Leitsatz (amtlich)

Der in AFuU § 21 (Fassung: 1969-12-18) geforderte Antrag hat materiell-rechtliche Bedeutung für die Entstehung des Förderungsanspruchs.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es ist kein Anspruch auf Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz wegen einer Fortbildungsmaßnahme gegeben, wenn die Leistungen nicht rechtzeitig beantragt werden.

2. Die nach AFG § 39 iVm § 191 Abs 3 ergangenen Anordnungen des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit sind autonome Satzungen und enthalten Rechtsnormen, die verbindlich sind, es sei denn, daß diese gegen höherrangiges Recht verstoßen.

 

Normenkette

AFG § 39 S. 1 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 21 Abs. 1 Fassung: 1969-12-18; AFG § 191 Abs. 3 Fassung: 1969-06-25

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Juni 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger nahm an einem Lehrgang der Industriegewerkschaft (IG) Bau-Steine-Erden in L zur Vorbereitung auf die Gesellenprüfung im Maurerhandwerk teil, der in der Zeit vom 15. August 1970 bis April 1971 stattfand. Dieser Lehrgang war vom Direktor des Arbeitsamtes (ArbA) M mit einem an die Gewerkschaft gerichteten Schreiben vom 22. September 1970 als "förderungsfähig" i. S. der §§ 41 und 43 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) iVm § 6 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die individuelle Förderung der beruflicher Fortbildung und Umschulung (AFuU) anerkannt worden. Der Kläger stellte am 13. Mai 1971 den Antrag, ihm Leistungen gemäß § 41 AFG zu gewähren; er brachte dazu vor, ihm sei von dem Veranstalter des Lehrgangs im Oktober 1970 erklärt worden, daß der Antrag erst nach Abschluß des Lehrganges, also nach der Gesellenprüfung, zu stellen sei.

Das ArbA M lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19. Mai 1971 ab; es führte darin aus, daß nach § 21 Abs. 1 AFuU Leistungen frühestens vom Zeitpunkt der Antragstellung an gewährt würden. Da der Lehrgang bereits vor Eingang des Antrages des Klägers beendet worden sei, könne eine Leistung für die zurückliegende Zeit nicht mehr gewährt werden. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5.8.1971).

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 15. November 1971 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 26. Juni 1972 die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen zur Förderung seiner Teilnahme an dem Lehrgang der IG Bau-Steine-Erden habe. Der Anspruch setze nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AFuU einen Antrag voraus. Zwar habe der Kläger einen Antrag gestellt, dieser Antrag habe jedoch grundsätzlich erst vom Zeitpunkt seiner Stellung an eine rechtliche Wirkung. Vom Zeitpunkt der Antragstellung, nämlich vom 13. Mai 1971 an, habe der Kläger an dem Lehrgang nicht mehr teilgenommen und es seien somit nach diesem Zeitpunkt keine Kosten mehr für die frühere Teilnahme an dem Lehrgang entstanden. Unbeschadet der Regelung in § 21 Abs. 1 Satz 1 AFuU wirke die Antragstellung anspruchsbegründend auf den Zeitpunkt des Eintritts in die Maßnahme zurück, wenn der Antrag innerhalb von 2 Monaten nach Eintritt in die Maßnahme gestellt werde (§ 21 Abs. 1 Satz 3 AFuU). Diese Vorschrift sei aber im vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil der Kläger schon im August 1970 in die Maßnahme eingetreten sei. Es sei unerheblich, ob der Kläger die Verspätung der Antragstellung zu vertreten habe oder nicht. Die Rechtslage sei auch unter Berücksichtigung des § 21 Abs. 4 AFuU nicht anders zu beurteilen. Diese Vorschrift verschone den Antragsteller von Rechtsnachteilen, wenn er die für die Entscheidung erforderlichen Unterlagen verspätet einreiche, ohne diese vertreten zu müssen. Die Vorschrift enthalte keine Regelung einer anspruchsbegründenden Wirkung des Antrages.

Der § 21 Abs. 1 AFuU könne nicht entgegen seinem Wortsinn dahin ausgelegt werden, daß bei unverschuldet verspäteter Antragstellung der Antrag Rückwirkung habe. Diese Vorschrift sei nicht lückenhaft, sondern eindeutig; es solle unmaßgeblich sein, ob der Antragsteller die Anträge hätte früher stellen können. Diese Vorschrift binde im übrigen die Gerichte. Die AFuU sei aufgrund der Ermächtigung des § 39 AFG wirksam getroffen worden und halte sich in den Grenzen dieser Ermächtigung. Das LSG folge nicht der vom Kläger vertretenen Auffassung, wonach die Vorschrift des § 21 AFuU gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz verstoße, daß wegen unverschuldeter Versäumung einer Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Einen dahingehenden allgemeinen Grundsatz gebe es nicht. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei ein Rechtsinstitut, welches für die Versäumung von Verfahrensfristen entwickelt worden sei. Es finde dann keine Anwendung, wenn die materiell-rechtliche Wirkung eines Anspruchs von der Antragstellung selbst abhänge. Ebenso bestehe kein allgemeiner Grundsatz, daß derjenige keine Rechtsnachteile erleiden solle, der einen Antrag ohne Verschulden versäumt oder verspätet gestellt habe. Wo das Entstehen eines Anspruchs einen Antrag voraussetze, bleibe es grundsätzlich der Verantwortung des Berechtigten überlassen, ob und wann er den Antrag stelle. Deshalb sei die Arbeitsverwaltung auch nicht gehalten gewesen, den Kläger über den Träger der Fortbildungsmaßnahmen im Schreiben vom 22. September 1970 oder auf andere Weise darauf hinzuweisen, daß Leistungen grundsätzlich erst vom Zeitpunkt der Antragstellung an gewährt würden. Die Regelung in § 21 AFuU sei auch zweckentsprechend. Dies wird vom LSG näher dargelegt und sodann weiter ausgeführt, daß der Kläger somit keinen Anspruch auf die begehrte Förderung habe. Das gelte ungeachtet des Umstandes, daß - abgesehen vom rechtzeitigen Antrag - das Vorliegen der Voraussetzungen des Anspruchs dem Grunde nach nicht zu bezweifeln sein möge. Es könne dahinstehen, ob eine Fristvorschrift, die eine möglichst zeitnahe Überprüfung bezwecke, dahin auszulegen sei, daß sie nicht für Fälle gelte, in denen die Voraussetzungen zweifelsfrei vorlägen. Darin erschöpfe sich aber nicht der Zweck des § 21 AFuU; mit ihm solle weitgehendst auch erreicht werden, daß der Berechtigte möglichst vor Eintritt in die Maßnahme die zu erwartenden Leistungen kenne. Dies erfordere aber eine rechtzeitige Antragstellung auch dann, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung im übrigen zweifelsfrei vorlägen.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und in seiner Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, eine Verletzung des § 21 AFuU durch das LSG gerügt. Er bringt hierzu insbesondere vor, es sei rechtserheblich, ob das ArbA eine Aufklärungsverpflichtung über die Antragsfrist sowohl gegenüber dem Antragsteller als auch gegenüber dem Lehrgangsveranstalter gehabt habe. Das Schreiben des ArbA vom 22. September 1970 enthalte nur die Mitteilung, daß der Lehrgang als förderungsfähig anerkannt werde. Es habe aber eine Rechtspflicht des ArbA bestanden, hinsichtlich des Antragserfordernisses aufklärend zu wirken. Da das ArbA eine solche Aufklärung nicht vorgenommen und damit seine Fürsorgepflicht verletzt habe, müsse der verspätete Antrag als rechtzeitig gestellt angesehen werden. Insoweit verweise er - der Kläger - auf die hierzu bestehende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Es sei "natürlich in keiner Weise geklärt", ob das ArbA Kenntnis von den Teilnehmern des Lehrgangs gehabt habe. die keinen Antrag gestellt hätten. Dem hätte das LSG aber nachgehen müssen. Es sei auch unzutreffend, wenn das LSG meine, dem Antrag komme eine materiell-rechtliche Bedeutung zu. Während der Antrag auf Arbeitslosengeld (Alg) nach § 100 AFG eindeutig zur materiellen Anspruchsvoraussetzung gehöre, sei die Vorschrift über die Antragstellung in § 21 AFuU in den Abschnitt "Verfahrensvorschriften" eingefügt worden. Demnach komme dem Antrag nur eine Verfahrenswirkung zu; mit ihm solle ausschließlich das Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt werden. Es scheine auch eindeutig zu sein, daß er - der Kläger - die materiellen Voraussetzungen für den Bezug von Unterhaltsgeld erfülle. Der Anspruch bestehe somit zweifelsfrei dem Grunde nach. Der Große Senat des BSG habe aber ausgesprochen, daß Fristvorschriften bei einem verspätet angemeldeten Anspruch dann nicht gelten sollten, wenn der Anspruch "zweifelsfrei" gegeben sei (BSG 14, 246 ff). Gleiches müsse auch für die Verfahrensvorschrift des § 21 AFuU gelten. Es sei zumindest bedenklich, zweifelsfrei gegebene Ansprüche an Verfahrensvorschriften scheitern zu lassen.

Der Kläger beantragt,

die angefochtene Entscheidung, das Urteil des SG Koblenz vom 15. November 1971, sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 1971 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 1971 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur beruflichen Fortbildung vom 18. August 1970 an zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

In ihrer Revisionserwiderung, auf die Bezug genommen wird, führt sie insbesondere aus, daß für das ArbA kein Anlaß bestanden habe, den Lehrgangsträger auf die Vorschrift des § 21 AFuU hinzuweisen. Das ArbA habe vielmehr davon ausgehen dürfen, daß gerade die Gewerkschaft als Interessenvertretung der Arbeitnehmer und zugleich Lehrgangsveranstalter über die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Förderung unterrichtet gewesen sei. Im vorliegenden Fall sei auch keine Pflichtverletzung gegenüber einem Lehrgangsteilnehmer gegeben; bis zum Eingang des Antrages des Klägers im Mai 1971 habe das ArbA überhaupt keine Kenntnis davon gehabt, daß der Kläger den Fortbildungslehrgang besucht habe. Im übrigen sei das Urteil nicht zu beanstanden.

II

Die von LSG zugelassene Revision ist vom Kläger form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Bei einer zulässigen Revision ist die Zulässigkeit der Berufung auch ohne eine entsprechende Rüge eines Beteiligten von Amts wegen zu prüfen (BSG 2, 225). Die Berufung gegen das Urteil des SG war im vorliegenden Fall - entgegen den Bedenken des Klägers - zulässig. Sie betraf weder eine einmalige Leistung oder eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum bis zu drei Monaten (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), noch Beginn oder Höhe der Leistung (§ 147 SGG); sie betraf vielmehr die Frage, ob dem Kläger überhaupt eine Leistung auf Förderung wegen seiner Teilnahme an einem Fortbildungslehrgang zusteht (§ 41 AFG).

Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen wegen der Fortbildungsmaßnahme hat, an der er von August 1970 bis April 1971 teilgenommen hat. Dieser Anspruch scheitert schon daran, daß der Kläger die Leistungen nicht rechtzeitig beantragt hat.

Nach § 21 Abs. 1 der vom Verwaltungsrat der Beklagten auf Grund der Ermächtigung des § 39 AFG iVm § 191 Abs. 3 AFG erlassenen Anordnung über die individuelle Förderung von Fortbildung und Umschulung (AFuU) in der hier anzuwendenden Fassung vom 18. Dezember 1969 (ANBA 1970, 85) werden die Leistungen auf Antrag, frühestens vom Zeitpunkt der Antragstellung an, gewährt. Der Antrag soll rechtzeitig vor Beginn der Maßnahme gestellt werden. Wird der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Eintritt in die Maßnahme gestellt, so ist die Leistung unbeschadet der Regelung in Satz 1 vom Zeitpunkt des Eintritts an zu gewähren. Nach den unangegriffenen, und daher für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG hat der Kläger seinen Antrag aber weder vor Eintritt in die Maßnahme, noch innerhalb von zwei Monaten nach Eintritt in den Fortbildungslehrgang, sondern erst nach Beendigung dieses Lehrganges gestellt; wird aber ein Antrag erst nach Beendigung der Maßnahme eingebracht, so stehen dem Antragsteller keine Leistungen im Rahmen der beruflichen Fortbildung zu. Der Kläger wendet sich offenbar auch nicht gegen die Auffassung, daß er seinen Antrag verspätet gestellt hat, vielmehr meint er, er müsse so behandelt werden, als ob er den Antrag rechtzeitig gestellt habe. Diese - unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten vertretene - Auffassung des Klägers geht fehl.

Zunächst kann der Kläger sich nicht auf die Vorschrift des § 21 Abs. 4 AFuU stützen. Diese Vorschrift sieht vor, daß dann Leistungen für die zurückliegende Zeit gewährt werden, wenn der Antragsteller die für die Entscheidung erforderlichen Unterlagen nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem Eintritt in die Maßnahme oder der Antragstellung (der Aushändigung der Antragsformulare) eingereicht und der Antragsteller die Verspätung nicht zu vertreten hat. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, setzt diese Vorschrift gerade einen rechtzeitigen Antrag i. S. des § 21 Abs. 1 AFuU voraus, an dem es aber im vorliegenden Fall fehlt. Wenn der Kläger ferner meint, der Antrag nach § 21 Abs. 1 AFuU habe nur verfahrensrechtliche Bedeutung, so daß bei einer verspäteten Antragstellung wie bei der Versäumung einer Verfahrensfrist dem Antragsteller "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" bei unverschuldeter Säumnis gewährt werden müsse, so kann ihm auch darin nicht gefolgt werden. Der Antrag des § 21 AFuU betrifft nämlich nicht nur das Verfahren, das der Verwaltungsentscheidung vorausgeht. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, daß sich der § 21 im 3. Abschnitt der AFuU unter der Überschrift "Verfahren", befindet. Ferner ist richtig, daß - sofern Leistungen bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen nicht von Amts wegen gewährt werden - das Antragserfordernis rechtlich auch dann nicht bedeutungslos ist, wenn dem Antrag selbst keine materiell-rechtliche Bedeutung, also die einer Anspruchsvoraussetzung, zukommt. In allen Fällen löst nämlich erst der Antrag - das Geltendmachen des Anspruchs - das Verwaltungsverfahren aus, welches die Verwaltung zum Tätigwerden und abschließend zum Erlaß eines (positiven oder negativen) Bescheides verpflichtet. Weder aus dieser allgemeinen formellen Wirkung des Antrages im sozialen Leistungsrecht noch aus der hier gesetzestechnisch bestehenden Stellung des § 21 AFuU im Verfahrensabschnitt kann für sich allein darauf geschlossen werden, ob der Antrag nach § 21 AFuU nur eine verfahrensrechtliche Bedeutung hat oder ob ihm (daneben) eine materiell-rechtliche Wirkung zukommt, er also zu den Anspruchsvoraussetzungen gehört. Ein Antrag ist nach der Rechtsprechung des PSG dann eine materielle Voraussetzung des Anspruchs, wenn er in den materiell-rechtlichen Vorschriften, in denen die Voraussetzungen eines bestimmten Leistungsanspruchs geregelt sind, ausdrücklich als Anspruchsvoraussetzung bezeichnet wird (s. für das Recht der KOV BSG 2, 289, 191; im Recht der Rentenversicherung BSG 29, 116, 117). Eine solche Rechtslage ist aber hier gegeben. Das in § 21 AFuU geregelte Antragserfordernis wird nämlich als (materielle) Anspruchsvoraussetzung in § 10 AFuU ausdrücklich erwähnt; danach werden für die Dauer der Teilnahme an einer Maßnahme die näher bestimmten Leistungen "nach Maßgabe der §§ 11 bis 21" gewährt. Diese Vorschrift des 2. Abschnittes der AFuU, in welcher "Art und Umfang der Förderung" bestimmt sind, regelt die materiellen Voraussetzungen der Leistungen, wobei durch die Einbeziehung des § 21 verdeutlicht werden soll, daß der Antrag selbst - und zwar in Bezug auf den Zeitpunkt des Beginns der Leistungen - eine Anspruchsvoraussetzung darstellt. Ist aber der Antrag - wie hier - eine materielle Voraussetzung des Anspruchs, so ist er - wie jedes andere gesetzliche Tatbestandsmerkmal - für den Leistungsbeginn erheblich. Der Antrag kann - so wenig wie ein anderes gesetzliches Tatbestandsmerkmal - nicht "als nachträglich erfüllt angesehen" werden (BSG 21, 129, 130); vielmehr muß er vor oder innerhalb der in § 21 Abs. 1 AFuU bezeichneten Frist gestellt werden, damit alle materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung erfüllt sind. Der Antrag betrifft also nicht - wie der Kläger meint- eine "verfahrensrechtliche Frist" für die Geltendmachung des Anspruchs; daher kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wie bei der Versäumung von Verfahrensfristen (§ 76 SGG) nicht in Betracht kommen. Es ist daher auch unerheblich, ob der Kläger - wie er vorbringt - durch eine falsche Auskunft des Veranstalters der Fortbildungsmaßnahme den Antrag verspätet eingereicht hat.

Die in § 21 AFuU getroffene Regelung ist für die Gerichte bindend. Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 30. Januar 1973 (Az. 7 RAr 29/72 - noch nicht veröffentlicht -) dargelegt hat, sind die nach § 39 iVm § 191 Abs. 3 AFG ergangenen Anordnungen des Verwaltungsrates autonome Satzungen und enthalten Rechtsnormen, die verbindlich sind, es sei denn, daß diese gegen höherrangiges Recht verstoßen. Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt das in den §§ 10 und 21 AFuU normierte Prinzip, wonach der Antrag eine materielle Voraussetzung des Anspruchs auf Förderungsleistungen ist, weder gegen die Ermächtigung des § 39 AFG, noch gegen verfassungsrechtliche Normen.

Nach § 39 AFG bestimmt die Bundesanstalt durch Anordnung das Nähere über Voraussetzungen, Art und Umfang der Förderung der beruflichen Bildung. Das Prinzip des Antrags als Voraussetzung für den Leistungsbeginn in § 21 AFuU verstößt nicht gegen die dem Verwaltungsrat der Beklagten erteilte Ermächtigung des § 39 AFG. Dieses Prinzip ist im AFG selbst enthalten. Hierbei ist insbesondere auf die Bestimmungen über den Beginn der Zahlung des Kurzarbeitergeldes (§ 66 Abs. 1 AFG), des Schlechtwettergeldes (§ 79 Abs. 1 AFG), der Förderung von Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung (§ 95 Abs. 1 AFG), des Arbeitslosengeldes (§ 100 Abs. 1 AFG) und der Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe (§ 134 Abs. 1 AFG) hinzuweisen. Auch auf anderen Gebieten des sozialen Rechts ist der Beginn einer Leistung von einem Antrag abhängig und der Antrag eine materiell-rechtliche Voraussetzung dieser Leistung (s. dazu § 1 BVG, § 1290 Abs. 1 RVO, § 67 Abs. 1 AVG). Damit ordnet sich die in § 21 AFuU getroffene Regelung in den auch auf anderen Gebieten des Rechts der sozialen Sicherheit insoweit bestehenden Rahmen ein. Es ist gleichermaßen nicht ersichtlich, daß der § 21 AFuU gegen verfassungsrechtliche Normen verstößt, wie der Kläger meint. Es besteht keine Verfassungsnorm, wonach soziale Leistungen ohne Antrag - als von Amts wegen - vorbehaltlos zu gewähren sind oder verspätet gestellte Anträge durch "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" wie rechtzeitig gestellte behandelt werden müßten. Aus allem folgt daher, daß die in § 21 AFuU getroffene Regelung nicht gegen höherrangiges Recht verstößt und verbindlich ist. Die materielle Wirkung des § 21 AFuU wird nicht dadurch beseitigt, daß - wie der Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des Großen Senats vom 9. Juni 1961 (BSG 14, 246) meint - die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs "zweifelsfrei" gegeben seien. Es kann dahingestellt bleiben, ob das LSG insoweit überhaupt für den Senat bindende Feststellungen getroffen hat. Selbst wenn die sonstigen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruches "zweifelsfrei" gegeben wären, ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht begründet. Der Große Senat hat in der zitierten Entscheidung ausgesprochen, daß die Ausschlußfrist des § 58 BVG (idF vor dem 1. Juni 1960) für solche Fälle nicht gilt, in denen die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben sind. Die Vorschrift über das Antragserfordernis und den Beginn der Leistung in § 21 AFuU beinhaltet aber keine "Ausschlußfrist". Im übrigen hat der Große Senat auch bei zweifelsfrei gegebenen Ansprüchen nicht etwa den Beginn der Leistung vorverlegt, also einem Antrag in solchen Fällen eine rückwirkende Kraft beigemessen. Vielmehr kommt in jener Entscheidung nur zum Ausdruck, daß bei einem zweifelsfrei bestehenden Anspruch die beantragte Leistung wegen der Ausschlußfrist des § 58 BVG aF für die Zukunft nicht versagt werden darf. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht darum, ob dem Kläger in der Zukunft eine Förderung zusteht, sondern darum, ob die Leistungen für einen zurückliegenden Zeitraum, nämlich vor der Antragstellung, gewährt werden müssen. Für diese Fälle können aber die vom Großen Senat aufgestellten Grundsätze bei Ausschlußfristen keine Anwendung finden.

Schließlich geht auch die Auffassung des Klägers fehl, ihm stehe die Förderung der Teilnahme an dem Fortbildungslehrgang deshalb zu, weil das ArbA seine "Aufklärungspflicht" verletzt und er infolgedessen den Antrag verspätet eingereicht habe. Der Kläger will damit zum Ausdruck bringen, daß er wegen einer Pflichtverletzung der Beklagten an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert worden sei, bei einem pflichtmäßigen Verhalten der Beklagten den Antrag aber rechtzeitig gestellt hätte.

Das BSG hat sich in mehreren Entscheidungen mit den Folgen einer Pflichtverletzung des Versicherungsträgers gegenüber dem Versicherten befaßt und ausgesprochen, daß die (rückwirkende) Entstehung eines Anspruchs trotz unterlassener Antragstellung nur dann in Erwägung gezogen werden könne, wenn der Versicherungsträger durch unrichtige Auskunft den Berechtigten an der Antragstellung gehindert habe (Urteil des 4. Senats des BSG vom 29. Oktober 1968 - 4 RJ 553/64 - zit. in BSG 32, 64). Die Erteilung einer falschen Auskunft könne allenfalls dann eine Verpflichtung zur Rentengewährung trotz Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung herbeiführen, wenn durch die Auskunft der Eintritt der Voraussetzung verhindert worden sei (BSG 32, 60, 64; SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO und Nr. 21 zu Art. 2 § 42 ArVNG). Der Kläger hat jedoch nie behauptet, daß die Beklagte ihm oder dem Veranstalter der Fortbildungsmaßnahme eine unrichtige Auskunft erteilt hat. Die Beklagte hat sich im übrigen nicht dadurch gegenüber dem Kläger pflichtwidrig verhalten, daß sie ihm in Bezug auf das Antragserfordernis des § 21 AFuU keine Auskunft erteilt hat. Eine Pflichtverletzung kann begrifflich nur dann vorliegen, wenn jemand eine ihm obliegende Verpflichtung nicht oder nicht richtig erfüllt. Eine solche Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger Auskunft und Rat als Teilnehmer einer Fortbildungsmaßnahme zu erteilen, bestand im vorliegenden Fall nicht. Nach § 15 AFG hat die Bundesanstalt Arbeitnehmer ..."auf Verlangen"... über ... die Notwendigkeit und Möglichkeiten der beruflichen Bildung und deren Förderung ... zu unterrichten. Eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung durch die Beklagte besteht also nur "auf Verlangen" des Ratsuchenden (Hennig/Kühl/Heuer, AFG, Anm. 2 zu § 15; Krebs, AFG, Anm. 3 B zu § 15). Der Kläger hat nie behauptet, daß er wegen der Förderung seiner Fortbildung den Rat oder die Auskunft des ArbA verlangt habe. Aus diesem Grunde brauchte sich das LSG - wie der Kläger rügt - nicht gedrängt zu fühlen (§ 103 SGG), darüber Beweis zu erheben, "ob das ArbA Kenntnis von dem Vorhandensein der acht Teilnehmer besaßt, die keinen Antrag gestellt hatten". Abgesehen davon, daß diese Rüge einer Verletzung des § 103 SGG durch das LSG nicht substantiiert ist (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG), ist für die Frage einer Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Beklagte nicht rechtserheblich, ob das zuständige ArbA die Teilnehmer des Fortbildungslehrganges gekannt hat, sondern, ob das ArbA trotz Verlangens des Klägers keine oder eine unrichtige Auskunft im Hinblick auf das Antragserfordernis des § 21 AFuU erteilt hat. Es kann im vorliegenden Fall unerörtert bleiben, ob die Beklagte auch ohne Verlangen ihr bekannten Teilnehmern einer Fortbildungsmaßnahme Auskünfte erteilen sollte; jedenfalls würde eine solche Auskunftserteilung nicht im Rahmen der nach § 15 AFG bestehenden Verpflichtung vorgenommen werden und nur dann zu einer Verletzung der Fürsorgepflicht mit den oben gekennzeichneten Rechtsfolgen führen, wenn die Auskünfte unrichtig wären. Im übrigen ist der Kläger darauf zu verweisen, daß sich der Gedanke einer Pflicht der Behörde zu "fürsorglichem" Handeln gegenüber einem Berechtigten aus dem zwischen beiden bestehenden Rechtsverhältnis ergibt. Aus diesem Rechtsverhältnis erwächst aber beiden Beteiligten eine Reihe von Nebenpflichten. Dabei haben beide Beteiligten alles in ihren Kräften stehende und Zumutbare zu tun, um den anderen Beteiligten vor vermeidbaren Schäden zu bewahren. Der Berechtigte hat dabei insbesondere die Obliegenheit der Mitwirkung, Mitteilung und Anzeige, die Behörde im Rahmen der Gesetze die Pflicht zur Betreuung (s. dazu BSG in SozR Nr. 25 zu § 29 RVO; SozR Nr. 6 zu § 60 BVG). Der Fürsorgepflicht der Behörde steht also die Pflicht des Berechtigten gegenüber, auch von sich aus nach seinen Kräften alle zumutbaren Handlungen vorzunehmen, die zur Gestaltung eines dem Gesetz entsprechenden Rechtsverhältnisses erforderlich sind. Auch wenn einer Behörde regelmäßig ein gewisses "Übergewicht" in der Gestaltung und Verwirklichung des jeweiligen Rechtsverhältnisses zukommen mag, so können ihr nicht immer und in jedem Falle auf Grund der Fürsorgepflicht alle Aufgaben aufgebürdet werden, wenn auch der Berechtigte an der Gestaltung des Rechtsverhältnisses zumutbar mitwirken könnte. Im vorliegenden Fall war es dem Kläger aber zumutbar, sich über die Voraussetzungen der von ihm begehrten Förderung beim ArbA zu erkundigen, als den Rat einzuholen, den die Beklagte sodann auf Verlangen hätte erteilen müssen (§ 15 AFG). Wenn der Kläger dies wegen einer (falschen) Auskunft des Trägers der Fortbildungsmaßnahme unterlassen hat, so kann er sich nicht auf eine Pflichtverletzung der Beklagten berufen. Diese war auch nicht verpflichtet, mit ihrem Schreiben vom 22. September 1970 oder später dem Veranstalter über die Voraussetzungen der Förderung Mitteilung zu machen. Sie durfte annehmen, daß der Veranstalter über Voraussetzungen, Art und Umfang der individuellen Förderung der Fortbildung ausreichende Kenntnisse hatte, dies um so mehr, als von ihm ein Antrag auf Anerkennung der Förderungsfähigkeit beim zuständigen ArbA gestellt worden war.

Nach allem ist die Revision des Klägers unbegründet.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 262

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