Leitsatz (amtlich)
Die Anerkennung eines Leidens als Beschädigungsfolge in einem nicht angefochtenen Bescheid kann nicht nach KOV-VfG § 41 durch einen Berichtigungsbescheid zurückgenommen werden, wenn die Versorgungsverwaltung in einem späteren Verfahren verurteilt worden war, dieses Leiden weiterhin als Schädigungsfolge anzuerkennen. Das gilt auch dann, wenn das Urteil mit der Bindungswirkung des alten Bescheides gemäß BVG § 85 begründet war.
Normenkette
BVG § 85 Fassung: 1950-12-20; KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. Oktober 1960 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 11. Juli 1958 wird zurückgewiesen.
Der Bescheid vom 8. März 1960 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Im Jahre 1948 erkannte die damals zuständige Landesversicherungsanstalt dem Kläger u.a. "beginnende arthrotische Veränderungen an den Kniegelenkinnenflächen im Sinne der Entstehung" als Wehrdienstbeschädigung an und bewilligte ihm Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H. 1949 setzte sie die Rente auf 30 v.H. herab, u.a. auch mit der Begründung, es seien keine krankhaften Veränderungen der Kniegelenke nachzuweisen, die Folgen des militärischen Dienstes seien. In dem anschließenden gerichtlichen Verfahren verurteilte das Sozialgericht (SG) Braunschweig am 17. Dezember 1954 den Beklagten, beginnende arthrotische Veränderungen am linken Kniegelenk als Wehrdienstbeschädigung im Sinne der Entstehung anzuerkennen, und zwar mit der Begründung, diese Veränderungen seien als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung anerkannt gewesen, eine wesentliche Änderung im Sinne von § 608 der Reichsversicherungsordnung (RVO) liege nicht vor, das Leiden müsse daher mit Rücksicht auf § 85 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anerkannt bleiben. In Ausführung dieses Urteils erließ das Versorgungsamt (VersorgA) einen Bescheid, durch den ab 1. Oktober 1950 eine Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. festgesetzt wurde wegen einer Narbe mit Weichteilverlust an der linken Hüfte und beginnender arthrotischer Veränderungen am linken Kniegelenk, hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage, mit der er eine höhere Rente als 30 v.H. begehrte. Im Laufe des Verfahrens hob der Beklagte mit einem auf § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) gestützten Teilberichtigungsbescheid vom 9. Oktober 1956 die früheren Bescheide insoweit auf, als beginnende arthrotische Veränderungen im Kniegelenk anerkannt waren. Das SG hob diesen Berichtigungsbescheid auf und wies im übrigen die Klage ab, wobei es zur Begründung ausführte, durch den Berichtigungsbescheid sei in unzulässiger Weise ein durch Urteil rechtskräftig festgestelltes Anerkenntnis beseitigt worden. Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Berufung ein. Im Laufe des Berufungsverfahrens erließ der Beklagte am 8. März 1960 einen neuen Teilberichtigungsbescheid, mit dem der vom 9. Oktober 1956 insoweit abgeändert wurde, als nunmehr zusätzlich "beginnende arthrotische Veränderungen am Kniegelenk" als "einmalig verschlimmert" anerkannt wurden. Das Landessozialgericht (LSG) hob durch Urteil vom 6. Oktober 1960 das Urteil des SG auf und wies die Klage ab; des weiteren änderte es den Bescheid vom 8. März 1960 dahin ab, daß in der Bezeichnung der Schädigungsfolge das Wort "einmalig" entfiel. Zur Begründung führte es aus, nach § 41 VerwVG könnten Bescheide zu Ungunsten des Versorgungsberechtigten abgeändert oder aufgehoben werden, wenn ihre tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel stehe. Bei einem Urteil sei der Umfang der Rechtskraft des Urteils maßgebend. Das Urteil des SG vom 17. Dezember 1954 beschränke die Entscheidung auf die Bindungswirkung nach § 85 BVG; die Frage des ursächlichen Zusammenhangs, der nunmehr Gegenstand der Berichtigung sei, sei nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung gewesen. Deshalb könne die Anerkennung der arthrotischen Veränderungen am linken Kniegelenk im Sinne der Entstehung zurückgenommen und in eine solche im Sinne der Verschlimmerung umgewandelt werden, weil sich aus dem vorliegenden Gutachten ergebe, daß eine Entstehung dieses Leidens durch den Wehrdienst zweifellos nicht vorliege. Das LSG ließ die Revision zu.
Der Kläger legte gegen dieses ihm am 27. Oktober 1960 zugestellte Urteil am 26. November 1960 Revision ein und begründete sein Rechtsmittel im gleichen Schriftsatz.
Er trägt vor, das Urteil des SG habe den Beklagten verurteilt, beginnende arthrotische Veränderungen am linken Kniegelenk als Wehrdienstbeschädigung im Sinne der Entstehung anzuerkennen. Damit sei dieser Anspruch selbst Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung geworden. Dieser Urteilsausspruch könne nicht im Wege der Berichtigung gemäß § 41 VerwVG aufgehoben werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 6. Oktober 1960 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Braunschweig vom 11. Juni 1958 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet, weil das LSG zu Unrecht die Voraussetzungen eines Berichtigungsbescheides als gegeben angesehen hat.
Nach § 41 VerwVG können Bescheide über Rechtsansprüche zu Ungunsten des Versorgungsberechtigten von der zuständigen Verwaltungsbehörde durch einen neuen Bescheid geändert oder aufgehoben werden, wenn ihre tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel steht. Gegenstand eines Berichtigungsbescheides kann also nur ein Bescheid, nicht aber ein Urteil sein (ebenso Schönleiter/Hennig, Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, § 41 Anm. 1; Strack ZfS 1956, 273). Denn mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber lediglich der Verwaltung ein Mittel an die Hand geben, offensichtlich unrichtige Verwaltungsakte wiederaufzuheben. Gegen rechtskräftige Urteile ist dagegen eine solche Maßnahme der Verwaltung nicht zulässig, da sich dies mit dem Wesen der Rechtskraft nicht verträgt. In Übereinstimmung hiermit hat das Bundessozialgericht (BSG) auch in seiner bisherigen Rechtsprechung nur die Rücknahme von Verwaltungsakten, nicht aber diejenige von Urteilen als zulässig angesehen (vgl. BSG 11, 38). Weiter hat das BSG in BSG 11, 231 entschieden, § 1293 Abs. 2 RVO a.F., wonach die Entziehung einer Rente auch ohne Feststellung einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen des Berechtigten zulässig war, wenn eine neue Überprüfung ergab, daß er nicht invalide war, sei nicht anwendbar, wenn der Versicherungsträger zu einer Rentenzahlung verurteilt worden sei. Zur Begründung ist ausgeführt, mit dieser Vorschrift sollten Fehlentscheide, auch wenn sie rechtskräftig seien, beseitigt werden können, weil das Interesse aller Berechtigten an einer rechtmäßigen Rentengewährung über dem Interesse an der Rechtskraft des Bescheides stehen müßte. Dieser Gesichtspunkt scheide aber aus, wenn ein Versicherungsträger in einem Urteil zu einer Leistung verurteilt worden sei. Gegen rechtskräftige Urteile gebe es nur Wiederaufnahme des Verfahrens. Wenn eine Rente durch Urteil zugesprochen sei, gleichgültig, ob zu Recht oder zu Unrecht, müsse dies im Interesse der Rechtssicherheit hingenommen werden. Es wäre auch mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere mit der in Art. 20 des Grundgesetzes bestimmten Trennung von Justiz und Verwaltung, nicht vereinbar, wenn eine Verwaltungsbehörde ein für sie ungünstiges Urteil nicht zu beachten brauchte und es durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzen könnte, ohne daß sich eine Änderung gegenüber den Verhältnissen ergeben hätte, die die Grundlage des Urteils darstellten. - Alle diese Gedankengänge müssen auch für § 41 VerwVG gelten. Auch durch diese Vorschrift sollte nur die Beseitigung eines offensichtlich unrichtigen Verwaltungsaktes, nicht aber die Aufhebung eines Urteils ermöglicht werden.
Diese Rechtslage hat das LSG zwar nicht verkannt; es meint jedoch, die Frage des ursächlichen Zusammenhangs sei nicht Gegenstand des betreffenden Urteils gewesen und daher eine Berichtigung nach § 41 VerwVG möglich. Dabei geht das LSG jedoch von irrigen Voraussetzungen aus. Denn das SG hat, wie sich aus dem Tenor ergibt, in seinem rechtskräftigen Urteil ausgesprochen, der Beklagte werde verurteilt, beginnende arthrotische Veränderungen im linken Kniegelenk im Sinne der Entstehung weiterhin anzunehmen. Es hat dies zwar nicht mit ärztlichen Gutachten begründet, sondern mit dem Hinweis auf § 85 BVG, also mit der Bindungswirkung des früheren Bescheides. Damit hat es aber ausdrücklich entschieden, daß der Beklagte weiterhin die anerkannten arthrotischen Veränderungen im linken Kniegelenk als durch den Wehrdienst entstanden hinnehmen müsse. Diese Frage war also Gegenstand des Urteils. Dies ergibt sich auch aus den Gründen, in denen es heißt, das frühere Anerkenntnis sei für den Beklagten bindend, weil der Bescheid auf Grund einer vorherigen Untersuchung ergangen sei; eine Änderung zum Nachteil des Klägers hätte nur unter den Voraussetzungen des § 608 RVO erfolgen können, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert hätten; dies sei jedoch nicht der Fall. Damit stellt das Urteil eine Entscheidung dahin dar, daß die arthritischen Beschwerden im linken Kniegelenk durch den Wehrdienst entstanden sind. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß der Beklagte in Ausführung dieses Urteils einen Bescheid erlassen hat. Denn dieser ist kein selbständiger Bescheid, der eine Anwendung des § 41 VerwVG zuließe.
Da somit ein Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG nicht zulässig war, muß das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG zurückgewiesen werden. Ebenso ist der Bescheid vom 8. März 1960 aufzuheben, der nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden ist; denn er stellt ebenfalls einen unzulässigen Berichtigungsbescheid dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen