Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Verlust von losen Beitragsmarken der Rentenversicherung
Leitsatz (amtlich)
Wird eine lose Beitragsmarke der gesetzlichen Rentenversicherung beim Inhaber zerstört, so hat dieser gegen den die Marke ausgebenden Rentenversicherungsträger keinen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Erstattung des Markenwertes, wenn der Träger die Zerstörung nicht zu vertreten hat.
Orientierungssatz
Dadurch, daß einer Versicherten die Angestelltenversicherungs-Beitragsmarken verbrannt sind, kann auf ihre Kosten keine rechtsgrundlose unmittelbare Vermögensverschiebung zugunsten der BfA eingetreten sein. Eine solche Vermögensverschiebung liegt insbesondere nicht darin, daß die Versicherte infolge eines Verbrennens von Beitragsmarken ein vermögenswertes Recht, nämlich eine rentenversicherungsrechtliche Anwartschaft zum Vorteil des die Marken ausgebenden Rentenversicherungsträgers verloren hätte. Das würde voraussetzen, daß der Besitzer loser Beitragsmarken eine solche Anwartschaft dem Rentenversicherungsträger gegenüber bereits innehatte. Das ist nicht der Fall. Die Rentenanwartschaft erwirbt der Markeninhaber erst durch die gültige Beitragsentrichtung, dh nach AVG §§ 131, 133 = RVO §§ 1409, 1411) durch Einkleben der Marken in die auf einen bestimmten Versicherten ausgestellten Versicherungskarte. Daß der Inhaber loser Beitragsmarken die Gefahr des Untergangs nach fahrnisrechtlichen Gesichtspunkten trägt, folgt im übrigen auch daraus, daß die Marken allenfalls als unvollkommene Inhaberzeichen (BGB § 807) angesehen werden können, hinsichtlich derer die Ausstellung von Ersatzurkunden nicht möglich ist.
Normenkette
RVO § 1409 Fassung: 1957-02-23, § 1410 Fassung: 1957-02-23, § 1411 Fassung: 1957-02-23; BGB § 812; AVG § 131 Fassung: 1957-02-23, § 132 Fassung: 1957-02-23, § 133 Fassung: 1957-02-23; BGB § 807
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Juli 1973 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 1970 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die 1912 geborene Klägerin kaufte am 27. November 1968 beim Postamt F zwölf Beitragsmarken der Angestelltenversicherung Klasse 1400 zu je 212,- DM. Sie steckte die Marken in einen Briefumschlag, den sie nach ihren Angaben später versehentlich in den Papierkorb warf, dessen Inhalt sodann durch ihre Haushälterin verbrannt worden sein soll. Den Antrag der Klägerin, den Geldwert der vernichteten Marken zu erstatten, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 1. Oktober 1969, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1970, ab: Bei losen Beitragsmarken handele es sich um freizügige Wertzeichen, für die der Inhaber die Gefahr des zufälligen Verlustes trage.
Im hiergegen angestrengten Rechtsstreit hatte die Klägerin zunächst letztinstanzlich insoweit Erfolg, als das Bundessozialgericht mit Urteil vom 14. Februar 1973 die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen hat. In der Begründung heißt es, entgegen der Ansicht von Sozialgericht und LSG sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Dies sei nicht nur bezüglich des Anspruches auf Aufhebung des streitigen Bescheides, sondern auch bezüglich des von der Klägerin gegen die Beklagte gerichteten Anspruches auf Erstattung von 2.520,- DM der Fall. Dieser Anspruch lasse sich auf dem rechtlichen Hintergrund der öffentlich-rechtlichen Regelungen über Ausgabe, Verkauf und Umtausch von Beitragsmarken der Angestelltenversicherung sowie ihrer Benutzung und Verwendung nur dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuordnen.
Nach Zurückverweisung hat das LSG mit dem angefochtenen Urteil vom 11. Juli 1973 die Beklagte unter Aufhebung des streitigen Bescheides verurteilt, an die Klägerin 2.500,- DM zu zahlen. Das Gericht war der Auffassung, nach den im öffentlichen Recht mittelbar anwendbaren §§ 812 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) habe die Beklagte den Gegenwert für die Beitragsmarken ohne rechtlichen Grund erlangt, weil die mit dem Markenkauf bezweckte Beitragsentrichtung nicht habe vollzogen werden können. Die die Bereicherung der Beklagten mindernden Umstände (Kosten für Material, Druck, Vergütung an die Bundespost) seien bei der Höhe des zuerkannten Anspruches angemessen berücksichtigt.
Mit der zugelassenen Revision tritt die Beklagte diesem Urteil entgegen. Die Absicht des Markenkäufers, die Beitragsmarken später in der Form des § 131 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu entrichten, könne allenfalls als ein unbeachtliches Kaufmotiv angesehen werden. Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch scheide daher aus. Hinsichtlich der Feststellung, daß die Marken angeblich bei der Klägerin vernichtet worden seien, habe das LSG die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die Vorschriften des BGB über die ungerechtfertigte Bereicherung entsprechend anzuwenden seien. Es handele sich um einen Bereicherungsanspruch wegen Nichteintritts des bezweckten Erfolges gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Beitragsmarken seien nur gekauft worden, um mit dem Einkleben in die Versicherungskarte ein sozialversicherungsrechtliches Verhältnis und die entsprechenden Folgen herbeizuführen. Diesen Sachverhalt habe das LSG verfahrensfehlerfrei festgestellt.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die zugelassene Revision der Beklagten ist begründet.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, ihr den Geldwert von bei ihr angeblich verbrannten Beitragsmarken der Angestelltenversicherung zu erstatten. Da nach dem vorgelegten Sachverhalt von vornherein ausscheidet, daß die Beklagte die Zerstörung der Beitragsmarken zu vertreten hat, könnte der auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützte Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Geldsumme nur unter dem Gesichtspunkt des sogenannten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches begründet sein. Dieses Rechtsinstitut kann als öffentlich-rechtliche Parallele zum zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch angesehen werden, obwohl es nicht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 812 ff BGB beruht und selbst ein Rückgriff auf diese Normen ausscheidet, soweit der vom öffentlichen Recht selbständig entwickelte Erstattungsanspruch reicht (vgl. zB. Wolff, Verwaltungsrecht I, 8.aufl., 306; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10.Aufl., S. 175; Haueisen, NJW 1954, 977 und 1955, 212; BVerwG 4, 215; 6, 323; 18, 308, 314; BSG 7, 8; 7, 51; 7, 226, 227; 8, 11; 14, 63; 16, 151, 156; BSG vom 21. Mai 1974 - 7 RKg 8/73; BayVGH n.F. 23, 117, 127 ff). Der nach Rechtslehre und Rechtsprechung aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Erstattungsanspruch ist die Ausgestaltung eines Rechtssatzes, der auch ohne ausdrückliche gesetzliche Normierung gebietet, daß Leistungen, die eines rechtlichen Grundes entbehren, zurückzuerstatten sind. Im einzelnen ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in allen Fällen anzuerkennen, in denen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose unmittelbare Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (vgl. OVG Münster in OVGE 25, 286, 290); hierbei steht der Fortfall des rechtlichen Grundes seinem ursprünglichen Fehlen gleich. Der Anspruch kann einem Träger der öffentlichen Verwaltung gegenüber einer Privatperson, aber auch einer Privatperson jenem gegenüber zustehen (vgl. dazu insbesondere BVerwG in Buchholz 451.80 Allgemeines Nrn. 18 und 19; E. Weber, Der Erstattungsanspruch - 1970 -, 4.Teil).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dadurch, daß - wie sie behauptet - die Angestelltenversicherungs-Beitragsmarken bei ihr verbrannt sind, auf ihre Kosten keine rechtsgrundlose unmittelbare Vermögensverschiebung zugunsten der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eingetreten. Eine solche Vermögensverschiebung liegt insbesondere nicht darin, daß die Klägerin infolge eines Verbrennens von Beitragsmarken ein vermögenswertes Recht, nämlich eine rentenversicherungsrechtliche Anwartschaft zum Vorteil des die Marken ausgebenden Rentenversicherungsträgers verloren hätte. Das würde voraussetzen, daß der Besitzer loser Beitragsmarken eine solche Anwartschaft dem Rentenversicherungsträger gegenüber bereits innehatte. Das ist nicht der Fall. Die Rentenanwartschaft erwirbt der Markeninhaber erst durch die gültige Beitragsentrichtung, d.h. nach §§ 131, 133 AVG (= §§ 1409, 1411 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) durch Einkleben der Marken in die auf einen bestimmten Versicherten ausgestellte Versicherungskarte. Daß mit dem Besitz loser Beitragsmarken noch keine versicherungsrechtliche Anwartschaft erworben sein kann, liegt aber auch ungeachtet der eben genannten Bestimmungen auf der Hand: Der Inhaber braucht die Beitragsmarken nicht zu verwenden; er kann sie, etwa aus Unachtsamkeit, verfallen lassen oder nach Ungültigkeit gegen andere Marken eintauschen (§ 132 Abs. 5 AVG = § 1410 Abs. 5 RVO). Außerdem können lose Beitragsmarken nach allgemeiner Auffassung Gegenstand des allgemeinen Rechtsverkehrs sein (vgl. RVA in AN 1899, 282; AN 1906, 286; Hanow/Lehmann/Bogs, Komm. zum 4. Buch der RVO, 3.Aufl. Stand Oktober 1973, § 1409 Rd.Nr. 2; VerbKomm. zum 4. und 5.Buch der RVO, Bd.II, Stand 1973, Anm. 1 zu § 1409 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.bis 7.Aufl., Bd.III S. 646g; Koch/Hartmann/v.Altrock/Fürst, Komm. zum AVG, 3.Aufl., Bd. IVa, Anm. C 3 bei § 132); sie können zB. vom Erwerber an einen Dritten weiterveräußert oder verschenkt werden. Daraus folgt, daß sie vor dem Einkleben in die auf einen bestimmten Versicherten ausgestellte Versicherungskarte keinerlei unveränderliche individuelle Beziehung zur Person eines zu Versichernden, insbesondere also auch keine vermögensrechtliche - anwartschaftsrechtliche - Beziehung begründen können (vgl. Brackmann, aaO, S. 646 f). Der Verlust von losen Beitragsmarken kann daher auch keine unmittelbare rechtsgrundlose Vermögensverschiebung vom Markeninhaber zu dem die Marken ausgebenden Rentenversicherungsträger bewirken. Selbst das LSG hat im angefochtenen Urteil darauf hingewiesen, daß mit losen Beitragsmarken eine versicherungsrechtliche Anwartschaft allein "angestrebt" werden könne.
Der Klägerin kann allerdings eingeräumt werden, daß sich die Bedeutung der Beitragsmarke nicht in der eines Geldsurrogats erschöpft. Es kann mit vertretbaren Gründen behauptet werden, daß der die Marken ausgebende Rentenversicherungsträger dem jeweiligen Markeninhaber das Versprechen gibt, sie bei der Beitragsentrichtung in Zahlung zu nehmen und sie nach Verwendung zur Beitragsentrichtung auf die Versicherungsleistung in Anrechnung zu bringen (Rosin, Das Recht der Invaliden- und Altersversicherung, Bd. 2, S. 415 f). Indessen vermag ein solches, unter dem Vorbehalt künftiger Verwendung der Marken zur Beitragsentrichtung stehendes Versprechen kein konkretes Vermögensrecht - Rentenanwartschaftsrecht - zwischen Markeninhaber und Rentenversicherungsträger zu begründen. Mit der Aus- und Abgabe der Beitragsmarken hat der Rentenversicherungsträger dem Markenerwerber allein die rechtliche Möglichkeit eingeräumt, sie zur Beitragsentrichtung zu verwenden und dadurch eine rentenrechtliche Anwartschaft zu begründen. Ob der Markeninhaber von dieser Möglichkeit - aus ihm zu vertretenden oder nicht zu vertretenden Gründen - Gebrauch macht, liegt in seinem Verantwortungsbereich.
Daß durch Zerstörung oder Verlust der bereits ausgegebenen Beitragsmarken beim Inhaber keine rechtsgrundlose unmittelbare Vermögensverschiebung auf den Rentenversicherungsträger eintritt, ergeben im übrigen auch die folgenden Überlegungen: Die Auffassungen über den Rechtscharakter loser Beitragsmarken sind in Rechtsprechung und Schrifttum nicht völlig einheitlich. Das Reichsversicherungsamt (RVA) bezeichnet sie (aaO) als dem Verkehr angehörige "vertretbare Wertzeichen"; Rosin (aao) und im Anschluß an ihn zB. Staudinger/Kober/Müller (Komm. zum BGB, 11.Aufl., § 807 Rd.Nr. 4) rechnen sie zu den "äußerst unvollkommenen" Inhaberpapieren; Hanow/Lehmann/Bogs (aaO) und der Verbandskommentar (aaO) sprechen etwa wie das RVA von Wertzeichen und fügen hinzu, daß sie den Steuer- und Stempelmarken bzw. den Briefmarken vergleichbar seien, welche letztere allerdings nach verbreiteter Ansicht keine Inhaberpapiere, sondern Geldsurrogate sind (zB. Soergel/Siebert, Komm. zum BGB, Bd. 3 Rd.Nr. 6 zu § 807; Rehfeldt/Zöllner, Wertpapierrecht, 10.Aufl., 134). Es kann dahinstehen, welche dieser Auffassungen zutrifft. Sind die losen Beitragsmarken unvollkommene Inhaberpapiere (Inhaberzeichen) im Sinne des § 807 BGB, so findet - bei ausdrücklichem Ausschluß der Vorschriften über die Kraftloserklärung und der Möglichkeit, eine Ersatzurkunde ausgestellt zu erhalten (§§ 799, 800 BGB) - § 794 BGB Anwendung mit der Folge, daß der Bestand des mit ihnen verbrieften Rechts an den Besitz des Papiers geknüpft ist und insgesamt fahrnisrechtliche (sachenrechtliche) Grundsätze auf sie anzuwenden sind. Das bedeutet, daß der Inhaber sein Recht verliert, wenn die Urkunde vernichtet wird oder ihm endgültig abhanden kommt (Staudinger, aaO, Rd.Nr. 7 - Anm. 4d - zu § 799 mit weiteren Hinweisen). Der die Marken ausgebende Rentenversicherungsträger könnte für den Untergang nur haften, wenn er diesen zu vertreten hätte. Nichts anderes ergibt sich, wenn die Beitragsmarken als reines Wertzeichen im Sinne eines Geldsurrogats angesehen würden. In diesem Fall fänden die fahrnisrechtlichen Grundsätze erst recht Anwendung; der Inhaber trägt die Gefahr des Untergangs der Marken, sofern ihn nicht ein Dritter zu vertreten hat und daher unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes oder der Pflicht zur Folgenbeseitigung hierfür haftet.
Dieses rechtliche Ergebnis befriedigt auch in praktischer Hinsicht. Es liegt im Interesse der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten, daß der Rentenversicherungsträger nicht unter Berufung auf nur äußerst schwierig nachzuprüfende Umstände eines behaupteten Markenverlustes mehrfach auf Leistungen in Anspruch genommen wird, obschon an diesen nur eine einzige Zahlung zu Beitragszwecken vorgenommen worden ist (vgl. dazu RVA in AN 1902, 400).
Kann nach alledem durch das von der Klägerin behauptete Verbrennen der losen Beitragsmarken ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen die beklagte BfA nicht begründet sein, so kann dahinstehen, ob das LSG den von der Klägerin vorgetragenen Sachverhalt rechtsfehlerfrei festgestellt hat. Den Verfahrensrügen der Beklagten brauchte daher nicht nähergetreten zu werden.
Auf die Revision der Beklagten ist daher das Urteil des LSG aufzuheben und die Klage gegen den zutreffenden Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 1970 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1647734 |
BSGE, 46 |
NJW 1975, 359 |