Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
1) 2) Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt einen Arbeitsunfall anzuerkennen und entsprechende Verletztenrente zu gewähren.
Er ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma Möbel T. GmbH & Co KG, die ihrerseits Kommanditistin der Firma V… (Vereinigte …-GmbH und Co. KG) in K… ist. Gegenstand der V… ist die wirtschaftliche Förderung der in diesem Unternehmen zusammengeschlossenen Einzelhandelsfirmen der Möbel- und Einrichtungsbranche, insbesondere die Organisation und Durchführung des gemeinschaftlichen Einkaufs mit dem Ziel der Erlangung von Einkaufsvorteilen für die einzelnen Gesellschafter. Der Kläger ist Mitglied des nach dem Gesellschaftsvertrag eingerichteten Aufsichtsrats der V….
Der Kläger besuchte während einer am 26. Juni 1977 begonnenen und bis zum 12. Juli 1977 vorgesehenen Geschäftsreise verschiedene Kunden, Möbelhersteller und Lieferanten in Süddeutschland. Zwischendurch beabsichtigte er, an einer in K… anberaumten Aufsichtsratssitzung der V… teilzunehmen. Er wollte deswegen am 6. Juli 1977 zum Flughafen Stuttgart gelangen, um nach K… zu fliegen. Auf der Fahrt dorthin verunglückte er und zog sich dabei u.a. eine Nasenbeintrümmerfraktur mit Hämatom zu.
Die für die Firma Möbel T. zuständige Einzelhandels-Berufsgenossenschaft (Beklagte zu 1) lehnte eine Unfallentschädigung ab, da die unfallbedingte Fahrt der V… unmittelbar gedient habe, für die sie nicht der zuständige Versicherungsträger sei (Bescheid vom 13. Dezember 1978; Widerspruchsbescheid vom 13. März 1979). Ebenso versagte die beklagte Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (Beklagte zu 2) Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, da der Kläger als Aufsichtsratsmitglied der Firma V… nicht zu dem versicherten Personenkreis gehöre (Bescheid vom 6. Februar 1979; Widerspruchsbescheid vom 26. April 1979).
Das Sozialgericht (SG) hat in dem zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahren die Beklagte zu 1) verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles Entschädigungsleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren; es hat die Klage gegen die Beklagte zu 2) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten zu 1) das Urteil des SG abgeändert und die Klage im vollen Umfang abgewiesen. Es hat dies u.a. wie folgt begründet: Der Kläger habe die durch Süddeutschland führende Geschäftsreise unterbrochen, um an der Aufsichtsratssitzung der V… teilzunehmen. Die Aufsichtsratssitzung sei nicht wesentlich mit den betrieblichen Interessen der Firma Möbel T. verbunden. Sie habe sich vielmehr mit innerbetrieblichen Angelegenheiten der V… befaßt, was die Tagesordnung verdeutliche. Beide Unternehmungen seien auch nach Rechtsform, Organisation und Zweckbestimmung voneinander getrennte Einrichtungen. Ihre beiderseitige personelle und wirtschaftliche Verflechtung sei lediglich Anlaß für die Bestellung des Klägers zum Mitglied des Aufsichtsrats gewesen. Die Aufsichtsratssitzung habe vorrangig die Belange der V… berührt. Der Kläger habe dort auch nicht geschäftliche Angelegenheiten der Firma Möbel T. besprochen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 548, 550 und 539 Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Besuch der Aufsichtsratssitzung sei - so führt der Kläger u.a. aus - zeitlich und organisatorisch in die umfangreiche Geschäftsreise eingebunden gewesen. Beides habe unmittelbar den Interessen der Firma Möbel T. gedient. Die V… bezwecke den gemeinschaftlichen Einkauf zur Erlangung von Einkaufsvorteilen, die allein den in dem Unternehmen zusammengeschlossenen Einzelhandelsfirmen zugute komme. Dieser organisatorische Zusammenschluß sei nicht so sehr als eigenständiges Unternehmen zu begreifen; die V… sei eine wesentliche Ergänzung jedes einzelnen Anschlußhauses, wodurch sich eine unmittelbare Einflußnahme derselben ergebe. Überdies sollten die während der Geschäftsreise des Klägers gewonnenen Erkenntnisse an die V… weitergegeben werden und hierüber in der Aufsichtsratssitzung ein eingehender Erfahrungsaustausch stattfinden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen; hilfsweise, die Beklagte zu 2) zur Gewährung der gesetzlichen Leistungen zu verurteilen.
Die Beklagte zu 1) beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 2) stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu 1) zu Recht verpflichtet, dem Kläger Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Deshalb war das entgegenstehende Urteil des LSG aufzuheben.
Der Kläger, der kraft Satzung als Unternehmer bei der Beklagten zu 1) versichert ist (§ 543 RVO), erlitt auf der Fahrt zur Aufsichtsratssitzung der V… einen Arbeitsunfall. Als ein solcher ist nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ein Unfall zu werten, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 550 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Der Versicherte steht dabei auch auf Reisen außerhalb der Betriebsstätte, die zur Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden (sog. Betriebsweg) unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl. S. 481q m.w.N.). Dienen solche Wege nicht ausschließlich betriebsbedingten, sondern zugleich auch eigenwirtschaftlichen Zwecken und lassen sie sich nicht eindeutig in einen versicherten unternehmensbezogenen und einen unversicherten unternehmensfremden Teil trennen, ist der Versicherungsschutz im Sinne einer sogenannten gemischten Tätigkeit zu bejahen, sofern sie dem versicherten Zweck wesentlich und nicht nur als bloßer Nebenzweck dient (BSG-Urteil vom 25. November 1977 - 2 RU 99/76 - = Lauterbach/Kartei § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO Nr. 10316 m.w.N.). Diese allgemeinen Rechtsgrundsätze sind auf Fälle übertragbar, in denen sich die Verrichtungen des Unternehmers auf organisatorisch voneinander getrennte Betriebe erstrecken.
Nach dieser rechtlichen Erwägung ist die zum Unfall führende Fahrt dem Einzelhandelsunternehmen des Klägers zuzurechnen. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der gegenteiligen Meinung u.a. angeführt, die beabsichtigte Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung habe vorrangig den Belangen der V… gedient. Dies ist im zugrundeliegenden Fall jedoch nicht der geeignete Beurteilungsmaßstab. Zwar mag die - hier geschehene - Trennung zweier Unternehmen nach Rechtsform und Organisation im allgemeinen ein Indiz dafür sein, daß die Verrichtungen eines Unternehmers allein einem Unternehmen zuzuordnen sind. Eine solche Betrachtungsweise ist wohl im Interesse der Unfallversicherungsträger an einer wirksamen Kontrolle des Versichertenrisikos geboten, um so eine wirksame und überschaubare Abgrenzung des Versicherungsschutzes zu gewährleisten (BSGE 51, 253, 255 = SozR 2200 § 548 Nr. 54). Der Zweck der Unfallversicherung, Unfallrisiken abzudecken, rechtfertigt allerdings nicht, die freie unternehmerische Tätigkeit zu behindern (BSGE 51 a.a.O.). Dem Unternehmer muß es vielmehr freistehen, in welcher Art und Weise er sein Unternehmen betreibt. Daraus folgt jedoch nicht, daß ein Unternehmer bei jeder Tätigkeit, die auch nur entfernt mit seinem Unternehmen im Zusammenhang steht, versichert ist (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 57). Andererseits ist der konkrete Bezug zum eigenen Unternehmen und damit der Versicherungsschutz nicht schlechthin deswegen aufgehoben, weil der Unternehmer sich außerdem in einer anderen beruflichen oder fachlichen Organisation betätigt. So hat der 2. Senat den Unfallversicherungsschutz eines Weinbauunternehmers bei der landwirtschaftlichen BG bejaht, obwohl er unentgeltlich Arbeiten in der zu einer anderen BG gehörenden Winzergenossenschaft durchführte, der er als Mitglied angehörte (BSGE 27, 233, 235 f. = SozR Nr. 47 zu § 537 RVO a.F.). Dem Senat erschien es wichtig, daß der wirtschaftliche Erfolg der eigenen Weintraubenproduktion der Genossen weitgehend von dem Erfolg der Weiterbearbeitung durch die Genossenschaft abhing.
Eine solche erfolgsabhängige wirtschaftliche Verknüpfung ist auch im zugrundeliegenden Fall zu bejahen. Nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war Zweck des gesellschaftlichen Zusammenschlusses zahlreicher Einzelhandelsunternehmen zur V… die wirtschaftliche Förderung der Gesellschafter und deren Unternehmen in der Möbel- und Einrichtungsbranche, insbesondere die Organisation und Durchführung des gemeinschaftlichen Einkaufs zur Erlangung von Einkaufsvorteilen für die einzelnen Gesellschafter (§ 3 des Gesellschaftsvertrages). Angesichts der Konzentration in allen Wirtschaftsbereichen war diese Maßnahme offenbar notwendig, um die Konkurrenzfähigkeit der Einzelunternehmen zu bewahren. Um dies zu erreichen, maßen die Gesellschafter ersichtlich dem Einkauf einen besonders hohen Wert bei, wohl in der Erkenntnis, daß er einer der maßgeblichen Faktoren des wirtschaftlichen Erfolges ist. Allein des wirtschaftlichen Vorteils willen, den der Kläger sich von dieser Organisationsform versprach, hat er sich, wie die anderen Gesellschafter auch, der V… angeschlossen. Die dort ausgeübte Tätigkeit läßt sich daher nicht losgelöst von dem eigenen Unternehmen werten; sie hängt mit ihm eng zusammen. Dem Kläger steht für die Art und Weise, wie er sein Unternehmen betreibt, eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu (BSGE SozR 2200 § 548 Nr. 47). Ihm ist es unbenommen, den wirtschaftlichen Gegebenheiten, wie sie das moderne Wirtschaftsleben fordern, entsprechend Rechnung zu tragen (BSGE 30, 284, 286 = SozR Nr. 16 zu § 548 RVO; SozR Nr. 29 zu § 548 RVO). Wenn er sich danach richtet, vermag ihm dies nicht zum Nachteil gereichen (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 47). Die personelle und wirtschaftliche Verflechtung mehrerer Unternehmen in der V… mit dem Ziele der wirtschaftlichen Förderung jedes Einzelhandelsunternehmens sowie des gemeinsamen Einkaufs dient also nicht bloß gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen, worauf das LSG abhebt. Sie betrifft vielmehr den Kernbereich jedes einzelnen Unternehmens (BSGE 52, 89 = SozR 2200 § 548 Nr. 58). So gesehen verliert die unternehmerische Tätigkeit innerhalb der V… nicht den unmittelbaren Bezug zum Einzelunternehmen, dessen vorrangige Interessen der Kläger gerade auch als Gesellschafter der V… wahrnimmt.
Nichts anderes kann gelten, soweit der Kläger sein Mandat als Aufsichtsratsmitglied ausübt. Der Aufsichtsrat ist kraft Satzung ein Organ der V…. Dessen Aufgabenzuweisung orientiert sich notwendigerweise an den satzungsgemäßen Zielen, die vornehmlich der wirtschaftlichen Stärkung der zur V… gehörenden Gesellschafter dienen. Jedwede Aufgabe des Aufsichtsrates, mag sie verwaltender oder gestaltender Art sein oder Überwachungsfunktion haben, stellt darauf ab. Sie ist unmittelbar von bedeutender wirtschaftlicher Tragweite für jedes Einzelunternehmen. Infolgedessen ist die für die Aufsichtsratssitzung angesetzte Tagesordnung jedenfalls bei der vorliegenden Fallgestaltung kein für den Versicherungsschutz maßgebliches Kriterium. Vielmehr ist der wirtschaftliche Nutzen, der sich aus der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied einstellen soll, entscheidend (BSGE 30 a.a.O.). Zudem stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob eine Tätigkeit dem Unternehmen dienlich ist, nicht nach objektiven Gesichtspunkten. Es ist ausreichend, daß der Versicherte von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, die Tätigkeit sei geeignet, den Interessen des Unternehmens zu dienen (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 39 m.w.N.). Auch dies ist zu bejahen.
Nach Sachlage wäre es verfehlt annehmen zu wollen, der Kläger müsse bei seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied die Interessen seines eigenen Unternehmens weitgehend zurückstellen. Im Gegenteil bleibt weiterhin Motiv des klägerischen Handelns der wirtschaftliche Vorteil, der für sein eigenes Unternehmen daraus erwächst. Es stehen wesentliche wirtschaftliche Belange der vom Kläger geleiteten Firma auf dem Spiel, was besonders deutlich den betrieblichen Bezug erhellt (BSGE 42, 36, 38 = SozR 2200 § 539 Nr. 19). Daß die Tätigkeit des Aufsichtsrates und seiner Mitglieder gleichzeitig auch anderen in der V… zusammengeschlossenen Unternehmungen wirtschaftlich förderlich ist, ist ohne rechtliche Bedeutung (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 58). Die unfallbringende Tätigkeit war jeweils durch das eigene Unternehmen wesentlich veranlaßt und sollte auch wirtschaftlich bedeutsam sein (BSG SozR Nr. 25 zu § 548 RVO). Daraus leitet sich der Unfallversicherungsschutz ab.
Nach alldem verbleibt es bei der erstinstanzlichen Entscheidung gegen die Beklagte zu 2).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.9b RU 8/82
Bundessozialgericht
Fundstellen