Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankengeldbezieher. Beitragstragungspflicht. Verfassungsmäßigkeit. notwendige Beiladung des Rentenversicherungsträgers
Orientierungssatz
Die notwendige Beiladung des Rentenversicherungsträgers ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Versicherte nur den seine Beitragstragungspflicht betreffenden Satz 2 des § 1385b Abs 1 RVO angreift. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit kann nicht auf einen Teil des § 1385b Abs 1 RVO beschränkt werden, sondern erfaßt die ganze Vorschrift. Damit betrifft aber der Streitgegenstand dieses Verfahrens auch die Rechtssphäre des Rentenversicherungsträgers.
Normenkette
RVO § 1385b Abs 1 S 2 Fassung: 1983-12-22; SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; GG
Verfahrensgang
SG Hildesheim (Entscheidung vom 03.07.1984; Aktenzeichen S 2 Kr 17/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger nach § 1385b Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I, 1532) verpflichtet ist, die von der beklagten Krankenkasse aus Anlaß seines Krankengeldbezuges an die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlenden Beiträge zur Hälfte zu tragen.
Die Beklagte gewährte dem seit dem 31. Januar 1984 arbeitsunfähig erkrankten Kläger ab 1. Februar 1984 Krankengeld in Höhe von täglich 53,03 DM und behielt hiervon Beitragsanteile zur Rentenversicherung von 9,25 vH (4,91 DM) und zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) von 2,3 vH (1,22 DM) ein, so daß sich der tägliche Auszahlungsbetrag auf 46,90 DM belief (Bescheid vom 11. Februar 1984; Widerspruchsbescheid vom 17. April 1984).
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die Klage, mit der der Kläger das Krankengeld in voller Höhe ohne Beitragsabzug verlangt und hilfsweise die Vorlage des Rechtsstreits an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beantragt hatte, abgewiesen (Urteil vom 3. Juli 1984). Zur Begründung hat es ausgeführt, der angefochtene Bescheid der Beklagten entspreche der ab 1. Januar 1984 gegebenen Rechtslage. Die Beitragserhebung sei nicht verfassungswidrig. Derzeit noch bestehende Regelungslücken könnten auf ihre Verfassungskonformität erst überprüft werden, wenn der Kläger Leistungen vom Rentenversicherungsträger oder von der BA begehre. Die Regelung, daß die Krankenversicherungsträger bei Zahlung von Krankengeld an Arbeitslose den vollen Beitrag zur Rentenversicherung und zur BA aufzubringen hätten, verstoße nicht gegen Art 3 des Grundgesetzes (GG), weil der im Berufsleben stehende Kläger ein wesentlich höheres Krankengeld beziehe und deshalb unterschiedliche Sachverhalte vorlägen.
Mit der - vom SG im Urteil zugelassenen - Sprungrevision wendet sich der Kläger weiterhin gegen die Einbehaltung des Beitragsanteils zur Rentenversicherung. Er hält § 1385b Abs 1 Satz 2 RVO insoweit für verfassungswidrig und damit für nichtig, als Bezieher von Krankengeld und von Verletztengeld zur Tragung der Hälfte der Beiträge verpflichtet worden sind. Die Vorschrift verstoße gegen die Art 3, 14 und 104a bis 108 GG. Nicht beanstandet werde, daß die in § 1385b Abs 1 Satz 1 RVO aufgeführten Sozialleistungsträger zur Finanzierung von Lasten der Rentenversicherungen herangezogen werden. Hierin sei ein verfassungsrechtlich zulässiger Finanzausgleich zwischen den verschiedenen Sozialleistungsbereichen zu sehen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 1984 dahingehend zu ändern, daß von dem ab 1. Februar 1984 bewilligten Krankengeld kein Beitrag (Versichertenanteil) zur Rentenversicherung einbehalten wird, sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm die ab 1. Februar 1984 vom Krankengeld einbehaltenen Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 9,25 vH des jeweiligen Zahlbetrages auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Sache zurückzuverweisen, hilfsweise, die Revision zurückzuweisen.
Sie rügt die Unterlassung der notwendigen Beiladung des Rentenversicherungsträgers. Entgegen der Auffassung des Klägers habe sie keineswegs für den gesamten Rentenversicherungsbeitrag aufzukommen. Die Beiträge von Beziehern von Krankengeld und von Verletztengeld behalte sie - wie auch sonst in ihrer Funktion als Einzugsstelle - lediglich treuhänderisch von der Barleistung ein. Sie sei gegenüber dem Kläger nicht Beitragsgläubiger und gegenüber dem Rentenversicherungsträger nicht Beitragsschuldner. In der Sache tritt die Beklagte der Auffassung des Klägers entgegen, sie sei mit dem vollen Beitrag zur Rentenversicherung aus dem Krankengeld zu belasten. § 1385b Abs 1 Satz 2 RVO könne nicht isoliert angegriffen werden. Würde nur dieser Teil der Vorschrift als verfassungswidrig angesehen werden, so würde dadurch der gesetzgeberische Wille ins Gegenteil verkehrt werden. § 1385b Abs 1 RVO könnte deshalb nur als Ganzes verfassungswidrig sein.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht (LSG), das für die Berufung zuständig gewesen wäre (§ 170 Abs 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die Aufhebung des Urteils des SG ist geboten, weil das Verfahren an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. In dem Rechtsstreit war der zuständige Rentenversicherungsträger notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 SGG).
Der Rechtsstreit wird darüber geführt, ob der Kläger verpflichtet ist, die von der Beklagten aufgrund seines Krankengeldbezuges entrichteten Rentenversicherungsbeiträge zur Hälfte zu tragen. Da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1385b Abs 1 Satz 2 RVO unstreitig vorliegen, hängt das Klagebegehren davon ab, ob die Vorschrift anwendbares Recht ist, was der Kläger mit der Behauptung ihrer Verfassungswidrigkeit bestreitet. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit, über die der Senat vorweg - sei es durch ihre Bejahung oder bei Verneinung durch Vorlage gemäß Art 100 GG an das BVerfG - zu befinden hat, berührt indes unmittelbar den Anspruch auf die Beiträge und greift damit dergestalt in die Rechtssphäre des Rentenversicherungsträgers ein, daß die Entscheidung auch diesem gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 - 1. Alternative - SGG).
Die notwendige Beiladung des Rentenversicherungsträgers ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger nur den seine Beitragstragungspflicht betreffenden Satz 2 des § 1385b Abs 1 RVO angreift. Seine Auffassung, aus der Unwirksamkeit nur dieses Teiles der Vorschrift würde sich die Verpflichtung der Beklagten zur Tragung des vollen Beitrags ergeben (was dann letztlich den Beitragsanspruch des Rentenversicherungsträgers unberührt lassen würde), trifft nicht zu. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, ist eine solche Folgerung nicht mit dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers bei Schaffung des § 1385b RVO vereinbar, wonach die dort genannten Rehabilitationsträger zwar zur Abführung des vollen Beitrags an den Rentenversicherungsträger, gleichzeitig aber nur zur Tragung des halben Beitrages verpflichtet wurden. Entsprechend dieser Entscheidung des Gesetzgebers müßte sich, wenn die Pflicht des Klägers zur Tragung seines Beitragsanteils aus Verfassungsgründen entfiele, dies auch auf die Abführungspflicht der Beklagten auswirken. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit kann deshalb nicht auf einen Teil des § 1385b Abs 1 RVO beschränkt werden, sondern erfaßt die ganze Vorschrift. Damit betrifft aber der Streitgegenstand dieses Verfahrens auch die Rechtssphäre des Rentenversicherungsträgers.
Die Unterlassung der notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1).
Da das SG bereits eine Entscheidung zur Sache getroffen hat, erschien es zweckmäßig, den Rechtsstreit nicht an das SG, sondern an das LSG zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen