Leitsatz (amtlich)
1. Belgische Staatsangehörige, die während des 2. Weltkrieges im Gebiet des jetzigen Landes Berlin einen Arbeitsunfall erlitten haben, sind aufgrund der 3. ZVbg AllgAbk Belgien SozSich frühestens vom 1944-10-01 an von dem Unfallversicherungsträger zu entschädigen, dessen Zuständigkeitsbereich auf das Land Berlin erstreckt worden ist.
Der Rentennachzahlung steht nicht entgegen, daß der Verletzte die Rente vor Inkrafttreten der 3. ZVbg AllgAbk Belgien SozSich noch nicht beantragt hatte.
2. Zur Vorlagepflicht nach EWGV Art 177 Abs 1 Buchst b Abs 3.
Normenkette
EWGVtr Art. 177 Abs. 1 Buchst. b Fassung: 1957-03-25, Abs. 2 Fassung: 1957-03-25; RVO § 615 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1925-07-14; SozSichAbkZVbg BEL 3 Art. 1 Fassung: 1957-12-07, Art. 2 Abs. 1 S. 1
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. Dezember 1967 und der Beschluß des Sozialgerichts Hannover vom 14. Juli 1967 werden aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 3. Juli 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger zu 2) die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
Der Kläger zu 2) ist belgischer Staatsangehöriger und wohnt in Belgien. Er war von April 1943 bis Januar 1944 bei einer Metallwarenfabrik in B als zwangsverpflichteter Arbeiter beschäftigt. Er erlitt am 10. September 1943 während der Arbeit an einer Metallpresse einen Unfall. Dabei zog er sich eine Quetschverletzung der rechten Hand zu, die eine Teilamputation der Finger 2, 3 und 4 rechts erforderlich machte.
Wegen der Folgen des Unfalls erhält der Kläger zu 2) vom Königreich Belgien eine Rente.
Im Mai 1965 beantragte die belgische Verbindungsstelle (Ministère de la Prévoyance Sociale in Brüssel) unter Bezugnahme auf die Dritte Zusatzvereinbarung zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 über die Zahlung von Renten für die Zeit vor Inkrafttreten des Abkommens (BGBl II 1963 404 3. ZV), wegen der Folgen des vorgenannten Arbeitsunfalls eine Rente aus der Unfallversicherung zu zahlen. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Juli 1965 dem Kläger zu 2) vom 1. April 1952 an eine Rente in Höhe von 25 v.H. der Vollrente. Leistungen für die vorangegangene Zeit, in der das Königreich Belgien dem Kläger zu 2) zeitweise Rente gezahlt hatte, lehnte die Beklagte jedoch mit der Begründung ab, sie sei für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (FAG - BGBl I 848 -) am 1. April 1952 nicht zuständig. Ihre Zuständigkeit für die Unfälle in B sei erst durch § 8 Abs. 2 FAG mit Wirkung vom 1. April 1952 begründet worden.
Auf die mit dem Ziel erhobene Klage, den Beginn der Rentenzahlung unter Berücksichtigung der 3. ZV auf den 1. Oktober 1944 vorzuverlegen, hat das Sozialgericht (SG) Hannover durch Urteil vom 3. Juli 1967 die Beklagte verurteilt, dem Kläger zu 2) eine Dauerrente in Höhe von 25 v.H. der Vollrente seit dem 1. Oktober 1944 zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Nach Art. 2 der 3. ZV seien Leistungen frühestens vom 1. Oktober 1944 an zu zahlen. Die Zuständigkeit der Beklagten ergebe sich aus Satz 1 dieser Vorschrift, die alle Rentenzahlungen erfasse, welche die deutschen Versicherungsträger nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften vor Januar 1959 schuldeten. Als innerstaatliche Rechtsvorschrift im Sinne dieser Bestimmung sei § 7 Abs. 1 Nr. 1 FAG anzusehen, der die Zahlungspflicht der Beklagten begründe. Das zwischenstaatliche Recht sei hinsichtlich des Rentenbeginns gegenüber dem FAG lex specialis.
Auf die - zugelassene - Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 13. Dezember 1967 (Breithaupt 1968, 667) die Entscheidung des Sozialgerichts (SG) aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Nachzahlungsanspruch setze nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der 3. ZV voraus, daß der in Anspruch genommene Versicherungsträger nach deutschem Recht Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 1944 an "schulde". Dieses Erfordernis sei nicht gegeben. Zur Zeit des Unfalls sei der Kläger zu 2) bei der Nordöstlichen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft versichert gewesen. Dieser Versicherungsträger bestehe nicht mehr. Die Leistungspflicht der Beklagten sei erst durch das FAG mit Wirkung vom 1. April 1952 begründet worden. Der vom SG vertretenen Auffassung, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der 3. ZV enthalte eine allgemeine Zuständigkeitsregelung, könne nicht beigetreten werden. Den Vertragsparteien der 3. ZV sei bekannt gewesen, daß einige an sich leistungspflichtige Versicherungsträger nicht mehr beständen und in diesen Fällen das FAG mit Wirkung vom 1. April 1952 die Entschädigungspflicht anderer Versicherungsträger begründet habe. Das ergebe sich aus Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV. Es könne dahingestellt bleiben, ob diese Bestimmung für die Unfallversicherung gelte. Jedenfalls hätten die Vertragsparteien durch diese Vorschrift zu erkennen gegeben, daß sie Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der 3. ZV nicht im Sinne einer allgemeinen Zuständigkeitsregelung aufgefaßt haben. Durch die in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV enthaltene Verweisung auf Art. 4 der 3. ZV sei zum Ausdruck gebracht worden, daß der Nachzahlungsanspruch in Fällen, in denen der an sich leistungspflichtige Versicherungsträger nicht mehr vorhanden sei, nur unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift begründet werden solle. In Art. 4 der 3. ZV sei aber nicht geregelt, welcher Versicherungsträger im Einzelfall zur Nachzahlung verpflichtet sei, wenn der an sich entschädigungspflichtige Versicherungsträger die Rente des belgischen Staatsangehörigen nicht festgestellt habe und er nicht mehr vorhanden sei. Es liege eine Lücke in der 3. ZV vor, die mit Rücksicht auf das entgegenstehende deutsche Recht (FAG) nicht zugunsten der Kläger ausgefüllt werden könne.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Kläger haben dieses Rechtsmittel eingelegt und begründen es wie folgt: Der Anspruch der Kläger sei allein nach dem Vertragswerk zu beurteilen, das die Bundesrepublik Deutschland mit dem Königreich Belgien zur Regelung ihrer gegenseitigen Beziehungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit getroffen habe. Es sei davon auszugehen, daß der Arbeitsunfall des Klägers zu 2) von der Nordöstlichen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft festgestellt worden sei. Es sei anzunehmen, daß der Kläger zu 2) in Verbindung mit der Anzeige des Arbeitgebers über den Unfall und das Eintreten des vorgenannten Versicherungsträgers für die Folgen des Unfalls auch einen Antrag auf Gewährung von Rentenleistungen gestellt habe. In diesem Fall sei die Zuständigkeit des deutschen Versicherungsträgers nach Art. 3 Abs. 3 der 3. ZV gegeben. Das LSG habe im übrigen zu Unrecht angenommen, in Art. 4 der 3. ZV sei eine Lücke vorhanden. Nach dem in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV objektivierten Willen der vertragschließenden Staaten könne der Wortlaut der Bestimmung nur so verstanden werden, daß bei Nichtbestehen des Rentenanspruchs nach deutschem Recht für die Zeit vor dem 1. April 1952 infolge Ausfalls eines leistungspflichtigen Versicherungsträgers für die Gewährung der Leistung ein anderer Versicherungsträger nach Art. 4 der 3. ZV zu ermitteln sei. Falls wirklich in Art. 4 der 3. ZV eine Lücke vorhanden sei, müsse sie zugunsten der Kläger geschlossen werden. Bei einer Kollision zwischen internationalem und nationalem Recht sei das im zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht geltende Günstigkeitsprinzip ebenso anzuwenden wie bei der Ausfüllung einer Gesetzeslücke. Das FAG dürfe zur rechtlichen Beurteilung nicht herangezogen werden. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Geist des internationalen Abkommens könne der Gedanke hergeleitet werden, den belgischen Staatsangehörigen einen Anspruch zu versagen, weil die deutsche Gesetzgebung den deutschen Staatsangehörigen für den gleichen Fall keine Anspruchsgrundlage gebe. Das bewußte Abweichen der vertragschließenden Staaten vom deutschen Recht zeige sich gerade in der Besserstellung der belgischen Staatsangehörigen, denen die Bundesrepublik Wiedergutmachung ex tunc gewähren wolle, während es ihr freistehe, Ansprüche deutscher Staatsangehöriger mit dem FAG für die Zeit vor dem 1. April 1952 auszuschließen. Die durch die 3. ZV vorgenommene Besserstellung von belgischen Staatsangehörigen gegenüber deutschen Rentenempfängern verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dem Gesetzgeber sei es gestattet, bei einzelnen gesellschaftlichen Gruppen nach sachlichen Gesichtspunkten Differenzierungen vorzunehmen. Schließlich sei unter Berücksichtigung des Art. 52 Abs. 1 und 2 des Allgemeinen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 (Allgem.Abk.) - BGBl II 1963 406 ff - die Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit gemäß § 114 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Erwägung zu ziehen, sofern das Revisionsgericht der Rechtsansicht der Kläger nicht folge.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Hannover zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Berufungsgerichts für zutreffend und macht geltend: Ihre Zuständigkeit für Leistungen vor dem 1. April 1952 könne nicht aus Art. 2 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 der 3. ZV hergeleitet werden. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV beziehe sich ausschließlich auf die deutschen Rechtsvorschriften über die Rentenversicherung und nicht auf die über die Unfallversicherung. Das FAG sei die allein anzuwendende innerstaatliche Rechtsvorschrift, aus der sich Zuständigkeit und Beginn der Leistungsverpflichtung ergäben. § 17 Abs. 1 Satz 1 FAG erlaube eine Berentung vor dem 1. April 1952 nur, wenn die Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung bereits vor Erlaß oder vor Inkrafttreten des FAG festgestellt worden sei. Das sei hier nicht der Fall. Auch einem deutschen Staatsangehörigen in gleicher Lage könne wegen Wegfalls des entschädigungspflichtigen Versicherungsträgers eine Rente vor dem 1. April 1952 nicht gewährt werden. Wie das LSG zutreffend hervorhebe, stelle die 3. ZV auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften in der Bundesrepublik und im Lande Berlin ab.
Es bestehe keine Möglichkeit, einen belgischen Staatsangehörigen aufgrund der 3. ZV in der von der Revision begehrten Weise besser zu stellen als einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik oder des Landes Berlin. Es sei mit den zwischenstaatlichen Vereinbarungen nicht beabsichtigt gewesen, den belgischen Arbeitnehmern eine Wiedergutmachung zukommen zu lassen.
II
Die zulässige Revision ist begründet.
Der Kläger zu 2) erhält wegen der gesundheitlichen Folgen seines Arbeitsunfalls vom 10. September 1943 Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung, wie die Beklagte für die Zeit seit dem 1. April 1952 in ihrem Bescheid vom 5. Juli 1965 bereits bindend festgestellt hat. Aufgrund der Dritten Zusatzvereinbarung zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 - Allgemeines Abkommen - über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens, ebenfalls vom 7. Dezember 1957 (BGBl II 1963 404 - 3. ZV) hat er jedoch Anspruch auf Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung bereits vom 1. Oktober 1944 an.
Die 3. ZV ist weiterhin in Kraft. Die Sozialversicherungsabkommen zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland sind zwar weitgehend durch die Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit vom 25. September 1958 (BGBl 1959 II 473 - EWG-VO Nr. 3) ersetzt worden. Die EWG-VO Nr. 3 betrifft jedoch nur Personen, für die als Arbeitnehmer die Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Berlin oder eines Mitgliedstaates der EWG über soziale Sicherheit galten oder gelten (vgl. BSG 15, 29, 34). Solange der Kläger in Deutschland arbeitete, haben Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland über soziale Sicherheit noch nicht für ihn gelten können. Ob der Kläger vor oder nach seiner Beschäftigung in B den Vorschriften über soziale Sicherheit eines anderen Mitgliedstaates der EWG unterstand oder untersteht, ist den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Selbst wenn man aber davon ausgeht, daß - was naheliegt - der Kläger in seinem Heimatstaat den Vorschriften über soziale Sicherheit unterstanden hat oder sogar noch untersteht, ist die 3. ZV weiterhin anwendbar, weil sie nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. e EWG-VO Nr. 3 durch die Aufnahme in den Anhang D dieser VO weitergilt.
Nach Art. 1 der somit in Kraft gebliebenen 3. ZV gelten u.a. Art. 2 und Art. 4 Abs. 1 des Allgemeinen Abkommens für Personen, die sich - wie der Kläger - im Gebiet eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten und nach den Rechtsvorschriften eines oder beider Staaten über die Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten Ansprüche haben, bereits mit Wirkung vom 1. Oktober 1944 an. Nach Art. 4 Abs. 1 des Allgemeinen Abkommens, der auch für die Unfallversicherung gilt (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und Nr. 2 Buchst. c des Allgemeinen Abkommens), finden die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, welche die Entstehung von Ansprüchen oder die Gewährung von Leistungen oder Leistungsteilen vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt abhängig machen (s. § 615 Abs. 1 Nr. 3 RVO idF vor dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 - BGBl I 241 - RVO aF; § 625 Abs. 1 Nr. 1 RVO), auf Personen, die im Gebiet des anderen Staates ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, keine Anwendung, soweit nicht in diesem Abkommen etwas anderes bestimmt ist. Da das Allgemeine Abkommen insoweit keine abweichende Regelung trifft, hat die Rente des Klägers zu 2) somit rückwirkend vom 1. Oktober 1944 nicht wegen seines freiwilligen gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland geruht. Hinsichtlich der Rentenzahlungen für die Zeit vor Inkrafttreten der 3. ZV bestimmt Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der 3. ZV, daß Renten oder Rententeile, welche die deutschen und belgischen Träger nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die von ihnen anzuwenden sind oder waren, unter Berücksichtigung des Art. 1 des Allgemeinen Abkommens den dort genannten Personen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Allgemeinen Abkommens schulden, den Berechtigten auf Antrag nach Maßgabe des Art. 3 der 3. ZV nachzuzahlen sind.
Der demnach rückwirkend - sofern die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind -, für die Zeit vom 1. Oktober 1944 an bestehenden Leistungspflicht der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung steht nicht, wie das LSG und die Beklagte meinen, für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (BGBl I 848 - FAG) am 1. April 1952 entgegen, daß die Nordöstliche Eisen- und Stahl-BG, die für die Entschädigung des Klägers zu 2) im Zeitpunkt des Unfalles zuständig gewesen ist, nicht mehr besteht.
Soweit nach den deutschen Rechtsvorschriften über die Rentenversicherungen Renten oder Rententeile für die Zeit vor dem 1. April 1952 nicht gewährt werden können, weil ein leistungspflichtiger Träger nicht vorhanden ist, werden diese Leistungen von den nach Art. 4 der 3. ZV zuständigen Trägern übernommen (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV). Entgegen der Auffassung der Beklagten gilt diese Vorschrift in der Bundesrepublik Deutschland auch für Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Zwar entspricht es allgemein mehr dem deutschen Sprachgebrauch, unter Rentenversicherungen nicht mit die gesetzliche Unfallversicherung, sondern nur die Versicherungen für den Fall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, des Alters oder des Todes zu verstehen. Jedoch kann auch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff "Rentenversicherung" sowohl Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung als auch Renten aus der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie der knappschaftlichen Rentenversicherung betreffen. Bei Unfallrenten handelt es sich ebenfalls um Renten, die aufgrund einer "Versicherung" gewährt werden. Die 3. ZV ist zudem keine ausschließlich deutsche innerstaatliche und damit allein dem deutschen Sprachgebrauch entsprechende Vereinbarung. Vor allem nach seiner Stellung in der 3. ZV ist Art. 2 Abs. 1 Satz 2 so zu verstehen, daß diese Bestimmung auch auf die Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung anzuwenden ist. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV steht in engem Zusammenhang mit Satz 1 dieser Vorschrift. Beide Vorschriften bestimmen den Umfang der Leistungspflicht. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der 3. ZV bezieht sich ausdrücklich auf Art. 1 der 3. ZV, durch den u.a. der Ausschluß des Ruhens der Unfallrente wegen des freiwilligen gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland auf den 1. Oktober 1944 vorverlegt wird. In Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV wird insbesondere auf die nach Art. 4 der 3. ZV zuständigen Versicherungsträger Bezug genommen, zu denen die Unfallversicherungsträger gehören (s. Art. 4 Abs. 2 Buchst. a der 3. ZV). Schließlich ergeben sich aus Sinn und Zweck der 3. ZV keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sowie der knappschaftlichen Rentenversicherung. Die Auffassung, daß die gesetzliche Unfallversicherung zu den "Rentenversicherungen" i.S. des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV zählt, hat der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaft als deutsche Verbindungsstelle ebenfalls stets vertreten (vgl. u.a. Rundschr. VB 96/67 vom 6. 7. 1967).
Die Beklagte ist auch der für die Nachzahlung der Rente vor dem 1. April 1952 zuständige Versicherungsträger. Das LSG meint, ein Nachzahlungsanspruch sei in den Fällen, in denen der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalles leistungspflichtige Versicherungsträger nicht mehr vorhanden sei, nur unter den in Art. 4 der 3. ZV angeführten "Voraussetzungen" gegeben; diese Vorschrift regele aber nicht, welcher Versicherungsträger im Einzelfall zur Nachzahlung verpflichtet sei. Art. 4 der 3. ZV enthält jedoch keine "Voraussetzungen" für einen sich bereits aus Art. 1 und 2 der 3. ZV ergebenden Nachzahlungsanspruch, sondern bezeichnet lediglich die Stellen, an die der Antrag auf Nachzahlung der Rente zu richten ist (vgl. die Denkschrift zum Allgemeinen Abkommen - BT-Drucks. IV/870 S. 50, 51). Nach Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV übernehmen nur in den Fällen, in denen ein leistungspflichtiger Träger nicht vorhanden ist, deren Leistungen die "nach Art. 4 zuständigen Träger".
Für die Unfallversicherung bestimmt Art. 4 Abs. 3 der 3. ZV allerdings keinen zuständigen Versicherungsträger. Daraus ist aber entgegen der Auffassung des LSG nicht zu folgern, es bestehe für Nachzahlungen vor dem 1. April 1952 eine Lücke, die durch eine entsprechende Anwendung der Zuständigkeitsregelungen des FAG dahin geschlossen werden, daß - trotz des Beschlusses eines sich aus Art. 1 und 2 der 3. ZV ergebenden Nachzahlungsanspruchs - vor dem 1. April 1952 ein zur Zahlung zuständiger Versicherungsträger nicht gegeben sei. Die 3. ZV ist im Verhältnis zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland eine Sonderregelung auf dem Gebiet des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts. Sie geht als völkerrechtlicher Vertrag dem deutschen innerstaatlichen Recht vor. Ob eine Lücke in ihren Vorschriften besteht und wie diese gegebenenfalls zu schließen ist, muß deshalb zunächst aus ihrer Gesamtregelung beurteilt werden. Das gilt nach den Grundsätzen des Völkerrechts jedenfalls für zwischenstaatliche Vereinbarungen, die - wie die 3. ZV - generelle Regelungen enthalten (vgl. Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., 1964, S. 175). Die 3. ZV regelt keinen Einzelfall. Nach der Fassung des Art. 2 Abs. 1 und 2 sowie des Art. 1 der 3. ZV gelten die Bestimmungen für eine Vielzahl von Fällen. Der Tatbestand, an den bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind, wird generell beschrieben. Der Senat entscheidet über die analoge Anwendung ebenso wie über die Auslegung von Bestimmungen der 3. ZV auch nur für den innerstaatlichen Bereich (vgl. BVerfG 6, 309, 366; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 7. Aufl., S. 296 h III).
Die Gesamtregelung der 3. ZV ergibt jedoch, daß belgische Staatsangehörige, die im Gebiet des Landes Berlin vor dem Inkrafttreten des FAG einen Unfall erlitten haben, für die Zeit vom 1. Oktober 1944 an von dem Unfallversicherungsträger zu entschädigen sind, dessen Zuständigkeit auf das Land Berlin erstreckt worden ist. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 der 3. ZV begründen - wie bereits dargelegt - einen Anspruch des Klägers zu 2) auf Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung vom 1. Oktober 1944 an. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der 3. ZV bestimmt außerdem, daß auch in den Fällen, in denen der zunächst leistungspflichtige Träger nicht mehr vorhanden ist, auch für die Zeit vor dem 1. April 1952 (Inkrafttreten des FAG) Renten nachzuzahlen sind. Diese Vorschriften wären - gegebenenfalls bis auf den Geltungsbereich des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin vom 29. April 1952 (BGBl I 253 UZG) - gegenstandslos, wenn ein zuständiger deutscher Unfallversicherungsträger lediglich mit Inkrafttreten des FAG und damit erst seit dem 1. April 1952 gegeben wäre. Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 der 3. ZV sind deshalb sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Gesamtregelung der 3. ZV sowie ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. aaO und BT-Drucks. IV/1014, S. 1) entsprechend dahin auszulegen, daß für die Zeit vor dem 1. April 1952 ein bestehender Unfallversicherungsträger die Leistungen für den nicht mehr vorhandenen übernimmt. Für das Land Berlin ist als leistungspflichtig der Unfallversicherungsträger anzusehen, dessen Zuständigkeitsbereich auf das Land Berlin erstreckt worden ist (vgl. §§ 12, 13 UZG).
Die aus der deutschen Unfallversicherung von dem für die Leistungen danach zuständigen Träger geschuldete Rente des Klägers zu 2) ist ihm vom 1. Oktober 1944 an nachzuzahlen. Nach Art. 3 Abs. 1 der 3. ZV werden Renten, die bereits vor Inkrafttreten der 3. ZV gezahlt worden sind, und deren Zahlung eingestellt ist, vom Zeitpunkt der Zahlungseinstellung, frühestens vom 1. Oktober 1944 an nachgezahlt. Renten, die vor dem Inkrafttreten der 3. ZV festgestellt, aber noch nicht gezahlt worden sind, werden von dem in dem Rentenbescheid genannten Zeitpunkt des Rentenbeginns, frühestens vom 1. Oktober 1944 an nachgezahlt (Art. 3 Abs. 2 der 3. ZV). Renten, die vor dem Inkrafttreten der 3. ZV beantragt, aber noch nicht festgestellt worden sind, werden, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, von dem Tage an, der nach den jeweils geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften für den Rentenbeginn maßgebend ist, frühestens vom 1. Oktober 1944 an nachgezahlt (Art. 3 Abs. 3 der 3. ZV). Die Rente des Klägers zu 2) ist allerdings nach den von der Revision nicht wirksam gerügten und den Senat somit bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (s. jedoch auch Bl. 1, 3, 48 der Verw. Akten der Beklagten) vor dem Inkrafttreten der 3. ZV weder gezahlt noch festgestellt worden. Nach Sinn und Zweck der Regelung des Art. 3 der 3. ZV ist jedoch nicht davon auszugehen, daß die Vertragspartner bewußt und gewollt in diese Regelung nicht die Fälle einbeziehen wollten, in denen die an sich von Amts wegen durchzuführende Feststellung der Entschädigung aus Anlaß des Arbeitsunfalles unterblieb und ein Antrag auf Gewährung von Rente vor dem Inkrafttreten der 3. ZV wegen des freiwilligen gewöhnlichen Aufenthaltes im Ausland aussichtslos war. Dies ergibt sich insbesondere aus Art. 3 Abs. 3 der 3. ZV. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Versicherte, dessen Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung von Amts wegen nicht festgestellt worden ist und der sich freiwillig gewöhnlich im Ausland aufgehalten und einen deshalb nach dem damaligen Recht aussichtslosen Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt hat, seine Rente - sofern die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind - vom 1. Oktober 1944 an nachgezahlt erhalten soll, während der Versicherte, welcher der damaligen Rechtslage gemäß wegen seines freiwilligen gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland von einem aussichtslosen Antrag abgesehen hat, nunmehr allein deshalb von einer Nachzahlung für die Zeit vor dem 1. April 1952 ausgeschlossen sein soll. Art. 3 der 3. ZV enthält somit eine Lücke, die aus den angeführten Gründen durch eine analoge Anwendung ihres Art. 3 Abs. 3 zu schließen ist.
Die Beklagte ist demnach verpflichtet, die Rente des Klägers zu 2) aus der gesetzlichen Unfallversicherung auch für die Zeit vom 1. Oktober 1944 bis 31. März 1952 nachzuzahlen.
Die Beklagte meint, eine gegenüber den deutschen innerstaatlichen Regelungen für belgische Staatsangehörige nach der 3. ZV mögliche weitergehende Nachzahlung noch nicht festgestellter oder auch nur beantragter Renten bilde einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Ob die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) für die Annahme einer Verletzung des Gleichheitssatzes (vgl. u.a. BVerfG 1, 14, 52; 1, 264, 275; 18, 38, 46; BSG 6, 213, 230; 14, 95, 97; 15, 1, 9) durch den Gesetzgeber aufgestellten Voraussetzungen hier gegeben sind (vgl. BVerfG 3, 162, 182; 4, 352, 357; 9, 124, 130; 9, 334, 337; 10, 234, 246; 11, 105, 123; 12, 354, 367; 14, 221, 238; 15, 167, 201), kann dahinstehen. Selbst wenn die Regelung der 3. ZV zum Teil gegen den Gleichheitssatz verstieße, müßte der Senat von der völkerrechtlichen Bindung der Bundesrepublik Deutschland an die 3. ZV und damit von den von ihr begründeten Ansprüchen der belgischen Staatsangehörigen ausgehen (vgl. BVerfG 1, 396, 413; 6, 290, 295; von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. II, 1964, Art. 59 Anm. IV 7 e, S. 1149; Maunz in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz Art. 59 Rdn. 12, 22 ff; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 1960, § 68 I, S. 436; Menzel, Völkerrecht, 1962, § 54 III, S. 256).
Da der Nachzahlungsanspruch des Klägers zu 2) demnach bereits aufgrund der 3. ZV für den gesamten noch im Streit stehenden Zeitraum begründet ist, bedarf es keiner Prüfung, ob sich eine Nachzahlungspflicht der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 1951 bis 31. März 1952 nicht auch aus dem Gesetz über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin vom 29. April 1952 (BGBl I 253; vgl. §§ 12, 13, 17 ff) ergibt.
Der Senat hat in der Sache selbst entscheiden können, ohne den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) anzurufen. Es kann wiederum dahinstehen, ob hier - als Voraussetzung einer Vorlagepflicht - die EWG-VO Nr. 3 anzuwenden ist. Ebenso bedarf es keiner Entscheidung, ob die 3. ZV durch die Aufnahme in den Katalog der weitergeltenden Vorschriften ähnlich wie die EWG-VO Nr. 3 überhaupt zu einer Handlung eines Organs im Sinne des Art. 177 Abs. 1 Buchst. b des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 (BGBl II 766 - EWG-Vertrag) geworden ist. Sinn der Vorlagepflicht nach dieser Vorschrift ist es, eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewähren (vgl. EuGH IX, 81; Tomuschat, Die gerichtliche Vorabentscheidung nach den Verträgen über die europäischen Gemeinschaften, 1964, S. 7; Haug SGb 1967, 49, 50; Daig EuR 1968, 259, 262, 264). Die durch die europäischen Vertragswerke geschaffene Rechtseinheit soll nicht durch die Rechtsprechung der nationalen Gerichte gefährdet werden (vgl. Runge, DRiZ 1966, 179, 180). Der Senat hat jedoch nicht den EWG-Vertrag oder Satzungen der vom Rat der EWG geschaffenen Einrichtungen auszulegen (Art. 177 Abs. 1 Buchst. a und c EWG-Vertrag). Der Senat entscheidet auch nicht über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe der EWG (Art. 177 Abs. 1 Buchst. b EWG-Vertrag). Die 3. ZV gilt nur zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Auslegung durch belgische oder deutsche Gerichte berührt die durch die europäischen Vertragswerke geschaffene Rechtseinheit nicht, wenn - wie hier - nicht über den Umfang ihrer Weitergeltung und insbesondere ihre Abgrenzung zur EWG-VO Nr. 3 oder anderen von Organen der EWG gesetzten Rechtsvorschriften zu entscheiden ist.
Das Verfahren war auch nicht auszusetzen, um den Rechtsstreit nach Art. 52 Abs. 2 des Allgemeinen Abkommens einem Schiedsgericht zu unterbreiten. Es bedarf insoweit keiner Entscheidung, ob eine Aussetzung im Revisionsverfahren nicht grundsätzlich ausgeschlossen und Art. 52 des Allgemeinen Abkommens durch die EWG-VO Nr. 3 aufgehoben worden ist. Eine Aussetzung scheidet hier schon deshalb aus, weil die Streitigkeiten dem Schiedsgericht nach § 52 Abs. 2 des Allgemeinen Abkommens nur auf Antrag eines Vertragsstaates zu unterbreiten sind. Die Bundesrepublik Deutschland hat diesen Antrag nicht gestellt. Der Kläger zu 1) hat die Aussetzung des Verfahrens nur hilfsweise für den Fall beantragt, daß seine Revision keinen Erfolg hat. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, daß nach Abs. 4 dieser Vorschrift die Aufwendungen der Behörden, der Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts nicht erstattungsfähig sind. Der Beschluß des SG Hannover vom 14. Juli 1957 ist somit insofern unrichtig, als - jedenfalls nach seinem Wortlaut - die Beklagte auch dem Königreich Belgien die außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat. Der Senat hat diesen Beschluß deshalb aufgehoben und die für alle Rechtszüge gleiche Kostenentscheidung selbst getroffen.
Fundstellen