Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen Entstehung und Verschlimmerung eines anlagebedingten Leidens. "ruhende Anlage" oder "krankhaftes Geschehen". Anwendung der Kausalitätsnorm
Leitsatz (amtlich)
Beruht ein Leiden auf einer Anlage, die bisher kein krankhaftes Geschehen hervorgerufen hatte ("ruhende Anlage"), und wird das krankhafte Geschehen erst durch den schädigenden Vorgang iS des BVG § 1 "zum Ausbruch gebracht", so stehen als Bedingungen sowohl die Anlage als auch der schädigende Vorgang nebeneinander. Sind beide Bedingungen annähernd "gleichwertig" iS der Kausalitätsnorm, so muß das Leiden als durch den Wehrdienst hervorgerufen und demnach iS der Entstehung anerkannt werden.
Hatten sich aufgrund der Anlage krankhafte körperliche oder psychische Veränderungen bereits entwickelt, auch ohne daß sie sofort bemerkt oder bemerkbar geworden waren, so handelt es sich versorgungsrechtlich um eine Verschlimmerung, wenn der schädigende Vorgang entweder den Zeitpunkt vorverlegt hat, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das Leiden schwerer auftreten ließ, als es sonst zu erwarten gewesen wäre (Bestätigung von BSG 1961-12-14 11 RV 40/60 = KOV 1962, 90).
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1, 3
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 1973 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Bei dem Kläger ist durch Bescheid vom 18. Mai 1954 u. a. ein "Asthma bronchiale" als Schädigungsfolge i. S. der Verschlimmerung anerkannt worden. Er bezieht seither eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H.. Ein im August 1965 gestellter Verschlimmerungsantrag wurde nach Einholung eines Gutachtens von Chefarzt Dr. D Dr. ... (Asthma-Krankenhaus in Mönchengladbach) durch Bescheid vom 13. Juli 1967/Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 1967 abgelehnt. Die medizinischen Sachverständigen kamen zu dem Ergebnis, der Kläger leide an einem echten allergischen Bronchialasthma; bereits vor seiner Einberufung zum Wehrdienst habe eine unterschwellige Sensibilisierung durch ubiquitäre Umweltallergene bestanden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) am 7. Juni 1968 nahm der Kläger die Klage zurück und beantragte nunmehr, sein Asthma bronchiale als Schädigungsfolge i. S. der Entstehung anzuerkennen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 6. Juli 1968/Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 1968 ab.
Das SG hat ein Gutachten von Dr. K vom 14. Juli 1969 nebst Ergänzung vom 17. November 1969 - Sensibilisierungsvorgänge sind keine Krankheit - und ein Gutachten von Prof. Dr. H Dr. B vom 2. November 1970 - Sensibilisierung schon vor dem Kriegsdienst; abgrenzbare Verschlimmerung durch Pneumonie - nebst röntgenologischem Zusatzgutachten von Prof. Dr. T Dr. G eingeholt. Der Beklagte brachte eine lungenfachärztliche Stellungnahme von Dr. O bei. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 19. März 1971 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 25. Juli 1973 zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, eine Unrichtigkeit des Erstanerkennungsbescheides vom 18. Mai 1954 könne nicht festgestellt werden. In Übereinstimmung mit den medizinischen Sachverständigen Dr. D und Prof. Dr. H sei der Senat davon ausgegangen, daß es sich beim Kläger wahrscheinlich um ein auf allergischer Grundlage entstandenes Asthma bronchiale handele. Wann ein Leiden als durch eine Schädigung entstanden oder nur als verschlimmert anzusehen sei, sei nach Auffassung des LSG durch die Rechtsprechung noch nicht für alle Fälle geklärt. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Urteil vom 13. Mai 1964 (SozR BVG Nr. 70 zu § 1) ausgeführt, für die Unterscheidung sei allein maßgeblich, ob zur Zeit des schädigenden Ereignisses i. S. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) schon Anzeichen des Leidens vorhanden waren oder nicht. Diese Auffassung gehe also davon aus, daß der Zeitpunkt der Manifestation entscheidend sei. Demgegenüber werde in den Anhaltspunkten für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen (Ausgabe 1973) zum versorgungsrechtlich relevanten Leiden ausgeführt, hierunter falle jedes pathologische Geschehen, auch wenn es noch nicht bemerkt worden oder bemerkbar geworden sei. Hiernach werde also weniger auf den Zeitpunkt der ersten Anzeichen als auf die Genese des Leidens und die Bedeutung des schädigenden Ereignisses gerade für die zur beurteilende Art Leiden abgestellt. Diese unterschiedlichen Ansatzpunkte dürften auch dem Meinungsstreit der in dieser Sache zur Frage der Entstehung oder der Verschlimmerung gehörten Ärzte zugrunde liegen, allerdings eingekleidet in einen Streit über die Frage, ob die Sensibilisierung gegen Hausstaub bereits eine Krankheit sei oder nicht. Der Sachverständige Dr. K halte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG den Zeitpunkt der Manifestation für entscheidend.
Demgegenüber hätten Dr. D und Prof. Dr. H mehr auf das Gewicht der einzelnen ursächlich gewordenen Faktoren abgestellt. Der Senat halte diese letztere Betrachtungsweise im vorliegenden Fall für zutreffend, jedenfalls aber für vertretbar. Sie werde versorgungsrechtlich der Bedeutung der Differenzierung zwischen Entstehung und Verschlimmerung bei Leiden wie einem Asthma bronchiale am ehesten gerecht. Der Begriff der Verschlimmerung sei auch dann anzuwenden, wenn zwar das Leiden vor dem schädigenden Ereignis noch nicht bemerkbar geworden sei, wenn aber das schädigende Ereignis lediglich für den ersten akuten Schub, für die vorzeitige Auslösung eines sich aus innerer Ursache entwickelnden Leidens oder wegen der im Verlaufe des Leidens überwiegende Bedeutung gewinnenden schädigungsunabhängigen Faktoren nur für einen Teil der Gesamt-MdE gerechterweise verantwortlich gemacht werden könne. Die Ansicht des Beklagten, eine vordienstliche Sensibilisierung und nichtwehrdiensteigentümliche Allergene seien die eigentlichen bestimmenden Faktoren im Verlauf der Krankheit, sei nicht zu widerlegen. Der Hinweis des Klägers auf seine körperliche Leistungsfähigkeit bis in die Kriegsgefangenschaft hinein vermöge diese Beurteilung nicht zu entkräften. Es könne deshalb nicht als fehlerhaft angesehen werden, wenn Versorgung nur entsprechend dem Gewicht gewährt werde, das der Schädigung i. S. des BVG auf die Dauer gegenüber den anderen Faktoren zukomme, und wenn aus diesem Grunde von einem durch die Schädigung lediglich verschlimmerten Leiden gesprochen werde.
Der Kläger hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt.
Er beantragt,
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1. |
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unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 1973 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19. März 1971 sowie der Bescheide des Beklagten vom 6. Juli 1968 und 13. Dezember 1968 den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger nach der Rechtsauffassung des erkennenden Senats einen neuen Bescheid zu erteilen und das Asthma bronchiale als Schädigungsfolge i. S. der Entstehung anzuerkennen; |
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2. |
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den Beklagten ferner zu verurteilen, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Klage-, Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten. |
In seiner Revisionsbegründung rügt der Kläger eine unzutreffende Anwendung materiell-rechtlicher Vorschriften, insbesondere eine Verletzung der §§ 1 BVG, 40 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG). Er trägt dazu vor, entgegen der Auffassung des LSG sei das Rechtsproblem, welche Merkmale die Anerkennung einer Schädigungsfolge i. S. der Entstehung im Unterschied zu der i. S. der Verschlimmerung voraussetze, schon seit längerer Zeit durch die höchstrichterliche Rechtsprechung eindeutig geklärt. Entscheidend sei allein der Zeitpunkt der Manifestation des Leidens, der sowohl dem Gesetz der Logik als auch dem allgemeinen Sprachverständnis Rechnung trage, denn verschlimmern könne sich nur etwas, das schon vorhanden gewesen sei. Im vorliegenden Falle müsse daher das beim Kläger bestehende Asthma bronchiale als Schädigungsfolge i. S. der Entstehung anerkannt werden, weil die zweifellos auf einer "Anlage" beruhende persönliche Empfänglichkeit des Klägers für Asthma bronchiale vor dem schädigenden Ereignis - der in der Kriegsgefangenschaft durchgemachten hochfieberhaften Lungenentzündung - noch nicht in Erscheinung getreten sei und erst die mit dieser schweren Erkrankung verbundenen Einwirkungen auf den gesamten Körper des Klägers das Asthma bronchiale zum Ausbruch gebracht hätten. Medizinisch fehle praktisch jede Beweismöglichkeit für die Behauptung, daß die konstitutionsbedingte Anlage auch ohne die Einwirkung des wehrdienstbedingten schädigenden Ereignisses späterhin ohnedies zu einer Erkrankung geführt hätte, denn von Alters- und Verschleißerscheinungen abgesehen seien die üblichen Krankheitsanlagen kein unabwendbares Schicksal. Damit komme der in der Kriegsgefangenschaft abgelaufenen Lungenentzündung neben der Asthmaanlage eine gleichwertige Bedingung für den eingetretenen Erfolg zu; als solche sei sie gleichzeitig Ursache im Rechtssinne für die Entstehung des Leidens. Unter diesen rechtlichen Voraussetzungen hätte das LSG die Unrichtigkeit des Erstfeststellungsbescheides vom 18. Mai 1954 erkennen und die angefochtenen Bescheide aufheben müssen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er meint, bei dem Asthma bronchiale handele es sich um ein sog. Anlageleiden. Solche Leiden könnten dann als durch einen schädigenden Vorgang i. S. des BVG entstanden anerkannt werden, wenn vor dessen Einwirkung lediglich eine "ruhende Anlage" bestanden habe. Habe dagegen bereits ein krankhaftes Geschehen vorgelegen, dann könne nur die Anerkennung einer schädigungsbedingten Verschlimmerung in Betracht kommen. Die dem Asthma bronchiale zugrunde liegende Sensibilisierung sei bereits ein krankhaftes Geschehen. Das LSG habe hierzu allerdings keine Feststellungen getroffen und diese Frage bewußt unbeantwortet gelassen.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Revision ist von dem Kläger frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Die Revision ist auch insoweit begründet, als sie zur Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG führt.
Das LSG hat die Revision offenbar deshalb zugelassen, weil es der Auffassung gewesen ist, daß die Frage, wann ein Leiden als durch eine Schädigung entstanden oder nur als verschlimmert anzusehen ist, durch die Rechtsprechung - des BSG - noch nicht "für alle Fälle" geklärt ist. Diese Formulierung könnte darauf hindeuten, daß das Berufungsgericht eine "Klärung" durch das BSG auch in den Fällen erwartet, in denen lediglich über Fragen tatsächlicher Art - dazu gehören auch medizinisch-naturwissenschaftliche Probleme - gestritten wird (vgl. auch Bl. 10 oben des Urteils). Das bloße Ungeklärtsein von Tatsachen ist aber kein Grund, die Revision zuzulassen (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 109 und 138 zu § 162), denn nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder wenn das LSG von einer Entscheidung des BSG - in einer Rechtsfrage - abweicht. Die weiteren Ausführungen des LSG lassen allerdings erkennen, daß es eine Abweichung von der Rechtsauffassung des BSG angenommen hat. Damit aber ist die Zulassung der Revision rechtswirksam, denn an die Entscheidung, daß die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen wird, ist das BSG jedenfalls dann gebunden, wenn diese Entscheidung nicht offensichtlich unbegründet ist (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 83 und 109 zu § 162).
Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 6. Juli 1968 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 1968) um die Ablehnung der Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG handelt (sog. "negativer" Zugunstenbescheid); denn der Kläger hatte die Überprüfung des - bindend gewordenen - Bescheides vom 18. Mai 1954 begehrt, durch den ein Asthma bronchiale nur i. S. der Verschlimmerung, nicht aber i.S. der Entstehung als Schädigungsfolge anerkannt worden war. Bei einem Bescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG wird zwar üblicherweise schlechthin von einer Ermessensentscheidung gesprochen, jedoch beruht die Regelung, welche die Verwaltungsbehörde bei einer solchen Entscheidung trifft oder zu treffen hat, nicht ausschließlich auf ihrem Ermessen. Vielmehr ist im gerichtlichen Verfahren bei der Nachprüfung solcher "Ermessensentscheidungen" das Vorliegen der Voraussetzungen für das Ermessenshandeln der Verwaltung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht in gleicher Weise zu überprüfen, wie sonst bei anderen Vorschriften das Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen auch (vgl. Urteil des erkennenden Senats in BSG 29, 278, 282 mit weiteren Hinweisen). Das LSG hat daher im vorliegenden Fall prüfen müssen, ob die frühere Entscheidung tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen ist (s. zur Ergänzung dieses "ungeschriebenen" Tatbestandsmerkmals in § 40 Abs. 1 VerwVG: BSG aaO). Dieser Verpflichtung ist das LSG nicht in vollem Umfang gerecht geworden.
Die Auffassung des LSG, daß die Frage, wann ein Leiden als durch eine Schädigung entstanden oder nur als verschlimmert anzusehen ist, durch die Rechtsprechung des BSG noch nicht hinreichend geklärt sei, trifft hinsichtlich der Beurteilung der dabei maßgebenden Rechtsfragen nicht zu (vgl. auch Wilke in KOV 1960, 81). Das BSG hat in wiederholten Entscheidungen die rechtlichen Abgrenzungskriterien zwischen Entstehung und Verschlimmerung abgesteckt und dabei auch aufgezeigt, daß es eine Verschlimmerung im Rechtssinne in den früher angenommenen vielfältigen Formen (zB einmalige, abgrenzbare, vorübergehende, richtunggebende) im Versorgungsrecht nicht gibt (vgl. BSG 11, 161, 163). Offengeblieben ist lediglich die Frage, wann nun im Einzelfall ein Leiden i.S. der Entstehung oder i. S. der Verschlimmerung als Versorgungsleiden anzuerkennen ist. Diese Frage muß revisionsrechtlich auch offenbleiben, weil es sich insoweit um eine reine Tatsachenfeststellung handelt (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 109 zu § 162), die in den alleinigen Zuständigkeitsbereich des Berufungsgerichts fällt (vgl. §§ 128, 163 SGG) und die von der Natur des Leidens, den Umständen des Einzelfalles und den medizinischen Beurteilungen, aber auch von der Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht abhängt. Nach § 1 BVG erhält derjenige, der durch den Wehrdienst eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in dem durch das Gesetz bestimmten Umfang. Die Versorgung nach dem BVG setzt demnach voraus, daß zwischen dem versorgungsrechtlich bedeutsamen Ereignis und der gesundheitlichen Schädigung ("durch") sowie zwischen dieser und deren Folgen ("wegen") ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl. BSG 7, 180). Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Schädigung und den Schädigungsfolgen umfaßt die Entstehung oder die Verschlimmerung einer Gesundheitsstörung durch ein schädigendes Ereignis (vgl. BSG 6, 87; 11, 161). Daher ist bei der Entscheidung über einen Versorgungsanspruch stets auch festzustellen, ob die anerkannten Schädigungsfolgen durch den Wehrdienst "hervorgerufen" oder nur "verschlimmert" worden sind. - Die ursprüngliche Auffassung der preußischen Militärverwaltung, wonach in den Fällen, in denen sich ein schon vor der Einberufung zum Militärdienst vorhanden gewesenes Leiden durch dienstliche Einflüsse verschlimmert hat, stets die Gesamteinwirkung des Leidens als Versorgungsgrund zu betrachten und dementsprechend die Militärrente nach dem Gesamtzustand festzusetzen sei, hat das Reichsversorgungsgericht (RVG) schon sehr frühzeitig aufgegeben und als nicht vereinbar mit dem Gesetz bezeichnet (vgl. GE vom 24. November 1920 in RVG 1 S. 194). - Bei der notwendigen Abgrenzung zwischen Entstehung und Verschlimmerung eines Leidens handelt es sich um die Subsumtion tatsächlicher Feststellungen unter die Tatbestandsmerkmale des Versorgungsanspruchs unter Beachtung der Kausalitätsnorm und um die Abgrenzung der Folgen verschiedener Kausalreihen (vgl. BSG 11, 161, 163).
Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 27. Dezember 1957 (10 RV 925/55) ausgesprochen, daß für die Unterscheidung eines Leidens nach dem Gesichtspunkt der Entstehung oder Verschlimmerung lediglich die Tatsache maßgebend sei, ob zur Zeit des schädigenden Ereignisses i. S. des BVG bereits Anzeichen des Leidens vorhanden waren oder nicht (vgl. auch BSG 21, 75, 77). Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung vom 9. Dezember 1959 (10 RV 591/56; ausführlich zitiert von Wilke in KOV 1960, 81) vertieft und speziell für anlagebedingte Leiden (dort: Krampfaderleiden) ausgesprochen, daß derartige Leiden sich grundsätzlich nach eigener Gesetzlichkeit entwickelten und in typischer Weise verliefen. Ein solches Leiden könne zwar von außen beeinflußt werden, maßgebend bleibe aber diese Anlage, die stetig fortschreitende Veränderungen im Körper hervorrufe, ohne daß diese Veränderungen sofort bemerkt zu werden brauchten (vgl. von Keitz in KOV 1962, 73). Es handele sich dann bereits um ein krankhaftes Geschehen, es sei denn, daß das betreffende Leiden auf einer Anlage beruhe, die ohne eine auslösende Ursache zunächst kein krankhaftes Geschehen im Körper hervorrufe. In Fällen, in denen es sich um keine solche "ruhende" Anlage handele, könne das äußere Ereignis nur den Zeitpunkt vorverlegen, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder es könne das Leiden schwerer auftreten lassen, als sonst zu erwarten gewesen wäre. Insoweit handele es sich nicht um eine Mitursache (für die Entstehung), sondern um eine Verschlimmerung des betreffenden Leidens (vgl. auch Urteile BSG vom 27. März 1958 - 8 RV 427/56 -, vom 3. Juli 1958 - 8 RV 947/57 - und vom 23. Oktober 1958 - 8 RV 683/56 -).
Dieser Auffassung hat sich der damals gleichfalls für Kriegsopfer-Sachen zuständige 11. Senat des BSG angeschlossen und seinerseits ausgesprochen, bei Anwendung der Kausalitätsnorm (vgl. hierzu BSG 1, 150, 156 und insbesondere 1, 268) komme es auf die zeitliche Folge der Bedingungen und ihre Vorhersehbarkeit nicht an (vgl. BSG in SozR BVG Nr. 9 zu § 35). Auch die Bedingungen, die sich aus der physischen und psychischen "Anlage" eines Menschen ergäben, seien wie die sonstigen Bedingungen auf ihre Bedeutung für den "Erfolg", also den Leidenszustand, zu prüfen (vgl. Urteil BSG vom 23. März 1961 - 11 RV 1484/59 -). In diesen Fällen sei zu untersuchen, ob es sich nach der Beurteilung durch die medizinischen Sachverständigen um eine "Anlage" handele, die ohne eine auslösende Ursache zunächst kein krankhaftes Geschehen im Körper hervorrufe ("ruhende Anlage"), oder ob bereits ein krankhaftes physisches oder psychisches Geschehen vorliege, auch ohne daß die physischen oder psychischen Veränderungen bei Eintritt der weiteren "von außen" hinzutretenden Bedingung bereits erkennbar geworden seien (vgl. Urteil BSG vom 9. Dezember 1959, aaO). Nur im zweiten Falle könne es sein, daß das "anlagebedingte" Leiden durch eine von außen hinzukommende weitere Bedingung, etwa die Schädigung, "verschlimmert" worden sei. Wenn es sich dagegen um eine "ruhende Anlage" handele, die nach der Überzeugung der medizinischen Sachverständigen ohne die Schädigung nicht zu einem krankhaften Geschehen geführt haben würde, werde in der Regel der schädigende Vorgang die allein wesentliche Bedingung und damit die Ursache, jedenfalls aber eine Mitursache (für die Entstehung) gewesen sein. In diesem Falle müsse das Leiden deshalb als durch den Wehrdienst hervorgerufen festgestellt (anerkannt) werden (vgl. Urteile BSG vom 23. März 1961, aaO und vom 18. Oktober 1960 - 11 RV 52/60 -). In einer weiteren Entscheidung (vom 14. Dezember 1961 - 11 RV 40/60 -, abgedruckt in KOV 1962, 90) hat der 11. Senat diese Rechtsprechung bestätigt und noch einmal präzisiert: Beruhe das Leiden auf einer "Anlage", die körperliche oder psychische Veränderungen hervorzurufen pflege, und hätten sich solche Veränderungen bereits entwickelt, auch ohne daß sie sofort bemerkbar geworden seien, so handele es sich versorgungsrechtlich um eine Verschlimmerung, wenn die äußere Einwirkung (der schädigende Vorgang im Sinne des § 1 BVG) entweder den Zeitpunkt vorverlegt habe, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das Leiden schwerer auftreten lasse, als es sonst zu erwarten gewesen wäre. Beruhe das Leiden dagegen auf einer "Anlage", die bisher kein krankhaftes Geschehen hervorgerufen habe, und werde das krankhafte Geschehen erst durch einen schädigenden Vorgang i. S. des § 1 BVG "zum Ausbruch gebracht", so ständen als Bedingungen sowohl die Anlage als auch der schädigende Vorgang nebeneinander. In diesem Falle sei versorgungsrechtlich die durch den schädigenden Vorgang gesetzte Bedingung auch dann eine wesentliche Bedingung und damit Ursache im Rechtssinne für die Entstehung, wenn sich Anlage und schädigender Vorgang "gleichwertig" gegenüberstünden; das Leiden müsse dann als durch den Wehrdienst hervorgerufen festgestellt (anerkannt) werden.
In der Folgezeit haben die Kriegsopfer-Senate des BSG an dieser Rechtsprechung festgehalten und sie in weiteren Entscheidungen bestätigt; sie hat sich auch in der Praxis bewährt (vgl. Wilke, aaO). Das LSG hat abweichende Entscheidungen des BSG zu dieser Rechtsfrage auch nicht aufgezeigt. Der Senat vermag - entgegen der Auffassung des LSG - Unstimmigkeiten oder eine unzureichende bzw. unvollständige Abgrenzung zwischen Entstehung und Verschlimmerung eines Leidens in der Rechtsprechung des BSG nicht zu erkennen. Wenn "Unsicherheiten" aufgetreten sind oder auftreten, so liegen sie fast ausschließlich auf naturwissenschaftlich-medizinischem Gebiet, weil die ärztlichen Sachverständigen - ebenso wie in anderen Fällen - keine eindeutige und übereinstimmende Aussage darüber machen können, ob schon ein krankhaftes Geschehen - wenn auch unbemerkt - oder nur eine "ruhende" Anlage vorgelegen hat. An einer übereinstimmenden medizinischen Aussage fehlt es auch im vorliegenden Fall, wie das LSG anhand der Gutachten von Prof. Dr. H Dr. D und Dr. O einerseits und Dr. K andererseits aufgezeigt hat. In einem solchen Falle muß das Gericht sämtliche erhobenen Gutachten in seine Beweiswürdigung einbeziehen und alsdann unter abwägender und sachentsprechender Würdigung des Einzelfalles nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 SGG) entscheiden, welcher der von den medizinischen Sachverständigen vertretenen Auffassung der Vorzug zu geben ist (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl. SozR SGG Nr. 33 zu § 128).
Soweit das LSG auf die "Anhaltspunkt für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen" (Ausgabe 1973) verweist und insoweit von "unterschiedlichen Ansatzpunkten" gegenüber der Rechtsprechung des BSG spricht, vermag der Senat dieser Auffassung nicht zu folgen. In den "Anhaltspunkten" wird unter Leitzahl 2 (Seite 5) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß "der versorgungsrechtliche Ursachenbegriff nicht identisch ist mit dem medizinischen" (durchaus übereinstimmend mit Urteil BSG vom 14. Dezember 1961, aaO). Zur Abgrenzung zwischen "Anerkennung i. S. der Entstehung und Anerkennung i. S. der Verschlimmerung" heißt es in den Anhaltspunkten wörtlich (Leitzahl 8 S. 12): "Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung i. S. der Entstehung setzt voraus, daß zur Zeit der Einwirkung des schädigenden Vorgangs noch kein dieser Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychisches Geschehen vorhanden war. Sofern zur Zeit der Einwirkung des schädigenden Vorganges bereits ein einer Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychisches Geschehen, wenn auch noch nicht bemerkt oder bemerkbar, vorhanden war, kommt nur eine Anerkennung i. S. der Verschlimmerung in Betracht". Wird das Wort "pathologisches" durch das deutsche Wort "krankhaftes" ersetzt, so liegt auch hier keine Abweichung, sondern eine Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG vor.
Die Erwägung des LSG, daß die Unterscheidung zwischen der Entstehung und der Verschlimmerung eines Leidens heute "nur noch" den Sinn habe, von der durch ein Leiden begründeten Gesamterwerbsminderung einen Teil als schädigungsbedingt abzugrenzen, ist gleichfalls nur bedingt richtig und nötigt nicht zu einer Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung. Soweit das LSG auf die Entwicklungsgeschichte dieser "rechtlich zunächst bedeutungslosen Differenzierung" hinweist und in diesem Zusammenhang die GE des RVG vom 24. November 1920 (vgl. RVG 1, 194) erwähnt, scheint das LSG übersehen zu haben, daß das RVG ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die Rechtsübung der früheren Militärverwaltung, die Gesamteinwirkung des Leidens als Versorgungsgrund zu betrachten, darauf basiert habe, daß ursprünglich ausschließlich Dienstunbrauchbarkeit (Dienstunfähigkeit) Voraussetzung der Versorgung gewesen ist (vgl. §§ 2 Abs. 1 und 58 Abs. 1 des Militärpensionsgesetzes vom 27. Juni 1871, RGBl S. 275). Deshalb habe auch kein Anlaß bestanden, den Begriff der Dienstbeschädigung dem Umfang nach zu bestimmen oder gar in ursächliche Beziehung zum Grade der Erwerbsfähigkeit zu setzen. Völlig neu sei indes die Versorgung der Personen der "Unterklassen" nach ihrer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit im bürgerlichen Leben durch das Mannschaftsversorgungsgesetz vom 31. Mai 1906 (RGBl S. 593) geregelt worden (vgl. § 1 Abs. 2 "... oder um wenigstens 10 Prozent gemindert"; § 9 "Teilrente" entsprechend dem Maße der Einbuße der Erwerbsfähigkeit). Das habe dann zur Folge gehabt, daß die Höhe der Entschädigung von den Folgen der Schädigung abhängig gemacht worden sei, wobei als Muster die Unfallversicherung gedient habe. Auch das Reichsversorgungsgesetz (vom 12. Mai 1920, RGBl S. 989) bringe klar zum Ausdruck, daß es die Erwerbsunfähigkeit nur soweit als Versorgungsgrund anerkenne, als sie durch die Dienstbeschädigung verursacht sei (vgl. §§ 24, 27 RVG); das bedeute, daß unter Umständen nur die durch den Militärdienst herbeigeführte Verschlimmerung, nicht aber das Gesamtleiden zu entschädigen sei. Wenn das RVG in dieser Entscheidung weiter darauf hingewiesen hat, daß die tatsächlichen Verhältnisse oft die Feststellung erschweren würden, wieviel Hundertteile von dem bestehenden Grade der Erwerbsunfähigkeit auf Rechnung der durch dienstliche Einflüsse bedingten Verschlimmerung eines Leidens zu setzen seien, so hat es damit vorausschauend und durchaus realistisch die auf tatsächlichem, vor allem medizinischen Gebiet liegenden Schwierigkeiten erkannt, andererseits aber der fortschrittlichen, für den Beschädigten weitaus günstigeren gesetzlichen Neuregelung - weil eine Entschädigung nicht mehr nur bei Dienstunfähigkeit, sondern auch bei einer teilweisen Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit zu gewähren war - Rechnung getragen.
Die grundsätzliche Regelung des RVG über die prozentuale Berentung nach dem Grad der Erwerbsminderung ist nahezu unverändert in das BVG übernommen worden, wie insbesondere § 30 Abs. 1 und §§ 31 und 32 BVG zeigen. Die abgestufte MdE-Bewertung erfordert jeweils eine Feststellung darüber, inwieweit eine bestimmte Gesundheitsstörung auf den Wehrdienst zurückzuführen und daher als Versorgungsgrund anzuerkennen ist. Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 13. Mai 1964 (BSG 21, 75) ausgesprochen, daß auch bei einer später auftretenden Verschlimmerung eines als Schädigungsfolge i. S. der Entstehung anerkannten Leidens stets zu prüfen ist, ob diese Verschlimmerung noch auf eine Schädigung i. S. des § 1 BVG zurückzuführen ist, und daß eine höhere Rente nur dann gewährt werden kann, wenn auch die Verschlimmerung in ursächlichem Zusammenhang mit der Schädigung steht. - Vorsorglich soll deshalb darauf hingewiesen werden, daß der Kläger selbst dann, wenn das Asthma bronchiale entsprechend seinem Antrag als Schädigungsfolge i. S. der Entstehung anerkannt wird, nicht ohne weiteres und ohne Prüfung der Zusammenhangsfrage eine Anerkennung der weiteren Verschlimmerung als schädigungsbedingt und dementsprechend eine höhere Rente beanspruchen kann. - Andererseits sind jedoch - über die reine MdE-Bewertung hinaus - durchaus Fälle denkbar, in denen die Entscheidung darüber, ob ein Leiden i. S. der Entstehung oder i. S. der Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt ist, aus medizinischen Gründen bedeutsam sein kann für die Beurteilung einer später eintretenden Verschlimmerung als schädigungsbedingt oder nicht. Eine eindeutige Tatsachenfeststellung kann daher - bedingt durch die gesetzliche Regelung - trotz der bestehenden tatsächlichen Schwierigkeiten nicht entbehrt werden.
Der Kläger hat in seiner Revisionsbegründung die Rechtsprechung des BSG und die dabei entwickelten Grundsätze zutreffend wiedergegeben. Andererseits weist jedoch der Beklagte mit Recht darauf hin, daß das LSG zu der Frage, ob die Sensibilisierung im vorliegenden Fall bereits ein krankhaftes Geschehen oder aber eine ruhende Anlage gewesen ist, keine Feststellungen getroffen, sondern diese Frage bewußt offengelassen hat. Diese Feststellung ist aber für die Entscheidung darüber, ob das Asthma bronchiale i. S. der Entstehung oder "nur" i.S. der Verschlimmerung anzuerkennen ist, nach den obigen Ausführungen rechtserheblich gewesen. Der Senat konnte nicht in der Sache selbst entscheiden (vgl. § 170 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil es sich insoweit um Tatsachenfeststellungen handelt, die in den Aufgabenbereich des LSG fallen (vgl. § 163 SGG; s. BSG in SozR SGG Nr. 187 zu § 162). Die Nachprüfung von Rechtsfragen durch das Revisionsgericht setzt voraus, daß das angefochtene Urteil eindeutige Feststellungen tatsächlicher Art enthält. Fehlt es an Tatsachen, die unter das Gesetz subsumiert werden können, so muß bei einer zugelassenen Revision das Urteil des LSG aufgehoben werden, auch wenn insoweit keine Verfahrensrügen erhoben worden sind (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 143 zu § 162). Gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG war daher die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen