Leitsatz (redaktionell)
1. Der Rentnerversicherung der Arbeiter sind Werkschutzleute auch dann zuzuordnen, wenn sie außerdem als vereidigte Wieger die ein- und ausfahrenden Lastzüge kontrollieren. Neben der rein mechanischen Tätigkeit muß auch die Kontrolle der Passierscheine, Frachtbriefe und polizeilichen Kennzeichen der Fahrzeuge und das Verwiegen der von der Polizei vorgeführten Fahrzeuge als eine einfache Dienstleistung ohne sonderliche geistige Beanspruchung angesehen werden. Das gilt auch für die Kontrolle des Materials iVm der Kontrolle der Begleitpapiere. Aber auch die Erstellung von Wiegekarten ist als eine verhältnismäßig einfache Arbeit anzusehen, da sie keine besonderen Fähigkeiten erfordert.
2. Ob ein Arbeitnehmer, zu dessen Aufgabenbereich sowohl körperlich-mechanische Verrichtungen als auch büromäßige Tätigkeiten gehören, als Arbeiter oder als Angestellter anzusehen ist, richtet sich grundsätzlich nach der jeweils herrschenden Verkehrsanschauung; hat sich bisher eine einheitliche Verkehrsauffassung nicht gebildet, so ist darauf abzustellen, ob die Gesamttätigkeit überwiegend körperlicher oder geistiger Art ist.
Normenkette
RVO § 1127 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt Hessen werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Dezember 1969 und des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Oktober 1968 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Kläger sind Angehörige des Werkschutzes der Firma O AG in R. Die Kläger Sch, S und Sch sind außerdem auch als vereidigte Wieger tätig. Der Kläger J ist kein vereidigter Wieger , hatte aber als Sonderaufgabe die Wiegekontrolle durchzuführen. Mit ihren Klagen wenden sich die bisher in der Rentenversicherung der Angestellten versicherten Kläger gegen den Bescheid der beklagten Betriebskrankenkasse (BKK), in dem diese auf Veranlassung der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) festgestellt hat, daß die Kläger in der Rentenversicherung der Arbeiter pflichtversichert seien. Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der beigeladenen LVA gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei der Entscheidung, ob jemand als Angestellter anzusehen sei, komme es entscheidend darauf an, ob das Schwergewicht der Tätigkeit mehr auf dem "körperlichen Bereich" oder auf dem "geistigen Bereich" liege. Die Kläger Sch, S und Sch seien im wesentlichen in einem "geistigen Einsatz". Ihre Tätigkeit als vereidigte Wieger sei etwa so aufgeteilt, daß von 40 Wochenarbeitsstunden nur etwa 20 % auf die rein mechanische Tätigkeit, etwa 30 % auf die Erstellung der Wiegekarten und weitere 20 % auf die Kontrolle der Passierscheine, der Frachtbriefe und der polizeilichen Kennzeichen der Fahrzeuge entfielen. Die restliche Arbeitszeit entfalle auf die Kontrolle des Materials, das über die Waage das Werk verlasse. Dabei müßten auch Fahrzeuge verwogen werden, die von der Polizei vorgeführt würden; darauf entfielen jedoch nicht mehr als 10 %. Insbesondere habe der Kläger S sowohl bei Ein- und Auspassieren der Fahrzeuge anhand der Versandpapiere zu kontrollieren, ob die Beladung mit den Papieren übereinstimme. Diese Angaben würden in ein Versandscheinbuch eingetragen, ehe das Fahrzeug passieren könne. Dabei müßten auch die Ursache von Gewichtsdifferenzen festgestellt und eine Begründung auf der Wiegekarte eingetragen werden. Die Kläger Sch, S und Sch hätten 1963 eine Prüfung als Wieger vor dem Eichamt abgelegt und seien auch dort vereidigt worden. Ihre Tätigkeit sei früher von kaufmännischen Angestellten ausgeführt worden. Der Kläger J sei zwar kein vereidigter Wieger , habe aber als Sonderaufgabe die Wiegekontrolle durchzuführen gehabt und habe daher dieselbe Angestelltentätigkeit wie die übrigen Kläger verrichtet. Seit Anfang 1969 sei er in gleicher Weise wie andere Werkschutzangehörige mit der Verkaufswarenkontrolle betraut. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die beigeladene LVA hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Die Kläger gehörten nicht zu den in § 3 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aufgeführten Angestellten. Sie könnten auch nicht im Sinne des Berufsgruppenverzeichnisses der Angestelltenversicherung Abschn. XVIII Ziffer 2 als "im sonstigen Sicherheitsdienst Tätige" angesehen werden, weil sie keine entsprechen den Aufgaben hätten, insbesondere auch nicht hoheitlich tätig seien; sie gehörten auch nicht zu den in XVII des Berufsgruppenverzeichnisses aufgeführten, im Verkehrswesen tätigen Werkmeistern. Da sich auch noch keine einheitliche Verkehrsauffassung gebildet habe, daß Werkschutzleute oder vereidigte Wieger als Angestellte anzusehen seien, ergebe sich die Versicherungszugehörigkeit der Kläger aus der überwiegenden Art ihrer Tätigkeit. Es sei unerheblich, daß ihre Tätigkeit früher von kaufmännischen Angestellten ausgeübt worden sei. Bei der Erstellung, der Kontrolle der Passierscheine und Frachtbriefe usw. und bei dem Abwiegen von Fahrzeugen handele es sich um einfache mechanische Tätigkeiten, so daß insgesamt gesehen die Tätigkeiten, die eine Arbeiterrentenversicherungspflicht zur Folge hätten, bereits zeitlich überwiegen würden. Das Erstellen der Wiegekarten und die Kontrolle des Materials seien teilweise mit schriftlichen Arbeiten verbunden, die jedoch keine besondere geistige Tätigkeit erforderten und damit nicht der Gesamttätigkeit das Gepräge gäben.
Die beigeladene LVA beantragt:
Die Urteile des Hessischen LSG vom 11. Dezember 1969 und des SG Darmstadt vom 4. Oktober 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger Sch, J und S beantragen:
Die Revision zurückzuweisen.
Die beklagte BKK, die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die beigeladene Firma O stellen keinen Antrag.
Der Kläger Sch ist in der Revisionsinstanz nicht vertreten.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision ist begründet.
Wie der Senat in BSG 10, 82, 83 ausgeführt hat, ist es für die Frage, ob jemand als Angestellter anzusehen ist, nicht ausschlaggebend, ob die betreffende Tätigkeit in das Berufsgruppenverzeichnis der Angestelltenversicherung vom 28. März 1924 idF der Verordnungen vom 4. Februar und 15. Juli 1927 (RGBl I 1924 S. 274 und 410, 1927 S. 58 und 222) aufgenommen worden ist; denn es handelt sich hier nur um eine beispielhafte Aufstellung. Der Begriff des Angestellten muß vielmehr nach der jeweils herrschenden Verkehrsanschauung ausgelegt werden. Dabei hängt nach der Verkehrsanschauung die Entscheidung, ob jemand der Rentenversicherung der Angestellten oder der Arbeiter angehört, im allgemeinen davon ab, ob der Betreffende eine überwiegend geistige Beschäftigung verrichtet oder ob er als Handarbeiter vorwiegend körperlich tätig ist. Der Senat hat sich bereits in seinem Urteil vom 21. Januar 1969 (SozR AVG § 3 Nr. 14) bei einem ähnlichen Fall mit der Frage der Versicherungszugehörigkeit von Werkschutzangehörigen befaßt. Er hat dabei diese Personen der Rentenversicherung der Arbeiter zugeordnet: Das AVG enthalte keine ausdrückliche Vorschrift über Arbeitnehmer dieser Art, sie seien nicht in dem Berufsgruppenverzeichnis aufgeführt, insbesondere könnten Werkschutzangehörige nicht zu den "im Sicherheitsdienst Tätigen" (Abschnitt A XVIII Nr. 2 der Berufsgruppenbest.) gerechnet werden, weil hierunter nur solche Versicherte fielen, die hoheitsrechtliche Funktionen ausübten. Da sich auch noch keine einheitliche Verkehrsanschauung über die Angestellteneigenschaft der Werkschutzangehörigen gebildet habe, käme es darauf an, ob ihr Berufsbild überwiegend durch körperliche und mechanische Dienstleistungen geprägt werde. Dabei sei festzustellen, daß die Gesamttätigkeit und die einzelnen Bestandteile vorwiegend körperlicher Art seien, während sich die schriftlichen Nebenarbeiten (Eintragungen in Wach- und Kontrollbücher) auf einfache Einschreibungen oder auf die reine Übertragung von Zahlen beschränkten. Die Verwiegung von Lastzügen werde, wie die Tätigkeit der Wiegemeister, allgemein als Arbeitertätigkeit angesehen.
Diese Erwägungen treffen auch für den vorliegenden Fall zu. Die Kläger üben im Rahmen ihrer Tätigkeit als Werkschutzleute die von Wiegern aus. Dazu hat das LSG festgestellt, daß etwa 20 % auf reine mechanische Tätigkeiten entfielen, etwa 30 % auf die Erstellung der Wiegekarten, 20 % auf die Kontrolle der Passierscheine, Frachtbriefe und Polizeikennzeichen der Fahrzeuge; die restliche Arbeitszeit entfällt nach den Feststellungen auf die Kontrolle des Materials und auf die Verwiegung von Fahrzeugen, die von der Polizei vorgeführt würden (nicht mehr als 10 %). Neben der schon vom LSG auf 20 % geschätzten rein mechanischen Tätigkeit muß aber auch die Kontrolle der Passierscheine, Frachtbriefe und polizeilichen Kennzeichen der Fahrzeuge (20 %) und die 10 % (Verwiegen der von der Polizei vorgeführten Fahrzeuge) als eine einfache Dienstleistung ohne sonderliche geistige Beanspruchung angesehen werden. Das gilt auch für die mit 20 % angesetzte Kontrolle des Materials i. V. m. der Kontrolle der Begleitpapiere. Aber auch die Erstellung von Wiegekarten ist als eine verhältnismäßig einfache Arbeit anzusehen, da sie keine besonderen Fähigkeiten erfordert. Auf keinen Fall kann sie den Schluß rechtfertigen, die Tätigkeit der Kläger müsse der Angestelltenversicherung zugerechnet werden.
Daß früher die Tätigkeit der Kläger von Angestellten ausgeübt worden ist, ist ohne Bedeutung. Denn es kommt darauf an, welcher Art diese Tätigkeit ist und nicht von wem sie ausgeführt wird. Weiter ist unerheblich, daß einige der Kläger eine Prüfung als Wieger abgelegt haben. Denn dies ist kein Anzeichen für eine Angestelltentätigkeit, sondern betrifft nur die Qualifikation für die betreffende Tätigkeit.
Die Kläger sind daher der Arbeiterrentenversicherung zuzuordnen.
Auf die Revision der LVA Hessen müssen daher die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen