Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen. Arbeitsförderungsgesetz. Keine Zurechnung einmalig wiederkehrender Zuwendungen zum Arbeitsentgelt. Unvereinbarkeitserklärung
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Feststellung des Bemessungsentgelts für das Arbeitslosengeld für den Zeitraum April 1997 bis September 1999 wurden nach den damals geltenden Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes einmalige und wiederkehrende Zuwendungen nicht dem Arbeitsentgelt zugerechnet. Der Arbeitslose kann aber aus einem späteren gegenteiligen Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Unvereinbarkeitserklärung) keinen Anspruch auf nachträgliche Zahlung von höherem Arbeitslosengeld herleiten, soweit sein Bescheid über Arbeitslosengeld unanfechtbar geworden ist (Klagerücknahme)
Normenkette
AFG § 112 Abs. 1 S. 2; SGB III § 330 Abs. 1 S. 1, § 434c Abs. 1 Sätze 1-2; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1; Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt für die Zeit vom 22. April 1997 bis 21. September 1999 höheres Arbeitslosengeld (Alg) unter Berücksichtigung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt.
Der Kläger war seit 1988 bis zum 31. Januar 1996 als Angestellter beschäftigt. Er erhielt von Februar bis April 1996 Alg, war vom 1. Mai bis 31. Juli 1996 wieder beschäftigt und bezog von August 1996 bis zum 21. April 1997 Krankengeld. Dem ab 22. April 1997 erneut bewilligten Alg in Höhe von 540,60 DM (Bescheid vom 22. Mai 1997) lag ein wöchentliches Bemessungsentgelt von 1.460,00 DM sowie die Leistungsgruppe C und der allgemeine Leistungssatz zu Grunde. Die Höhe des Alg wurde fortlaufend angepasst. Ab 22. September 1999 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe.
Der Kläger hatte Anspruch auf tarifliches Weihnachts- und Urlaubsgeld in Höhe von jeweils 50 vH des regelmäßigen Monatsbruttoeinkommens von zuletzt 6.320,15 DM. Er legte wegen der Nichtberücksichtigung dieser Einmalzahlungen bei der Festsetzung des Bemessungsentgelts für das Alg Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1997 zurückwies. Die dagegen gerichtete Klage nahm der Kläger am 21. November 1997 zurück.
Der Kläger stellte im September 2000 einen Antrag, die Nichtberücksichtigung der Einmalzahlungen auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. Mai 2000 zu überprüfen. Die Beklagte wies den Antrag zurück (Bescheid vom 6. November 2000; Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2000). Das Klageverfahren verlief erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Gießen ≪SG≫ vom 9. April 2002; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 18. Dezember 2002). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Kläger rechtswidrig zu niedrige Leistungen erhalten habe. Das Bemessungsentgelt sei von der Beklagten zu Beginn der Alg-Gewährung zutreffend festgestellt und der Anspruch jeweils zutreffend an die neuen Leistungsverordnungen sowie mit dem Dynamisierungsfaktor angepasst worden. Der Kläger könne keine weiter gehenden Ansprüche aus der Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000 herleiten. § 330 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch (SGB III) beschränke die Aufhebung bestandskräftiger Bescheide wegen einer nachträglich festgestellten Unvereinbarkeit einer Rechtsnorm mit dem Grundgesetz (GG) auf die Zeit nach der Entscheidung des BVerfG. § 434c SGB III (eingefügt durch Art 6 Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21. Dezember 2000 – BGBl I 1971) sehe für Ansprüche, über die am 22. Juni 2000 bereits unanfechtbar entschieden worden sei, eine Erhöhung wegen der Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen lediglich für die Zeit ab 22. Juni 2000 vor.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung der §§ 330, 434c SGB III sowie des Art 3 GG. Er macht insbesondere geltend, die genannten Paragrafen des SGB III seien grundgesetzwidrig.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Gießen vom 9. April 2002 und des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. November 2000 und den Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 22. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 1997 zu verurteilen, ihm höheres Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung des vom Arbeitgeber gezahlten Weihnachts- und Urlaubsgeldes zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist mit dem Hinweis vom Termin benachrichtigt worden, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden werden könne. Für den Kläger ist in der mündlichen Verhandlung niemand aufgetreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte hat, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, eine Änderung des Bescheides vom 22. Mai 1997 zu Recht abgelehnt. Der Kläger hat für die Zeit vom 22. April 1997 bis 21. September 1999 keinen Anspruch auf höheres Alg.
Die Beklagte hat das Alg nach den vom LSG getroffenen Feststellungen im Bescheid vom 22. Mai 1997 unter Beachtung der damals geltenden Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zutreffend festgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt galt für die Berechnung des Alg aus dem Arbeitsentgelt als Bemessungsentgelt auch § 112 Abs 1 Satz 2 AFG, der vorschrieb, bei der Feststellung des Bemessungsentgelts einmalige und wiederkehrende Zuwendungen aus dem Arbeitsverhältnis nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen. Die Beklagte hat entsprechend der damaligen Rechtslage das tarifliche Weihnachts- und Urlaubsgeld als einmalige Zuwendung nicht als Arbeitsentgelt berücksichtigt. Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, die Beklagte sei im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000 (BVerfGE 102, 127 ff = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) verpflichtet, nunmehr die bisher nicht berücksichtigten einmaligen Zuwendungen leistungssteigernd für den Alg-Bezug seit April 1997 zu berücksichtigen. Das BVerfG hat in der oben angegebenen Entscheidung ua § 112 Abs 1 Satz 2 AFG für mit dem GG unvereinbar erklärt, soweit danach beitragspflichtiges einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, dh auch einmalige Zuwendungen aus dem Arbeitsverhältnis, nicht bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts berücksichtigt werde. Einen Anspruch auf Änderung des Bescheides vom 22. Mai 1997 und nachträgliche Zahlung eines höheres Alg auf Grund dieser Entscheidung des BVerfG wegen unrichtiger Rechtsanwendung nach § 44 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X) ist schon nach § 330 Abs 1 Satz 1 SGB III ausgeschlossen. Danach ist ein unanfechtbarer Verwaltungsakt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X für seine Rücknahme auf Grund einer Unvereinbarkeitserklärung einer Rechtsnorm mit dem GG durch das BVerfG nur mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Der Bescheid vom 22. Mai 1997 ist bereits 1997 mit Rücknahme der gegen ihn erhobenen Klage unanfechtbar geworden. Es kann daher offen bleiben, ob und in welchen Fällen eine “Unvereinbarkeitserklärung” des BVerfG überhaupt zu einem Anspruch auf Änderung eines Bescheides nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X führen kann. Eine dem Kläger günstigere Rechtslage ergibt sich auch nicht aus § 434c SGB III. Nach näherer Maßgabe des § 434c Abs 1 Satz 1 SGB III ist zwar für Ansprüche auf Alg, die vor dem 1. Januar 2001 entstanden sind, das Bemessungsentgelt pauschal zu erhöhen. Die Erhöhung gilt jedoch nach § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III für Ansprüche, über die am 21. Juni 2000 unanfechtbar entschieden war, erst vom 22. Juni 2000 an. Soweit der Kläger geltend macht, diese Regelung sei ihrerseits mit dem GG unvereinbar, hat das LSG schon zu Recht darauf hingewiesen, dass die Regelung den Vorgaben entspricht, die das BVerfG in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2000 zur Regelung laufender und abgeschlossener Leistungsfälle vorgegeben hat. Das Gesetz unterscheidet nicht nach den Gründen, die zur Unanfechtbarkeit geführt haben. Das LSG hat deshalb zu Recht dem Umstand, dass hier der Bescheid evtl nach Klagerücknahme im Jahr 1997 unanfechtbar geworden ist, keine Bedeutung zugemessen. Im Übrigen wird hinsichtlich der Vereinbarkeit der Rechtslage mit höherrangigem Recht auf die Urteile des 7. Senats des Bundessozialgerichts vom 25. März 2003 – B 7 AL 106/01 R – sowie – B 7 AL 114/01 R –, die dem Kläger zugänglich gemacht worden sind, und das Urteil des erkennenden Senats vom 10. Juli 2003 – B 11 AL 11/03 R – verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1075766 |
ZfSSV 2007 |