Leitsatz (amtlich)
Die Voraussetzung für das vorzeitige Altersruhegeld (AVG § 25 Abs 2 = RVO § 1248 Abs 2), daß der Versicherte "seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist", ist nicht erfüllt, wenn seine Arbeitslosigkeit während einer nicht nur geringfügigen Zeit durch Arbeitsunfähigkeit unterbrochen gewesen ist.
Normenkette
AVG § 25 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 23. November 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger (geb. 10.7.1899) war bis zum 28. Februar 1959 als Bilanzbuchhalter beschäftigt. Am 2. März 1959 meldete er sich beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos; er bezog vom 4. März 1959 bis zum 7. September 1959 Arbeitslosengeld. In der Zeit vom 8. September 1959 bis 30. August 1960 war er krank und arbeitsunfähig; am 31. August 1960 meldete er sich wieder arbeitslos.
Der Kläger beantragte am 27. April 1960, ihm das vorzeitige Altersruhegeld (§ 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) ab 1. März 1960 zu gewähren. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 22. August 1960 ab, weil der Kläger nicht mindestens ein Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen sei.
Mit der Klage machte der Kläger geltend, er sei seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos, weil die Krankheitszeit während der Arbeitslosigkeit in die Jahresfrist des § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG einzubeziehen sei.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage mit Urteil vom 18. April 1961 ab. Der Kläger legte am 13. Mai 1961 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Hamburg ein. Mit Bescheid vom 15. März 1962 bewilligte die Beklagte dem Kläger das vorzeitige Altersruhegeld ab 1. August 1961 in Höhe von monatlich 627,70 DM. Streitig blieb danach nur noch das Altersruhegeld für die Zeit vom 1. März 1960 bis 31. Juli 1961.
Das LSG wies die Berufung durch Urteil vom 23. November 1962 zurück. Die Vorinstanzen vertraten die Auffassung, die Arbeitslosigkeit des Klägers habe zwar am 1. März 1959 begonnen, sie sei aber durch die Krankheit vom 8. September 1959 bis 30. August 1960, während der der Kläger Krankengeld bzw. Übergangsgeld (Heilverfahren) bezogen habe, unterbrochen, weil der Kläger während dieser Zeit für eine Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe; eine Krankheitszeit von der Dauer, wie sie beim Kläger vorgelegen habe, lasse sich jedenfalls nicht mehr in das maßgebende Jahr der Arbeitslosigkeit einbeziehen, weil dies dem Sinn und Zweck des § 25 Abs. 2 AVG widerspreche. Das LSG ließ die Revision zu.
Das Urteil des LSG wurde dem Kläger am 26. März 1963 zugestellt. Der Kläger legte am 20. April 1963 Revision ein; er beantragte,
unter Aufhebung der insoweit entgegenstehenden Entscheidungen der Vorinstanzen die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 1. März 1960 bis 31. Juli 1961 das vorgezogene Altersruhegeld zu gewähren.
Der Kläger begründete die Revision am 16. Mai 1963. Das LSG habe § 25 Abs. 2 AVG verletzt; der Kläger habe nach seiner Arbeitslosmeldung jedenfalls überwiegend, nämlich mehr als 6 Monate, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden; es sei zu vermuten, daß der Kläger auch in der Zeit, in der er arbeitsunfähig krank gewesen sei, nicht in Arbeit hätte vermittelt werden können.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124, Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
II
Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist jedoch nicht begründet.
Streitig ist, ob dem Kläger - auf seinen Antrag vom 27. April 1960 - das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 AVG auch für die Zeit vom 1. März 1960 bis 31. Juli 1961 zusteht. Das LSG hat dies zu Recht verneint.
Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG erhält der Versicherte, der das 60. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit erfüllt hat und seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist, auf Antrag Altersruhegeld für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit. Die Entscheidung über den Anspruch des Klägers hängt allein davon ab, ob der Kläger, der am 1. März 1959 arbeitslos geworden ist und am 9. Juli 1959 sein 60. Lebensjahr vollendet hat, schon vor dem 1. August 1961 seit "mindestens einem Jahr ununterbrochen" arbeitslos gewesen ist.
Das LSG ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger sei nicht schon vor dem 1. August 1961 seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG gewesen, weil seine Arbeitslosigkeit durch seine Arbeitsunfähigkeit seit dem 8. September 1959 (bis 30. August 1960) unterbrochen gewesen sei.
Für die Beurteilung der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 25 Abs. 2 AVG sind die Vorschriften des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) zugrunde zu legen, im vorliegenden Fall die Vorschriften der §§ 75, 76 AVAVG in der seit dem 1. April 1957 geltenden Fassung (vgl. insoweit BSG 14, 53; 15, 131; 18, 287). In diesen Vorschriften ist der Begriff der Arbeitslosigkeit zwar nur in § 75 erläutert; § 76 bestimmt, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht; Arbeitslosigkeit im Sinne des § 25 Abs. 2 AVG schließt jedoch die Tatbestandsmerkmale des § 76 AVAVG grundsätzlich ein (BSG 15, 131; 18, 187; Urteil des BSG vom 18. Februar 1964, 11/1 RA 239/60). Arbeitslos im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG ist danach der Versicherte, der "berufsmäßig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegt, aber vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht" (und nicht im Betriebe eines Angehörigen mithilft - § 75 Abs. 1 AVAVG -) und der Arbeitsvermittlung - oder jedenfalls dem Arbeitsmarkt - subjektiv und objektiv zur Verfügung steht (vgl. BSG 7, 138; 9, 74). Nach § 76 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG steht - sofern die sonstigen Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 vorliegen - der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer ungeachtet der Lage des Arbeitsmarktes nach seinem Leistungsvermögen imstande ist, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben und nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsauffassung für eine Vermittlung als Arbeitnehmer in Betracht kommt. Zum Begriff der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 25 Abs. 2 AVG gehört danach auch die Arbeitsfähigkeit; Arbeits un fähigkeit schließt grundsätzlich Arbeitslosigkeit aus. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, das vorzeitige Altersruhegeld - anders als das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe - auch bei Arbeitsunfähigkeit zu gewähren; die Rentenversicherung sieht bei gemindertem Leistungsvermögen allein die Rente wegen Berufsunfähigkeit und wegen Erwerbsunfähigkeit vor. Die Vorschrift des § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG bezweckt, ältere Versicherte, die arbeitslos geworden sind, - entgegen dem Regelfall des § 25 Abs. 1 AVG - "vorzeitig" in den Genuß des Altersruhegeldes zu bringen, wenn diese Versicherten wegen ihres Alters keinen neuen Arbeitsplatz mehr finden; diese Voraussetzung sieht das Gesetz aber nur dann als gegeben an, wenn die Arbeitslosigkeit "seit mindestens einem Jahr ununterbrochen" bestanden hat. Das Gesetz verlangt damit, daß sich ununterbrochen mindestens ein Jahr lang die Maßnahmen der Arbeitsvermittlung und die Bemühungen des Versicherten zur Beschaffung eines neuen Arbeitsplatzes als erfolglos erwiesen haben. Das bedeutet aber auch, daß grundsätzlich das eine Jahr voll zur Verfügung gestanden haben muß, um die Arbeitslosigkeit zu beheben. Es genügt deshalb nicht, daß der Versicherte - wie der Kläger meint - innerhalb des einen Jahres "überwiegend, d. h. mehr als 6 Monate", der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden oder sich um Arbeit bemüht hat; eine solche Auslegung lassen Wortlaut und Sinn des § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG nicht zu (BSG 14, 53, 58).
Bei der Prüfung, ob die Arbeitslosigkeit seit mindestens einem Jahr "ununterbrochen" im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG bestanden hat, darf allerdings - wie das LSG zutreffend aus den Besonderheiten des Rechts der Rentenversicherung, insbesondere auch aus § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG gefolgert hat - eine Unterbrechung der Arbeitslosigkeit durch nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit von geringer Dauer außer Betracht bleiben. "§ 25 Abs. 2 Satz 4 AVG ist dazu bestimmt, die Grundsatzregelung des § 25 Abs. 1 Satz 1 AVG zu mildern, er erklärt deshalb vergleichsweise geringfügige Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit für unbeachtlich" (BSG 14, 53, 58). Ebenso wie eine im Vergleich mit einjähriger Arbeitslosigkeit unbedeutende Beschäftigung unberücksichtigt bleiben darf, ist eine Arbeitsunfähigkeit von geringer Dauer, die - gemessen an dem einen Jahr - als "Ausfall" für die Bemühungen über die Unterbringung in Arbeit praktisch nicht ins Gewicht fällt, unschädlich. Der genauen Abgrenzung einer für § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG unschädlichen Zeit der Arbeitsunfähigkeit bedarf es im vorliegenden Fall nicht. Der Kläger ist vom 8. September 1959 bis 30. August 1960 arbeitsunfähig gewesen; er ist also zu Beginn des Zeitraums, für den er das vorzeitige Altersruhegeld begehrt (1. März 1960; - für den Monat März 1960 besteht übrigens schon deshalb nach § 67 Abs. 5 AVG kein Anspruch, weil der Antrag erst im April 1960 gestellt ist), während des vorangehenden Jahres über 5 Monate arbeitsunfähig und damit nicht "verfügbar" gewesen. Eine Arbeitsunfähigkeit von dieser Dauer ist keinesfalls als "geringfügige Unterbrechung" der Arbeitslosigkeit zu werten, sie fällt im Vergleich mit der einjährigen Arbeitslosigkeit, die grundsätzlich verlangt wird, als "Ausfall" für Maßnahmen der Arbeitsvermittlung und der Arbeitsuche erheblich ins Gewicht und kann deshalb nicht außer Betracht bleiben. Das hat weiter zur Folge, daß das Tatbestandsmerkmal der "mindestens einjährigen ununterbrochenen Arbeitslosigkeit" auch in der Folgezeit (bis 31. Juli 1961) nicht vorgelegen hat; die Unterbrechung einer Arbeitslosigkeit bewirkt, daß die vor der Unterbrechung liegende Zeit der Arbeitslosigkeit für den Versicherten insofern "verloren" ist, als das nach § 25 Abs. 2 AVG maßgebende Jahr, in dem ununterbrochen Arbeitslosigkeit bestanden haben muß, erst wieder mit dem Eintritt einer erneuten Arbeitslosigkeit beginnt. Das bedeutet, daß hier der Beginn dieses einjährigen Zeitraumes auf den 1. August 1960 fällt, denn erst in diesem Monat ist die Unterbrechung der vorhergehenden Arbeitslosigkeit beendet und der Kläger wieder arbeitslos gewesen. Der Kläger kann somit nicht vor dem 1. August 1961 seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen sein.
Das LSG hat danach die Sach- und Rechtslage zutreffend beurteilt. Die Revision des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen