Leitsatz (amtlich)
Rentenzahlbetrag iS der 1. und 2. RAG §§ 3 Abs 1 S 1 und des 3. RAG § 2 Abs 1 S 1 ist der Rentenbetrag, der auf Grund bindender oder rechtskräftiger Feststellung vor der Rentenanpassung für den jeweiligen Stichmonat zu zahlen war.
Das 1., 2. und 3. RAG bieten keine Rechtsgrundlage dafür, bei den Rentenanpassungen jene bindende Feststellung zu berichtigen.
Normenkette
RAG 1 § 3 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1958-12-21; RAG 2 § 3 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1959-12-21; RAG 3 § 2 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-12-19
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. November 1961 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger bezog seit September 1956 Invalidenrente in Höhe von 107,40 DM. Die Umstellung der Rente nach Art. 2 § 32 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) hätte nur eine monatliche Rente von 113,10 DM ergeben. Die alte Rente wurde daher nach Art. 2 § 36 ArVNG für die Zeit vom 1. Januar 1957 an um 21,- DM auf 128,40 DM monatlich erhöht. Als der Kläger im Juli 1957 65 Jahre alt geworden war, erhöhte die Beklagte durch Bescheid vom 27. August 1957 diese Rente nach Art. 2 § 38 Abs. 3 ArVNG auf fünfzehn Dreizehntel des bisherigen monatlichen Zahlbetrages, d. h. auf 148,20 DM. Die Rente wurde dann nach dem 1. Rentenanpassungsgesetz (RAG) auf 156,40 DM monatlich erhöht.
Bei späterer Überprüfung der nach dem 1. RAG vorgenommenen Anpassung bemerkte die Beklagte, daß in ihrem Bescheid vom 27. August 1957 nicht die nach Art. 2 § 36 ArVNG gewährte Rente, sondern die nach Art. 2 § 32 ArVNG umgestellte Rente hätte auf fünfzehn Dreizehntel erhöht werden müssen. Sie hob durch Bescheid vom 2. November 1959 ihren Bescheid vom 27. August 1957 auf und stellte das Altersruhegeld des Klägers für die Zeit vom 1. Dezember 1959 neu fest, indem sie die nach Art. 2 § 32 ArVNG umgestellte Rente auf fünfzehn Dreizehntel erhöhte. Die Neufeststellung ergab - einschließlich der Rentenanpassung nach dem 1. RAG - eine niedrigere Rente (138,70 DM). In dem anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht (SG) erklärte sich die Beklagte bereit, den Bescheid vom 2. November 1959 aufzuheben und das Altersruhegeld in der bisherigen Höhe von 156,40 DM weiterzugewähren. Dies führte sie mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. März 1960 zwar aus; gleichzeitig aber berechnete sie die Rentenanpassungen nach dem 1. und 2. RAG neu, indem sie wiederum von der nach Art. 2 §§ 32, 38 ArVNG umgestellten - niedrigeren - Rente ausging und diese jeweils entsprechend anpaßte. Dasselbe Verfahren kündigte sie für die künftigen Rentenanpassungen an und verfügte in dem Bescheid vom 29. März 1960, daß bis zum Ausgleich das Altersruhegeld in der bisherigen Höhe von 156,40 DM weitergezahlt werde. In der gleichen Weise berechnete sie während des Berufungsverfahrens die Rentenanpassung nach dem 3. RAG und gelangte zu einer Rente von nur 155,- DM, so daß die bisherige Rente von 156,40 DM weitergewährt wurde (Bescheid vom 13. Januar 1961).
Das SG hat die Klage, mit der der Kläger zunächst nur Erhöhung des Altersruhegeldes nach dem 2. RAG auf 164,50 DM begehrte, abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 29. März 1960 und 13. Januar 1961 verurteilt, dem Kläger das Altersruhegeld vom 1. Januar 1960 an in Höhe von 164,50 DM und vom 1. Januar 1961 an in Höhe von 172,40 DM zu gewähren. Es sah als Rentenzahlbetrag im Sinne des § 3 des 2. RAG und des § 2 des 3. RAG den Betrag an, der dem Kläger auf Grund des Bescheides zugestanden habe, der im Zeitpunkt der Anpassung die Höhe der Rente für den Jahresanfangsmonat verlautbart habe. Solange dieser Bescheid gültig sei, ergebe sich aus ihm und nicht aus dem Gesetz der Rentenzahlbetrag. Für die Rentenzahlung im Januar 1960 sei gemäß dem Bescheid vom 29. März 1960 wiederum der frühere Bescheid (vom 27. August 1957) maßgebend gewesen, aus dem sich ein Rentenzahlbetrag von 156,40 DM ergeben habe. Von diesem Betrag sei die Rentenanpassung zunächst nach dem 2. RAG und daran anschließend die nach dem 3. RAG vorzunehmen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie meint, es möge dahingestellt bleiben, ob man der Rechtsauffassung des LSG, bei der Rentenanpassung sei von dem zur Zeit bindenden Bescheid auszugehen, folgen könne. Vorrangig bleibe aber das Recht des Versicherungsträgers, einen fehlerhaften Bescheid für die Zukunft materiell richtigzustellen. Dazu gehöre im vorliegenden Falle auch die Anpassung der Rente nach den Rentenanpassungsgesetzen. Von diesem Recht habe sie mit ihrem Bescheid vom 29. März 1960 Gebrauch gemacht. Bei der Anwendung der Rentenanpassungsgesetze müßten in erster Linie die Vorschriften über die Begriffsbestimmung des Rentenzahlbetrages zugrunde gelegt werden; die Bindung an einen fehlerhaften Bescheid sei aus diesem Grunde nicht für alle Zeit gegeben. Selbstverständlich bestehe die Bindung immer insoweit, als die bisherige Rente so lange als Besitzstandsrente zu zahlen sei, bis sich durch Gesetzesbestimmungen höhere Beträge ergäben. Dieses Recht sei dem Kläger auch zugestanden worden; weitergehende Ansprüche könne er nicht stellen. Der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe zudem entschieden (BSG 14, 154, 159), daß in Fällen, in denen eine Rente irrtümlich zu hoch berechnet worden sei, eine weitere Erhöhung auch beim Nachweis weiterer Versicherungszeiten erst begehrt werden könne, wenn eine richtige Ausrechnung der Rente ergebe, daß die bisher gewährte Leistung niedriger sei als diejenige, die bei richtiger Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen wäre. Als gesetzliche Bestimmungen seien im vorliegenden Falle in erster Linie die Bestimmungen des Art. 2 § 38 ArVNG anzusehen, nämlich daß bei der Erhöhung des Altersruhegeldes auf fünfzehn Dreizehntel nur von der Faktorenrente, nicht aber von der Sonderzuschußrente auszugehen sei. Erst dann folge der Begriff "Rentenzahlbetrag" nach den Rentenanpassungsgesetzen. Daraus folge, daß der richtige Rentenbetrag nur im Zusammenhang mit der richtigen Anwendung des Art. 2 § 38 ArVNG gesehen werden könne. Ihr schriftliches Anerkenntnis vom 26. Februar 1960 habe bewirkt, daß dem Kläger die damals zu hoch berechnete Rente nur als Besitzstandsrente weiter zugebilligt worden sei.
Das Anerkenntnis habe sich nur auf den Rentenbetrag bezogen, nicht aber auf weitere rechtliche Auswirkungen, die von der Bindungswirkung ausgeschlossen seien. Sie sei daher berechtigt, so lange nur die Besitzstandsrente zu zahlen, bis sich bei richtiger Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen für den Kläger ein höherer Rentenzahlbetrag ergebe.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, ferner die Klage gegen den Bescheid vom 13. Januar 1961 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, daß die strittigen Rentenanpassungen von dem Rentenzahlbetrag des Altersruhegeldes des Klägers vorzunehmen waren, der vorher bindend festgestellt worden war.
Die Beklagte hatte in ihrem Bescheid vom 27. August 1957 über die Erhöhung der Rente des Klägers wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß Art. 2 § 38 Abs. 3 ArVNG die Rente auf einen zu hohen Betrag festgestellt, weil sie die nach Art. 2 § 36 ArVNG gewährte Sonderzuschußrente auf fünfzehn Dreizehntel des bisherigen Zahlbetrages erhöht hatte. Es hätte aber, wie das BSG inzwischen entschieden hat (BSG 8, 118), nur die nach Art. 2 § 32 ArVNG umgestellte Rente nach Art. 2 § 38 Abs. 3 ArVNG entsprechend erhöht werden dürfen, so daß sich ein niedrigerer Rentenbetrag für den Kläger ergeben hätte. Nachdem die Beklagte von der genannten Entscheidung des BSG Kenntnis erhalten hatte, hat sie versucht, den in dem Bescheid vom 27. August 1957 enthaltenen Fehler bei Gelegenheit der ersten, zweiten und dritten Rentenanpassung in den hierüber ergangenen - angefochtenen - Bescheiden vom 29. März 1960 und 13. Januar 1961 zu korrigieren. Hierfür aber fehlte es an einer Rechtsgrundlage. Der Bescheid vom 27. August 1957 war bindend geworden. Die Bindungswirkung des Bescheides durfte nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nur durchbrochen werden, soweit das Gesetz es zuläßt. Wie der 3. Senat des BSG wiederholt entschieden hat, ist die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte auf dem Gebiete der gesetzlichen Rentenversicherung - wie auch der Altershilfe für Landwirte - im Sozialversicherungsrecht abschließend geregelt, so daß dadurch die Anwendung der Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte ausgeschlossen ist (BSG 11, 226, 229; 14, 10, 14; 15, 252, 256). Dieselbe Ansicht hat der 2. Senat des BSG für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung vertreten (BSG 18, 84, 90; SozR RVO § 620 aF Bl. Aa 1 Nr. 1). Der erkennende Senat schließt sich der Ansicht des 3. Senats des BSG jedenfalls insoweit an, als es sich um die Rücknahme förmlicher Bescheide im Sinne des § 1631 der Reichsversicherungsordnung (RVO) handelt. Um einen solchen Bescheid handelt es sich hier. Ein fehlerhafter bindender förmlicher Bescheid kann danach zuungunsten des Berechtigten nur in den Fällen des § 1744 RVO wieder geändert oder aufgehoben werden. Keiner dieser Fälle ist hier gegeben. Darüber hinaus kann ein fehlerhafter bindender Bescheid in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 138 SGG berichtigt werden (BSG 15, 96; SozR SGG § 77 Bl. Da 20 Nr. 36; SozR RVO § 1268 Bl. Aa 3 Nr. 4).
Die Voraussetzungen auch dieser Vorschrift sind jedoch nicht erfüllt. Der Fehler in dem Bescheid vom 27. August 1957 beruht nicht auf einem Schreibfehler, Rechenfehler oder einer ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit. Fehler in Rentenfeststellungsbescheiden, die der Versicherungsträger durch unrichtige Rechtsanwendung verursacht hat, können nicht in entsprechender Anwendung des § 138 SGG beseitigt werden. War die Beklagte hiernach an den fehlerhaften Bescheid vom 27. August 1957 gebunden, dann durfte sie den in dem Bescheid festgestellten Betrag des Altersruhegeldes nicht mehr zuungunsten des Klägers ändern; denn die Bindungswirkung des Bescheides erstreckte sich gerade auf die darin zuerkannte Höhe der Rente.
Der festgestellte Rentenbetrag des Altersruhegeldes war nach dem Ersten, Zweiten und Dritten Rentenanpassungsgesetz jeweils entsprechend zu erhöhen; denn diese Rentenanpassungsgesetze knüpften in einem Fall wie dem vorliegenden immer nur an das vorher Festgestellte an. Anpassungsbetrag ist nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 des 1. und 2. RAG, § 2 Abs. 1 Satz 1 des 3. RAG der Rentenzahlbetrag für Januar 1959 bzw. 1960/1961 einschließlich der Kinderzuschüsse, vermindert um den Sonderzuschuß und die Steigerungsbeträge aus Beiträgen der Höherversicherung. Der Wortlaut der Vorschriften besagt zwar nicht ausdrücklich, was der Begriff Rentenzahlbetrag hier bedeutet. Darunter kann aber, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, nur der Betrag der Rente verstanden werden, der dem Rentenberechtigten für den jeweiligen Stichmonat rechtlich zustand. War die Rente vor der Rentenanpassung bindend festgestellt worden, dann stand dem Rentenberechtigten als Rentenzahlbetrag der Rentenbetrag zu, der sich aus dem Feststellungsbescheid ergibt. Dies gilt auch dann, wenn die Rente, wie es hier der Fall war, bindend zu hoch festgestellt worden war; denn kraft der Bindungswirkung des Feststellungsbescheides war die Rente in der festgestellten Höhe für den Stichmonat zu zahlen, unabhängig davon, ob sie richtig oder fehlerhaft berechnet worden war.
In Fällen, in denen für den Stichmonat noch keine Rente gezahlt worden ist oder sich der Zahlbetrag der Rente nachträglich erhöht, tritt zwar an die Stelle des Rentenzahlbetrages im Sinne der oben genannten Vorschriften der Betrag, der für den Stichmonat nach den gesetzlichen Vorschriften zu zahlen gewesen wäre (§ 3 Abs. 2 des 1. RAG, § 3 Abs. 3 des 2. RAG, § 2 Abs. 3 des 3. RAG). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Für einen Fall wie den vorliegenden enthalten die Rentenanpassungsgesetze keine Vorschrift, die es der Beklagten gestattet, bei den Rentenanpassungen von einem anderen als dem bindend festgestellten Rentenzahlbetrag auszugehen. Die Vorschriften der §§ 7 Abs. 1 Satz 2 des 1. und 2. RAG, § 6 Abs. 1 Satz 2 des 3. RAG, wonach eine fehlerhafte Anpassung bis zum Ende des jeweils bestimmten Jahres zu berichtigen ist, beziehen sich, wie schon ihr Wortlaut ergibt, nur auf Fehler, die durch die Rentenanpassung entstanden sind. Andere Fehler, insbesondere solche, die im Rentenfeststellungsbescheid enthalten sind, können nach diesen Vorschriften nicht berichtigt werden.
Die Beklagte kann ihre hiervon abweichende Rechtsansicht auch nicht auf die Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 20. April 1961 (BSG 14, 154, 159) stützen; denn die Entscheidung betrifft einen anderen, hier nicht gegebenen Sachverhalt und somit auch eine andere Rechtsfrage. Der 4. Senat hat dort ausgesprochen, die Bindungswirkung eines Rentenfeststellungsbescheides erstrecke sich nicht auf die Gründe für die Rentenberechnung, und deshalb sei einem Versicherten die rentensteigernde Anrechnung einer zu Unrecht nicht angerechneten kurzen Beitragszeit versagt, weil vorher zu Unrecht angerechnete Ausfall- und Zurechnungszeiten zu einer höheren Rente geführt hatten, als es bei einer richtigen Berechnung ohne diese Zeiten, aber unter Berücksichtigung der kurzen weiteren Beitragszeit der Fall gewesen wäre. Die Entscheidung betrifft insoweit einen Fall der Neufeststellung einer Rente nach § 1300 RVO, der rechtlich anders zu beurteilen ist als die hier strittigen Rentenanpassungen. Bei den Rentenanpassungen nach dem 1. bis 3. RAG findet eine Neufeststellung der Rente aber gerade nicht statt. Es bleibt vielmehr die vorher festgestellte Rente als Grundlage unberührt und wird lediglich jeweils durch eine bestimmte Vervielfältigung erhöht.
Nach alledem hat das Berufungsgericht zu Recht entschieden, daß der in dem Bescheid vom 27. August 1957 bindend festgestellte Zahlbetrag des Altersruhegeldes von 148,20 DM nach §§ 1, 3 des 1. RAG auf 156,40 DM, dann nach §§ 1, 3 des 2. RAG auf 164,50 DM und anschließend nach §§ 1, 2 des 3. RAG auf 172,40 DM zu erhöhen war, wobei es von der nicht angegriffenen und daher für das Revisionsgericht bindenden Feststellung ausgegangen ist, daß in dem Altersruhegeld des Klägers ein Sonderzuschuß von 21,- DM enthalten war.
Da das angefochtene Urteil somit zutrifft, war die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen