Leitsatz (amtlich)
Die Beitragserstattung nach RVO § 1303 ist eine einmalige Leistung iS des Abk Türkei SozSich Art 53 vom 1964-04-30; für sie gilt das Abkommen nicht.
Leitsatz (redaktionell)
Ein türkischer Staatsangehöriger, der in der Bundesrepublik 17 Monate versicherungspflichtig beschäftigt war und danach in seine Heimat zurückgekehrt ist, kann die 1968 beantragte Erstattung der in der Bundesrepublik entrichteten Rentenversicherungsbeiträge (Arbeitnehmeranteile) verlangen.
Normenkette
RVO § 1303 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; SozSichAbk TUR Art. 53 S. 2 Fassung: 1964-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf Beitragserstattung zusteht.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Vor dem 15. August 1966 war er in der Bundesrepublik Deutschland 17 Monate versicherungspflichtig beschäftigt. Danach kehrte er in die Türkei zurück. Er unterliegt weder der Versicherungspflicht, noch hat er sich freiwillig weiterversichert.
Seinen Antrag auf Beitragserstattung, bei der Beklagten eingegangen am 16. Dezember 1968, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 28. Januar 1969). Die vom Kläger in Deutschland und der Türkei zurückgelegten Versicherungszeiten seien - so führte sie aus - nach Art. 30 Nr. 8 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 - Abk - (BGBl 1965 II, 1170) zusammenzurechnen. Danach habe der Kläger eine Versicherungszeit von 61 Monaten aufzuweisen. Er erfülle die Voraussetzungen für die freiwillige Weiterversicherung nach deutschem Recht, so daß die erstrebte Beitragserstattung entfalle.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Düsseldorf vom 12. November 1970, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 1972). - In den Gründen seiner Entscheidung hat das LSG die Auffassung vertreten, als einmalige Leistungen unterlägen Beitragserstattungen nicht den Zusammenrechnungsvorschriften des Abk (Art. 53 S. 2); der Kläger könne sich nicht in der Bundesrepublik Deutschland freiwillig weiterversichern, so daß - weil die gesetzlichen Voraussetzungen im übrigen erfüllt seien - seinem Antrag auf Beitragserstattung stattgegeben werden müsse.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 1303 Abs. 1, 1233 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF sowie der Art. 26, 30 Nr. 8 und 38 des Abk durch das Berufungsgericht. Sie ist der Meinung, Art. 53 S. 2 des Abk enthalte ausschließlich eine Übergangsregelung, der keine aktuelle Bedeutung beizumessen sei. Wende man das Abk nicht auf Beitragserstattungen an, so könnte bereits entstandenen Berechtigungen die Grundlage entzogen werden. Auch eine Versicherungsberechtigung in der Türkei sei im Rahmen des § 1303 Abs. 1 RVO aF zu beachten. Art. 26 des Abk - danach ist für die freiwillige Weiterversicherung das Recht des Vertragsstaats maßgebend, in dessen Gebiet sich der Versicherte gewöhnlich aufhält - regle nur, welcher Träger freiwillige Beiträge entgegenzunehmen habe. Die sachlichen Voraussetzungen des § 1303 Abs. 1 RVO aF seien unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherten maßgebend. Zu berücksichtigen seien alle Beschäftigungen und Tätigkeiten, die - im Geltungsbereich der RVO ausgeübt - die Versicherungspflicht begründet hätten. Auch denjenigen Versicherten stehe kein Erstattungsanspruch zu, die unter Berücksichtigung des Art. 30 Nr. 8 des Abk zur Weiterversicherung nach § 1233 Abs. 1 RVO aF berechtigt seien, von diesem Recht aber wegen ihres gewöhnlichen Aufenthalts in der Türkei keinen Gebrauch machen könnten.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 1972 und des SG Düsseldorf vom 12. November 1970 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 28. Januar 1969 abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Der Kläger kann von der Beklagten die Erstattung der in der Bundesrepublik Deutschland entrichteten Beiträge (Arbeitnehmeranteile) verlangen (§ 1303 Abs. 1 RVO). Die Versicherungspflicht des Klägers ist in allen Zweigen der Rentenversicherung entfallen. Die zweijährige Wartefrist ist gewahrt. Ein Recht zur freiwilligen Weiterversicherung bestand zur Zeit der Antragstellung - 16. Dezember 1968 - nicht. Der Zeitpunkt der Antragstellung bestimmt bei Ansprüchen auf Beitragserstattung die maßgebliche Sach- und Rechtslage (BSG in SozR Nr. 15 zu § 1303 RVO). Deshalb ist es für die Entscheidung unerheblich, daß die Weiterversicherung nach § 1233 Abs. 1 RVO i. d. F. des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 - RRG - (BGBl I, 1965) nicht mehr von einer Vorversicherungszeit abhängig ist. Diese Regelung ist erst am 19. Oktober 1972 in Kraft getreten (Art. 6 § 8 Abs. 2 RRG). Bis dahin konnten sich nicht versicherungspflichtige Personen freiwillig weiterversichern, wenn sie innerhalb von 10 Jahren während mindestens 60 Kalendermonaten Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet hatten (§ 1233 Abs. 1 Satz 1 RVO aF). Der Kläger hat jedoch nur 17 Beitragsmonate aufzuweisen. Ob er die Voraussetzungen für die freiwillige Weiterversicherung erfüllt hätte, wenn die in der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei zurückgelegten Versicherungszeiten zusammenzurechnen wären (Art. 30 Nr. 8 des Abk), kann offen bleiben. Das Abk ist nämlich nicht heranzuziehen, um einmalige Leistungen zu begründen (Art. 53 Satz 2 des Abk).
Beitragserstattungen sind "einmalige Leistungen" im Sinne des Art. 53 Satz 2 des Abk. Allerdings enthalten die Begriffsbestimmungen des Art. 1 des Abk keine Aussage darüber, was als einmalige Leistung i. S. des Abk anzusehen ist. Dies deutet darauf hin, daß sich die Vertragsparteien den allgemeinen Sprachgebrauch zu eigen machen wollten. Da Beitragserstattungen nicht wiederkehrend, sondern einmalig gezahlt werden, liegt es nahe, sie dem Sprachsinn entsprechend einmaligen Leistungen zuzuordnen. In anderem Zusammenhang hat das Bundessozialgericht (BSG) dies bereits ausgesprochen, und zwar auch für zwischenstaatliche Abkommen (BSG 10, 186; BSG in SozR Nr. 9 zu § 74 G 131 und Nr. 12 zu § 1303 RVO). Unter diesen Umständen bedürfte es gewichtiger Argumente, wenn der Begriff hier abweichend vom Sprachgebrauch zu verstehen wäre. Dies gilt um so mehr, als nach völkerrechtlicher Praxis bei der Auslegung zwischenstaatlicher Abkommen dem Vertragstext im allgemeinen eine größere Bedeutung beizumessen ist als dem Wortlaut des Gesetzes bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts. Die Grenzen der Auslegung sind damit eng gezogen. Dies hat das BSG schon wiederholt ausgesprochen (vgl. SozR Nr. 1 zu Art. 22 Abk Spanien SozSich; SozR Nr. 30 zu § 1244 a RVO). Der vorliegende Rechtsstreit gibt keinen Anlaß zu einer anderen Betrachtungsweise. Dies bedeutet nicht, daß andere Auslegungskriterien neben dem Vertragstext unbeachtet zu bleiben hätten. Auf solche Kriterien weist die Revision hin, sie vermögen jedoch nicht zu überzeugen.
Die Beklagte meint, die systematische Stellung und der Sinnzusammenhang des Art. 53 Satz 2 des Abk schlössen seine Anwendung in dem vorliegenden Fall aus. Art. 53 Satz 2 ist dem VII. Abschnitt des Abk "Verschiedene Bestimmungen" eingegliedert. Der Abschnitt enthält nicht nur - wie die Beklagte annimmt - Übergangs- und Schlußvorschriften. Vielmehr weist er eine Reihe von Vereinbarungen auf, die die Rechtsstellung des Versicherten grundlegend bestimmen. Dies ergibt sich aus den folgenden Beispielen: Art. 35 schränkt den Grundsatz der Gleichstellung von Staatsangehörigen beider Vertragsstaaten ein, Art. 39 berücksichtigt die Angehörigen Versicherter bei Geldleistungen, Art. 42 regelt den Transfer von Geldleistungen, Art. 50 den Übergang von Schadensersatzansprüchen, Art. 52 die Befugnis zur Fortsetzung einer freiwilligen Versicherung. Art. 53 des Abk mag zwar auf den ersten Blick den Eindruck einer Übergangs- und Schlußvorschrift erwecken, weil er auch den Umfang der Rückwirkung des Abkommens regelt. Der Umstand, daß Satz 2 eine Aussage über die zeitliche und sachliche Geltung des Abk enthält, läßt jedoch keinen zwingenden Schluß auf eine vom üblichen Sprachgebrauch abweichende Auslegung des Begriffs "einmalige Leistungen" zu. - Auch der Sinnzusammenhang der einzelnen Vereinbarungen zwingt zu keinem anderen Ergebnis. Die Beklagte meint zwar, die Zusammenrechnung von Zeiten zur Feststellung der Voraussetzungen der freiwilligen Weiterversicherung und der Ausschluß der Zusammenrechnung bei der Beitragserstattung könnten zu Ungereimtheiten führen. Ein Versicherter könnte z. B. nach Art. 26, 31 Nr. 4 des Abk mit Hilfe deutscher Zeiten von dem Recht zur freiwilligen Weiterversicherung in der Türkei Gebrauch machen und sich anschließend die in der Bundesrepublik Deutschland entrichteten Beiträge erstatten lassen. Dieses Vorgehen entspräche indessen nicht dem wohlverstandenen Interesse des Versicherten selbst. Versichert er sich nämlich freiwillig weiter, so muß er an einer möglichst langen Versicherungsdauer interessiert sein. Dem diente eine Beitragserstattung gerade nicht. Im übrigen würde man einer unzulässigen Rechtsausübung eines Versicherten durch Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze entgegentreten können.
Wenn die Revision ferner meint, wegen der Verweisung in der Vorschrift über die Beitragserstattung auf die Voraussetzungen der freiwilligen Weiterversicherung sei ohnehin über Art. 26, 30 Nrn 8 und 9 des Abk die Zusammenrechnungsvorschrift zu beachten, verkennt sie die Tragweite des Art. 53 Satz 2 des Abk. Aus dieser Bestimmung ergibt sich gerade, daß zur Erfüllung der Versicherungszeit nach § 1233 Abs. 1 Satz 1 RVO aF eine Zusammenrechnung nicht erfolgt, soweit diese Vorschrift zur Feststellung der Voraussetzungen von Beitragserstattungen heranzuziehen ist. Vielmehr ist jeweils zu unterscheiden, ob § 1233 Abs. 1 Satz 1 RVO aF bei einem Antrag auf freiwillige Weiterversicherung oder - wie hier - bei einem Antrag auf Beitragserstattung anzuwenden ist.
Zusatzvereinbarung, Denkschrift und Schrifttum zum Abk weisen keine Gesichtspunkte zur Erläuterung der Ausschlußklausel auf. Auch andere Abkommen über Soziale Sicherheit lassen - soweit erkennbar - keine zwingenden Rückschlüsse auf den Zweck des Art. 53 Satz 2 des Abk zu. Es finden sich unterschiedliche Regelungen. Nach Art. 3 Abs. 4 des deutsch-dänischen Abkommens über Soziale Sicherheit gilt bei einmaligen Leistungen der Aufenthalt im Gebiet des anderen Vertragsstaates nicht als Auslandsaufenthalt. Das deutsch-britische Abkommen bezieht mit seiner Bestimmung des Begriffs "Leistung" (Art. 1 Nr. 13) einmalige Leistungen ausdrücklich in die Vereinbarung ein. Nach diesen Abkommen sind die in beiden Vertragsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten gegebenenfalls auch zur Feststellung der Voraussetzungen von Beitragserstattungen oder anderen einmaligen Leistungen zusammenzurechnen. Dagegen enthält das deutsch-portugiesische Abkommen in seinem Art. 43 eine mit Art. 53 Satz 2 des Abk wörtlich übereinstimmende Ausschlußklausel. Die Gründe für die unterschiedlichen Regelungen in solchen Abkommen sind hier nicht näher zu verfolgen.
Es mag sein, daß Angehörigen von - im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland - ungünstig gelegenen Staaten in größerem Umfang als sonst üblich (vgl. Dänemark; Großbritannien) die Entscheidung darüber überlassen bleiben soll, ob sie das Rechtsverhältnis zu einem deutschen Versicherungsträger aufrechterhalten oder durch Beitragserstattung beenden. Es mag auch sein, daß die Vertragsstaaten jeweils unterschiedlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten in einem der beteiligten Staaten oder Besonderheiten seines Systems der Sozialen Sicherheit Rechnung tragen wollten. Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung der Ausschlußklausel sind daraus nicht herzuleiten. Die wortgetreue Auslegung des Art. 53 Satz 2 des Abk findet vielmehr in Art. 23 Abs. 4 der Zusatzvereinbarung zum deutsch-portugiesischen Abkommen eine Stütze. Danach gelten die Bestimmungen über die Antragstellung für Anträge auf Beitragserstattung entsprechend. Einer solchen ausdrücklichen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn Beitragserstattungen ohnehin dem Abkommen unterlägen. Sie belegt, daß die Vertragsparteien davon ausgegangen sind, das Abkommen und auch die Zusatzvereinbarung seien - ohne ausdrückliche Regelung - auf Beitragserstattungen nicht anwendbar. Eine davon abweichende Willensbildung der vertragsschließenden Staaten beim Abschluß des deutsch-türkischen Abkommens wird man nicht unterstellen können.
Nach alledem gilt das Abk wegen der Ausschlußklausel des Art. 53 Satz 2 nicht für den vom Kläger verfolgten Anspruch. Das LSG hat die Beklagte zu Recht zur Beitragserstattung verurteilt, ihre Revision muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1455778 |
BSGE, 125 |