Beteiligte
AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Juni 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger ist pflichtversichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse. Er begehrt die Erstattung der Kosten, die ihm durch eine Behandlung seiner Tochter Belinda (B.) bei dem Neurologen und Chirotherapeuten Dr. K. in Lemberg in der Ukraine entstanden sind.
Die 1983 geborene B. leidet aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung an einer spastischen Diparese mit Gehbehinderung. Weil die in Deutschland angewandten herkömmlichen Behandlungsmethoden nicht den gewünschten Erfolg gebracht hätten, beantragte der Kläger im Oktober 1994 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Behandlung durch Dr. K.. Dessen Therapiekonzept ist darauf ausgerichtet, in jeweils etwa zwei Wochen dauernden intensiven Behandlungszyklen mit Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte durch den Einsatz von Akupressur, Akupunktur, Wärmebehandlung mit Bienenwachs, Stichen lebender Bienen, Phytotherapie, Reflexotherapie, Manualtherapie, Chirotherapie, Heilpädagogik, Krankengymnastik, Ergotherapie, Massage, Schwimmen, psychologischer Beratung und teilweise noch weiterer Mittel wie der Elektrostimulation eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten cerebralparetischer Kinder herbeizuführen. Den Kern der Therapie bildet das Aufspüren und Lösen von Blockaden der Wirbelgelenke, das von Dr. K. selbst durchgeführt wird. Mit Bescheid vom 24. November 1994 und Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 1994 lehnte die Beklagte eine Kostentragung ab, weil nach Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung das Behandlungskonzept des Dr. K. nicht wissenschaftlich abgesichert und eine ausreichende Therapie auch im Inland möglich sei.
Die Klage, mit der der Kläger die Erstattung der Kosten für die zwischenzeitlich vom 4. bis 18. Dezember 1994 in der Ukraine durchgeführten Behandlung erstrebt, hat das Sozialgericht abgewiesen (Urteil vom 19. August 1996). Demgegenüber hat das Landessozialgericht (LSG) die ablehnenden Entscheidungen aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über eine Kostenerstattung erneut zu entscheiden. Es hat den Kläger als befugt angesehen, Ansprüche aus der Familienversicherung seiner Tochter im eigenen Namen geltend zu machen. Die Bedingungen, unter denen die Krankenkasse nach § 18 Abs 1 und 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausnahmsweise Kosten einer im Ausland durchgeführten Behandlung übernehmen dürfe, seien erfüllt. Die angewandte Therapie sei nicht nach § 135 Abs 1 SGB V ausgeschlossen, denn sie beinhalte im wesentlichen Leistungen, die bereits Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung im Inland und demzufolge nicht „neu” im Sinne der genannten Bestimmung seien. Vergleichbare Behandlungen würden auch von sozialpädiatrischen Zentren und Kinderärzten in Deutschland angeboten, seien hier aber wegen unzumutbar langer Wartezeiten nicht rechtzeitig erreichbar, so daß eine erfolgversprechende Behandlung nur im Ausland möglich sei.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 18 Abs 1 sowie der §§ 135 Abs 1, 138 SGB V. Das LSG habe verkannt, daß die umstrittene Behandlung schon wegen der fehlenden Anerkennung durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung habe erbracht werden dürfen. Bei der Prüfung, ob sich eine Behandlungsmethode bereits bewährt habe oder noch der Anerkennung bedürfe, müsse auf das Behandlungskonzept als Ganzes und dürfe nicht auf die einzelnen Leistungen abgestellt werden. Da eine Empfehlung des Bundesausschusses nicht vorliege, entspreche die angewandte Therapie nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Kosten dürften deshalb von den Krankenkassen nicht übernommen werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Juni 1998 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. August 1996 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen ist.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage als zulässig angesehen und es als unschädlich bewertet, daß der Kläger Leistungsansprüche seiner Tochter aus deren Familienversicherung im eigenen Namen geltend macht. Die Ausgestaltung der Familienversicherung als eigene Versicherung des Familienangehörigen in § 10 SGB V hat zur Folge, daß daraus resultierende Leistungsansprüche nicht mehr, wie früher unter der Geltung der Reichsversicherungsordnung (vgl § 179 Abs 1 Nr 6, § 205 RVO), dem Stammversicherten, sondern dem Familienangehörigen selbst zustehen. Nur dieser ist deshalb in der Regel berechtigt, die betreffenden Ansprüche zu verfolgen und gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzen. Zwar hat das Bundessozialgericht dem Stammversicherten in ständiger Rechtsprechung eigene Rechte und damit eine Klagebefugnis insoweit zugebilligt, als das Bestehen oder Nichtbestehen der Familienversicherung als solches betroffen ist (Urteile des 12. Senats vom 29. Juni 1993 - BSGE 72, 292, 294 = SozR 3-2500 § 10 Nr 2 S 4 und vom 30. August 1994 - SozR 3-2500 § 10 Nr 6 S 29; Urteil des 4. Senats vom 23. Oktober 1996 - SozR 3-2500 § 10 Nr 8 S 37). Es hat dies aus der Akzessorietät der Familienversicherung gefolgert, die bewirke, daß es bei der Entscheidung über die Mitversicherung von Familienangehörigen zugleich um die Ausgestaltung und den Umfang der Stammversicherung gehe. Ein Recht des Mitglieds, auch einzelne Leistungsansprüche für seine nach § 10 SGB V versicherten Familienangehörigen geltend zu machen, läßt sich mit dieser Überlegung indes nicht rechtfertigen. Die Ablösung des früheren Rechtszustandes und die Schaffung einer eigenständigen Versicherung für den Ehegatten und die Kinder des versicherten Mitglieds war im Gesetzgebungsverfahren damit begründet worden, daß die bisherige Konzeption der Familienhilfe als einer dem Mitglied für seine Familienangehörigen zustehenden Leistung der gesellschaftlichen und familiären Entwicklung, insbesondere dem Verhältnis der Ehegatten zueinander und dem Verhältnis der heranwachsenden Kinder zu ihren Eltern, nicht mehr gerecht werde (Begründung zu § 10 des Fraktionsentwurfs eines Gesundheits-Reformgesetzes, BT-Drucks 11/2237 S 161). Dem Ziel einer eigenen, das Selbstbestimmungsrecht stärkenden Sicherung der Familienmitglieder würde es widersprechen, wenn neben dem betroffenen Angehörigen auch der Stammversicherte über dessen Leistungsansprüche verfügen und etwa im Konfliktfall Leistungen blockieren oder verzögern könnte.
Der streitige Kostenerstattungsanspruch kann nach alledem zulässigerweise nur von der Tochter des Klägers selbst bzw in ihrem Namen von den Eltern als gesetzliche Vertreter geltend gemacht werden. Der Kläger seinerseits ist nicht klagebefugt. Gleichwohl ist die Klage im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht als unzulässig abzuweisen, weil der prozessuale Mangel durch einen Beteiligtenwechsel (Eintritt der Tochter als Klägerin anstelle ihres Vaters) behoben werden kann. Der Senat hat bereits entschieden, daß in einem solchen Fall aus Gründen der Prozeßökonomie auf eine Wiederholung des Verwaltungsverfahrens verzichtet werden kann, wenn die Krankenkasse in Verkennung der Rechtslage auch nach Inkrafttreten des SGB V während einer Übergangszeit bis zum 31. Juli 1997 Bescheide über Leistungen aus der Familienversicherung an den Stammversicherten statt an den anspruchsberechtigten Angehörigen gerichtet hatte (Urteil vom 24. September 1996 - SozR 3-2500 § 30 Nr 8 S 29 f). Die von den Beteiligten gewünschte Sachentscheidung kann somit in dem anhängigen Prozeß dadurch ermöglicht werden, daß die Tochter des jetzigen Klägers den Rechtsstreit anstelle ihres Vaters als Klägerin übernimmt. Bei dieser Konstellation ist es untunlich, die Klage durch Prozeßurteil abzuweisen und die Beteiligten auf einen erneuten Rechtsstreit zu verweisen (ähnlich zur Nachholung eines bisher unterbliebenen notwendigen Vorverfahrens während des Prozesses: BSGE 20, 199 = SozR Nr 11 zu § 79 SGG; BSGE 25, 66 = SozR Nr 4 zu § 1538 RVO; BSG SozR 1500 § 78 Nr 8). Da der notwendige Beteiligtenwechsel eine gemäß § 168 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung beinhaltet, muß die Sache gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückverwiesen werden, damit dieses Gelegenheit zur Behebung des prozessualen Mangels geben kann.
Für die über den erhobenen Anspruch gegebenenfalls zu treffende Sachentscheidung verweist der Senat auf die Rechtsausführungen in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 16. Juni 1999 in der Sache B 1 KR 4/98 R.
Das LSG wird abschließend auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen