Leitsatz (amtlich)

1. Freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sind bei Überweisung des Betrags auf ein Postscheckkonto des Rentenversicherungsträgers iS von § 1418 Abs 1 RVO "entrichtet" mit der "Einzahlung" auf dieses Konto iS des § 5 Abs 2 S 1 RVBeitrV 1976

2. § 6 Nr 3 RVBeitrV 1976 enthält eine widerlegbare Vermutung der Beitragsentrichtung am 5. Tag vor der Wertstellung/oder Buchung des Betrags nur zugunsten des Einzahlenden.

 

Normenkette

AVG § 129 Abs 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1407 Abs 1 Fassung: 1972-10-16; AVG § 140 Abs 1; RVO § 1418 Abs 1; RVBeitrV 1976 § 5 Abs 2 S 1 Fassung: 1976-06-21, § 6 Nr 3 Fassung: 1976-06-21

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 20.04.1983; Aktenzeichen L 11 An 252/81)

SG München (Entscheidung vom 07.05.1981; Aktenzeichen S 16 An 305/80)

 

Tatbestand

Streitig ist eine Beitragsbeanstandung.

Der bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zur freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten berechtigte Kläger zahlte am Freitag, den 29. Dezember 1978 beim Postamt Starnberg (St.) 1.296,-- DM per Postüberweisung auf das Postscheckkonto der Beklagten in Berlin ein. Dabei bestimmte er den Betrag für 36 Monatsbeiträge der freiwilligen Versicherung in Klasse 200 zu je 36,-- DM (Mindestbeitrag) für den Zeitraum von Januar 1976 bis Dezember 1978. Gutschrift und Wertstellung auf dem Konto der Beklagten erfolgten am 10. Januar 1979.

Nach Schriftwechsel beanstandete die Beklagte mit dem streitigen Bescheid vom 20. Dezember 1979, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 25. März 1980, die Einzahlung des Klägers als unrechtmäßig und wies sie zurück: Für das Jahr 1976 seien die Beiträge verspätet, für die Zeit vom 1. Januar 1977 bis 31. Dezember 1978 seien sie in zu geringer Höhe entrichtet; bei Einzahlung erst im Jahre 1979 betrage der monatliche Mindestbeitrag für diese beiden Jahre bereits 72,-- DM; falls der Kläger Verbuchung für die Zeit vom 1. Januar 1977 bis 31. Dezember 1978 wünsche, müsse er noch einen "Differenzbetrag" von 423,-- DM bis zum 31. Dezember 1979 überweisen.

Im Rechtszug hatte der Kläger in zweiter Instanz Erfolg. In der angefochtenen Entscheidung vom 20. April 1983 verurteilte das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidung des Sozialgerichts (SG) vom 7. Mai 1981, die vom Kläger am 29. Dezember 1978 eingezahlten 1.296,-- DM als je 12 freiwillige Beiträge für die Jahre 1976, 1977 und 1978 gutzuschreiben. In der Begründung heißt es, die vom Kläger für das Jahr 1976 entrichteten Beiträge hätten nach § 140 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der bis zum 31. Dezember 1979 geltenden Fassung bis Dienstag, den 2. Januar 1979 auf dem Postscheckkonto der Beklagten gutgebracht werden müssen (§ 205 AVG iVm § 127 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO- in der bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Fassung). Wie sich aus einer Auskunft des Postscheckamts Berlin West ergebe, wäre die Verbuchung des am 29. Dezember 1978 eingezahlten Betrags noch am 2. Januar 1979 normalerweise gesichert gewesen. Auch habe der Kläger bei der Übermittlung der Beiträge das Risiko der Postbeförderung zu tragen gehabt. Unter Berücksichtigung des - aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes -GG-) abzuleitenden - Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hätten jedoch die Interessen der Beklagten an fristgerechter Entrichtung von Beiträgen hinter denjenigen des Klägers zurückzutreten gehabt, die bei einem Verlust von Versicherungsjahren berührt wären.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des materiellen Rechts durch das LSG und führt aus: Bei der Frage der Nachsichtgewährung in bezug auf eine versäumte Ausschlußfrist komme es nicht nur auf die Abwägung von Interessen an. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dürfe sich der Versicherungsträger nur dann nicht auf eine Ausschlußfrist berufen, wenn er durch sein objektives Fehlverhalten die Verspätung begünstigt habe. Ein im Entwurf des § 6 Nr 3 der Rentenversicherungs-Beitragsverordnung ursprünglich vorgesehene Erweiterung, nach der der Beitrag auch dann als entrichtet anzusehen gewesen wäre, wenn der Versicherte einen längeren Zeitraum zwischen Einzahlung und Wertstellung hätte nachweisen können, sei nicht realisiert worden. Im übrigen hätte der Kläger durch frühere Einzahlung oder telegrafische Anweisung des Betrags, also bei Anwendung zumutbarer Sorgfalt, eine rechtzeitige Überweisung sichern können. Schließlich sei auch das Altersruhegeld des Klägers nicht in erheblichem Umfang gefährdet.

Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. Mai 1981 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. April 1983 zurückzuweisen und die Beklagte zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten auch der Revision zu verurteilen, hilfsweise, daß das Gericht den § 140 Abs 1 AVG auf seine Verfassungsmäßigkeit gem Art 2 Abs 1, Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht nach Art 100 Grundgesetz nachprüfen läßt und so lange das Verfahren aussetzt, und zwar iS des § 140 Abs 1 AVG aF, daß ua freiwillige Beiträge ausnahmslos unwirksam sind, wenn sie nach Ablauf von 2 Jahren nach Schluß des Kalenderjahres, für das sie gelten sollen, entrichtet werden, dh im Sinne von "bei dem Rentenversicherungsträger eingehen bzw gutgeschrieben werden", weiter hilfsweise, daß das Gericht die Verfassungswidrigkeit des § 6 Nr 3 Rentenversicherungs-Beitragsverordnung vom 21. Juni 1976 wegen Verstoßes gegen Art 2 Abs 1, Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 (Rechtsstaatsprinzip) Grundgesetz feststellt, und zwar in dem Sinn, daß der Beitrag "ausnahmslos" trotz des gleichfalls staatlichen Postmonopols als von der "Wertstellung" auf dem Konto des Rentenversicherungsträgers abhängig als entrichtet gilt.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. In seinem Fall sei § 27 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) rückwirkend anzuwenden. An der Übermittlungsverzögerung bei der Post treffe ihn kein Verschulden. Im übrigen handele es sich bei Geldschulden nach den Grundregeln der §§ 269, 270 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) um Schickschulden, bei denen die Einzahlung für die Rechtzeitigkeit der Geldzahlung genüge. Eine unterschiedliche Behandlung in der Rentenversicherungs-Beitragsverordnung verstoße gegen Art 3 Abs 1 GG. Auch die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit stünden einer Abwälzung des von der Post zu vertretenden Übermittlungsrisikos auf ihn entgegen. Im übrigen könnten Fristen bis zum letzten Tage ausgenutzt werden. Die in § 140 Abs 1 AVG aF geregelte Ausschlußfrist habe im übrigen nur Ordnungscharakter. Sein Interesse, ein höheres Altersruhegeld zu erhalten, überwiege demgegenüber. Eine Fristversäumnis von 3 Tagen sei angesichts der zeitlichen Dimension von insgesamt 2 Jahren unerheblich. § 140 Abs 1 AVG sei darüber hinaus wegen Verstoßes gegen Art 2 Abs 1, 3 Abs 1 iVm § 20 Abs 3 GG verfassungswidrig, so daß die Sache dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt werden müsse.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung für einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Die sogenannte Beitragsbeanstandung - Zurückweisung von Beträgen, die der Versicherte zum Zwecke der Beitragsleistung eingezahlt hat - durch den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung soll den mit der Einzahlung, Buchung und Wertstellung verbundenen möglichen Rechtsschein wirksamer Beitragsleistung beseitigen und ist deshalb ein durch den Versicherten anfechtbarer Verwaltungsakt (vgl die Entscheidung des erkennenden Senats in SozR 1300 § 31 Nr 3). Der Versicherte kann diesen Beanstandungsbescheid deshalb mit der Aufhebungsklage iS von § 54 Abs 1 Satz 1 SGG angreifen und mit dem Feststellungsbegehren verbinden, daß die Beiträge - für einen bestimmten Zeitraum - wirksam entrichtet sind (BSGE 39, 203 = SozR 2200 § 1409 Nr 2).

Die Beklagte beanstandet in dem streitigen Bescheid vom 20. Dezember 1979/Widerspruchsbescheid vom 25. März 1980 die vom Kläger Ende 1978 zu Beitragszwecken geleisteten Einzahlungen nicht einheitlich: Die als Beiträge für das Jahr 1976 gezahlten Beträge beanstandet sie als verspätet und daher voll unwirksam; die Zahlungen für die Jahre 1977 und 1978 erachtet sie als in zu geringer Höhe entrichtet, erklärt sich aber bereit, den "Differenzbetrag" vom Kläger noch nachträglich entgegenzunehmen und unter diesen Bedingungen wirksame Beiträge für diese beiden Jahre anzuerkennen. Die beiden unterschiedlich streitigen Zeiträume sind deshalb getrennt zu beurteilen.

Die Einzahlung des Klägers für freiwillige Beiträge des Jahres 1976 hat die Beklagte aus folgenden Gründen unzutreffend beanstandet:

Die rechtliche Beurteilung, ob ein vom Versicherten an den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung für Zwecke der Entrichtung freiwilliger Beiträge gezahlter Betrag wirksam oder unwirksam und im letzteren Fall vom Träger beanstandet werden kann, richtet sich nach dem Recht, das in dem Zeitraum galt, für den die angeblichen Beiträge entrichtet wurden (BSGE 1, 52, 54; 10, 156, 158). Bei freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung bestimmt und bestimmte immer schon grundsätzlich der Versicherte - neben der Höhe (§ 129 Abs 2 Satz 2 AVG) - den Zeitraum, für den die Beiträge gelten sollten (§ 7 Abs 1 der Verordnung über das Entrichten von Beiträgen zur Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten -RV-BEVO- vom 21. Juni 1976, BGBl I 1667, ber 3616 -, in Kraft ab 1. Januar 1977; für die Zeit vorher vgl zB BSGE 39, 203, 204 = SozR 1409 Nr 2). Soweit der Kläger die von der Beklagten beanstandete Einzahlung zu Zwecken der Entrichtung freiwilliger Beiträge für das Jahr 1976 bestimmt hatte, richtete sich die Wirksamkeit der Zahlung mithin nach § 140 Abs 1 AVG in der - bis zum Inkrafttreten des 20. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) am 1. Januar 1980 (Art 3 § 6 - vorletzte Regelung - aaO) geltenden - Fassung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 88). Nach dieser Bestimmung sind ua freiwillige Beiträge unwirksam, wenn sie nach Ablauf von 2 Jahren nach Schluß des Kalenderjahres, für das sie gelten sollen, entrichtet werden. Bezüglich der vom Kläger für das Jahr 1976 bestimmten Beiträge begann die Zwei-Jahres-Frist "nach Schluß des Kalenderjahres" 1976, dh nach § 205 AVG iVm § 124 Abs 1 RVO in der bis zum 31 Dezember 1980 geltenden - alten - Fassung (aF) am 1. Januar 1977 und endete, da der 31. Dezember 1978 ein Sonntag und der 1. Januar 1979 ein Feiertag war, nach § 127 Abs 1 RVO aF am Dienstag, den 2. Januar 1979. Ob der Kläger mit seiner Einzahlung am 29. Dezember 1978 iS von § 140 Abs 1 AVG aF für 1976 fristgerecht und damit wirksam Beiträge entrichtet hat, hängt hiernach davon ab, ob er damit allen Anforderungen des dort genannten "Entrichtens" freiwilliger Beiträge genügt hatte.

Was unter "Entrichten" freiwilliger Beiträge zu verstehen ist, regelt § 140 Abs 1 AVG aF freilich nicht. Hierzu trifft indessen § 129 Abs 1 AVG idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) die Bestimmung, daß die Entrichtung der Beiträge für die freiwillige Weiterversicherung "durch Verwendung von Beitragsmarken (§§ 131 und 132)... erfolgt", jedoch nur insoweit, als nicht "zur Anpassung an die Entwicklung des Zahlungsverkehrs eine andere Art der Beitragsentrichtung", insbesondere das Kontenabbuchungsverfahren, durch Rechtsverordnung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung "zugelassen oder vorgeschrieben" wird. Eine andere Art der Entrichtung freiwilliger Beiträge als durch Verwendung von Beitragsmarken "vorgeschrieben" hat iS dieser gesetzlichen Ermächtigung die RV-BEVO vom 21. Juni 1976. Ob diese Verordnung den vorliegenden Fall trifft, ist zweifelhaft: Die Verordnung ist erst am 1. Januar 1977 in Kraft getreten (§ 13 Satz 1 aaO); die hier streitigen Beiträge betreffen dagegen das Kalenderjahr 1976. Wird aber die Anwendung der RV-BEVO in Übereinstimmung mit der Beklagten bejaht, so stützt deren § 6 Nr 3 nicht ihre, sondern die Rechtsansicht des Klägers.

Nach dieser Bestimmung "gilt" der Beitrag, den der freiwillig Versicherte ua auf ein Postscheckkonto des Trägers eingezahlt hat (§ 5 Abs 2 Satz 1 aaO), am 5. Tage vor dem Tag, an dem die Wertstellung, hilfsweise, an dem die Buchung auf dem Konto des Trägers erfolgt ist, "als entrichtet". § 6 Nr 3 RV-BEVO läßt hiernach keinen Zweifel, daß der Beitrag nicht mit der Wertstellung oder Buchung des vom Versicherten als freiwilligen Beitrag eingezahlten Betrags auf dem Konto des Rentenversicherungsträgers, sondern zu einem Zeitpunkt 5 Tage vor der Wertstellung oder Buchung "als entrichtet gilt". Nach dieser Definition des Verordnungsgebers liegt der Zeitpunkt der Wertstellung oder Buchung immer später als die Entrichtung des Beitrags. Entgegen der Annahme der Beklagten kann daher die Wertstellung oder Buchung nicht die Entrichtung des Beitrags kennzeichnen. Buchung und Wertstellung können mithin auch nicht das Ende der Zwei-Jahres-Frist nach § 140 Abs 1 AVG aF bilden.

Freilich bringt § 6 RV-BEVO nicht unmittelbar zum Ausdruck, warum er die "Entrichtung" des freiwilligen Beitrags schon 5 Tage vor der Wertstellung bzw der Buchung für bewirkt hält. Dies ist jedoch der Verordnung unmißverständlich mittelbar zu entnehmen: Mit der Frist von 5 Tagen stellte der Verordnungsgeber auf die durchschnittliche Laufzeit einer Einzahlung des Versicherten bis zur Wertstellung beim Versicherungsträger ab (vgl dazu zB Compter, DRV 1976, 162, 168). Damit wird klar, daß die RV-BEVO ua im Falle der Einzahlung auf ein Postscheckkonto des Trägers unter der "Entrichtung" des freiwilligen Beitrags die "Einzahlung" durch den Versicherten auf dieses Konto iS ihres § 5 Abs 2 Satz 1 versteht. Zugleich bedeutet dies, daß nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers Verzögerungen der Übermittlung des Beitrags nach der Einzahlung auf dem Postwege, die der Versicherte naturgemäß nicht zu vertreten hat, nicht zu dessen Lasten gehen.

Mit dieser Konzeption der RV-BEVO stimmt die Regelung überein, die der Verordnungsgeber ebenfalls aufgrund der Ermächtigung in § 129 Abs 2 - 2. Regelung - AVG in § 3 der mit dem Inkrafttreten der RV-BEVO außer Kraft getretenen (§ 13 Nr 1 aaO) Verordnung über die bargeldlose Entrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung der Arbeiter und zur Rentenversicherung der Angestellten vom 26. November 1969 (BGBl I 2181) idF vom 4. Dezember 1972 (BGBl I 2233) getroffen hatte: Nach deren § 3 hatten die Träger der Rentenversicherung die freiwilligen Beiträge anzunehmen, die in den letzten 5 Tagen eines jeden Jahres bei den Postämtern der Deutschen Bundespost mit den Angaben nach § 4 (persönliche Daten, Versicherungsnummer, Bestimmung von Zahl und Klasse der Beiträge und des Zeitraums, für den sie gelten sollen) "eingezahlt worden sind". Auch hier schon wird offenkundig das Entrichten der freiwilligen Beiträge bei unbarer Zahlung mit dem "Einzahlen" bis zum letzten Tag "eines jeden Jahres" gleichgesetzt und der Einzahlende so von jedem zeitlichen Risiko der Übermittlung des Beitrags an den Versicherungsträger freigestellt.

Die so bezeichnete Konzeption der beiden Beitrags-Entrichtungs-Verordnungen von 1969/1972 und von 1976 liegt aber auch der in § 129 Abs 1 - 1. Regelung - AVG normierten, ab 1. Januar 1977 freilich obsolet gewordenen, regelhaft angeführten Entrichtung der freiwilligen Beiträge durch Verwendung von Beitragsmarken zugrunde.

Vor dem 1. Januar 1977 wurden die Beitragsmarken durch die Deutsche Bundespost oder besonders eingerichtete Verkaufsstellen der Beklagten verkauft (§ 132 Abs 2 Satz 1 und 3 AVG). Die Entrichtung durch den Versicherten erfolgte durch bloßes Einkleben der Marken in die Versicherungskarte (§ 131 Abs 1 Satz 1 AVG), die dem Versicherten auf Antrag auszustellen und auszuhändigen war (§ 133 Abs 2 AVG). Für die Wirksamkeit der Entrichtung war es auch nicht erforderlich, daß dem Versicherungsträger die Versicherungskarte in der Folge zuging (vgl BSGE 43, 134). Zwar sollten die eingeklebten Marken in bestimmter Form entwertet werden (§ 131 Abs 3 Satz 1 AVG). Hierbei handelt es sich indessen nur um eine Ordnungsvorschrift. Auch die Nichtentwertung machte die Entrichtung nicht unwirksam (vgl BSGE 39, 204). Da der Versicherte durch Markenkauf und Einkleben in die Versicherungskarte die Beiträge entrichtete, hatte ihn der Gesetzgeber von Risiken der Übermittlung, insbesondere von Verzögerungen freigestellt. Schon damals erschienen mithin Beitragsschulden bei der freiwilligen Versicherung nicht als Bringschulden zum Sitz des Versicherungsträgers.

Die Annahme der Beklagten, erst mit dem Eingang - Wertstellung oder Buchung - des streitigen Betrags bei ihr am 10. Januar 1979 habe der Kläger Beiträge iS von § 140 Abs 1 AVG aF - verspätet - "entrichtet", weil ihn ua das Risiko verzögerter Übermittlung durch die Post getroffen habe, entbehrt hiernach der Rechtsgrundlage.

Die für 1976 bestimmte Einzahlung des Klägers beim Postamt St. am 29. Dezember 1978, also mehrere Tage vor Ablauf der Entrichtungsfrist am 2. Januar 1979, könnte demnach nur verspätet gewesen sein, wenn gem § 6 Nr 3 RV-BEVO zu seinen Lasten unwiderleglich zu vermuten wäre, daß er 5 Tage vor der Wertstellung des Betrags bei der Beklagten am 10. Januar 1979, also erst am 5. Januar 1979 eingezahlt - und damit Beiträge entrichtet - habe. Eine solche, den nachgewiesenen Tatsachen - Einzahlung schon am 29. Dezember 1978 - widersprechende Annahme ist jedoch nicht möglich. Mit dem aaO genannten 5-Tageszeitraum unterstellt die Verordnung "zugunsten des Versicherten..., daß er den Betrag 5 Tage vor der Wertstellung auf dem Konto des Trägers der Rentenversicherung eingezahlt hat", um "Verzögerungen im Überweisungsverkehr nicht zu Lasten des Versicherten gehen" zu lassen (BR-Drucks 279/76 S 17; für Charakterisierung als eine den einzahlenden Versicherten begünstigende Regelung auch VerbKommentar, Bd III, § 7 RV-BEVO Anm 4; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 7. Aufl, § 1418 RVO Anm 2 am Ende; Nordhorn, BArbBl 1977, 6, 7; v. Einem SozVers 1983, 34, 35; derselbe, Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt -LVA- Rheinprovinz 1983, 99). Da § 6 Nr 3 RV-BEVO nach alledem keine den Versicherten belastende Regelung treffen will, kann dieser durch die genannte Bestimmung nicht gehindert sein, die dort aufgestellte tatsächliche Vermutung über den Zeitpunkt der Einzahlung des Beitrags zu seinen Gunsten - regelmäßig in der einfachen Form des postamtlichen Einzahlungsbelegs - zu widerlegen und so zu beweisen, daß er bereits zu einem früheren Zeitpunkt tatsächlich eingezahlt hat. Es wird nicht einsichtig, was den Verordnungsgeber in § 6 Nr 3 aaO bewogen haben könnte, zu Lasten des Versicherten einen späteren Zeitpunkt - hier: den 5. Januar 1979 - als den, den der Versicherte durch Vorlage des amtlichen Einzahlungsbelegs ohne jede Mühe nachweisen kann - hier: der 29. Dezember 1978 -, als Zeitpunkt der Einzahlung und Entrichtung des Beitrags unwiderleglich zu unterstellen. Im übrigen kann nicht übersehen werden, daß die in Rede stehende Vorschrift auch dem Interesse der Beklagten, nämlich der Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens dient: Wenn der Versicherte nicht bestreitet, am 5. Tag vor der Wertstellung eingezahlt zu haben, braucht der Versicherungsträger nicht in jedem Einzelfall aufwendig zu ermitteln, wann genau dies geschehen und so der Beitrag tatsächlich "entrichtet" ist. Dieses - auch - den Träger begünstigende Interesse an einer Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens muß aber hinter dem Interesse des Versicherten zurücktreten, durch Vorlage des Belegs über eine frühere, rechtzeitige Einzahlung des Beitrags die Dinge richtigzustellen.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger die den Zeitpunkt seiner Einzahlung betreffende Tatsachenvermutung des § 6 Nr 3 RV-BEVO mit dem Nachweis der Einzahlung beim Postamt St. schon vor Ablauf des 2. Januar 1979, nämlich am 29. Dezember 1978 widerlegt. Die Beklagte ist daher nicht berechtigt anzunehmen, daß der Kläger die streitigen Beiträge für 1976 erst am 5. Januar 1979 eingezahlt hat. Da sie somit vor Ablauf der Frist des § 140 Abs 1 AVG aF "entrichtet" sind, konnte sie die Beklagte nicht, wie geschehen, beanstanden. Zu Recht hat das LSG die Beklagte daher unter Aufhebung des Beanstandungsbescheids vom 20. Dezember 1979 in der Gestalt des bestätigenden Widerspruchsbescheids verurteilt, Beiträge für 1976 wie beantragt entgegenzunehmen.

Hat der Kläger aber entgegen den Annahmen der Beklagten neben den Beiträgen für 1976 auch die weiteren freiwilligen Beiträge für die Jahre 1977 und 1978 nicht erst mit der Wertstellung am 10. Januar 1979, sondern mit der nachgewiesenen Einzahlung am 29. Dezember 1978 "entrichtet", so konnte er hierfür auch die bis 31. Dezember 1978 geltenden Mindestbeiträge verwenden. Der Kläger hat sonach nicht erst nach einer Änderung des Beitragssatzes ab 1. Januar 1979 freiwillige Beiträge iS von § 141 Abs 3 AVG "für eine Zeit vorher", sondern im Jahre 1978 Beiträge zu Sätzen entrichtet, die zu dieser Zeit noch galten. Die Beklagte konnte deshalb die für die Jahre 1977 und 1978 geleisteten Beiträge auch nicht in der Weise beanstanden, daß sie vom Kläger hierfür eine Nachzahlung verlangte. Die den Bescheid der Beklagten auch in diesem Punkt abändernde Entscheidung des LSG läßt sich nicht beanstanden.

Nach allem war die Revision der Beklagten gegen die zutreffende Entscheidung des LSG in vollem Umfang als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 180

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