Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine nachträgliche Änderung des Beitragsbildes nach teilweiser Nichtigerklärung einer Anrechnungsvorschrift. Umwandlung freiwillig entrichteter Rentenversicherungsbeiträge in andere Beitragsklassen und andere Beitragszeiten
Leitsatz (amtlich)
Die nachträgliche Umwandlung und Verschiebung rechtswirksamer freiwilliger Beiträge ist regelmäßig auch dann unzulässig, wenn sie entsprechend den Anforderungen der durch Beschluß des BVerfG vom 1970-10-27 1 BvR 51/68, 587/68, 759/68, 693/70 = BVerfGE 29, 283 teilweise für verfassungswidrig erklärten Vorschrift des AnVNG Art 2 § 54a Abs 2 idF des FinÄndG 1967 entrichtet worden sind.
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit der Entrichtung des Beitrags iS des AVG § 131 (RVO § 1409) ist das Recht der Wahl der Beitragsklasse verbraucht.
2. Grundsätzlich können einmal wirksam entrichtete freiwillige Beiträge weder auf andere Zeiten verschoben, noch in andere Beitragsklassen umgewandelt, noch aufgestockt werden.
Normenkette
AVG § 129 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1407 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 131; RVO § 1409; AnVNG Art. 2 § 54a Abs. 2 S. 1 Fassung: 1967-12-21; BVerfGG § 79 Abs. 2 S. 1
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Mai 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die nachträgliche Verschiebung und Umwandlung von freiwillig entrichteten Beiträgen zur Rentenversicherung verlangen kann.
Der Kläger war bis zum März 1963 in versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen tätig und zahlte zuletzt Versicherungspflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung. Bis zum Juni 1965 war er wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei. Vom 1. Januar bis 31. Juli 1968 entrichtete er wieder Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung, die dem Kläger jedoch aufgrund seines Antrages auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach Art 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1259) wieder erstattet wurden.
Im Dezember 1972 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, seine zwischen dem 1. Januar 1968 und dem 31. Januar 1972 entrichteten freiwilligen Versicherungsbeiträge unter Umwandlung in andere Beitragsklassen auf den Zeitraum zwischen 1966 und 1970 zu verlegen. Er habe sich bei seiner Beitragsentrichtung allein nach Art 2 § 54 a Abs 2 Satz 1 AnVNG in der ab 1. Januar 1968 gültigen Fassung des Finanzänderungsgesetzes gerichtet. Diese Bestimmung sei durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluß vom 27. Oktober 1970 für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden. Eine neue Fassung sei erst durch das Rentenreformgesetz (RRG) mit Wirkung vom 19. Oktober 1972 in Kraft gesetzt worden. Bei Kenntnis der Verfassungswidrigkeit hätte er von Anfang an seine vorhandenen Geldmittel anders und mit einem optimaleren Nutzen einsetzen können. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom 24. Juli 1973, Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1973).
Die hiergegen gerichtete Klage blieb in den beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, daß bei der Entrichtung freiwilliger Versicherungsbeiträge allein der Versicherte bestimme, in welcher Zahl und Höhe sowie für welchen Zeitraum er seine Beiträge entrichten wolle. Diesen Willen habe der Kläger deutlich zum Ausdruck gebracht, indem er entsprechend den Anforderungen des Art 2 § 54 a Abs 2 Satz 1 AnVNG idF des Finanzänderungsgesetzes seine Beiträge entrichtet habe. Der Kläger könne trotz der Rückwirkung der Entscheidung des BVerfG auf den Zeitpunkt des Erlasses der Norm keine Verschiebung seiner Beiträge verlangen, da er analog § 79 Abs 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) eine Willenserklärung abgegeben habe, die auch in der Vergangenheit abgeschlossen worden sei. Sie bleibe daher im Sinne dieser Bestimmung in vollem Umfange rechtswirksam und von der Verfassungswidrigkeit der Bestimmung, aufgrund deren sie abgegeben worden sei, grundsätzlich unberührt. Die allgemeinen Anfechtungsmöglichkeiten der §§ 119 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lieferten dem Kläger ebenfalls keinen Anfechtungsgrund. Darüber hinaus habe das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß eine Umwandlung, Umbewertung, Aufspaltung und Verschiebung von freiwilligen Beiträgen nicht zulässig sei. Schließlich könne der Kläger seinen Antrag auch nicht auf einen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch stützen, da dieses Rechtsinstitut nach herrschender Auffassung einen rechtswidrigen oder nichtigen Verwaltungsakt voraussetze, der im vorliegenden Fall unbestritten nicht vorliege. Außerdem gehe es dem Kläger nicht um die Beseitigung eines rechtswidrigen und um die Wiederherstellung eines früheren Zustandes. Er verfolge mit seinem Begehren vielmehr das Ziel, sein Beitragsbild völlig neu zu gestalten. Dieses Begehren werde jedoch von dem Rechtsinstitut des Folgenbeseitigungsanspruchs nicht umfaßt (Urteil vom 4. Mai 1976).
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt Verletzungen des materiellen Rechts durch das Berufungsgericht.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. Januar 1975 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 1973 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25. Oktober 1973 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, einer Verschiebung der von ihm in den Jahren 1968 bis 1972 entrichteten Beiträge unter Umwandlung in andere Beitragsklassen in den Zeitraum von 1966 bis 1970 zuzustimmen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß für den Kläger keine Möglichkeit besteht, die von ihm in der Zeit vom 1. Januar 1968 bis zum 31. Januar 1972 entrichteten freiwilligen Beiträge zur Angestelltenversicherung in den Zeitraum von 1966 bis 1970 zu verschieben und gleichzeitig in andere Beitragsklassen umzuwandeln.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß dem Sozialversicherungsrecht ein Anspruch auf Verschiebung, Aufstockung und Umwandlung von einmal gemäß § 129 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) bzw § 1407 der Reichsversicherungsordnung (RVO) rechtswirksam entrichteten freiwilligen Beiträgen fremd ist. Das BSG hat in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, daß eine gewisse Formstrenge gewahrt werden muß und daher eine Änderung des Beitragsbildes aufgrund eines nachträglichen, dh nach der Beitragsentrichtung erfolgten Willensentschlusses in der Regel nicht in Betracht kommt. Nur unter Beachtung dieser Voraussetzungen könnten Mißbräuche ausgeschlossen und der Bestand des Beitragsguthabens jederzeit rasch überschaubar gehalten werden. Mit der Entrichtung des Beitrags im Sinne des § 131 AVG (§ 1409 RVO) ist daher das Recht zur Wahl der Beitragsklasse verbraucht (vgl BSG in SozR Nr 2 und 4 zu § 1407 RVO). Desgleichen ist eine "Verschiebung" der Beiträge auf andere Zeiten als diejenigen, für die sie der Versicherte nach seinem zur Zeit der Entrichtung bestehenden Willen entwertet hat (§ 131 Abs 3 AVG), ausgeschlossen (vgl BSG in SozR Nr 8 zu § 1418 RVO).
Wie sich aus der Revisionsbegründung des Klägers ergibt, wendet sich dieser auch nicht grundsätzlich gegen diese gefestigte Rechtsprechung. Er meint vielmehr nur, daß der Gesetzgeber ihn durch die gemäß Beschluß des BVerfG vom 27. Oktober 1970 (SozR Nr 87 zu Art 3 GG) für verfassungswidrig erklärte Vorschrift des Art 2 § 54 a Abs 2 AnVNG idF des Finanzänderungsgesetzes verpflichtet habe, unter verschärften Bedingungen die Anrechnung von beitragslosen Zeiten zu erreichen, so daß er seine dafür vorhandenen Geldmittel nicht in der für ihn günstigsten Weise hätte einsetzen können. Nach der teilweisen Nichtigerklärung der Vorschrift dürfe er daher die nachträgliche Änderung des Beitragsbildes zu seinen Gunsten verlangen. Aber auch unter diesem besonderen Gesichtspunkt ist eine Verschiebung und Umwandlung der Beiträge nicht zulässig.
Zu Unrecht verweist das LSG allerdings in diesem Zusammenhang auf § 79 Abs 2 BVerfGG und behandelt die dort unabhängig von der für nichtig erklärten Norm festgelegte Bestandskraft von unanfechtbaren Entscheidungen als einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auf jede Willenserklärung übertragbar sei. Aufgrund ihres Wortlautes gilt die Vorschrift indes ausschließlich für Hoheitsakte (Urteile und Beschlüsse der Gerichte sowie Verwaltungsakte); sie ist nach herrschender Meinung nicht auf Willenserklärungen anwendbar (vgl hierzu Steiner in Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25 jährigen Bestehens des BVerfG, Bd I S. 628, 654; Maunz/Siegloch ua, BVerfGG, § 79 Rdnr 23; Leibholz/Rupprecht, BVerfGG, § 79 Rdnr 1). Bei der Beitragsentrichtung des freiwillig Versicherten liegt aber gerade kein hoheitliches Handeln des Versicherungsträgers vor, so daß hier die Bestandsschutzregelung des § 79 Abs 2 BVerfGG für das Begehren des Klägers nicht rechtserheblich sein kann.
Demzufolge kann der Kläger die Umwandlung und Verschiebung der freiwillig entrichteten Beiträge auch nicht - wie er meint - aus § 79 Abs 2 Satz 2 BVerfGG herleiten. Entgegen der Auffassung der Revision kann insoweit die frühere, der Beitragsentrichtung zugrunde gelegte Willenserklärung des Klägers nicht mit einer Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift gleichgesetzt werden, aus der die Vollstreckung unzulässig ist.
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, kann der Kläger seinen Anspruch auch nicht auf einen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch stützen. Mit diesem Rechtsinstitut sollen Beeinträchtigungen eines Freiheitsgrundrechts oder eines gleichgestellten Anspruchs auf Unterlassen ausgeglichen werden, die durch ein Tätigwerden der Eingriffsverwaltung hervorgerufen sind (vgl BSG Urteil vom 25. März 1976 in SozR 4100 § 151 Nr 3). Ein derartiges Verwaltungshandeln ist hier nicht ersichtlich. Die Beitragsentrichtung zur freiwilligen Versicherung beruht allein auf einem freien Entschluß des Klägers, der ohne Zutun der Beklagten zustande gekommen ist. Deswegen gehen auch die Ausführungen der Revision über eine "Verletzung der sich aus dem Versicherungsverhältnis ableitenden Treue- und Sorgfaltspflicht" fehl. Die Revision übersieht insoweit, daß der Versicherungsträger in der Regel nicht bereits im Zeitpunkt der Entrichtung, sondern meist erst bei Eintritt des Versicherungsfalles über die Berücksichtigung der freiwillig entrichteten Beiträge entscheidet. Aber selbst wenn man annehmen wollte, daß auch ein gesetzgeberisches Fehlverhalten zu einem Folgenbeseitigungsanspruch führen könnte, wäre dieser lediglich auf die Herstellung des Zustandes gerichtet, der vor dem Fehlverhalten bestanden hätte (vgl Weyreuther in Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Bd 1, Gutachten S. B 18 bis B 21 und B 185; Maier/Hannemann in DAngVers 1975, 347, 352). Mit dem Verlangen nach Verschiebung und Umwandlung der freiwillig entrichteten Beiträge begehrt der Kläger aber etwas, was vorher nie bestanden hatte - nämlich ein völlig neues Beitragsbild. Schon aus diesem Grunde scheidet ein Folgenbeseitigungsanspruch aus (ebenso bereits BSG in SozR Nr 2 zu § 1407 RVO).
Der Kläger kann schließlich die Verschiebung und Umwandlung der freiwillig entrichteten Beiträge auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Ausgleichsanspruchs begehren. Dieser Schadensersatzanspruch ist unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer vertragsähnlichen Nebenpflicht aus einem Rechtsverhältnis nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben vom BSG entwickelt worden (vgl zuletzt Urteil vom 25. März 1976 aaO mit weiteren Nachweisen). Zum Gesetzgeber, der hier nach Ansicht des Klägers durch den Erlaß einer teils verfassungswidrigen Vorschrift die behaupteten Nachteile bewirkt hat, bestehen seitens des Versicherten keine vertraglichen Beziehungen. Darüber hinaus liegt auch kein Verwaltungshandeln der Beklagten vor, durch das in diesem Sinne eine vertragliche Nebenpflicht hätte verletzt werden können.
Nach alledem muß es auch im Falle des Klägers bei dem Grundsatz verbleiben, daß einmal wirksam entrichtete freiwillige Beiträge weder verschoben noch umgewandelt noch aufgestockt werden können. Der Revision muß somit der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen