Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. August 1964 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der am 14. Februar 1946 geborene Kläger ist der eheliche Sohn des Versicherten, des seit Anfang März 1945 kriegsverschollenen Johann H., und dessen Ehefrau Elisabeth H. Er beantragte im März 1949 Waisenrente aus der Versicherung des Verschollenen. Mit Bescheid vom 15. März 1950 lehnte die Beklagte Waisenrente ab. Am 25. Mai 1960 wiederholte der Kläger seinen Antrag auf Waisenrente unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. Mai 1960 zugunsten scheinehelicher Kinder (BSG 12, 147). Auch diesmal lehnte die Beklagte, mit Bescheid vom 16. April 1961, Waisenrente zunächst ab, obwohl der leitende Oberstaatsanwalt beim Landgericht Bonn die Anfechtung der Ehelichkeit des Klägers mit der Begründung abgelehnt hatte, eine solche Anfechtung liege weder im Interesse des Kindes noch im öffentlichen Interesse. Mit Bescheid vom 11. März 1963 gewährte die Beklagte jedoch Waisenrente vom 1. April 1949 an, die sich bis zum 30. April 1963 auf 7.154,80 DM berechnete. Mit Klage vom 11. April 1963 hat der Kläger Abänderung des Bescheides vom 11. März 1963 dahin begehrt, daß für den Nachzahlungsbetrag ihm Verzugszinsen bzw. Prozeßzinsen gewährt würden. Das Sozialgericht (SG) Köln hat mit Urteil vom 7. Februar 1964 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 19. August 1964 die Berufung der Klägerin (richtig: des Klägers) gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Das LSG hat insbesonders ausgeführt: Gemäß § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hätten über den geltend gemachten Zinsanspruch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden. Der Kläger begehre die Verzugszinsen nach den §§ 288, 284 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Er sehe einen Verzug; der Beklagten darin, daß diese die Waisenrente nicht jeweils bei monatlicher Fälligkeit ausgezahlt habe. Seine so begründete Klage gehöre nicht nach § 839 BGB Artikel 34 des Grundgesetzes (GG) zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte: das Begehren von Verzugszinsen werde jedenfalls dann nicht von § 839 BGB, Art. 34 GG erfaßt, wenn ohne Angabe eines selbständigen konkreten Tatbestandes der Amtspflichtverletzung und eines besonderen Schadens Verzugszinsen lediglich wegen des Auseinanderfallens der Zeitpunkte der Fälligkeit und der Bewirkung der Leistung gefordert würden. Der Anspruch auf Verzugszinsen stelle sich in solchen Fällen als bloße Nebenforderung zur Hauptforderung auf Rente dar. Eine Aufteilung zwischen Hauptanspruch und Nebenanspruch dahingehend, daß die Sozialgerichte über den Hauptanspruch zu entscheiden hätten, während über den Nebenanspruch auf Verzugszinsen stets die ordentlichen Gerichte entscheiden müßten, werde der Sachlage nicht gerecht. Wenn bei Leistungen aus der Rentenversicherung grundsätzlich ein Anspruch auf Verzugszinsen bestände, würde er auch, ob im Einzelfall zu Recht oder zu Unrecht, geltend gemacht, und zwar sowohl in Fällen, in denen die Rente vom Versicherungsträger bewilligt werde, als auch, wenn sie zunächst abgelehnt worden sei und der Versicherungsträger erst im Streitverfahren verurteilt werden solle. Diese Vielzahl der Prozesse wäre dann entweder ganz, wenn Rente bewilligt sei und nur zusätzlich Verzugszinsen begehrt würden, oder zum Teil, wenn der Versicherungsträger durch ein Sozialgericht zur Rentengewährung verurteilt sei, von den ordentlichen Gerichten durchzuführen. Es erscheine ausgeschlossen, daß dies der Sinn der Regelung in Art. 34 GG sein solle. Der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerWG 14, 1), der Verwaltungsrechtsweg sei für eine Klage, ob die Vorschriften über Verzugszinsen nach den §§ 284 ff BGB entsprechend anwendbar seien, nicht gegeben, könne daher in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. – Der Anspruch auf Verzugszinsen sei nicht begründet. Die Vorschriften der §§ 284 bis 288 BGB über Verzugszinsen seien im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nicht entsprechend anwendbar. In der Sozialversicherung werde ein Anspruch auf Verzugszinsen nur in den in der Reichsversicherungsordnung (RVO) besonders aufgezählten Fällen gewährt. Der Gesetzgeber habe sich auf dem Gebiet der Sozialversicherung ausdrücklich mit der Frage von Verzugszinsen befaßt. Dies zeigten § 1400 Abs. 3 und § 1436 Abs. 2 RVO. Dem Wortlaut dieser Bestimmungen sei zu entnehmen, daß der Gesetzgeber nicht der Ansicht gewesen sei, § 288 BGB gelte überall, wo sich in der Rentenversicherung Gläubiger und Schuldner gegenüberständen. Erst durch diese Sonderbestimmungen und nur für die darin, geregelten Tatbestände sei eine Verpflichtung zur Zinszahlung begründet worden. – Der Umstand, daß der Gesetzgeber in § 1436 Abs. 1 RVO die bisherige Rechtsauffassung gesetzlich fixiert habe (Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Anm. I zu § 1436 RVO), zeige, daß er die Ergebnisse einer früheren Rechtsprechung über die Folgen des Verhaltens eines an einem gegenseitigen öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses Beteiligten in das Gesetz aufnehmen und Fragen der entsprechenden Anwendung einschlägiger, im BGB enthaltener Vorschriften nicht lediglich der Rechtsprechung überlassen wollte. Hätte der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts, wonach Leistungen der Versicherungsträger an Versicherte nicht zu verzinsen seien, nicht für die Zukunft gebilligt, so liege es nahe, daß er mit der Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung in § 1436 Abs. 1 RVO an irgendeiner Stelle der RVO ausdrücklich auf die Verzinsung von Zahlungen der Versicherungsträger an Versicherte hingewiesen hätte – Der Einwand, erst durch eine seit Erlaß der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze von 1957 fortschreitende Rechtsentwicklung werde die Verzinsung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen durch entsprechende Anwendung der §§ 284 bis 288 BGB bejaht (BGHZ 10, 125, BVerwG 7, 95; 12, 266; 14, 1 usw.) greife nicht durch. Die Fortbildung des Rechts bei neuen Gesetzen wie dem Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) sei nicht Sache der Rechtsprechung, sondern des Gesetzgebers (BSG 21, 68). Eine Lücke im Gesetz bezüglich Verzinsung von Leistungen könne nicht überzeugend angenommen werden, weil an anderen Stellen der RVO ausdrücklich Vorschriften über Verzugszinsen beständen und die RVO auch über andere im BGB geregelte allgemeine Rechtsgebilde wie Fristen, Verjährung, Aufrechnung, Abtretung eigene Vorschriften enthalte. Bei grundsätzlicher Bejahung von Verzugszinsen durch den Gesetzgeber hätte es daher im Hinblick auf das im Regelfalle zwangsläufige Auseinanderfallen von Fälligkeit und Leistungsfeststellung durch Bescheid einer besonderen ausdrücklichen Vorschrift innerhalb der RVO bedurft. – Gegen entsprechende Anwendung des § 288 BGB in der gesetzlichen Rentenversicherung sprächen auch die zivilrechtlichen Voraussetzungen von Verzugszinsen. Verzugszinsen ständen ab Fälligkeit zu (§ 284 Abs. 2 BGB). Renten würden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit der Anmeldung des Rentenanspruchs fällig. Da praktisch der Rentenbescheid selten im Monat des Leistungsbeginns ergehe, müßten insbesondere bei allen Ansprüchen auf Rente wegen Berufungsfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit und auf Hinterbliebenenrente Verzugszinsen für die Zeit zwischen Antragsstellung und Bescheiderteilung gewährt werden. Um diese unmögliche Folge auszugleichen, müßte wiederum § 285 BGB entsprechend angewandt werden, wonach der Schuldner nicht in Verzug komme, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibe, den er nicht zu vertreten habe. Darunter fiele eine gewisse Zeitspanne zwischen Antrag und Bescheid, deren Dauer ganz von den Umständen des Einzelfalles abhänge. Es würde dann in vielen Fällen Streit darüber entstehen, von wann ab der Versicherungsträger eine Verzögerung der Bescheiderteilung vertreten, d. h. Verzugszinsen zahlen müßte. Bei der sonst recht eingehenden gesetzlichen Regelung der Ansprüche gegen die Versicherungsträger könnte nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber solche Unklarheiten gewollt habe. Bei grundsätzlicher Bejahung der Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen mußte der Versicherungsträger in jedem Rentenfall außer der Feststellung der Leistung auch noch einen nach Eintritt der Fälligkeit liegenden Zeitpunkt festsetzen, bis zu dem er nicht in Verzug gekommen zu sein meine, oder – dies wäre die Regel – einen Verzug ablehnen. Da, wie die Praxis zeige, um geringste Beträge prozessiert werde, würden selbst bei zügiger Rentenbewilligung noch zahlreiche Rentner auf Verzugszinsen klagen. Derart weitergehende Folgen dürften nicht über eine entsprechende Anwendung der §§ 284 bis 288 BGB ohne ausdrückliche Vorschrift der RVO in das Verwaltungs- und Streitverfahren der Rentenversicherung hineingetragen werden. – Hinzu komme, daß die Versicherungsrenten besonderen Zwecken dienten und sich von den bürgerlich-rechtlichen Geldleistungen in maßgeblichen Punkten unterschieden. Sie seien in aller Regel zur Befriedigung der laufenden dringendsten Lebensbedürfnisse bestimmt. Anders als die Geldleistungen des bürgerlichen Rechts, die auf seiten des Empfängers in der Regel keinen bestimmten Zweck zu erfüllen hätten und daher im Wirtschaftsleben unter dem Gesichtspunkt zinsbringenden Kapitals behandelt würden (daß es z. B. bei Unterhaltsansprüchen nach dem BGB anders sei, spreche nicht gegen den Grundgedanken des § 288 BGB, der sich auf alle im BGB geregelten Schuldverhältnisse beziehe), pflegten die zum täglichen Verbrauch gewährten Versicherungsrenten kaum jemals zinsbringend angelegt zu werden. Damit treffe der dem § 288 BGB zugrunde liegende Gedanke, den Gläubiger durch Zinsen für entgangene Nutzungen entschädigen zu müssen, für die Zahlung der Versicherungsträger in aller Regel nicht zu. Auch gehöre es nicht zu den gesetzlich berücksichtigen Normalfällen, daß der Versicherte, solange der Versicherungsträger fällige Beträge nicht zahle, die Mittel zum täglichen Lebensunterhalt gegen Zinsen selbst beschaffe oder unter Verzicht auf Zinsen aus vorhandenem Kapital finanziere. In vielen Fällen werde der Lebensunterhalt bis zum Beginn der Rente aus anderen öffentlichen Mitteln wie Krankengeld, Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe, Leistungen des Lastenausgleichsamtes, Ausgleichsrente aus der Kriegsopferversorgung bestritten, die soweit sie aus der Rentennachzahlung erstattet würden, nicht mit Zinsforderungen belastet zu sein pflegten. Der Versicherte habe daher bei einem Verzug des Sozialversicherungsträgers regelmäßig nicht den in § 288 BGB gesetzlich unterstellten Zinsverlust. Die Forderung des Rentners nach Verzugszinsen sei daher sachlich nicht berechtigt. – Ähnliche gälten auch für den Anspruch auf Prozeßzinsen nach § 291 SGG.
Mit der von ihm eingelegten Revision beantragt der Kläger,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und unter entsprechender teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 11. März 1962 (richtig: 11. März 1963) die Beklagte zu verurteilen, den Nachzahlungsbetrag von 7.154,80 DM mit den Durchschnittszinsen für die Vergangenheit, spätestens ab 1. Mai 1961, zu verzinsen.
Der Kläger rügt Verletzung der §§ 284 bis 288 BGB über Verzugszinsen und des § 291 BGB über Prozeßzinsen, die entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend anwendbar seien. Keine Vorschrift des Sozialrechts schließe Verzugs- oder Prozeßzinsen ausdrücklich aus. Die Zinsen seien auch gerechtfertigt, wenn der Versicherungsträger in Zahlungsverzug gerate oder die Forderung rechtshängig werde. Auf die Forderung des Klägers habe sich die Behörde seit Antragstellung einrichten können. Der öffentliche Leistungsträger dürfe gegenüber den Schuldnern nicht aus fiskalischen Rücksichten bevorzugt werden (vgl. BVerwG vom 7. Juni 1958 in NJW 1958, 1744). Spätestens von Klageerhebung an (4. Mai 1961) habe sich die Beklagte in Verzug befunden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält die Gründe des angefochtenen Urteils, denen nichts hinzuzufügen sei, für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Mit Recht und mit zutreffender Begründung hat das Berufungsgericht jedenfalls in einem Falle der vorliegenden Art die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit für zuständig zur Entscheidung des Rechtsstreits gehalten, auch soweit es sich um den Anspruch des Klägers auf Verzugszinsen handelt.
Aber auch in der Sache selbst ist der Senat, soweit es sich um den Anspruch des Klägers auf Verzugszinsen handelt, dem angefochtenen Urteil nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Begründung beigetreten. Insbesondere trifft es zu, daß der Gesetzgeber das Problem der Verzugszinsen auf dem Gebiete der Arbeiterrentenversicherung (ARV) – wie übrigens auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung (zu vgl. die §§ 397 a, 751 RVO, 122 Abs. 3, 158 Abs. 2 AVG) – unzweifelhaft gesehen und offensichtlich bewußt in dem Sinne geregelt hat, daß ein Anspruch auf Verzugszinsen nur in dem im Gesetz besonders aufgezählten Fällen gewährt wird (BSG in Breithaupt 1958, 725, 730), wie die in § 1400 Abs. 3 und in § 1436 Abs. 2 RVO getroffenen Regelungen zeigen. Daher geht es nicht an, insoweit von einer Lücke im Gesetz zu sprechen, die durch entsprechende Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Verzugszinsen auszufüllen wäre. Ebensowenig wie eine solche ergänzende Rechtsfindung kommt in diesem Zusammenhang eine abändernde Rechtsfindung in Betracht. Dabei kann dahinstehen, ob wirklich, wie das Berufungsgericht im Anschluß an Ausführungen in Urteilen des BSG vom 9. Juni 1961 und vom 29. April 1964 (BSG 14, 238, 245; BSG 21, 68, 71) gemeint hat, eine Fortbildung des Rechts durch abändernde Rechtsfindung bei einem sehr jungen Gesetz wie dem ArVNG nicht in Betracht kommt. Denn selbst dann, wenn auch bei jungen Gesetzen das Recht und die Pflicht des Richters zur Rechtsfortbildung dann bejaht wird, wenn sonst Folgen des Gesetzes einträten, die der Gesetzgeber nicht erkannt oder bedacht und sonst vernünftigerweise anders geordnet hätte (Enneccerus, Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. § 59), ist für eine solche Rechtsfortbildung doch hier kein Raum; denn es besteht keinerlei Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber die Folgen der von ihm getroffenen Regelung, nach der sein Anspruch auf Verzugszinsen nicht besteht, nicht bedacht hat. Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, sind diese Folgen vielmehr in hohem Grade sinnvoll.
Aber auch Prozeßzinsen stehen dem Kläger nicht zu.
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in wiederholten Entscheidungen dahin ausgesprochen, grundsätzlich bestehe auch im öffentlichen Recht ein Anspruch auf Prozeßzinsen, der dem Anspruch aus § 291 BGB sinngemäß entspreche (BVerwG 7, 95, u.ö.). Diese Ansicht ist damit begründet worden, der Gedanke, daß der Schuldner, auch wenn er im redlichen Glauben, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, sich auf einen Prozeß einlasse, billigerweise dem Gläubiger für die Nutzungen Ersatz zu leisten habe, die er ihm während der Dauer des Prozesses vorenthalte, entspreche dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben; denn es wäre unbillig, wenn ein Schuldner dadurch, daß er sich verklagen lasse, nicht nur dem Gläubiger die Leistung selbst vorenthalten und ihm die Nachteile, die durch die Dauer des Prozesses entstehen, zufügen, sondern darüber hinaus auch während dieser Zeit aus der vorenthaltenen Leistung womöglich noch Nutzen ziehen könne. Es kann dahinstehen, ob dieser Ansicht beizupflichten ist oder der Ansicht, daß bei öffentlich-rechtlichen Ansprüchen die Vorschriften des BGB über die Leistung von Prozeßzinsen weder unmittelbar noch sinngemäß anzuwenden seien (BGH vom 28. März 1958, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des BGH, BEG 1956 § 169 Nr. 1 Bl. 696). Auch wenn man der ersteren Ansicht folgt, so gilt doch, daß der Gesetzgeber nicht gehindert ist, für bestimmte Arten von Geldforderungen den Zinsanspruch auszuschließen (BVerwG a.a.O. S. 97). Eben dies aber ist auf dem Gebiete der Sozialversicherung geschehen.
Zwar enthalten die Sozialversicherungsgesetze eine ausdrückliche Vorschrift über den Ausschluß von Prozeßzinsen nicht. Auch finden sich – anders als bei den Verzugszinsen, die, wie dargelegt, in verschiedenen Vorschriften des Sozialversicherungsrechts behandelt worden sind – Vorschriften über Prozeßzinsen im Sozialversicherungsrecht überhaupt nicht. Jedoch kann nicht außer acht gelassen werden, daß, wenn auch Verzugszinsen und Prozeßzinsen deutlich unterschieden sind, so doch sowohl in der praktischen Anwendung als auch ihrem inneren Wesen nach so eng zusammenhängen – aus welchem Grunde sie auch den §§ 288 bis 291 BGB in engstem Zusammenhang miteinander geregelt sind –, daß der Schluß gerechtfertigt ist, der Gesetzgeber der Sozialversicherung habe das von ihm in den obengenannten Vorschriften verschiedener Versicherungszweige behandelte Problem der Gewährung von Zinsen im Beitrags- wie andererseits im Leistungsrecht der Sozialversicherung insgesamt gesehen und dadurch, daß er in einigen besonderen Fällen Zinsen in Gestalt von Vorzugszinsen vorgesehen hat, hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, daß im übrigen ein Anspruch auf Zinsen mit Einschluß von Prozeßzinsen im Beitrags- und Leistungsrecht nicht bestehen solle, wie oben bei der Erörterung des Anspruchs auf Verzugszinsen näher dargelegt ist. – Hierfür spricht auch der Umstand, daß im Beitrags- und Leistungsrecht der Sozialversicherung die Rechtsprechung vor dem Erlaß der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze keinen Anspruch auf Prozeßzinsen anerkannt hat (RVA z. B. in AN 1914, 819, 822), und zwar mit solcher Stetigkeit, daß sogar die Meinung – deren Richtigkeit hier dahinstehen kann – vertreten worden ist, es bestehe insoweit ein Gewohnheitsrecht, und daß der Gesetzgeber der Neuregelungsgesetze trotz dieser ihm zweifellos bekannten Rechtsprechung sich nicht veranlaßt gesehen hat, bei der umfassenden Neuregelung aller Zweige der Rentenversicherung einen Anspruch auf Prozeßzinsen zu gewähren. – Hierzu bestand auch insofern kein Grund, als nicht davon die Rede sein kann, ein solcher Anspruch der Leistungsberechtigten, insbesondere der Rentenberechtigten, gegen die Träger der Sozialversicherung entspreche der Billigkeit und den Grundsätzen von Treu und Glauben. Bei der Versagung von Prozeßzinsen in der Rentenversicherung kann jedenfalls nicht in gleichem Maße wie im bürgerlichen Recht und auch auf gewissen Teilgebieten des öffentlichen Rechts davon gesprochen werden, der Schuldner zöge sonst Nutzungen, während dem Gläubiger, solche entzogen würden. Daß diese Vorstellung der der einen Seite entgehenden und der anderen Seite ungerecht zufließenden Zinsen auf die Beziehungen der Rentenberechtigten zu den Versicherungsträgern und ihre Lage und Verhaltensweisen nur in erheblich eingeschränktem Maße paßt, ist in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegt. Von besonderem Gewicht ist ferner, gerade auch bei der Prüfung der Frage, ob der Rentenberechtigte nach Treu und Glauben Anspruch auf Prozeßzinsen habe, folgende Erwägung: Es wäre ein grundlegender Fehler, Einzelregelungen andere Rechtsgebiete wie z. B. des bürgerlichen Rechts im Wege entsprechender Anwendung in das Sozialversicherungsrecht zu übertragen, ohne dabei die Gesamtheit der sozialversicherungsrechtlichen und der damit zusammenhängenden verfahrensrechtlichen Regelungen im Blick zu behalten. Eine solche gleichsam punktuelle Betrachtung führt leicht in die Irre. Werden aber die Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherungsträger und dem Leistungsberechtigten in der Sozialversicherung im Falle eines Rechtsstreits vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im ganzen im Auge behalten, so kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß das Verfahren vor diesen Gerichten für die wirklich oder vermeintlich Leistungsberechtigten kostenfrei ist (§ 183 SGG) während der Versicherungsträger in jeder Instanz und ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens eine Gerichtsgebühr zu entrichten hat (§ 184 SGG), und daß § 193 SGG eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens an den Leistungsberechtigten vorsieht, an den Versicherungsträger aber ausschließt. Unter diesen Umständen würde die Vorstellung, der Versicherungsträger bereichere sich im Prozeßfalle durch Zinsgewinn infolge unbegründeter Verweigerung von Leistungen, den Verhältnissen nicht gerecht und es wäre nicht billig, dem Versicherungsträger auch noch die Zahlung von Prozeßzinsen aufzuerlegen. Treu und Glauben rechtfertigen deshalb die Gewährung von Prozeßzinsen an die Leistungsberechtigten in der Sozialversicherung in entsprechender Anwendung des § 291 BGB nicht. Solche hat ja auch der Versicherte nicht zu zahlen, wenn er zur Rückerstattung zu Unrecht erhaltener Leistungen verurteilt wird. – Mit Recht ist endlich in der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamtes auch die Erwägung angestellt worden, die Berechnung von Zinsen von rückständigen Leistungen würde die Versicherungsträger mit einer Menge kleinlicher und vielfach zeitraubender Arbeit belasten, die ihnen im Interesse der Durchführung ihrer sonstigen Aufgaben um so mehr erspart werden müsse, als es sich nicht selten um verhältnismäßig geringe Beträge handeln würde, die für die Empfänger wirtschaftlich kaum von nennenswerter Bedeutung wären (AN 1914, 819, 823). Eine solche Erwägung ist auf einem Gebiete, auf dem es sich um die möglichst rasche Abwicklung von Massenbeständen handelt, wie in der Sozialversicherung, durchaus angebracht und keineswegs, wie vereinzelt gemeint worden ist, mit rechtsstaatlichen Rücksichten unvereinbar. –
Nach alledem ist der von dem Kläger erhobene Anspruch auf Zinsen unbegründet. Seine Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Raack, Dr. Dapprich, Dr. Schwankhart
Fundstellen
Haufe-Index 707680 |
BSGE, 150 |
NJW 1965, 1198 |
MDR 1965, 518 |