Leitsatz (amtlich)
Witwenbeihilfe gemäß BVG § 44 Abs 4 Fassung: 1957-07-01 kann - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur nach Scheidung der ersten neuen Ehe der Witwe bewilligt werden, nicht aber nach Scheidung einer weiteren Ehe, und zwar auch dann nicht, wenn diese Ehe mit demselben Manne wie die vorige geschlossen war.
Normenkette
BVG § 44 Abs. 4 Fassung: 1957-07-01
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 18. Dezember 1959 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin war in erster Ehe mit F... K... verheiratet, der als Soldat tödlich verunglückte. Nach seinem Tode bezog sie Hinterbliebenenversorgung. Am 30. April 1946 heiratete sie den Kraftfahrer H... H... J..., die Ehe wurde im Juli 1949 aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Die Eheleute söhnten sich im Anschluß an die Scheidung wieder aus und heirateten im Dezember 1949 erneut. Auch diese Ehe wurde im Dezember 1957 geschieden, und zwar aus alleinigem Verschulden des Ehemannes. Die Klägerin beantragte nunmehr im Januar 1958, ihr Witwenbeihilfe zu gewähren. Das Versorgungsamt lehnte diesen Antrag am 23. Dezember 1959 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 44 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) seien nicht gegeben, da unter einer neuen Ehe im Sinne dieser Vorschriften nur die erste nach dem Tode des Ehemannes geschlossene Ehe zu verstehen sei. Der Widerspruch wurde am 16. April 1959 zurückgewiesen. Auf die Klage hin verurteilte das Sozialgericht (SG) den Beklagten, der Klägerin einen neuen Bescheid zu erteilen, durch den Witwenbeihilfe seit dem 1. Januar 1958 gewährt werde. Zur Begründung führte er aus, wenn auch formell eine; dritte Eheschließung vorliege, handele es sich doch in Wirklichkeit um die Fortsetzung der einmal begonnenen zweiten Ehe, die erst mit der zweiten Scheidung zu bestehen aufgehört habe. Der Klägerin müsse daher Witwenbeihilfe gewährt werden, weil sie nur einen weiteren Unterhaltsanspruch nach ihrem ersten Ehemann erworben habe und der durch den gefallenen Ehemann bestehende Versorgungsgrund weiterwirke. Das SG ließ die Berufung zu.
Gegen das am 19. Februar 1960 zugestellte Urteil legte der Beklagte unter Beibringung einer Einverständniserklärung der Klägerin am 8. März 1960 Sprungrevision ein und begründete das Rechtsmittel im gleichen Schriftsatz. Er trägt vor, unter einer neuen Ehe im Sinne des § 44 BVG sei nur die erste nach dem Tode des Gefallenen geschlossene zu verstehen. Die Fortsetzung der Versorgungskette über mehrere weitere Ehen hinaus stehe mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht im Einklange Ohne Bedeutung sei es daher, daß der dritte Ehemann gleichzeitig der zweite Ehemann der Klägerin gewesen sei. Denn die zweite Ehe sei mit der Rechtskraft des Urteils aufgelöst worden, so daß die gegenseitigen ehelichen Pflichten und Rechte mit der Rechtskraft dieses Urteils erloschen seien. Wenn die Eheleute nach der Scheidung eine neue Ehe eingingen, so sei dies eine neue Ehe nur mit Wirkung für die Zukunft, aber nicht für die Vergangenheit. Das SG habe auch gegen § 54 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen, weil es den Beklagten zur Gewährung der Beihilfe verurteilt habe, obwohl es sich um eine Ermessensleistung handele.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Schleswig vom 12. Dezember 1959 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision des Beklagten ist zulässig. Die Zulassung der Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG ist zwar zu Unrecht erfolgt, weil die Berufung nach § 143 SGG zulässig war, nachdem keiner der Ausschließungsgründe der §§ 144 ff SGG zum Zuge kam. Da aber der Beklagte im Vertrauen auf die ausdrückliche Zulassung der Berufung die Sprungrevision eingelegt hat, ist diese als statthaft anzusehen (BSG 2, 135), zumal auch die Zulassung nicht offensichtlich gegen das Gesetz erfolgt ist. Das Einverständnis des Gegners ist ebenfalls rechtzeitig dargetan.
Die Revision ist auch begründet. Nach § 44 Abs. 4 BVG in der Fassung vom 1. Juli 1957 (BGBl I 661), die bis zum 31. Mai 1960 galt, kann eine Beihilfe gewährt werden, wenn die neue Ehe der Witwe geschieden oder aufgehoben worden ist, sofern nicht die Witwe die Scheidung oder Aufhebung der Ehe überwiegend oder allein verschuldet oder die Scheidung nach § 48 des Ehegesetzes (EheG) verlangt hat. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, was unter "neuer Ehe" zu verstehen ist, ob nur die erste nach dem Tode des Ehemannes geschlossene oder auch eine weitere Ehe, gegebenenfalls, ob es dabei einen Unterschied macht, wenn die dritte Ehe der Klägerin nach Scheidung der zweiten mit dem gleichen Mann geschlossen wurde. Aus Wortlaut und Sinn des § 44 Abs. 4 BVG ergibt sich, daß eine gewisse Versorgung trotz neuer Eheschließung nur gewährt werden kann, wenn die erste nach dem Todesfall geschlossene Ehe wieder geschieden oder aufgehoben wird. Der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in seinem Urteil vom 28. April 1960 (SozR BVG § 44 Bl. Ca 2) zu § 44 Abs. 3 BVG, also bei Tod auch des zweiten Ehemannes, ausgeführt, es ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des Gesetzes, daß Ehemann einer wieder verheirateten Witwe, dessen Tod einen Anspruch auf Witwenbeihilfe entstehen lasse, immer nur der erste wiedergeheiratete Ehemann sein könne. Denn der Anspruch auf Witwenbeihilfe werde nur eingeräumt, wenn vor der Wiederverheiratung ein Anspruch auf Witwenrente bestanden habe. Die Gewährung einer Versorgung nach dem Tode des neuen Ehemanns sei nur deshalb eine Rechtspflicht des Staates, weil die Witwe durch ihre Wiederverheiratung das Recht auf Versorgung wegen des Todes ihres früheren Ernährers verloren habe. Der Versorgungsgrund für die Gewährung der Witwenbeihilfe sei also nicht der Tod des neuen Ehemanns, sondern die Schädigung, an deren Folgen der frühere Ehemann verstorben sei. Eine Fortsetzung dieser Versorgungskette, immer wieder im Hinblick auf den an Schädigungsfolgen Verstorbenen, auch über einen weiteren Ehemann hinaus wäre mit dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Hinterbliebenenversorgung nicht mehr vereinbar. Auch wenn der gleiche Ehemann wiedergeheiratet würde, sei das nicht mehr die gleiche Ehe wie die zweite. Eine neue Eheschließung beseitige nicht die Wirkungen der früheren und stelle die frühere Ehe nicht wieder her. Denn mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils sei die Ehe völlig aufgelöst und für die Zukunft beseitigt worden.
Diese Ausführungen zu § 44 Abs. 3 BVG müssen auch für den Abs. 4 gelten, zumal es hier ausdrücklich heißt: "Ist die neue Ehe geschieden", nicht "Ist eine neue Ehe geschieden". Es ist also die gleiche Ehe gemeint, die in den Absätzen 1 und 3 mit "Wiederverheiratung" bezeichnet ist. Das Gesetz geht mithin von der ersten Heirat der Witwe aus und regelt die Ansprüche, die der wiederverheirateten Witwe beim Tod des zweiten Ehemannes oder bei Scheidung der zweiten Ehe zustehen. Entsprechende Vorschriften für den Fall einer weiteren Ehe fehlen. Wenn in § 44 Abs. 2 gesagt ist, die Witwenrente lebe wieder auf, wenn die neue Ehe für nichtig erklärt werde, so kann daraus nichts zu Gunsten der Klägerin entnommen werden. Denn mit der Nichtigkeitserklärung der Ehe mit rückwirkender Kraft ist diese als nicht geschlossen anzusehen. Es ist also keine Fortsetzung der Versorgung über mehrere Ehescheidungen hinaus anzunehmen (ebenso BMA 3. Mai 1947, BVBl 1957, 85).
An diesem Rechtszustand hat auch das am 1. Juni 1960 in Kraft getretene Erste Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) nichts geändert. Nach dem neuen § 44 Abs. 2 BVG lebt der Anspruch auf Witwenrente wieder auf, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird. Es ist also nur insoweit eine Änderung eingetreten, als nunmehr der Anspruch auf Witwenrente wieder auflebt, während bisher die Gewährung einer Beihilfe in das Ermessen der Versorgungsverwaltung gestellt war. Die übrigen Voraussetzungen sind die gleichen geblieben. Unter einer neuen Ehe ist also auch hier nur die erste nach dem Tode des Beschädigten geschlossene zu verstehen. Eine weitere Ehe gilt nicht als "die neue" in diesem Zusammenhang. Wird auch diese gelöst, so ist die Fortsetzung der Versorgungskette nach dem an den Folgen einer Schädigung Verstorbenen damit nicht mehr möglich, und zwar auch dann nicht, wenn die dritte Ehe mit dem zweiten Mann geschlossen wurde.
Der Beklagte hat daher mit Recht die Gewährung einer Beihilfe oder Versorgung nach der Scheidung der dritten Ehe der Klägerin abgelehnt. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen