Leitsatz (amtlich)
1. Die beim Inkrafttreten des SGG bei den LVersorgA BY und BW rechtshängigen Sachen sind am 1954-01-01 als Berufungen auf die zuständigen LSG übergegangen.
2. Sind beim Inkrafttreten des SGG bei den LVersorgA BY und BW rechtshängige Sachen als Berufungen auf die zuständigen LSG übergegangen, so richtet sich deren Zulässigkeit ausschließlich nach den SGG §§ 143 bis 150.
3. Ist vor dem 1954-01-01 in zulässiger Weise ein Rekurs eingelegt worden, der nach SGG § 215 Abs 3 als Berufung auf das zuständige LSG übergegangen ist, so bleibt dieses Rechtsmittel trotz der Vorschriften der SGG §§ 143 bis 149 zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Berufung nach SGG § 150 Nr 1 zuzulassen gewesen wäre.
4. Ein Streit über die Höhe der Ausgleichsrente iS des SGG § 148 Nr 4 liegt auch dann vor, wenn auf Grund der angestellten Berechnungen die Zahlung einer Ausgleichsrente nicht in Frage kommt.
Leitsatz (redaktionell)
In den Übergangsfällen des SGG § 215 Abs 3 ist die Revision statthaft.
Normenkette
SGG § 215 Abs. 3 Fassung: 1953-09-03, § 148 Nr. 4 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 26.02.1954) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Oktober 1954 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Vater der beiden Revisionsbeklagten ist seit dem 4. Juli 1944 vermißt. Auf ihren Antrag hat ihnen die Landesversicherungsanstalt Baden, KB-Abteilung, in Karlsruhe mit Bescheid vom 1. Dezember 1948 und mit Wirkung vom 1. August 1948 ab nach § 1 KBLG in Verbindung mit § 594 RVO Waisenrente (Verschollenheitsrente) bewilligt.
Mit Umanerkennungsbescheid vom 14. August 1952 hat das Versorgungsamt Karlsruhe diese Waisenbezüge nach der Vorschrift des BVG neu festgestellt. Dabei hat es neben der in jedem Falle zahlbaren Grundrente von DM 10,- für jede der beiden Waisen eine zahlbare Ausgleichsrente nur für die Zeit bis zum 30. April 1951 einschließlich und nur in Höhe von DM 2,- monatlich je Waise festgestellt; für die Zeit vom 1. Mai 1951 ab stand den Waisen nach dem Umanerkennungsbescheid vom 14. August 1952 neben der Grundrente eine Ausgleichsrente nicht mehr zu.
Diese Feststellungen des Versorgungsamts Karlsruhe hinsichtlich der Ausgleichsrente beruhten auf der Tatsache, daß die beiden Waisen neben ihren Waisenbezügen nach dem KBLG bezw. nach dem BVG vom Landesbezirk Baden - Landesbezirksdirektion der Finanzen - in Karlsruhe auf der Grundlage der allgemeinen beamtenrechtlichen Versorgungsbestimmungen Waisenversorgung bezogen; daneben bezog die Mutter der Waisen - ebenfalls auf der Grundlage der allgemeinen beamtenrechtlichen Versorgungsbestimmungen - zu ihrem Witwengeld für jede der Waisen einen Kinderzuschlag von monatlich DM 20,-. Waisengeld und Kinderzuschlag ergaben dabei je Waise zusammen DM 34,28 monatlich bis zum 31. März 1951 einschließlich, DM 42,38 monatlich vom 1. April 1951 ab; diese Beträge rechnete das Versorgungsamt Karlsruhe bei Prüfung der Frage, ob und inwieweit neben der Grundrente eine Ausgleichsrente zahlbar sei, im Rahmen der damals geltenden Einkommensgrenze von DM 36,- monatlich als sonstiges Einkommen für die Waisen an (§ 47 Abs. 3 BVG a. F.). Gegen den Umanerkennungsbescheid des Versorgungsamts Karlsruhe vom 14. August 1952 haben die revisionsbeklagten Waisen, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, die Witwe Maria S., beim Oberversicherungsamt Karlsruhe Berufung eingelegt und beantragt zu erkennen, daß die für die Waisen an deren Mutter gezahlten Kinderzuschläge Einkommen der Mutter seien und deshalb bei Feststellung der Ausgleichsrente für die Waisen nicht als sonstiges Einkommen im Sinne des § 47 Abs. 3 BVG angerechnet werden dürften. Das Oberversicherungsamt hat dieser Berufung stattgegeben und am 24.7.1953 entschieden, daß die nach allgemeinen beamtenrechtlichen Versorgungsbestimmungen an die Mutter der Waisen gezahlten Kinderzuschläge ausschließliches Einkommen allein der Mutter seien und ihre Anrechnung als "sonstiges Einkommen" der Waisen unzulässig sei; es hat den Beklagten und jetzigen Revisionskläger verurteilt, den Waisen S vom 1. Oktober 1950 ab ohne Anrechnung der Kinderzuschläge zur Grundrente eine monatliche Ausgleichsrente zu zahlen, die in ihrer Höhe dem Unterschiedsbetrag zwischen der Einkommensgrenze des § 47 Abs. 3 BVG und dem jeweils an die Waisen gezahlten Waisengeld entspricht.
Gegen dieses am 24. Juli 1953 verkündete, am 4. August 1953 zugestellte Urteil des Oberversicherungsamts Karlsruhe hat der Revisionskläger form- und fristgerecht am 28. August 1953 Rekurs beim Landesversicherungsamt Württemberg-Baden in Stuttgart eingelegt. Er hat dabei beantragt, das Urteil des Oberversicherungsamts Karlsruhe vom 24. Juli 1953 aufzuheben und den Bescheid des Versorgungsamts Karlsruhe vom 14. August 1952 wieder herzustellen.
Mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes vom 3. September 1953 (SGG) am 1. Januar 1954 ist der beim Landesversicherungsamt rechtshängige Rekurs des Revisionsklägers gem. § 215 Abs. 3 SGG auf das Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart übergegangen. Das Landessozialgericht hat die Berufung mit Urteil vom 14. Oktober 1954 als unzulässig verworfen; es hat die Revision in Anwendung des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen.
In seinen Entscheidungsgründen hat das Landessozialgericht ausgeführt, daß auf einen nach § 215 Abs. 3 SGG als Berufung übergegangenen Rekurs ausschließlich die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes Anwendung zu finden hätten; neue Verfahrensvorschriften seien nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen regelmäßig sofort anzuwenden. Danach müsse in dem zur Entscheidung stehenden Berufungsverfahren auch § 148 Nr. 4 SGG Anwendung finden, nach dem in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung Urteile mit der Berufung nicht angefochten werden können, wenn sie die Höhe der Ausgleichsrente betreffen. Das aber sei vorliegend der Fall. Daran ändere nichts, daß nach Ansicht des Berufungsklägers den Waisen S für die Zeit vom 1. Mai 1951 ab überhaupt keine Ausgleichsrente zustehe; denn auch hier liege in Wirklichkeit ein Streit über die Höhe der Ausgleichsrente vor.
Im übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.
Gegen das Urteil des Landessozialgerichts - zugestellt 4. Dezember 1954 - hat der Revisionskläger mit Schreiben vom 27. Dezember 1954, eingegangen beim Bundessozialgericht am 31. Dezember 1954, Revision eingelegt.
Er hat beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Oktober 1954 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts Karlsruhe vom 14. August 1952 zurückzuweisen.
Die Revision rügt in erster Linie die Entscheidung des Landessozialgerichts, daß ein bei seiner Einlegung auch nach der Rechtsmittelbelehrung des Oberversicherungsamts Karlsruhe im Urteil vom 24. Juli 1953 zulässig gewesener Rekurs nach dem Inkrafttreten des SGG eine unzulässige Berufung geworden sei; der § 215 Abs. 3 SGG regele nach seinem klaren Wortlaut lediglich den Übergang der bei Inkrafttreten des Gesetzes beim Landesversicherungsamt rechtshängigen Sachen auf das Landessozialgericht; daß nach diesem Übergang erneut über eine bereits entschiedene Zulässigkeit des Rechtsmittels habe entschieden werden sollen, sei nicht anzunehmen.
Im übrigen handele es sich entgegen der Ansicht des Landessozialgerichts bei dem Streitgegenstand nicht lediglich um eine Frage der Berechnung der Höhe der Ausgleichsrente, sondern vielmehr um die Frage, ob ein Anspruch auf die Ausgleichsrente überhaupt bestehe; wesentlich sei im vorliegenden Rechtsstreit, daß der Anspruch auf Waisenausgleichsrente nicht nur der Höhe, sondern auch dem Grunde nach - allerdings auf dem Umweg über die Frage der Anrechnung des Kinderzuschlags als sonstiges Einkommen der Waisen - streitig sei. Das aber schließe die Anwendung des § 148 Nr. 4 SGG, der eng auszulegen sei, aus.
Endlich habe das Landessozialgericht nicht beachtet, daß eine der Verwaltungsvorschrift Nr. 1 Abs. 2 zu § 47 BVG entgegenstehende Auslegung des § 47 Abs. 3 BVG von solch grundsätzlicher Bedeutung sei, daß bei einer gleichen Entscheidung durch ein Sozialgericht nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG hätte zugelassen werden müssen. Jedenfalls sei ein zulässig eingelegter Rekurs unabhängig von den Vorschriften der §§ 143 bis 150 SGG dann nicht unzulässig geworden, wenn die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung sei.
In materieller Hinsicht rügt die Revision die Verletzung des § 47 Abs. 3 BVG durch das Urteil des Oberversicherungsamts Karlsruhe vom 24. Juli 1953; zum Witwengeld einer Witwe gezahlte Kinderzuschläge für vaterlose Waisen seien ein für den Unterhalt der Waisen zur Verfügung stehendes Einkommen, sie seien deshalb "sonstiges Einkommen" im Sinne des § 47 Abs. 3 BVG und bei Feststellung der Waisenausgleichsrente anzurechnen.
Im übrigen wird auf den Schriftsatz des Revisionsklägers vom 27. Dezember 1954 Bezug genommen.
Die Revisionsbeklagten haben beantragt,
1. die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Oktober 1954 zurückzuweisen,
2. den Revisionskläger zu verurteilen, den Revisionsbeklagten die Kosten des 3. Rechtszuges zu erstatten.
Sie haben sich in ihrer Revisionserwiderung im wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des vorinstanzlichen Urteils bezogen. Zum Vorbringen des Revisionsklägers, das Landessozialgericht habe in seiner Entscheidung die Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG nicht beachtet, haben sie vorgetragen, § 150 Nr. 1 SGG könne erst von der Geltung des neuen Prozeßrechts an und deshalb nicht schon im vorliegenden Rechtsstreit Anwendung finden, zumal im Sozialgerichtsgesetz auch sonst Bestimmungen im Sinne des § 150 Nr. 1 SGG als Übergangsvorschriften fehlten. Im übrigen gelte auch für Übergangsfälle der Grundsatz des Sozialgerichtsgesetzes, daß die Rechtsmittelmöglichkeiten wesentlich eingeschränkt sein sollten. Auf den Schriftsatz der Revisionsbeklagten vom 9. März 1955 und die Ausführungen des Prozeßbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung wird im übrigen Bezug genommen.
Die Zulassung der Revision durch das Landessozialgericht in Anwendung des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist zu Recht erfolgt, weil es sich in dem zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handelt. Dabei kann über die Statthaftigkeit der Revision in den Übergangsfällen des § 215 Abs. 3 SGG kein Zweifel bestehen; da das Sozialgerichtsgesetz eine Ausnahmeregelung wie die des § 214 Abs. 5 beim § 215 Abs. 3 nicht getroffen hat.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist auch begründet.
Nach § 215 Abs. 3 SGG gehen die beim Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes bei den Landesversicherungsämtern Bayern und Württemberg-Baden rechtshängigen Sachen auf die zuständigen Landessozialgerichte über. In dieser Vorschrift des § 215 Abs. 3 SGG ist, anders als in § 215 Abs. 4 SGG, allerdings nichts darüber ausgesagt, als was diese rechtshängigen Sachen auf die Landessozialgerichte übergehen, und wie die übergegangenen Rechtsmittel zu behandeln sind; das Gesetz schweigt darüber, ob die übergegangenen Rechtsmittel Rekurse und Revisionen bleiben sollen oder ob sie sich in Berufungen verwandeln.
Nach § 143 SGG entscheiden im sozialgerichtlichen Verfahren die Landessozialgerichte über das Rechtsmittel der Berufung (vgl. auch § 29 SGG). Deshalb kann jeder Rechtsstreit, mit dem ein Landessozialgericht befasst ist, grundsätzlich nur eine Berufung sein, so dass es einer ausdrücklichen Vorschrift im Gesetz, daß die bei den Landesversicherungsämtern rechtshängigen Sachen als Berufungen auf die Landessozialgerichte übergehen sollten, nicht bedurfte. Dieser zweifelsfreie Wille des Gesetzgebers ist ohne weiteres auch aus der amtlichen Begründung zu § 215 Abs. 3 SGG ersichtlich: "Die bisher gegebenen Rechtsmittel zu den den Oberversicherungsämtern übergeordneten Behörden können daher nur an die den Sozialgerichten übergeordneten Landessozialgerichte gehen. Das geschieht im Rahmen dieses Gesetzes durch die Berufung. Die bisher als Revision und Rekurs bezeichneten Rechtsbehelfe können daher künftig nur als Berufung im Sinne dieses Gesetzes angesprochen werden" (so auch die h. M. in Schrifttum und Rechtsprechung, u. a. Hastler, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Kommentar Anm. 2 e zu § 215, Thannheiser - Wende - Zech Handbuch des Bundesversorgungsrechts, Erläuterung zu § 215 Abs. 3, Entscheidungen des Landessozialgerichts Darmstadt vom 29. April 1954 (Breithaupt Sammlung von Entscheidungen 1954 S. 1095) und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Juni 1954 (Breithaupt 1954 S. 1088)). Das hat auch das angefochtene Urteil zutreffend ausgeführt.
Dem angefochtenen Urteil war auch insoweit zuzustimmen, als es für die nach § 215 Abs. 3 SGG auf die Landessozialgerichte als Berufungen übergegangenen Rechtsmittel ausschließlich die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes für anwendbar erklärt hat.
In den Absätzen 7 und 8 des § 215 SGG ist bei der Regelung des Übergangs der bei den allgemeinen Verwaltungsgerichten rechtshängig gewesenen Sachen auf die Landessozialgerichte ausdrücklich angeordnet worden, dass sich die Zulässigkeit der nach dem Übergang anhängigen Berufung nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes, d. h. nach neuem Recht, richtet. Eine solche Anordnung fehlt bei Abs. 3 des § 215 SGG, und das Gesetz sagt nichts darüber, ob sich die Zulässigkeit der Berufung nach altem oder nach neuem Recht richtet.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat das Oberversicherungsamt Karlsruhe in seiner Entscheidung vom 24. Juli 1953 den Rekurs nach den Vorschriften der RVO (§§ 1699 ff.) zugelassen. Die Frage, ob ein solch zugelassener Rekurs, der vor dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes und unter der Herrschaft des alten Rechts rechtswirksam eingelegt worden ist, auch nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes, d. h. zu dem Zeitpunkt, an dem über ihn entschieden wird, noch ein in jedem Falle zulässiges Rechtsmittel geblieben ist, oder ob die Zulässigkeit des Rechtsmittels nunmehr nach den §§ 143 bis 150 SGG erneut überprüft werden muß, wird in Schrifttum und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Für die Zulässigkeit des Rechtsmittels nach altem Recht auch nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes treten u. a. ein: Hastler, a. a. O, Anm. 2 d zu § 215 SGG, Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.2.1954 (Breithaupt 1954 S. 415), Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 24.5.1954 (Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge 1954 S. B 195), Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 16.7.1954 (Breithaupt 1954 S. 1028). Für die Zulässigkeit der auf das Landessozialgericht übergegangenen Berufung nur nach den Vorschriften der §§ 143 bis 150 SGG sprechen sich u. a. aus: Peters - Sautter - Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit Anm. 1 zu § 215 SGG, Thannheiser - Wende - Zech, a. a. O., Erläuterung zu Abs. 3 des § 215 SGG, Miesbach - Ankenbrank, Sozialgerichtsgesetz, Anm. 9 zu § 215 SGG, Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 24.2.1954 (Amtsblatt 1954 S. B 111), Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 16.3.1954 (Breithaupt 1954 S. 648), Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 13.4. 1954 (Amtsblatt 1954 S. B 131).
Zur Prüfung der Frage, welche der unterschiedlichen Meinungen in Schrifttum und Rechtsprechung als die zutreffende angesehen werden muß, waren zunächst vergleichbare Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes heranzuziehen.
Nach § 214 Abs. 4 Satz 1 SGG gelten bei den sog. "Altfällen" die bis zum Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes fristgerecht eingelegten Rekurse als Berufungen im Sinne der §§ 143 bis 159 SGG. Nach den Absätzen 7 bis 9 des § 215 SGG richtet sich, wie schon dargelegt, hinsichtlich der bei den allgemeinen Verwaltungsgerichten anhängig gewesenen und auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit übergegangenen Sachen die Zulässigkeit der Rechtsmittel ausschließlich nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes. Dafür aber, dass die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bei den Landesversicherungsämtern Bayern und Württemberg-Baden rechtshängig gewesenen und ebenfalls als Berufungen auf die Landessozialgerichte übergegangenen Sachen anders behandelt werden sollen, findet sich im Gesetz keine Stütze. Jedenfalls ist die Tatsache, dass das Gesetz darüber schweigt, nicht dahin auszulegen, dass der Gesetzgeber die in Frage stehenden Berufungen anders behandelt wissen wollte als alle übrigen Altfälle; das Schweigen des Gesetzes läßt vielmehr gerade den Schluß zu, daß etwas ohnehin Gewolltes nicht ausdrücklich ausgesprochen werden sollte. Außerdem sind durch § 224 Abs. 3 Nr. 1 SGG mit dem 1. Januar 1954 die Vorschriften der §§ 1699 ff. RVO über den Rekurs ausdrücklich aufgehoben worden.
Im übrigen liegt der erkennbare Zweck des Sozialgerichtsgesetzes gerade auch bei der Regelung der Übergangsfälle ohne Zweifel darin, gleiche und gleichartig gelagerte Fälle nach Möglichkeit auch gleichmäßig zu behandeln. Dazu aber gehört zwingend, daß alle auf die Landessozialgerichte übergegangene Rechtsmittel, gleichgültig, aus welchem Grunde und nach welcher Vorschrift sie übergegangen sind, auch gleichmäßig als Berufungen, und zwar einheitlich nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes, behandelt werden müssen.
Dabei konnte von dem erkennenden Senat auch der vom Reichsversorgungsgericht in seiner grundsätzlichen Entscheidung vom 17. Februar 1921 (RVGer. 1 S. 266) entwickelte allgemeine Rechtsgrundsatz nicht übersehen werden, nach dem bei einem Wechsel der Gesetzgebung im Laufe schwebender Verfahren anders als beim materiellen Recht ein neues Verfahrensrecht in der Regel sofort nach seinem Inkrafttreten und auf alle noch schwebenden Fälle angewandt werden muß. Dieser Rechtsgrundsatz ist weder durch die Entwicklung der Rechtsprechung und Rechtslehre überholt, noch kann er aus besonderen, dem Sozialgerichtsgesetz zu entnehmenden Gründen für dieses als unanwendbar angesehen werden. Der entgegenstehenden Auffassung, die sich im wesentlichen auf Entscheidungen des Reichsgerichts (RGZ. 168 S. 355) und des Bundesgerichtshofes (BGHZ. 1 S. 29) stützt, vermochte sich der erkennende Senat nicht anzuschließen, denn gerade diese Entscheidungen können nicht als ausschlaggebend für eine die grundsätzliche Entscheidung des Reichsversorgungsgerichts überholende Entwicklung in der Rechtsprechung angesehen werden; beide Entscheidungen, sowohl die des Reichsgerichtes als auch die des Bundesgerichtshofes, betreffen Fälle anderer Art, nämlich die Zulässigkeit eines Rechtsmittels bei Änderung des Streitwertes bei gleichbleibendem Streitgegenstand. Ebensowenig kann eine andere, für die gegenteilige Auffassung oft angeführte Entscheidung des Reichsgerichtes (RGZ. 135 S. 121) als im Widerspruch zur Entscheidung des Reichsversorgungsgerichtes stehend angesehen werden; zwar lag dieser Entscheidung des Reichsgerichtes eine Gesetzesänderung zu Grunde, doch enthielt das neue Gesetz die ausdrückliche Vorschrift, dass für vor seinem Inkrafttreten anhängig gewordene Verfahren die bisherigen Vorschriften weiter angewandt werden sollten.
Hinzu kommt, dass in den beim Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes rechtshängigen Sachen über die Rechtsmittel nicht nur nach einem neuen Verfahrensgesetz, dem Sozialgerichtsgesetz, sondern auch durch ein neues Gericht zu entscheiden ist, für das grundsätzlich nur die Vorschriften desjenigen Gesetzes maßgeblich sein können, auf Grund dessen es errichtet worden ist. Die Zuständigkeit dieser durch das Sozialgerichtsgesetz neu geschaffenen Gerichte sollte über den Rahmen des neuen Gesetzes hinaus jedenfalls nicht erweitert werden.
Endlich war dem angefochtenen Urteil auch in seiner Entscheidung zu § 148 Nr. 4 SGG zuzustimmen. Nach dieser Vorschrift können in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung Urteile mit der Berufung nicht angefochten werden, wenn sie die Höhe der Ausgleichsrente betreffen. Dabei macht es nach Ansicht des erkennenden Senats keinen Unterschied, ob von den Parteien über die tatsächliche Höhe einer zahlbaren Ausgleichsrente gestritten wird, oder ob mit Rücksicht auf ein vorhandenes sonstiges Einkommen Streit darüber besteht, dass eine Ausgleichsrente überhaupt gezahlt oder dass eine solche nicht gezahlt wird; denn auch in letzterem Falle liegt nicht ein Streit über die sonstigen Voraussetzungen der Ausgleichsrente - mit Zulässigkeit der Berufung - vor, sondern ein Streit über die Höhe der Ausgleichsrente. Wenn das Gesetz von der Höhe der Ausgleichsrente spricht, so kann dabei nur an ihre Berechnung gedacht sein, auch für den Fall, dass bei einem vorhandenen sonstigen Einkommen sich bei der Berechnung ergibt, daß eine Ausgleichsrente neben der Grundrente nicht zusteht. Sonst wäre, wie das angefochtene Urteil zutreffend ausführt, die Zulässigkeit der Berufung oder ihr Ausschluß nach § 148 Nr. 4 SGG allein von Zufälligkeiten abhängig, je nach dem, welcher Betrag an sonstigem Einkommen vorhanden ist und welcher Betrag davon angerechnet wird (so auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.2.1954 (Amtsblatt 1954 S. B 109), Hastler a. a. O., Anm. 4 zu § 148 SGG).
Dagegen hat die Revision zu Recht gerügt, dass das Landessozialgericht die Prüfung der Frage versäumt hat, ob es nicht mit Rücksicht auf die Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG die Berufung zuzulassen und in der Sache selbst zu entscheiden hatte.
Nach § 150 Nr. 1 SGG muß das Sozialgericht in seinem Urteil die Berufung zulassen, wenn die zur Entscheidung stehende Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine dahingehende Prüfung des Sozialgerichts muß aber in jedem Falle erfolgen. Ein sozialgerichtliches Urteil liegt jedoch in den Fällen des Übergangs nach § 215 Abs. 3 SGG nicht vor, so dass die notwendige Prüfung durch ein Sozialgericht nicht vorgenommen werden kann. Das Gesetz bestimmt nicht, ob und durch wen diese Prüfung nachzuholen ist. Diese Lücke im Gesetz, die dem Rechtsschutzbedürfnis des Rechtsuchenden entgegensteht, kann sinnvoll nur dadurch geschlossen werden, dass hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG an die Stelle des - nicht vorhandenen - Sozialgerichts dasjenige Landessozialgericht tritt, an das der Rekurs gegen das Urteil des Oberversicherungsamts als Berufung übergegangen ist. Es muß daher in entsprechender Anwendung des § 150 Nr. 1 SGG diese Prüfung selbst vornehmen, und es muß, wenn die Rechtssache nach seiner Überzeugung grundsätzliche Bedeutung hat, die Berufung trotz Vorliegens einer der Voraussetzungen des § 148 SGG zulassen und in der Sache selbst entscheiden. Es würde, wie das Landessozialgericht Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 20. Juli 1954 (Breithaupt 1954 S. 1069) zu dieser Frage ausgeführt hat, dem Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechen, wenn der § 148 SGG, der die Berufung in bestimmten Fällen ausschließt, losgelöst von dem System der §§ 143 bis 150 angewendet werden würde.
Wenn die Revisionsbeklagten vortragen, die Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG könne erst vom Inkrafttreten des neuen Prozeßrechts an Geltung haben, sie sei daher auf die sog. Altfälle nicht anwendbar, so war dies nicht geeignet, eine Entscheidung im Sinne einer gegenteiligen Rechtsauffassung herbeizuführen. Denn die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, also auch das Landessozialgericht, sind dem gesamten neuen Prozeßrecht unterworfen, in diesem Falle sowohl den §§ 143 bis 149 als auch dem in dieses System gehörenden § 150 SGG. Ebensowenig trifft die Darlegung zu, die Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG sei auf Übergangsfälle schon deshalb nicht anwendbar, weil das Sozialgerichtsgesetz auch sonst keine dem § 150 Nr. 1 SGG vergleichbaren Bestimmungen für Übergangsfälle enthalte. Eine derartige Regelung enthält der § 214 SGG, der indes ausschließlich die nachträgliche Anfechtung bereits ergangener Entscheidungen und die Behandlung anhängiger Rekurse und Revisionen behandelt, überdies in seinem Abs. 4 Satz 1 bestimmt, dass die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes fristgerecht eingelegten Rekurse als Berufungen im Sinne der §§ 143 bis 159, also auch unter Einbeziehung des § 150 SGG, gelten.
Endlich konnten die Revisionsbeklagten auch mit ihrem letzten Einwand, die im Sozialgerichtsgesetz zugelassenen Rechtsmittel sollten nach der Absicht des Gesetzgebers nicht nur allgemein, sondern auch für die Übergangsfälle wesentlich eingeschränkt sein, keinen Erfolg haben. Denn die Einschränkung der Rechtsmittel ist im Gesetz für alle Fälle erschöpfend geregelt, so dass für darüber hinausgehende Einschränkungen durch die Rechtsprechung kein Raum bleibt.
Danach hat die Revision mit Recht den Standpunkt vertreten, daß das Landessozialgericht trotz der Vorschriften der §§ 143 bis 149 SGG hätte prüfen müssen, ob es sich vorliegend um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelt, und dass es für den Fall der Bejahung der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung zulassen und in der Sache selbst hätte entscheiden müssen.
Im vorliegenden Rechtsstreit aber handelt es sich, und das hat das Landessozialgericht, obwohl es die Revision zugelassen hat, nicht beachtet, um eine Sache von grundsätzlicher Bedeutung. Im Streit steht die Frage, ob Kinderzuschläge zu einem auf der Grundlage der allgemeinen beamtenrechtlichen Versorgungsbestimmungen gezahlten Witwengeld als sonstiges Einkommen der Waisen im Sinne des § 47 Abs. 3 BVG auf die Waisenausgleichsrente angerechnet werden können, wie es das Versorgungsamt Karlsruhe mit Bescheid vom 14. August 1952 getan hat. Diese Frage ist über den vorliegenden Rechtsstreit hinaus von weittragender Bedeutung und erstreckt sich auf eine Vielzahl von Fällen, so dass es einer einheitlichen Klärung durch die höheren Gerichte bedarf. Sie ist von weittragender Bedeutung sowohl für den Kreis der nach dem Bundesversorgungsgesetz versorgungsberechtigten Waisen, als auch für die Versorgungsverwaltung, die bei der Berechnung der Waisenausgleichsrenten und bei der Anrechnung von sonstigem Einkommen an die der Entscheidung des Oberversicherungsamts Karlsruhe vom 24. Juli 1953 entgegenstehende, von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erlassene Verwaltungsvorschrift Nr. 1 Abs. 2 zu § 47 BVG gebunden ist.
Die Nichtbeachtung des § 150 Nr. 1 SGG durch das Landessozialgericht machte deshalb die Aufhebung des ergangenen Urteils erforderlich. Eine eigene Entscheidung durch den erkennenden Senat war untunlich, da eine sachliche Prüfung durch das Landessozialgericht nicht erfolgt ist. Die Sache war deshalb gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Fundstellen