Leitsatz (amtlich)
Unter Rentenzahlbetrag im Sinne des ArVNG Art 2 § 36 Abs 1 ist der für Dezember 1956 auf Grund rechtskräftig oder bindend gewordenen Bescheides oder - bei Fehlen eines solchen - auf Grund der gesetzlichen Vorschriften an den Versicherten zu zahlende Betrag ( ohne Kinderzuschuß) zu verstehen.
Dies gilt auch dann, wenn die Rente wegen Vorliegens von Kürzungs- oder Ruhenstatbeständen ganz oder teilweise gekürzt war oder ruhte, es sei denn, daß der Kürzungs- oder Ruhenstatbestand (zB der Auslandsaufenthalt des Versicherten) im Dezember 1956 lediglich vorübergehender Natur und sein Ende absehbar war.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 36 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Dezember 1958 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin bezieht seit 1950 Invalidenrente. Im Februar 1956 fuhr sie besuchsweise in die USA. Seit dieser Zeit gewährte die Beklagte ihr monatlich statt des zuerkannten Rentenbetrages von 58,-- DM den gemäß § 1284 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF und § 2 Abs. 1 des Grundbetragserhöhungsgesetzes (GEG) um den Grundbetrag und die Grundbetragserhöhung gekürzten Rentenbetrag von 40,-- DM. Im März 1957 kehrte die Klägerin wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurück.
Durch Rentenumstellungsbescheid vom 9. Mai 1957 hat die Beklagte die monatliche Rente für die Zeit vom 1. Januar 1957 an auf 61,-- DM festgestellt, wobei sie bei Anwendung des Art. 2 § 36 Abs. 1 Satz 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) von der im Dezember 1956 gezahlten, wegen Auslandsaufenthalts gekürzten Rente von 40,-- DM ausging.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht in Dortmund diesen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin vom 1. Januar 1957 an eine monatliche Rente von 79,-- DM zu gewähren. Bei der Berechnung der Rente nach Art. 2 § 36 Abs. 1 ArVNG müsse bei Auslandsaufenthalt der ungekürzte Rentenbetrag zugrunde gelegt werden.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil durch Urteil vom 2. Dezember 1958 zurückgewiesen. Bei Auslandsaufenthalt sei der ungekürzte Rentenbetrag für den Monat Dezember 1956 zugrunde zu legen. Die Formulierung in Art. 2 § 36 Abs. 1 aaO "des bisherigen monatlichen Rentenzahlbetrages" sei dahin auszulegen, daß es darauf ankomme, was der Berechtigte unabhängig von der Einwirkung gewisser Ruhenstatbestände im Normalfalle im Monat Dezember 1956 erhalten haben würde.
Es hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist der Beklagten am 5. Januar 1959 zugestellt worden. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24. Januar 1959, eingegangen beim Bundessozialgericht am 26. Januar 1959, unter Antragstellung Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Sie wendet sich gegen die Auslegung des Begriffs "Rentenzahlbetrag" in Art. 2 § 36 ArVNG durch das Berufungsgericht. Dem Wort "Rentenzahlbetrag" könne nicht für einen bestimmten Kreis von Rentnern eine spezielle Auslegung gegeben werden. Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig und lückenlos. Im üblichen Sprachgebrauch der Rentenversicherung (RentV) sei unter "monatlicher Rentenzahlbetrag" der Betrag zu verstehen, der nach Anwendung aller die Rentenhöhe einschränkenden Vorschriften jeweils als monatliche Rentenleistung ermittelt sei.
Sie beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Dezember 1958 und des Sozialgerichts in Dortmund vom 3. Juni 1958 abzuändern und die Klage gegen den Bescheid der Landesversicherungsanstalt W... vom 9. Mai 1957 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf das angefochtene Urteil und das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Januar 1960 - 3 RJ 212/58 - deren Begründungen sie für zutreffend hält.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Da das Berufungsgericht sie zugelassen hat, ist sie auch statthaft. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es mußte ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.
Da die auf Grund der normalen Rentenumstellung nach Art. 2 §§ 31 - 35 ArVNG berechnete Rente nicht die Höhe des für Dezember 1956 maßgebenden Rentenzahlbetrags zuzüglich 21,-- DM erreicht, hat die Beklagte die umgestellte Rente zu Recht um den nach Art. 2 § 36 Abs. 1 Satz 1 aaO zu errechnenden Sonderzuschuß erhöht. Sie ist jedoch, wie das Berufungsgericht im Ergebnis jedenfalls irrtumsfrei entschieden hat, zu Unrecht von der infolge Auslandsaufenthalts der Klägerin gekürzten Dezemberrente des Jahres 1956 ausgegangen.
Allerdings ist der Beklagten im Grundsatz darin zuzustimmen, daß im Gegensatz zu der Auffassung des Berufungsgerichts unter dem Begriff "Rentenzahlbetrag" in Art. 2 § 36 Abs. 1 aaO der im Dezember. 1956 zu zahlende, also der geminderte Rentenbetrag zu verstehen ist. Der Begriff "Rentenzahlbetrag" ist nicht ganz zweifelsfrei. Keinesfalls wird man darunter einen etwa irrtümlicherweise ausgezahlten Betrag, sondern nur den auszuzahlenden, d.h. entweder den auf Grund rechtskräftig oder bindend gewordenen Feststellungsbescheids oder - in Ermangelung eines solchen - den nach den gesetzlichen Vorschriften auszuzahlenden Betrag zu verstehen haben; denn es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber mit dieser Formulierung gesetzeswidrige Auszahlungsbeträge sanktionieren wollte. Auch kann mit dieser Formulierung nicht der etwa nach einer Aufrechnung verbleibende Betrag gemeint sein. Denn eine Aufrechnung hat mit der auszuzahlenden Rente an sich nichts zu tun. Es erscheint sicher, daß der Gesetzgeber solchen Umständen, die mit der Rente selbst in keinem Zusammenhang stehen, bei der Rentenumstellung eine Bedeutung nicht beimessen wollte. Zudem gestatten solche Zweifel allenfalls eine freie Auslegung so weit, wie diese Unklarheiten reichen, berechtigen aber nicht dazu, diesen Begriff auch insoweit frei auszulegen, als er klar ist. Eindeutig aber ist dieser Begriff insoweit, als er nicht einen Betrag umfassen kann, der weder tatsächlich gezahlt ist noch zu zahlen war; denn einen solchen könnte man nach allgemeinem Sprachgebrauch schlechterdings nicht als Rentenzahlbetrag bezeichnen. Zu einer solchen Auslegung aber kommt das Berufungsgericht, wenn es den ohne die Anwendung von Kürzungs- und Ruhensvorschriften errechneten Betrag als Rentenzahlbetrag ansieht; denn dieser Betrag ist, wenn im Dezember 1956 Kürzungs- oder Ruhenstatbestände vorlagen, weder ausgezahlt worden noch war er auf Grund eines Bescheides oder auf Grund gesetzlicher Vorschriften auszuzahlen. Zudem würde dies, wenn man trotz Vorliegens von Kürzungs- oder Ruhenstatbeständen den ungekürzten Dezemberbetrag als maßgebend ansehen würde, jedenfalls bei denjenigen Kürzungs- und Ruhensvorschriften, die sowohl nach altem wie nach neuem Recht zu berücksichtigen sind, zur Folge haben, daß der sich nach Art. 2 § 36 Abs. 1 Satz 1 aaO ergebende Sonderzuschuß weder nach altem noch nach neuem Recht gekürzt oder zum Ruhen gebracht werden würde. Denn der Sonderzuschuß nach Art. 2 § 36 aaO wird nach der Systematik des Art. 2 aaO erst errechnet, nachdem die normale Umstellung gemäß Art. 2 §§ 31 bis 35 aaO durchgeführt, d.h. die neuen Kürzungs- und Ruhensvorschriften bereits angewandt sind (Art. 2 § 32 Abs. 4 aaO). Es kann aber nicht Rechtens sein, daß Kürzungs- und Ruhenstatbestände, die sowohl nach altem wie nach neuem Recht zur Rentenminderung führen, überhaupt unberücksichtigt bleiben. Die Möglichkeit einer gesonderten nachträglichen Anwendung der neuen Kürzungs- und Ruhensvorschriften auf den errechneten Sonderzuschuß, an die man vielleicht denken könnte, scheidet aus, weil dies gesetzlich nicht vorgesehen ist und eine gesonderte Anwendung dieser Vorschriften auf den Sonderzuschuß, z.B. bei Anwendung des § 1278 RVO, überhaupt undurchführbar wäre. Wenn auch diese Folge, daß trotz Vorliegens von Kürzungs- oder Ruhenstatbeständen keine Minderung der Rente eintreten würde, bei der Ruhensvorschrift wegen Auslandsaufenthalts nicht ins Auge fallen würde, weil das neue Recht eine entsprechende Ruhensvorschrift nicht mehr kennt, so kann doch bei dieser Ruhensvorschrift nichts anderes gelten als bei den übrigen Ruhensvorschriften, da der Begriff "Rentenzahlbetrag" für alle Kürzungs- und Ruhenstatbestände nur denselben Inhalt haben kann und eine unterschiedliche Auslegung, je nach der Art des Ruhenstatbestands, nicht möglich erscheint.
Es darf auch nicht verkannt werden, daß es sich bei der Regelung des Art. 2 § 36 aaO im Grundsatz jedenfalls um eine Besitzstandsklausel handelt, die den Zweck hat, dem Versicherten bei Durchführung der Neuregelung zumindest die bisher bezogene Rente (im Falle des Art. 2 § 36 aaO zuzüglich 21,-- DM) zu erhalten. Sinn und Zweck einer Besitzstandsklausel aber ist im Grundsatz jedenfalls, daß dem Versicherten das zuletzt Bezogene gesichert wird; es wird daher, wenn nichts anderes bestimmt ist, auf den letzten wirklichen Besitzstand abgestellt. Sicherlich kann der Gesetzgeber einer Besitzstandsklausel auch den Inhalt geben, daß der Besitzstand darüber hinaus auch noch in seiner Entwicklung, wie er sich ohne die Neuregelung ergeben haben würde, sichergestellt wird. Dies ist hier aber nicht geschehen.
Es geht auch nicht an, bei den im neuen Recht nicht mehr vorgesehenen Kürzungs- und Ruhensvorschriften auf die im Dezember 1956 ohne Anwendung der alten Kürzungs- und Ruhensvorschriften zahlbare Rente mit der Begründung abzustellen, daß diese Tatbestände nach neuem Recht keine Kürzung oder kein Ruhen mehr zur Folge hätten. Eine solche Methodik würde außer acht lassen, daß es sich um eine Rente alten Rechts handelt, die also nur nach altem Recht beurteilt werden kann und auf die die Grundsätze des neuen Rechts nicht angewandt werden können.
Wenn somit der Beklagten auch im Grundsatz zu folgen ist, so verkennt sie doch, daß der Gesetzgeber des Art. 2 § 36 aaO von einem im Dezember 1956 festen Besitzstand ausgegangen ist, daß man davon aber in einem Fall wie dem vorliegenden nicht sprechen kann. An Stelle des wegen seiner Vorläufigkeit nur noch scheinbar vorhandenen Besitzstandes hat in diesen Fällen der praktisch allein bedeutsame Besitzstand zu treten. In diesen Grenzfällen, die von dem vom Gesetzgeber gesehenen Normalfall in ihrer Interessenlage nicht unwesentlich abweichen, ist also nicht der äußerlich in Erscheinung tretende, sondern der in Wirklichkeit schon greifbare Besitzstand als maßgebend anzusehen.
Ob es sich im Einzelfall um einen im Dezember 1956 nur noch scheinbaren Besitzstand in diesem Sinne handelt, muß aus den Umständen des Einzelfalles gefolgert werden. Hier liegen die Verhältnisse insoweit klar als die Klägerin nur zu Besuch, also nur vorübergehend in die USA gefahren ist und dieser Aufenthalt sich im Dezember 1956 schon seinem Ende zuneigte, wie sich daraus ergibt, daß die Klägerin im März 1957 tatsächlich in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt ist.
Da somit dem Berufungsgericht zwar nicht in der Begründung, so doch im Ergebnis zugestimmt werden mußte, war die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Der erkennende Senat kommt, wenn auch mit abweichender Begründung, für Fälle dieser Art zu demselben Ergebnis wie der 3. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Entscheidung vom 28. Januar 1960 (BSG 11, 251), der über einen im wesentlichen gleich gelagerten Fall zu entscheiden hatte. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß für die Fälle, in denen der Kürzungs- oder Ruhenstatbestand im Dezember 1956 nicht bloß vorübergehender Art war, die Begründung des erkennenden Senats zu einer vom 3. Senat abweichenden Entscheidung führt; über Fälle dieser Art war hier jedoch nicht zu befinden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen