Leitsatz (amtlich)
1. Hat die Versorgungsbehörde den Antrag auf Gewährung einer Elternrente in einem Bescheid an den Antragsteller nach dem BVG abgelehnt, so kann auch der Fürsorgeträger die Aufhebung des ablehnenden Bescheids begehren und den Anspruch auf die Elternrente vor den Sozialgerichten geltend machen, wenn er den Anspruch nach FürsPflV § 21a auf sich übergeleitet hat, bevor der ablehnende Bescheid bindend geworden ist.
2. Auch wer nicht Adressat eines Verwaltungsakts ist, kann dadurch betroffen und in seinen Rechten verletzt sein.
Leitsatz (redaktionell)
Wenn das Gesetz die Übertragung von Versorgungsbezügen in Ausnahmefällen (hier durch Überleitungsanzeige nach § 21a FürsPflV) zuläßt, ist es nur folgerichtig, daß insoweit auch die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Übertragung von Forderungen Anwendung finden. Das bedeutet, daß der Fürsorgeträger mit der Überleitung der Forderung die volle Gläubigerstellung erworben hat einschließlich des Rechts, die Forderung im eigenen Namen geltend zu machen.
Normenkette
BVG § 67 Abs. 2 Nr. 4 Fassung: 1953-08-07; SGG § 51 Fassung: 1953-09-03, § 54 Fassung: 1953-09-03, § 77 Fassung: 1953-09-03; FürsPflV § 21a
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Juni 1956 wird aufgehoben, die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Eheleute Wilhelm und Margarete Sch erhielten Elternrente, weil sie ihren Sohn Josef Sch im Kriege verloren hatten. Im Dezember 1950 verstarb Margarete Sch. Durch Umanerkennungsbescheid vom 25. September 1952 stellte das Versorgungsamt (VersorgA) Köln fest, daß die Rente, die Wilhelm Sch nach den bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften bezog, mit Ablauf des Monats Oktober 1952 wegfalle (§ 86 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -); gleichzeitig lehnte es die Bewilligung einer Elternrente nach dem BVG ab, da Wilhelm Sch nicht mehr bedürftig sei. Den Einspruch des Wilhelm Sch wies der Beschwerdeausschuß am 17. April 1953 zurück. Ein weiteres Rechtsmittel legte Wilhelm Sch nicht ein.
Nachdem Wilhelm Sch am 20. Oktober 1952 auf Kosten des Sozialamtes der Stadt Köln in Heimpflege gekommen war, erhob auch die Stadtgemeinde Köln durch Schriftsatz vom 21. November 1952 Einspruch gegen den Bescheid vom 25. September 1952, in dem das VersorgA die Weitergewährung der Elternrente abgelehnt hatte. Durch ein Schreiben vom 11. Dezember 1952 - eingegangen beim VersorgA Köln am 10. Januar 1953 - zeigte die Stadt Köln dem VersorgA an, daß sie Wilhelm Sch "im Werte von monatlich 120,- DM" unterstütze und deshalb als Fürsorgeträger Ersatz aus der Elternrente beanspruche. Dieses Schreiben enthielt auch einen von Wilhelm Sch unterschriebenen Vermerk, in dem er sich damit einverstanden erklärte, daß der Fürsorgeverband "Ersatz für Fürsorgeleistungen aus der ihm zustehenden Elternrente erhält".
Der Beschwerdeausschuß verwarf den Einspruch der Stadt Köln am 17. April 1953 als unzulässig, weil er nicht von einem nach der Gemeindeordnung zuständigen Vertreter der Stadt eingereicht sei. Die Stadt Köln legte Berufung bei dem Oberversicherungsamt ein, die Berufung ging am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht (SG) Köln über. Die Klägerin beantragte, die "Vorentscheidungen" aufzuheben und den Beklagten zur Zahlung der Elternrente für Wilhelm Sch an sie zu verurteilen. Das SG wies die Klage durch Urteil vom 1. Dezember 1954 ab.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen wies die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 13. Juni 1956 zurück. In der Verhandlung, auf Grund der dieses Urteil erging, wirkten ein Senatspräsident als Vorsitzender und zwei Sozialgerichtsräte als weitere Berufsrichter mit. Zur Begründung führte das LSG aus: Die Klägerin könne den Anspruch des Wilhelm Sch auf Elternrente nicht selbständig und aus eigenem Recht verfolgen; der Anspruch auf Versorgung sei grundsätzlich nicht übertragbar, nicht verpfändbar und nicht pfändbar; eine Inanspruchnahme der Versorgungsrente durch Dritte sei nur in den Grenzen der §§ 67 und 70 BVG möglich; hier komme nur die Vorschrift des § 67 Abs. 2 Nr. 4 BVG in Betracht, wonach die Übertragung, die Verpfändung und Pfändung eines Anspruchs auf Versorgungsbezüge wegen eines Anspruchs einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Rückzahlung einer nach gesetzlicher Verpflichtung gewährten Leistung ausnahmsweise möglich sei; die Klägerin habe nach gesetzlicher Verpflichtung Leistungen gewährt und habe nach § 21 a der Fürsorgepflichtverordnung (FürsPflVO) deswegen einen Ersatzanspruch; indes richte sich dieser Anspruch "nur auf die dem Fürsorgeempfänger zustehenden tatsächlichen Leistungen, nicht auf den Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung an sich"; im übrigen ergebe sich aus § 1 BVG, daß es im freien Belieben des Versorgungsberechtigten stehe, ob er einen Versorgungsanspruch geltend machen wolle oder nicht; § 1538 der Reichsversicherungsordnung (RVO), wonach der neue Gläubiger auch selbst Antrag auf Rente stellen und Rechtsmittel einlegen könne, sei nicht anwendbar; schließlich liege auch keine Abtretung vor; ein Prozeßführungsrecht im Sinne der Prozeßstandschaft komme nicht in Betracht. Die Revision ließ das LSG zu. Das Urteil wurde der Klägerin am 27. Dezember 1956 zugestellt. Am 22. Januar 1957 legte sie Revision ein und beantragte,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13. Juni 1956 aufzuheben und nach dem zuletzt gestellten Antrag der Klägerin zu erkennen.
Am 6. Februar 1957 begründete sie die Revision: Der Anspruch des Wilhelm Sch auf Versorgung nach dem BVG sei durch Anzeige nach § 21 a FürsPflVO auf die Klägerin übergegangen; die Anzeige gemäß § 21 a FürsPflVO sei am 10. Januar 1953 bei dem VersorgA eingegangen; zu diesem Zeitpunkt habe Wilhelm Sch noch Anspruch auf Rente gehabt, denn die Entziehung durch den Bescheid vom 25. September 1952 sei damals noch nicht bindend gewesen; der Umstand, daß Wilhelm Sch gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 17. April 1953 keinen Rechtsbehelf eingelegt habe, hindere die Klägerin nicht, ihrerseits diesen Bescheid anzufechten; § 1538 RVO sei im Versorgungsrecht entsprechend anzuwenden, die Klägerin könne daher den auf sie übergegangenen Anspruch auch gerichtlich geltend machen, zu dem gleichen Ergebnis führe auch die Annahme einer Prozeßstandschaft, die Zustimmung des Berechtigten liege entgegen der Ansicht des LSG vor.
Der Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft; die Klägerin hat sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet, sie ist daher zulässig; sie ist auch begründet.
In der mündlichen Verhandlung, auf die das angefochtene Urteil ergangen ist, haben als Berufsrichter ein Senatspräsident als Vorsitzender und zwei Sozialgerichtsräte mitgewirkt, der Senat ist damit nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (BSG 9, 137), das Verfahren, in dem er entschieden hat, ist mangelhaft gewesen (BSG 11, 22). Die Klägerin hat diesen Verfahrensmangel jedoch nicht gerügt, das Bundessozialgericht (BSG) hat ihn nicht von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. Urt. des BSG vom 28. Juli 1961 - 8 RV 637/58 -).
Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind für den vorliegenden Fall zuständig. Die Parteien streiten nicht über die Gültigkeit der "Überleitungsanzeige" nach § 21 a FürsPflVO; es handelt sich vielmehr darum, ob die Klägerin befugt ist, den nach § 21 FürsPflVO als Ersatz "angeforderten" Anspruch auf Versorgung nach dem BVG gerichtlich geltend zu machen, sowie darum, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange ein solcher Anspruch noch besteht. Dabei handelt es sich um eine Angelegenheit der Kriegsopferversorgung im Sinne von § 51 SGG.
Nach § 21 a FürsPflVO kann der Fürsorgeverband, der einen Hilfsbedürftigen unterstützt, Rechtsansprüche des Hilfsbedürftigen gegen einen Dritten auf Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs für die Zeit der Unterstützung durch schriftliche Anzeige an den Dritten als Ersatz auf sich überleiten. Auch Ansprüche auf Versorgungsbezüge nach dem BVG, also auch auf Elternrente, können in dieser Weise auf den Fürsorgeträger übergeleitet werden (Urteil des BVerwG vom 3. Juli 1956, NJW 1957, 74). Die Überleitung ist für die Zukunft möglich, wenn der Fürsorgeträger in dem Zeitpunkt, in dem seine Anzeige bei dem Dritten eingeht, Unterstützung leistet (Urteil des BGH vom 29. Februar 1956, NJW 1956, 790). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Als eine Anzeige nach § 21 a FürsPflVO ist das Schreiben der Klägerin vom 11. Dezember 1952 anzusehen, das bei dem VersorgA am 10. Januar 1953 eingegangen ist. In diesem Schreiben ist zwar nicht zum Ausdruck gebracht, daß die Stadt Köln nach § 21 a FürsPflVO Ansprüche überleiten wolle, es ist darin vielmehr auf die §§ 1531 ff RVO und auf die - für § 21 a FürsPflVO nicht erforderliche - ausdrückliche Zustimmung des Unterstützten Bezug genommen. Gleichwohl genügt dieses Schreiben den Erfordernissen, die an eine Überleitungsanzeige nach § 21 a FürsPflVO zu stellen sind, denn die Klägerin hat damit jedenfalls schriftlich mitgeteilt, daß sie die Elternrente des Wilhelm Sch als Ersatz ihrer Aufwendungen in Höhe von monatlich 120,- DM beanspruche. Durch die Anzeige nach § 21 a FürsPflVO geht der Anspruch des Fürsorgeempfängers gegen den Dritten in dem Umfang auf die Fürsorgebehörde über, in dem er im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige besteht, er geht "zum Ersatz" über, d.h. insoweit, als der Fürsorgeträger Fürsorgeleistungen im Sinne des § 21 a FürsPflVO erbracht hat. Wie jede künftige Forderung, sofern sie schon genügend bestimmt oder doch bestimmbar ist, nach § 21 a FürsPflVO mit der Wirkung übergeleitet werden kann, daß mit der Entstehung der Forderung deren Übergang sich ohne weiteres vollzieht (BGH NJW 1956, 790), ist auch die Überleitung des Anspruchs auf Elternrente nach dem BVG jedenfalls dann möglich, wenn der Anspruch zwar noch nicht festgestellt ist, der Versorgungsberechtigte aber die Feststellung beantragt hat.
In einem solchen Falle ist der "übergeleitete" Anspruch zunächst noch in der Schwebe; die Überleitung nach § 21 a FürsPflVO ist nämlich eine gesetzliche Abtretung, sie hat auch die rechtliche Wirkung einer Abtretung (vgl. auch BVerwG NJW 1957, 74; BGH NJW 1956, 790); Gegenstand der Überleitung nach § 21 a FürsPflVO ebenso wie einer Abtretung können grundsätzlich auch künftige, bedingte, "ungewisse" oder "streitbefangene" Forderungen sein. Zwar ist die Übertragung von Versorgungsbezügen grundsätzlich ausgeschlossen (§ 67 Abs. 1 BVG), doch läßt das Gesetz hiervon Ausnahmen zu; eine dieser Ausnahmen ergibt sich aus § 21 a FürsPflVO (§ 67 Abs. 2 Nr. 4 BVG, vgl. auch Erlaß des BMA vom 4. Juni 1955, BVBl 1955, 120). Wenn aber das Gesetz die Übertragung von Ansprüchen auf Versorgungsbezüge zuläßt, ist es nur folgerichtig, daß insoweit auch die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Übertragung von Forderungen Anwendung finden (vgl. BSG 11, 60). Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß die Klägerin mit der Überleitung der Forderung die volle Gläubigerstellung erworben hat einschließlich des Rechts, die Forderung im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Es handelt sich hier nicht darum, daß die Klägerin als Sachverwalter eines Dritten oder der Allgemeinheit auftritt, es handelt sich auch nicht darum, daß die Klägerin das "Feststellungsverfahren auf Leistungen aus dem Versorgungsverhältnis an den Versorgungsberechtigten betreibt", wie dies in der Sozialversicherung (§ 1538 RVO) - neben der Geltendmachung eines eigenen Ersatzanspruchs (§ 1531 ff RVO) - möglich ist (vgl. hierzu auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III S. 792 d-f). Der Fürsorgeträger kann vielmehr den auf ihn übergegangenen Anspruch ebenso geltend machen wie ein Zessionar im Falle eines vertraglichen Forderungsüberganges (Abtretung). Allerdings muß er sich dabei die Einwendungen entgegenhalten lassen, die gegen den bisherigen Gläubiger möglich gewesen sind (§§ 412, 404 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Die Klägerin muß sich also unter Umständen entgegenhalten lassen, der Unterstützte habe nur noch bis Ende Oktober 1952 Anspruch auf Elternrente, weil sein noch lebender Sohn ihn nunmehr unterstützen könne. Darüber hinaus muß die Klägerin, da der Anspruch des Versorgungsberechtigten auf sie übergegangen ist, in Kauf nehmen, daß dieser Anspruch geringer wird oder ganz wegfällt, wenn die Voraussetzungen in der Person des Versorgungsberechtigten (wie zB die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei der Beschädigtenrente oder - wie hier - die Bedürftigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Elternrente) sich ändern. Zur Klärung der Frage, ob eine Änderung in den Anspruchsvoraussetzungen eingetreten ist, kann die Klägerin als neuer Gläubiger des Anspruchs auf Versorgungsbezüge auch Rechtsbehelfe einlegen.
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß die Klägerin befugt gewesen ist, Klage vor dem SG zu erheben. Zwar hat der Beklagte dem Wilhelm Sch am 25. September 1952 einen Bescheid erteilt, in dem er die Weitergewährung der Elternrente abgelehnt hat; dieser Verwaltungsakt ist aber in dem Zeitpunkt, in dem die Klägerin auf Grund ihrer Überleitungsanzeige Gläubigerin des Anspruchs auf Versorgungsbezüge geworden ist (10. Januar 1953), noch nicht bindend gewesen. Der Einspruch des Wilhelm Sch gegen den Bescheid vom 25. September 1952 war damals noch nicht zurückgewiesen. Die Klägerin hat deshalb auch ihrerseits die Aufhebung des Bescheides vom 25. September 1952 begehren können; sie ist durch das Bestehen dieses Bescheids und durch die Gefahr des Eintritts der Bindung aller Beteiligten an diesen Bescheid (§ 77 SGG) jedenfalls vom 10. Januar 1953 an in ihren eigenen Rechten betroffen und beschwert gewesen; auch wer nicht Adressat eines Bescheids ist, kann dadurch betroffen und in seinen Rechten verletzt sein (vgl. Haueisen, Die Ortskrankenkasse, 1955, 8 ff; Schunck-de Clerck, VwGO, Komm., 1961, 188; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1960, 106, sowie die Urteile des BVerwG vom 12. April 1956, BVerwGE 3, 237 ff und vom 28. Januar 1959, DVBl 1959, 396 ff). Mit Recht hat deshalb der Beklagte am 17. April 1953 über den Einspruch der Klägerin entschieden; zu Unrecht hat er allerdings diesen Einspruch als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat als neuer Gläubiger begehren können, daß der Beklagte die Elternrente des Wilhelm Sch an sie zahle. Wenn der Beklagte am 17. April 1953 auch über den Einspruch des Wilhelm Sch entschieden hat, so hat dadurch die Rechtsstellung der Klägerin nicht beeinträchtigt werden können; Wilhelm Sch ist insoweit, als sein Anspruch auf Elternrente auf die Klägerin übergegangen ist, nicht mehr berechtigt gewesen (BGH aaO).
SG und LSG haben es hiernach zu Unrecht unterlassen, zu entscheiden, ob der auf die Klägerin übergegangene Anspruch aus dem Versorgungsrechtsverhältnis begründet ist. Das Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen