Entscheidungsstichwort (Thema)
Streit über die Eröhung der Rente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
Normenkette
BVG § 62 Abs. 1, § 30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. April 1969 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Erhöhung der Versorgungsrente des Klägers wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins. Bei dem Kläger ist - auf seinen Antrag vom 17. April 1953 - durch den Bescheid vom 30. März 1955 ein "Linksschenkelblock und Herzmuskelschaden nach Diphtherie" als Schädigungsfolge mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. anerkannt. Vor seiner Einberufung zum Wehrdienst war der Kläger als Arbeiter in der Landwirtschaft, im Hoch- und Tiefbau und schließlich im Bergbau tätig. Nach seiner Entlassung aus der russischen Kriegsgefangenschaft im Januar 1946 arbeitete er zunächst als Schlepper und Gedingearbeiter und sodann von 1949 bis Oktober 1952 als Hauer im Bergbau. Im November 1952 mußte er diese Tätigkeit wegen seiner Herzschädigung aufgeben, seit 1953 bezieht er Knappschaftsrente. In der Folgezeit war der Kläger nur mit längeren Unterbrechungen berufstätig, und zwar als Hausmeister, Gehilfe in Registratur und Versand, Vervielfältiger und Aushilfshausmeister. Seit September 1968 geht er keiner Beschäftigung mehr nach; seine Knappschaftsrente betrug im Jahre 1.967.378,00 DM monatlich.
Im Juni 1962 beantragte der Kläger die Neufest Stellung seiner Versorgungsbezüge wegen Verschlimmerung der Schädigungsfolgen und wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins. Nach Einholung verschiedener Gutachten lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) Gelsenkirchen durch Bescheid vom 23. April 1964 den Neufeststellungsantrag u.a. mit der Begründung ab, bei der Bewertung der MdE mit 50 v.H. sei der Beruf des Klägers bereits berücksichtigt worden. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes - LVersorgA - Westfalen vom 26. August 1964).
Im Klageverfahren ließ der Kläger seine weitergehenden Ansprüche fallen und begehrte nur noch die Erhöhung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins. Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat den Beklagten am 9. November 1965 verurteilt, dem Kläger ab 1. Juni 1962 Rente nach einer MdE um 60 v.H. zu gewähren. Das SG hat die Berufung zugelassen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 23. April 1969 das Urteil des SG abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen, als der Kläger Versorgungsrente nach einer MdE von 60 % für die Zeit vor dem 1. Januar 1967 begehrt; im übrigen hat es die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Das LSG hat ausgeführt, der vom Kläger angefochtene Bescheid beruhe auf § 62 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und nicht auf § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG). Eine Neufeststellung setze also voraus, daß seit der letzten Feststellung in den für den Versorgungsanspruch maßgeblichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Das sei in tatsächlicher Hinsicht nicht der Fall, weil die entscheidende Änderung im Berufsleben des Klägers, nämlich sein Ausscheiden aus dem Mauerberuf, bereits im Jahre 1952, also vor Erlaß des Bescheides vom 30. März 1955, eingetreten sei. Dagegen sei in rechtlicher Hinsicht eine Änderung eingetreten, die aber erst durch das 3. NOG (Drittes Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 28. Dezember 1966, BGBl I S. 750) wirksam geworden sei. Die Neufassung des § 30 Abs. 2 BVG durch das Erste Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (vom 27. Juni 1960, BGBl I S. 453 - 1. NOG -) spiele hiernach keine Rolle. Durch diese Gesetzesänderung werde zwar eine Berücksichtigung des "derzeitigen" Berufs ermöglicht. Da der Kläger den Mauerberuf aber bereits im Jahre 1952 habe aufgeben müssen, sei dieser Beruf nicht als der "derzeitige" im Sinne des 1. NOG anzusehen. Erst durch die weitere Änderung des § 30 Abs. 2 BVG durch das 3. NOG ( "... oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt" ) werde der hier zu entscheidende Fall erfaßt. Da der Kläger den Mauerberuf infolge der Schädigung habe aufgeben müssen und seither keine sozial gleichwertigen Tätigkeiten verrichtet habe, sei er beruflich besonders betroffen. Mit Inkrafttreten des 3. NOG sei daher eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, so daß die MdE ab 1. Januar 1967 erhöht werden müsse, für die davorliegende Zeit sei dies aber nicht möglich. Die Knappschaftsrente müsse bei der Ermittlung des schädigungsbedingten Einkommensverlustes außer Betracht bleiben.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 30. Mai 1969 zugestellte Urteil am 19. Juni 1969 Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Er beantragt,
unter Änderung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. April 1969 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 9. November 1965 in vollem Umfang als unbegründet zurückzuweisen,
sowie dem Beklagten die dem Kläger in allen Rechtsmittelinstanzen entstandenen außergerichtlichen Kosten auf zu erlegen.
In seiner Revisionsbegründung rügt er die Verletzung materiellen Rechts, nämlich des § 30 Abs. 2 BVG idF des 1. und 2, NOG, und führt dazu aus, die maßgebliche Rechtsänderung sei bereits durch das 1. NOG herbeigeführt worden, wonach auch ein berufliches Betroffensein im "derzeitigen" Beruf berücksichtigt werden könne. Entgegen der Auffassung des LSG bedeute das nicht, daß der Beschädigte den nach der Schädigung ergriffenen Beruf im Zeitpunkt der Antragstellung noch tatsächlich habe ausüben müssen. Für das besondere Betroffensein im derzeitigen Beruf sei nur entscheidend, daß weder der bisher ausgeübte noch ein sozial gleichwertiger Beruf habe ausgeübt werden können. Aus der Entstehungsgeschichte des 1. NOG ergebe sich eindeutig, daß der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 30 Abs. 2 BVG durch das 1. NOG eine Erweiterung des begünstigten Personenkreises beabsichtigt habe, diese könne daher nicht erst mit dem 3. NOG eingetreten sein. Die erhöhte Rente stehe ihm daher ab Antragsmonat (Juni 1962) zu. Bis zum Inkrafttreten des 1. NOG habe er keine Möglichkeit gehabt, über § 30 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 BVG die Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit zu erreichen, weil er nicht nachgewiesen habe, daß er den Mauerberuf schon vor der Schädigung angestrebt habe. Die Auffassung des Beklagten sei daher unrichtig, daß bereits im Jahre 1955 das berufliche Betroffensein berücksichtigt worden sei.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. April 1969 zurückzuweisen.
Die mit Schriftsatz vom 16. Juli 1969 eingelegte - unselbständige - Anschlußrevision hat der Beklagte vor Eintritt in die mündliche Verhandlung zurückgenommen.
Der Beklagte hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Er trägt weiter vor, mit dem Begriff "derzeitiger Beruf" in § 30 Abs. 2 BVG idF des 1. und 2. NOG werde nur der gegenwärtig ausgeübte Beruf angesprochen, nicht aber ein Beruf, den der Beschädigte bereits vor der Antragstellung wieder aufgegeben habe. Erst durch das 3. NOG sei die hier einschlägige Rechtsänderung erfolgt. Diese Auffassung werde durch das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) von 18. Januar 1967 (BVBl S. 34) bestätigt.
II
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist von dem Kläger frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Sachlich konnte sie keinen Erfolg haben.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der angefochtene Bescheid vom 23. April 1964 nach § 62 Abs. 1 BVG und nicht nach § 40 Abs. 1 VerwVG zu beurteilen ist. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte, wie er in diesem Bescheid zum Ausdruck gebracht hat, bei der Bewertung der MdE im Bescheid vom 30. März 1955 "den Beruf berücksichtigt hat" , denn jedenfalls kann das nicht der jetzt maßgebliche Mauerberuf gewesen sein, dessen Aufgabe die entscheidende Voränderung im Berufsleben des Klägers gebildet hat. Der Beklagte hat selbst wiederholt vorgetragen, daß nach der damaligen Gesetzeslage (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BVG in der ursprünglichen Fassung vom 20. Dezember 1950 - BGBl I S. 791 - und idF des 3. Änderungsgesetzes vom 19. Januar 1955 - BGBl I S. 25 -) nur der vor der Schädigung ausgeübte, bereits begonnene oder nachweisbar angestrebte Beruf berücksichtigt werden konnte, nicht aber ein Beruf, den der Beschädigte erst nach der Schädigung aufgenommen und ausgeübt hatte. Unter diesen Umständen erscheint es nicht denkbar, daß der Beklagte bei der Bewertung der MdE in dem Bescheid vom 30. März 1955 den Mauerberuf besonders berücksichtigt, d.h. in positivem oder negativem Sinne darüber entschieden hat (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 6. Hai 1971 - 10 RV 207/69 -). Im übrigen hat der Kläger im Juni 1962 ausdrücklich "die Neufeststellung gemäß § 62 Abs. 1 BVG" beantragt; der Beklagte seinerseits hat die Neufeststellung unter Hinweis auf § 62 Abs. 1 BVG abgelehnt. Es fehlt somit jeder Anhalt dafür, daß der Beklagte, soweit es sich um die Erhöhung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins handelt, einen - negativen - Zugunstenbescheid erlassen hat.
Das LSG ist weiter zutreffend davon ausgegangen, daß eine Neufeststellung gemäß § 62 Abs. 1 BVG nur dann zulässig ist, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs auf Versorgung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt, und daß diese Änderung sowohl auf tatsächlichem als auch auf rechtlichem Gebiet liegen kann (vgl. BSG 10, 202, 15, 208). Das LSG hat alsdann festgestellt, daß nach der Erteilung des Erstanerkennungsbescheides eine wesentliche Änderung der Verhältnisse in tatsächlicher Hinsicht nicht eingetreten ist. Diese Feststellung ist von dem Kläger mit Revisionsrügen nicht angegriffen, sie ist daher für das Revisionsgericht bindend (§ 162 SGG). In Übereinstimmung mit dem LSG und dem Kläger, aber auch in Übereinstimmung mit dem Beklagten, ist jedoch davon auszugehen, daß in rechtlicher Hinsicht eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die hier einschlägige Rechtsänderung jedoch erst durch das 3. NOG eingetreten, so daß die Erhöhung der MdE erst mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, d.h. mit dem 1. Januar 1967, zugesprochen werden kann (vgl. Art. V § 6 des 3. NOG).
Wie das BSG wiederholt ausgesprochen hat, verfolgen die verschiedenen Fassungen des § 30 Abs. 1 bzw. 2 BVG das einheitliche Ziel, bei einem Beschädigten, der in seinem Beruf in einem wesentlich höheren Grad als im allgemeinen
Erwerbsleben betroffen ist, die Nachteile auszugleichen, die ihm aus der Schädigung in dem ausgeübten Beruf erwachsen. Daraus ergibt sich, daß mit den einzelnen Fassungen des § 30 Abs. 1 bzw. 2 BVG nicht jeweils völlig neu geregelt werden sollte, in welcher Weise der Beruf eines Beschädigten bei der Festsetzung der MdE zu berücksichtigen ist. Vielmehr sollten die Neufassungen insoweit nur zum Ausdruck bringen, wie die Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers schon nach den früheren Fassungen auszulegen war (vgl. BSG 13, 20, 22; 15, 208, 211; BSG in BVBl 1960 S. 51). Dieser Zweck der gesetzlichen Neuregelungen wird besonders deutlich in jenen Fällen, in denen lediglich ein Teil der Verwaltungsvorschriften in das Gesetz aufgenommen und der von der Verwaltung bisher schon praktizierten Auslegung Allgemeinverbindlichkeit verliehen (vgl. BSG 13, 20, 22) oder in denen das Gesetz in seinem Wortlaut der durch die höchstrichterliche Rechtsprechung gewonnenen Auslegung angepaßt wurde. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Neufassungen des § 30 BVG auch echte Rechtsänderungen gebracht haben, soweit dadurch der anspruchsberechtigte Personenkreis erweitert oder die gesetzlichen Voraussetzungen auf weitere Tatbestände ausgedehnt worden sind. Im Einzelfall muß daher jeweils geprüft werden, ob die Neufassung nur eine authentische Interpretation der bereits vorher bestehenden Rechtslage darstellt oder ob damit eine echte sachlich-rechtliche Gesetzesänderung verbunden ist (vgl. BSG 15, 208; Urteile des BSG vom 17. März 1970 - 9 RV 260/69 - und vom 16. September 1970 - 10 RV 663/69 -).
Der Kläger hat seinen Neufeststellungsantrag im Juni 1962, also unter der zeitlichen Geltungsdauer des 1. NOG gestellt. Die für ihn maßgebliche Gesetzesänderung ist jedoch nicht bereits durch das 1. NOG, sondern erst durch das 3. NOG in das Gesetz eingefügt worden. Nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des Sechsten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 1. Juli 1957 (BGBl I S. 661) - also vor dem Inkrafttreten des 1. NOG - war die MdE höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem "vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweislich angestrebten Beruf" besonders betroffen war. Diese Neufassung entsprach nahezu wörtlich der früheren Verwaltungsvorschrift Nr. 2 zu den §§ 29, 30 BVG aF; sie ließ nur eine Berücksichtigung des vor der Schädigung ausgeübten Berufs in dem vom Gesetz näher abgesteckten Rannen zu. Der Kläger hat in seiner Revisionsbegründung ausdrücklich bestätigt, daß er nicht nachweisen kann, daß er den Mauerberuf schon vor der Schädigung angestrebt hat. Er konnte daher - wie er selbst vorträgt - bei diesem Gesetzeswortlaut eine Höherbewertung der MdE wegen der Aufgabe des Mauerberufes nicht erreichen.
Durch das 1. NOG wurde - jetzt als Absatz 2 - die Vorschrift neu gefaßt. Nunmehr war die MdE höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem "vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen, derzeitigen oder nachweislich angestrebten Beruf" besonders betroffen war. Das BSG hat hierzu bereits entschieden, daß die Neufassung des § 30 Abs. 2 BVG durch das 1. NOG keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG darstellt, "soweit es sich um den vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweislich angestrebten Beruf handelt" . Damit ist jedoch für den vorliegenden Fall nichts gewonnen, denn die Neufassung des § 30 Abs. 2 BVG unterschied sich von der vorhergehenden Fassung insbesondere dadurch, daß außer dem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweislich angestrebten Beruf, zu dem das BSG Stellung genommen hat, nunmehr auch der "derzeitige" Beruf berücksichtigt werden konnte. Insoweit handelt es sich um eine echte Rechtsänderung (Gesetzeserweiterung), denn wenn nach der Gesetzesfassung vor dem 1. NOG nur der vor der Schädigung ausgeübte, begonnene oder nachweislich angestrebte Beruf berücksichtigt werden konnte, die Höherbewertung der MdE also ausschließlich an den beruflichen Werdegang und die beruflichen Absichten vor dem Zeitpunkt der Schädigung geknüpft war, so konnte nunmehr auch der derzeitige, d.h. ein nach der Schädigung ausgeübter Beruf berücksichtigt werden. Entgegen der Auffassung des Klägers wird sein Fall jedoch von dieser Rechtsänderung nicht erfaßt.
Bei dem Wort "derzeitig" handelt es sich um einen Zeitbegriff, der dem Sprachgebrauch und dem Sinngehalt nach den "zu dieser Zeit" ausgeübten Beruf meint. Um welchen Zeitpunkt es sich dabei handelt, ist im Gesetz nicht näher erläutert. Diese Frage muß daher nach den Grundsätzen des Versorgungsrechts beantwortet werden. Im Versorgungsrecht ist die Gewährung von Versorgungsleistungen grundsätzlich an die Stellung eines Antrags geknüpft (vgl. § 60 Abs. 1 BVG), der Antrag ist insoweit materiell-rechtliche Voraussetzung für die Gewährung von Versorgungsleistungen (vgl. BSG 2, 293, Urteil des erkennenden Senats vom 17. April 1970 - 10 RV 504/68 - mit zahlreichen Hinweisen aus der Rechtsprechung des BSG; s. auch Urteil vom 8. Juli 1970 - 10 RV 24/68 -). Ist aber die Gewährung von Versorgungsleistungen - und dazu gehört auch die Gewährung der Versorgungsrente nach einer höheren MdE aufgrund der §§ 62 Abs. 1, 30 Abs. 2 BVG (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 1 BVG) - grundsätzlich an die Stellung eines Versorgungsantrags geknüpft, dann kann unter "derzeitig" nur der im Zeitpunkt der Antrag Stellung ausgeübte Beruf gemeint sein. Im Schrifttum ist dieser Begriff einhellig in diesem Sinne ausgelegt worden (vgl. van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsopferversorgung, Teil IV S. 27; Wilke, BVG, 2. Aufl., § 30 Anm. III 2; s. auch Änderungsvorschlag des Bundesrates zum Regierungsentwurf des 3. NOG - vgl. BT-Drucks. V/1012 S, 44 zu Art. I Nr. 24 - § 30 BVG -). Die Auffassung des Klägers läuft darauf hinaus, daß unter "derzeitig" jeder Beruf zu verstehen ist, den der Beschädigte nach der Schädigung, sei es auch nur kurzfristig und vorübergehend, ausgeübt hat. Eine derart weitgehende Auslegung wird jedoch dem Sprachgebrauch des Wortes "derzeitig" nicht gerecht; sie kann insbesondere auch nicht, wie der Kläger meint, aus § 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a BVG hergeleitet werden. Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß die in § 30 Abs. 2 Satz 2 BVG aufgezählten Einzelfälle nicht für sich allein betrachtet werden dürfen, sondern daß die Tatbestände a) bis c) nur beispielhaft gemeint sind und Erläuterungen zu dem in Satz 1 allgemein zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers darstellen, eine Höherbewertung der MdE unter den dort aufgeführten Voraussetzungen vorzunehmen (vgl. Urteil vom 26. September 1968 - 10 RV 438/66 -; Urteil vom 19. Februar 1969 in SozR BVG § 30 Nr. 37). Sind also bereits die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht gegeben, dann kann nicht unabhängig davon eine Höherbewertung der MdE lediglich anhand der in Satz 2 aufgeführten Beispiele vorgenommen werden.
Eine Bestätigung für seine Ansicht, daß ein im Zeitpunkt der Antragstellung bereits wieder aufgegebener Beruf nicht berücksichtigt werden konnte, findet der Senat in der weiteren Gesetzesentwicklung. Konnte nach der Fassung des 1. NOG ( "... in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen, derzeitigen ... Beruf" ) noch zweifelhaft sein, ob das Wort "begonnenen" - wie bisher - von den vorangestellten Worten "vor der Schädigung" abhängig war oder ob darunter jeder - sei es vor oder nach der Schädigung - begonnene und inzwischen wieder aufgegebene Beruf zu verstehen war, so brachte das 2. NOG mit der Neufassung"... in seinem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweislich angestrebten oder derzeitigem Beruf ..." eine authentische Gesetzesinterpretation dahin, daß - jedenfalls nach dem 1. und 2. NOG - unter "begonnenem" nur der bereits vor der Schädigung begonnene Beruf zu verstehen war. Das 3. NOG hat diese Wortfassung - "vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf" - unverändert beibehalten, gleichzeitig aber das Wort "derzeitig" entfallen lassen und nunmehr den Beruf mit einbezogen, den der Beschädigte "nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt" . Diese Änderung ging offenbar auf die bereits erwähnte Stellungnahme des Bundesrates (a.a.O.) zurück, in der ausdrücklich darauf hingewiesen war, daß von den Worten "derzeitiger Beruf" nur die Tatbestände erfaßt würden, in denen der Beschädigte den Beruf im Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich noch ausübte. Der Bundesrat sah diese Regelung als unbefriedigend an, weil nach der Fassung des Gesetzes gerade jene Beschädigten von einer Höherbewertung der MdE ausgeschlossen waren, die sich aufgrund eigener Initiative trotz der Schädigungsfolgen einen neuen Lebensberuf geschaffen hatten und diesen dann wegen einer Verschlimmerung der Schädigungsfolgen aufgeben mußten, also besonders förderungsbedürftig waren. Der Bundesrat schlug deshalb eine Neufassung des § 30 Abs. 2 BVG vor, der sich auch der Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden des Deutschen Bundestages angeschlossen hat (vgl. Schriftlicher Bericht dieses Ausschusses, BT-Drucks, V/1216 S. 5 zu Art. I Nr. 24) und die dann Gesetz geworden ist. Der Gesetzgeber hat also durch das 3. NOG eine Erweiterung des Kreises der zu berücksichtigenden Berufe vorgenommen und insoweit eine echte Gesetzesänderung geschaffen; es handelt sich um eine erneute Ausweitung des begünstigten Personenkreises, die nach den vorhergehenden Fassungen des Gesetzes noch nicht rechtens war.
Der Kläger wird erst durch diese Gesetzesänderung erfaßt. Nach den Feststellungen des LSG hatte der Kläger den hier maßgebenden Beruf des Hauers im Bergbau erst nach dem Kriege aufgenommen, aber im Zeitpunkt der Antrag Stellung - April 1953 - bereits wieder aufgegeben und nicht mehr ausgeübt. Nach den obigen Ausführungen kann dieser Beruf nicht bereits unter den Begriff des "derzeitigen Berufs" im Sinne des 1. NOG eingeordnet und rentensteigernd berücksichtigt werden. Erst das 3. NOG brachte die für den Kläger maßgebende Gesetzesänderung. Das 3. NOG ist am 1. Januar 1967 in Kraft getreten (vgl. Art. V § 6 des Gesetzes); vor diesem Zeitpunkt steht dem Kläger die begehrte Rentenerhöhung gemäß § 30 Abs. 2 BVG nicht zu. Die Revision des Klägers erweist sich daher als unbegründet.
Da der Beklagte seine Anschlußrevision zurückgenommen hat, brauchte der Senat nicht mehr zu der von dem Beklagten aufgeworfenen - und vom LSG verneinten - Frage Stellung zu nehmen, ob im Rahmen des § 30 Abs. 2 BVG bestimmte Leistungen wie Grundrente, Sozialversicherungsrenten und Überstundenvergütungen in den Einkommensvergleich einzubeziehen sind (vgl. Urteile des 9. Senats des BSG vom 14. November 1961 - 9 RV 304/56 -; vom 8. Juli 1969 - 9 RV 788/67 - und vom 11. Juni 1970 - 9 RV 416/69 -; s. auch Rundschreiben des BMA vom 21. Dezember 1970 in BVBl 1971 S. 4).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, daß der Beklagte seine Anschlußrevision zurückgenommen, sich also insoweit freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben hat.
Unterschriften
Sonnenberg, Hennig, Dr. Burdenski
Fundstellen