rechtlichen Sinne besteht, kommt es also darauf an, ob die durch den Luftangriff hervorgehobene körperliche Schädigung wesentlich zur Netzhautablösung mitgewirkt hat.
Wenn das Gesetz für die Fiktion der Wartezeiterfüllung voraussetzt, daß der Versicherte infolge Feindeinwirkung berufsunfähig geworden ist, so bedeutet dies, daß die Wartezeit dann als erfüllt gilt, wenn nach der im Rentenrecht geltenden Kausalitätsnorm die durch die Feindeinwirkung hervorgerufene gesundheitliche Schädigung Ursache für die Krankheit oder Gesundheitsstörung ist, durch die die Erwerbsfähigkeit des Versicherten in einem solchen Maße gemindert wird, daß er berufsunfähig im Sinne des § 23 Abs. 2 AVG ist. In Gestalt der Wartezeitfiktion wird vom Gesetz an die durch die Feindeinwirkung erlittene, BU begründende gesundheitliche Schädigung eine Haftung eigener Art geknüpft.
Wie in der Unfallversicherung und in der Kriegsopferversorgung muß auch hier der die Wartezeitfiktion begründende Ursachenzusammenhang in doppelter Weise vorliegen. Einmal zwischen dem als Feindeinwirkung zu wertenden Ereignis und der dadurch erlittenen Gesundheitsschädigung - haftungsbegründende Kausalität - und zum anderen zwischen der durch die Feindeinwirkung erlittenen gesundheitlichen Schädigung und der Gesundheitsstörung, die gemäß § 23 Abs. 2 AVG die BU begründet - haftungsausfüllende Kausalität - (vgl. hierzu Wannagat a. a. O. S. 329). Hier steht nur die zweite Kausalreihe in Frage. Für die rechtliche Beurteilung, ob die BU ursächliche Folge der Feindeinwirkung im Sinne des § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 RVO ist, kommt es mithin entscheidend darauf an, ob der durch den Luftangriff erlittene Körperschaden zu dem Eintritt der Netzhautablösung mit nachfolgender Erblindung des linken Auges im Sinne einer wesentlich ... mitwirkenden Bedingung beigetragen hat.
Die tatsächlichen Verhältnisse, um deren Feststellung es im Rahmen einer vom Tatrichter vorzunehmenden Beweiswürdigung ... hier geht, sind demnach, ob die darin liegende körperliche Schädigung am 23. Juli 1942, daß der Kläger zu Boden geschleudert und am Kopf leicht verletzt worden ist, zu der im Jahre 1943 eingetretenen Netzhautablösung in einer solchen besonderen Beziehung steht, daß die körperliche Schädigung zu ihrem Eintritt wesentlich mitgewirkt hat, oder ob für den Eintritt der Netzhautablösung im Jahre 1943 die durch den Luftangriff erlittene körperliche Schädigung keine Bedeutung oder nur die Bedeutung einer Gelegenheitsursache hat, die Netzhautablösung also ebensogut auch ohne die Folgen des Luftangriffs eingetreten sein kann. Diese auf dem Gebiet der tatsächlichen Verhältnisse liegende Bewertung und Abwägung eines tatsächlich bestehenden Zusammenhangs der Netzhautablösung mit dem durch den Luftangriff erlittenen Körperschaden betrifft das Geschehen, daß sich in der Natur wahrscheinlich wirklich ereignet hat und fällt vornehmlich in die naturwissenschaftliche Beurteilung der damit betrauten ärztlichen Sachverständigen. Zu berücksichtigen bleibt aber, daß es sich auch im Falle des § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 RVO a. F. letztlich nur um die auf tatsächlichem Gebiet liegende richterliche Feststellung handelt, ob eine Gesundheitsstörung mit einer gesundheitlichen Schädigung in ursächlichem Zusammenhange steht. Diese Feststellung hat der Tatrichter im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu treffen. Für die tatrichterliche Feststellung eines solchen ursächlichen Zusammenhangs genügt es aber, wie dies auch in der Unfallversicherung, in der Kriegsopferversorgung und selbst im bürgerlichen Recht der Fall ist, wenn der Zusammenhang wahrscheinlich ist, d. h. wenn bei vernünftiger Abwägung der in Betracht kommenden Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß die dagegensprechenden für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung ausscheiden. (Vgl. Wannagat a. a. O S. 330 und 337). Entgegen der Ansicht des LSG ist es dagegen nicht erforderlich, daß der Tatrichter diesen ursächlichen Zusammenhang mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen kann.
Dem LSG ist darin beizupflichten, daß der tatsächliche Ursachenzusammenhang zwischen Netzhautablösung und der durch Feindeinwirkung hervorgerufenen körperlichen Schädigung zu den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 RVO a. F. gehört. Dieser Ursachenzusammenhang muß, wie alle anderen die Wartezeitfiktion begründenden gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen bewiesen sein. Jedoch irrt das LSG, wenn es annimmt, das Gesetz verlange den Beweis der Tatsachen, die diesen ursächlichen Zusammenhang ergeben, deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, weil der gesetzliche Tatbestand des § 1263 a Abs. 1 Nr. 3 RVO a. F. für den Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs keine Beweiserleichterung vorsehe, wie sie in § 1 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gesetzlich vorgeschrieben ist.
Die Anforderungen, mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit rechtserhebliche Tatsachen eines gesetzlichen Tatbestandes zu beweisen sind, sind nicht einheitlich sondern abgestuft. In einzelnen Fällen fordert das außerprozessuale Recht einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit (z. B. offenbare Unmöglichkeit, offenbare Unbilligkeit, zweifelsfreie Unrichtigkeit, zweifelsfreies Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen - vgl. hierzu insbesondere § 41 Verfahrensgesetz; BSG 6, 106; 14, 246; Urt. des Senats vom 20.8.1970 in SozR Nr. 12 zu § 1300 RVO -). Aber auch dieser hohe Grad der Wahrscheinlichkeit bedeutet nicht Gewißheit, sondern erfordert nur einen besonders hohen Grad von Wahrscheinlichkeit (Bundesgerichtshof - BGH - 7, 103, 106) also auch einen wesentlich höheren Grad als er im allgemeinen zum Beweis vorausgesetzt wird (vgl. hierzu Wieczorek, ZPO § 282 Anm. D). Geringere Beweisanforderungen stellt dagegen das Gesetz, wenn es ausdrücklich die Wahrscheinlichkeit oder sogar die Glaubhaftmachung von Tatsachen genügen läßt. Es trifft jedoch nicht zu, wie das LSG annimmt, daß immer dort, wo das Gesetz über die Anforderungen an den Beweis der rechtserheblichen Tatsachen schweigt, der Tatrichter eine Tatsache nur dann für bewiesen halten darf, wenn nach seiner Überzeugung für ihr Vorliegen eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit spricht. Ordnet das materielle Recht im gesetzlichen Tatbestand weder höhere noch geringere Anforderungen an den Beweis der Tatsachen an, so haben die allgemeinen Grundsätze über den Beweis zu gelten. Hiernach hat sich zu richten, welcher Grad der Wahrscheinlichkeit zu fordern ist, damit sich die richterliche Überzeugung von dem Vorliegen der rechtserheblichen Tatsachen darauf gründen kann.
Im Rentenrecht der Sozialversicherung und im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kommt dem Beweis keine andere Bedeutung zu als in anderen Rechtsgebieten (BSG 20, 255, 256). Auch ohne besondere gesetzliche Regelung sind aber nach den allgemeinen Grundsätzen über den Beweis nicht für alle gesetzlichen Tatbestandsmerkmale stets die gleichen Beweisanforderungen zu stellen. Wie die gesetzlichen Vorschriften und die Rechtsprechung zeigen, wird auch dort, wo das materielle Recht über die Beweisanforderung ausdrücklich nichts besagt, danach unterschieden, um welche Tatsachen eines gesetzlichen Tatbestandes es sich handelt. So werden z. B. nach den §§ 286, 287 ZPO in Schadensersatzprozessen unterschiedliche Anforderungen an den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen gestellt, je nachdem, ob sie den konkreten Haftungsgrund und die haftungsbegründende Kausalität oder die Entstehung und die Höhe des Schadens und die haftungsausfüllende Kausalität betreffen (BGH 4, 192; 7, 295; BGH in NJW 58, 1579). In § 287 ZPO werden, ohne daß dies in den materiellrechtlichen Tatbeständen, aus denen der Ersatzanspruch hergeleitet wird, besonders ausgedrückt ist, dem Kläger Beweiserleichterungen eingeräumt für Tatsachen, für die ein strenger Beweis kaum zu führen ist. Der Richter wird hinsichtlich seiner richterlichen Würdigung freier gestellt. Er darf im Rahmen seiner freien Überzeugungsbildung die Wahrheit einer Tatsache auch dann annehmen, wenn er für ihr Vorliegen eine Wahrscheinlichkeit bejahen kann.
Dieser Grundsatz gilt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH aber gerade auch für den Beweis der Tatsachen, die den ursächlichen Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und einem eingetretenen Schaden ergeben, obschon der Kausalzusammenhang materielle Anspruchsvoraussetzung ist und an sich zu den anspruchsbegründenden Tatsachen des Haftungsgrundes zählt (BGH a. a. O; Stein/Jonas, ZPO 19. Aufl. § 287 Anm. I 2 c; Baumbach/Lauterbach, ZPO 30. Aufl. § 287 Anm. 1 A und 2 A). Der BGH hat hierzu ausgeführt (NJW 1958, 1579), ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Selbstmord und einer auf einem Unfall beruhenden Schädelverletzung besteht, sei vom Gericht nach den Grundsätzen des § 287 ZPO zu entscheiden. Die Vorschrift des § 287 ZPO diene gerade dazu, dem unfallbetroffenen Kläger den Nachweis der Schadensursächlichkeit und insbesondere den meist schwierigen Nachweis dafür zu erleichtern, wie sich die Lage ohne den Unfall gestaltet haben würde. Da die Kausalbeziehung im Ablauf des Geschehens, das den konkreten Haftungsgrund bildet, unstreitig sei und es sich nur um die Entscheidung darüber handele, welcher Schaden durch den Unfall eingetreten sei, greife die Vorschrift des § 287 ZPO ein, die den Tatrichter besonders freistelle, indem sie ihn berechtige, unabhängig von einer Beweislast über die Folgen einer bestehenden Körperverletzung nach freier Überzeugung zu entscheiden und dabei auch, wenn ausreichende Unterlagen zur Verfügung stünden, zu einer Schätzung zu greifen.
In der Unfallversicherung ist ebenfalls der Grundsatz anerkannt, daß für den Beweis des ursächlichen Zusammenhangs ein strenger Beweis im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit grundsätzlich nicht gefordert werden kann. Das Reichsversicherungsamt (RVA) hatte in EuM 18, 185, 190 bereits ausgesprochen, daß im Unfallentschädigungsverfahren nach der RVO die rechtsbegründenden Tatsachen als dargetan gelten, wenn für sie ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit besteht, daß sich natürlicherweise die richterliche Überzeugung darauf gründen kann; auf der einen Seite genüge die bloße Möglichkeit des Vorliegens jener Tatsachen nicht; auf der anderen Seite sei die Tatsachenbewertung nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden. Das Bundessozialgericht (BSG) hat auf dem Gebiet der Unfallversicherung diesen Beweisgrundsatz schon mehrfach bestätigt. Einmal hat es dargelegt, es genüge, wenn der Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem Unfall hinreichend wahrscheinlich sei, d. h. wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO aF). Zum anderen hat es ausgeführt, daß die anspruchsbegründenden Tatsachen zwar bewiesen sein müssen, d. h. aber, daß für sie ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit bestehen müsse, daß sich vernünftigerweise die richterliche Überzeugung hierauf gründen könne (BSG 19, 52, 53). Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für den Beweis des ursächlichen Zusammenhangs ist in der gesetzlichen Unfallversicherung danach nicht erforderlich (ebenso Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S. 244 1; Wannagat, a. a. O. S. 330).
In der Kriegsopferversorgung ist in § 1 Abs. 3 S. 1 BVG ausdrücklich vorgeschrieben, zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genüge die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Die gleichen Grundsätze gelten für die Rentenversicherung. Sind dort Feststellungen darüber zu treffen, ob eine gesundheitliche Schädigung - Krankheit oder sonstige Gesundheitsstörung - mit einem schädigenden Ereignis im Ursachenzusammenhang steht, so ist kein durchgreifender Grund dafür ersichtlich, an den Beweis dieses ursächlichen Zusammenhangs andere und höhere Anforderungen zu stellen, als sie in anderen Rechtsgebieten, insbesondere in der Unfallversicherung, in der Kriegsopferversorgung und in den Verfahren vor den Zivilgerichten gestellt werden. Denn die allgemeinen Erwägungen, die dort die Beweiserleichterungen und somit einen geringeren Grad der Wahrscheinlichkeit rechtfertigen, haben in gleicher Weise im Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung für die im AVG und in der RVO geregelten gesetzlichen Tatbestände zu gelten, soweit zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer gesundheitlichen Schädigung der ursächliche Zusammenhang in Frage steht. Es wäre insbesondere nicht zu rechtfertigen, im Gebiet der Rentenversicherung höhere Anforderungen an den Beweis des ursächlichen Zusammenhangs zu stellen, als sie in der gesetzlichen Unfallversicherung gelten. Hierfür spricht schon, daß es dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprechen würde, bei der Beurteilung, ob der Tod die ursächliche Folge eines Arbeitsunfalls ist, in der Unfallversicherung anders zu verfahren, als es im Rentenrecht für die Prüfung der Voraussetzungen des § 1263 a Abs. 1 Nr. 1 RVO aF der Fall wäre, nämlich, ob die Wartezeit deshalb als erfüllt gilt, weil der Versicherte infolge eines Arbeitsunfalls gestorben ist. Dazu müßte es aber führen, wenn im Recht der Unfallversicherung zur Anerkennung des Todes als Folge eines Arbeitsunfalls die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügt, während für das Recht der Rentenversicherung zur Anerkennung des Todes als Folge eines Arbeitsunfalls eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs gefordert wird. Dies schließt nicht aus, dort, wo es sich nicht um den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer gesundheitlichen Schädigung und einer Gesundheitsstörung sondern um andere gesetzliche Tatbestandsmerkmale handelt z. B. um die Feststellung des Vorliegens einer Krankheit als Ursache der BU oder EU im Sinne der §§ 23 Abs. 2, 24 Abs. 2 AVG strengere Anforderungen an den Beweis zu stellen (vgl. hierzu BSG 21, 189, 192); wie es andererseits von der Rechtsprechung des BSG für anhängig angesehen worden ist, für die Feststellungen von Tatsachen in Einzelfällen noch geringere Beweisanforderungen genügen zu lassen, wenn es z. B. darum geht, ob der Tod mit einem Arbeitsunfall in rechtlich bedeutsamen ursächlichem Zusammenhang steht (vgl. hierzu BSG 19, 52, 56).
Da das LSG in dem angefochtenen Urteil von anderen Beweisgrundsätzen ausgegangen ist, muß das angefochtene Urteil aufgehoben werden.
Das Revisionsgericht kann in der Sache selbst nicht entscheiden. Die Feststellung, ob die Erblindung des linken Auges infolge Netzhautablösung mit der durch die Feindeinwirkung am 23. Juli 1942 erlittenen gesundheitlichen Schädigung in einem ursächlichen Zusammenhang steht, hat das Tatsachengericht gemäß § 128 Abs. 1 SGG zu treffen. Hierfür muß der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Entscheidung darüber, inwieweit die Beteiligten außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten haben, bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen