Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausgezahlte Lebensversicherungen. Anrechnungsmodus -

 

Leitsatz (redaktionell)

An der bisherigen Rechtsprechung des BSG (vergleiche BSG 1966-11-11 10 RV 270/64 = BSGE 25, 262 und BSG 1965-11-24 9 RV 510/63 = VersorgB 1966 RsprNr 16) wird festgehalten. Danach ist gemäß BVG § 44 Abs 5 die Leistung anzurechnen, die tatsächlich erbracht wurde, nicht aber eine Leistung, die bei einer andersgearteten Gestaltung des Versicherungsverhältnisses - etwa einer Pensionsversicherung mit anders bemessenen Risiken und Leistungsmodalitäten - hätte gefordert werden können. Der Senat hielt auch daran fest, daß es nicht darauf ankommt, wie eine Lebensversicherungssumme von der begünstigten Witwe verwendet wird.

 

Normenkette

BVG § 44 Abs. 5 Fassung: 1966-12-28

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin bezog bis zur Verheiratung mit Dr. (A.) im Jahre 1946 für sich und ihre beiden Kinder aus erster Ehe Hinterbliebenenrente nach dem im Jahre 1943 gefallenen Ehemann H (H.). Dr. A. verstarb am 14. März 1953; aus dieser zweiten Ehe der Klägerin stammen zwei weitere Kinder. Die Klägerin übte in der Folgezeit ihren erlernten Beruf als Studienrätin aus. Auf ihren Antrag vom Oktober 1960 wurde ihr die Witwengrundrente nach dem ersten Ehemann H. wiedergewährt. Dr. A. hatte 1936 eine Lebensversicherung mit einer Laufzeit von 25 Jahren abgeschlossen, nach der die Versicherungssumme im Erlebensfalle an ihn, im Falle seines vorzeitigen Todes an die Klägerin ausbezahlt werden sollte. 1966 stellte die Versorgungsbehörde fest, daß der Klägerin anläßlich des Todes von Dr. A. eine Versicherungssumme in Höhe von 16.993,15 DM ausgezahlt worden war. Die Versorgungsbehörde erließ darauf den auf § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) gestützten Berichtigungsbescheid vom 9. März 1967, kürzte die wiederaufgelebte Grundrente ab 1. Oktober 1960 um einen Betrag von monatlich 69,60 DM, forderte jedoch die zu Unrecht gezahlten Bezüge nicht zurück. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Münster hob den Berichtigungsbescheid mit Urteil vom 21. September 1968 auf, weil es sich bei der Auszahlung einer Lebensversicherung nicht um einen Versorgungs- oder Unterhaltsanspruch im Sinne des § 44 Abs. 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) handele. Das Landessozialgericht (LSG) hob das Urteil des SG auf, wies die Klage ab und ließ die Revision zu: Der Berichtigungsbescheid sei zu Recht ergangen, weil der Klägerin die Witwenrente ohne Berücksichtigung der Lebensversicherungssumme gewährt worden sei. Nach § 44 Abs. 5 BVG seien alle Ansprüche aus der späteren Ehe anzurechnen, die nach deren Auflösung den Unterhalt ersetzen oder erleichtern sollten; dazu gehörten auch die Ansprüche aus einer Lebensversicherung. Da die Witwenrente in Monatsbeträgen gezahlt werde, müsse die Versicherungssumme in einen monatlichen Rentenbetrag umgerechnet werden. An der Anrechnung ändere sich nichts dadurch, daß die Versicherungssumme zum Unterhalt der Familie bereits verbraucht sei. Der Anspruch aus dem Lebensversicherungsvertrag habe allein der Klägerin zugestanden, nicht auch den Kindern.

Die Revision rügt die Verletzung des § 44 Abs. 2 BVG: Offen bleibe auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Urt. v. 24.11.1965 - 9 RV 510/63 - und vom 11.11.1966 - 10 RV 270/64 -) die Frage, wie die Lebensversicherungssumme für die monatliche Anrechnung festzustellen sei. Der Wille des Gesetzgebers gehe ersichtlich dahin, die Witwe so zu stellen, daß ihre Position durch die Daseinsvorsorge aus der späteren Ehe nicht verschlechtert werde. Die in der Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 4 zu § 44 BVG idF vom 21. Februar 1964 und in der VV Nr. 6 vom 26. Juni 1969 vorgesehene Berechnungsweise sei für die Gerichte nicht bindend. Näherliegend sei die Berechnung auf der Grundlage einer Pensionsversicherung, die zu einem niedrigeren monatlichen Anrechnungsbetrag führe. Zumindest für die aus der zweiten Ehe stammenden Kinder müsse ein "Pflichtanteil" von der Versicherungssumme abgezogen werden, was zur Folge hätte, daß "der Rückforderungsanspruch der Beklagten" niedriger würde.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er führt im wesentlichen aus: Da der Anspruch auf Kapitalleistung aus einer Lebensversicherung, den die Witwe als begünstigte Dritte erlangt habe, zu den aus der neuen Ehe erworbenen Ansprüchen gehöre, müsse die in Rentenbeträge umgerechnete Versicherungssumme ganz berücksichtigt werden. Selbst wenn auch die Sicherung der Kinder ein zusätzlicher Beweggrund für den Vertragsabschluß gewesen wäre, würde dies nichts daran ändern, daß der Anspruch aus dem Vertrag allein im Hinblick auf die Interessen der Klägerin ausbedungen worden sei. Leistungen, die die Klägerin erhalten würde, wenn sie einen privatrechtlichen Witwenrentenanspruch hätte, stünden nicht zur Entscheidung.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist aber nicht begründet.

Zunächst ist festzuhalten, daß die Klägerin irrt, wenn sie in der Revisionsbegründung (Seite 4 vorletzter Absatz) vorträgt, der Beklagte "verwirkliche mit der Anrechnung von 69,60 DM monatlich einen Rückforderungsanspruch" gegenüber der Klägerin. Der Beklagte hat von der Klägerin für die Zeit des Rentenbezuges von 1960 bis 1966 nichts zurückgefordert, sondern auf die Rückforderung der errechneten Überzahlung verzichtet, obwohl die Klägerin - wie das LSG zutreffend entschieden hat - in dieser Zeit eine zu hohe Grundrente bezogen hat. Die Anrechnung von DM 69,60 monatlich bezieht sich nur auf die laufende Rente, nur insoweit ist die Klägerin durch den angefochtenen Bescheid beschwert.

Die Klägerin wendet sich mit der Revision nicht dagegen, daß der Anspruch aus dem von Dr. A. zu ihren Gunsten abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag unter "Verrentung" des Kapitals auf die Grundrente anzurechnen ist. Sie hat in der Revisionsbegründung selbst auf die hierzu ergangenen Urteile des BSG (vgl. BSG 25, 262 und Urteil des erkennenden Senats vom 24.11.1965 - 9 RV 510/63 -) Bezug genommen. Die Klägerin wendet sich nur dagegen, wie der Beklagte und die Vorinstanz die ausgezahlte Versicherungssumme auf die laufende Rente angerechnet haben. Sie meint insbesondere, bei der Anrechnung müsse - weil dies für sie günstiger sei - so verfahren werden, wie wenn Dr. A. bei gleichen finanziellen Aufwendungen eine "Pensionsversicherung" statt einer Kapitalversicherung abgeschlossen hätte. Mit dieser Auffassung hat sich das BSG in den vorerwähnten Urteilen im wesentlichen bereits auseinandergesetzt. Dort ist dargelegt, daß nach § 44 Abs. 5 BVG die Leistung anzurechnen ist, die tatsächlich erbracht wurde, nicht aber eine Leistung, die bei einer andersgearteten Gestaltung des Versicherungsverhältnisses - etwa einer Pensionsversicherung mit anders bemessenen Risiken und Leistungsmodalitäten - hätte gefordert werden können. Das Gesetz hebt für die Anrechnung auch nicht auf die Höhe des Vermögensopfers ab, das während der Vertragsdauer erbracht wurde. Es ist nicht das gleiche, ob der Versicherungsnehmer eine Kapitalversicherung abgeschlossen hat und deshalb der Begünstigte im Versicherungsfalle einen Kapitalbetrag erhält oder ob er auf Grund der Versicherungsbedingungen eine lebenslängliche Rentenleistung zu beanspruchen hat. An dieser bisherigen Rechtsauffassung ist festzuhalten. Der Senat hält auch daran fest, daß es - wie in BSG 25, 262 dargelegt ist - nicht darauf ankommt, wie die Klägerin die ihr zugeflossene Versicherungssumme verwendet hat. Weder der Verbrauch der Versicherungssumme zur Tilgung von Nachlaßverbindlichkeiten (vgl. BSG aaO) noch die im vorliegenden Fall geltend gemachte teilweise Verwendung für den Unterhalt der Kinder sind für die Anrechnung von Bedeutung. Der Klägerin ist die Versicherungssumme persönlich und in gleicher Weise zugeflossen, wie sie Dr. A. im Erlebensfalle erhalten hätte. Auch wenn sie sich moralisch verpflichtet gefühlt hat, die Versicherungssumme teilweise für den Unterhalt jedenfalls der Kinder aus der zweiten Ehe zu verwenden, hätte sie damit aus den rechtlich allein ihr zugeflossenen Mitteln nur ihre Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern erfüllt. Da ihr dies durch die Versicherungssumme in jedem Fall erleichtert worden ist, läßt sich auch nicht - was das LSG nach der Begründung für die Zulassung der Revision offenbar erwogen hat - einwenden, durch die vom LSG ebenso wie vom BSG vertretene Auffassung werde eine mit dem Lebensversicherungsvertrag möglicherweise verfolgte Absicht der Sicherung der ganzen Familie nicht erreicht. Es mag durchaus sein, daß Dr. A. bei Abschluß des Lebensversicherungsvertrages zugunsten der Klägerin auch an die "Sicherung der gesamten Familie", mindestens seiner leiblichen Kinder, gedacht hat und daß die Anrechnung der Versicherungssumme auf die laufende Grundrente der Klägerin nicht diesem möglichen zusätzlichen Beweggrund für den Vertragsabschluß entspricht. Ein solcher zusätzlicher Beweggrund, der sich nicht in der Gestaltung des Vertrags ausgewirkt hat, muß aber wegen des subsidiären Charakters der wiederaufgelebten Witwenrente unberücksichtigt bleiben. Die Witwenrente aus der ersten Ehe soll nur dann und insoweit wiederaufleben, als infolge der Auflösung der späteren Ehe durch den Wegfall von Versorgungs- und Unterhaltsansprüchen aus dieser Ehe eine "Versorgungslücke" eintritt. Die Versorgung der Witwe und ihre "Vermögensposition" werden aber nicht beeinträchtigt, wenn sie aus den ihr aus der späteren Ehe zufließenden Versorgungsleistungen Unterhaltspflichten erfüllt, die ihr ohnehin obgelegen haben. Diese Unterhaltspflichten können nicht - im Ergebnis - zu Lasten der Versorgungsverwaltung erfüllt werden. Dies würde aber der Fall sein, wenn der Anspruch der Klägerin aus dem Lebensversicherungsvertrag auf die wiederaufgelebte Witwenrente nach dem BVG nur teilweise nach § 44 Abs. 5 BVG angerechnet würde.

Schließlich geht auch die Annahme der Revision fehl, zumindest müsse ein "Pflichtanteil" der Kinder aus zweiter Ehe von der Versicherungssumme abgezogen werden. Wenn die Revision mit dem "Pflichtanteil" den Pflichtteil i. S. der §§ 2303 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) meinen sollte, scheitert diese Annahme einerseits daran, daß der Anspruch aus dem Lebensversicherungsvertrag nach § 330 BGB unmittelbar der Klägerin zusteht und nicht in den Nachlaß von Dr. A. gefallen ist, andererseits daran, daß die Kinder aus zweiter Ehe der Klägerin durch den Abschluß des Lebensversicherungsvertrags zugunsten der Klägerin nicht von der Erbfolge nach ihrem Vater ausgeschlossen worden sind; die Kinder aus der ersten Ehe sind ohnehin nicht erbberechtigt. Für einen "Pflichtanteil" aus anderen Gründen fehlt es an jeder Rechtsgrundlage.

Da das LSG somit zutreffend entschieden hat, daß der Klägerin ein Betrag von monatlich 69,60 DM auf die Witwengrundrente anzurechnen ist, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670392

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